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Haft III: Voraussetzungen der Auslieferungs(haft), oder: Beiderseitige Strafbarkeit bei einer Trunkenheitsfahrt?

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Die letzte Entscheidung des heutigen Tages kommt aus dem Auslieferungsrecht, also ggf. Auslieferungshaft 🙂 . Das OLG Celle hat aber im OLG Celle, Beschl. v. 22.02.2023 – 2 AR (Ausl) 45/22 – die beantragte Auslieferung für unzulässig erklärt.

Betrieben wurde das Verfahren von den polnischen Justizbehörden auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan wegen der Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung. Das AG Grodzisk Wielkopolski hat den Verfolgten am 19.06.2013 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Inzwischen ist die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des AG Nowy Tomysl vom 13.11.2018 widerrufen. Die Freiheitsstrafe ist von dem Verfolgten noch vollständig zu verbüßen.

Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl führte der Verfolgte bei der ihm zur Last gelegten Straftat am 25.3.2013 gegen 17.25 Uhr in der S. K. in der Ortschaft N. T. in der W. W. ein Kraftfahrzeug und stand hierbei ausweislich der bei ihm durchgeführten Atemalkoholkontrolle und der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l unter Alkoholeinfluss. Auf Nachfrage der GStA haben die polnischen Justizbehörden mit Schreiben im Auslieferungsverfahren mitgeteilt, dass sich aus den der Verurteilung des Verfolgten zugrundeliegenden Aktenvorgängen keine Anhaltspunkte für einen Fahrfehler des Verfolgten zum Tatzeitpunkt ergeben hätten.

Die GStA hat beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sie erachtet die Auslieferung für unzulässig, da es bei der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden abgeurteilten Tat des Verfolgten an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit fehle. Das OLG hat die Entscheidung über den Antrag der GStA im Hinblick auf das beim BGH anhängige Vorlageverfahren 4 ARs 13/21 zunächst zurückgestellt. Es hat jetzt dann festgestellt, dass die Auslieferung des Verfolgten unzulässig ist:

„2, Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der in dem o.g. Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 bezeichneten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 (Az. VII K 376/13) ist unzulässig.

Die Zulässigkeit der Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung setzt nach § 3 Abs. 1 IRG voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Dies gilt auch, wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt (vgl. § 81 Nr. 1 IRG; Art. 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl). Das Erfordernis der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt nur dann, wenn es sich um eine sog. Katalogtat i.S. von Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses handelt.

Die vorliegend in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 näher beschriebene Tat des Verfolgten, welche seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 zugrunde lag, stellt keine Katalogtat im vorgenannten Sinne dar. Daher wäre die Auslieferung des Verfolgten nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Auf der Grundlage des in dem Europäischen Haftbefehl mit-geteilten Tatgeschehens käme insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Ver-kehr gemäß § 316 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre in objektiver Hinsicht, dass sich der Verfolgte zur Tatzeit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit befunden hat. Diese wäre tatbestandlich nur dann gegeben, wenn bei dem Verfolgten eine relative oder absolute Fahruntüchtigkeit vorgelegen hätte. Ob dies der Fall war, ist anhand des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens, das zu der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Verurteilung geführt hat, zu prüfen. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergeben sich insoweit über die auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l festgestellte Alkoholisierung des Verfolgten hinaus keine Anhaltspunkte für einen alkohol-bedingten Fahrfehler. Die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit kommt deshalb nicht in Betracht. Daher müsste tatbestandlich eine absolute Fahruntüchtigkeit bei ihm vorgelegen haben. Dies wäre nur bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 o/oo zu bejahen. Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl wurde dem Verfolgten jedoch weder eine Blutprobe zwecks Ermittlung der Blutalkoholkonzentration entnommen noch sind Feststellungen zu Art und Menge des von ihm vor der Tat konsumierten Alkohols getroffen worden. Seine Verurteilung beruht allein auf der zum Tatzeitpunkt gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l. Indes reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte der Messwert der Atemalkoholkonzentration allein für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nicht aus. Denn er bietet nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung nicht die in einem Strafverfahren erforderliche Sicherheit für die Bestimmung des Wertes der Blutalkoholzentration (vgl. BGH, NStZ 1995, 539; KG, DAR 2008, 273; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.04.2009 – 2 Ss 159/09 –, juris; OLG Naumburg, Beschl. v. 05.12.2000 – 1 Ws 496/00 – juris; Kudlich in BecKOK StGB, 55. Edition, Stand 01.11.2022, § 315c Rd. 27 mwN). Eine hohe Atemalkoholkonzentration stellt allenfalls ein starkes Indiz für eine Fahruntüchtigkeit dar, lässt aber die Annahme einer absoluten Fahr-untüchtigkeit nicht zu (vgl. OLG Stuttgart, aaO). Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bedarf es deshalb zumindest eines weiteren, tragfähigen Indizes für die Fahruntüchtigkeit des Täters. Da im vorliegenden Fall des Verfolgten jedoch – wie bereits ausgeführt – neben dem Wert der Atemalkoholkonzentration keine weiteren ihn belastenden Indizien festgestellt worden sind, scheidet eine Strafbarkeit der ihm in dem Europäischen Haft-befehl zur Last gelegten Tat nach § 316 StGB aus.

Nach alledem steht der Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden das Zulässigkeitshindernis der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG entgegen.“

Pflichti III: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: Bestellung im Bußgeldverfahren

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Und dann zum Schluss noch zwei Entscheidungen zu den Beiordungsgründen. Beide Entscheidungen betreffen nicht das „normale“ Erkenntnisverfahren, sondern einmal das Bußgeldverfahren und einmal die Strafvollstreckung, und zwar:

Liegt bei dem Verurteilten eine leichte Intelligenzminderung vor und ist ein Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeit des Verurteilten erstattet, ist ihm im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Dem Betroffenen ist auch im Bußgeldverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls das erfordern. Das ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn bereits eine erste Verurteilung des Betroffenen ist auf seine Rechtsbeschwerde vom OLG hin aufgehoben worden ist und die durchzuführende Hauptverhandlung sich maßgeblich an den Ausführungen des OLG zu orientieren hat, wobei die insoweit gebotene Auseinandersetzung mit den optischen Fehlerquellen einer Messung namentlich unter Berücksichtigung der Sichtverhältnisse und die juristische Bewertung der Messmethode von einem juristischen Laien nicht erwartet werden kann.

 

Pflichti I: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: War die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig?

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Heute dann mal wieder ein „Pflichti-Tag“. Allerdings: So viele Entscheidungen wie sonst kann ich nicht vorstellen. Und: Es gibt nichts zur Rückwirkung: Versprochen 🙂 .

Ich starte mit dem LG Halle, Beschl. v. 19.09.2022 – 3 Qs 104/22. Er nimmt zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren Stellung, und zwar im Verfahren über den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung. Dazu führt das LG aus:

„In einem Strafvollstreckungsverfahren liegt entsprechend § 140 Abs. 2 StPO ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten, besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 140 Rn. 33, Krafczyk in: Beck’scher Online-Kommentar zur StPO, 44. Edition 01.07.2022, § 140 Rn. 51; OLG Celle, Beschluss vom 03. 12 2019 — 2 Ws 352/192 Ws 355/19 —, Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25. 03. 2019 — 2 Ws 156/19 —, Rn. 4, jeweils zitiert nach juris). Dabei sind die Voraussetzungen einschränkend auszulegen, da im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich in deutlich geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Verteidigers besteht, da Tatschwere und Rechtsfolgen bereits feststehen (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.., OLG Celle a.a.O.., OLG Koblenz a.a.O.., s. a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 02. 05. 2002 —2 BvR 613/02 —, Rn. 11, zitiert nach juris).

Nach diesen Maßstäben liegt hier zwar nicht allein deswegen ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil sich das Verfahren über den Bewährungswiderruf auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten bezieht. Bei der Entscheidung, ob wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, hat die Dauer der nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Strafe außer Betracht zu bleiben (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.11.2021 — 1 Ws 278/21 —, Rn. 7, m. w. N., zitiert nach juris). Selbst im Erkenntnisverfahren gilt im Übrigen in der Regel erst eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe als ausreichend schwere Rechtsfolge, um für sich genommen die Beiordnung eines Verteidigers zu erfordern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.. Rn. 23).

Maßgeblich ist hier vielmehr, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Widerrufs-. Und Beschwerdeverfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die Aktenkenntnis erfordern oder über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17.11. 2021 —1 Ws 123/21 (S) Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 14.09.2005 — 1 AR 951/055 Ws 399/05 —, Rn. 8; jeweils zitiert nach juris). Davon geht die Kammer hier allerdings aus. Zu beachten ist, dass nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft der Widerruf der Strafaussetzung auf die Begehung eines nicht einschlägigen, fahrlässig und — vor Verlängerung der Bewährungszeit —nur wenige Tage vor Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit begangenen Bagatelldelikts gestützt werden soll. Dabei führte die erste Nachverurteilung wegen einer nur drei Tage nach der zweitinstanzlichen Bewährungsverurteilung begangenen einschlägigen Tat, nämlich einer vorsätzlichen Körperverletzung, sowie eines weiteren, nur wenige Wochen später begangenen Verbrechens nur zu einer Verlängerung der Bewährungszeit. Inwieweit das der jetzigen Nachverurteilung zu Grunde liegende Delikt denkbar geringen Gewichts — allein oder unter Berücksichtigung der der ersten rechtskräftigen Nachverurteilung zu Grunde liegenden Delikte — geeignet ist, die Ausgangsprognose in Frage zu stellen und auch, inwieweit bei der Prognose, wie von der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellt, die bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen weiteren gegen den Verurteilten geführten Strafverfahren Berücksichtigung finden dürfen, ist eine Frage, die über das hinausgeht, was in Verfahren wegen eines möglichen Bewährungswiderrufs nach § 56f StGB regelmäßig zu prüfen ist. Es handelt sich um eine in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierige Frage, die Aktenkenntnis zum zeitlichen Ablauf der Ereignisse und juristisches Fachwissen voraussetzt, das der Verurteilte nicht hat.“

Pflichti III: Pflichtverteidiger für Sicherungsverwahrte, oder: Privilegierung des Sicherungsverwahrten

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Und im letzten Posting dann hier der KG, Beschl. v. 25.03.2022 – 2 Ws 2 – 7/22 Vollz – mit einer nicht alltäglichen Thematig, nämlich der Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts für Sicherungsverwahrte in Vollzugsverfahren.

Grundlage des Beschlusses sind Ausführungen des beschwerdeführenden Gefangenen in öffentliche Krankenhäuser aus medizinischen Gründen. Bei den Ausführungen trug der Gefangene gemäß der Anordnung der Justizvollzugsanstalt jeweils Fesseln und Anstaltskleidung und wurde von zwei uniformierten Justizvollzugsbediensteten begleitet. Der Gefangener wendet sich mit seinen Anträgen gegen diese Sicherungsmaßnahmen und macht im Wesentlichen geltend, dass eine Begleitung durch (nicht uniformierte) Beamte ausreichend gewesen wäre. In all diesen Verfahren hatte der Gefangene jeweils beantragt, ihm (s)eine Rechtsanwältin B. gemäß § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG beizuordnen. Die Strafvollstreckungskammer hatte diese Anträge abgelehnt. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Gefangenen, die beim KG keinen Erfolg hatten:

„b) Die Beschwerden sind jedoch unbegründet, da die im Streit stehenden Ausführungen keine „Maßnahmen“ im Sinne des § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG sind.

aa) Anlass für die Regelung in § 109 Abs. 3 StVollzG und der damit einhergehenden Privilegierung von Sicherungsverwahrten und Strafgefangenen, bei denen die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ansteht oder zumindest möglich ist, war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 – (NJW 2011, 1931). In diesem führte das Bundesverfassungsgericht u.a. aus, dass Untergebrachten ein effektiv durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Durchführung der Maßnahmen eingeräumt werden müsse, die zur Reduktion ihrer Gefährlichkeit geboten seien. Das von Verfassungs wegen geltende „Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot“ erfordere, dem Untergebrachten einen geeigneten Beistand beizuordnen, der ihn in der Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen unterstütze (BVerfG a.a.O. S. 1939). Diese Ausführungen hat sich der Gesetzgeber zu Eigen gemacht (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27) und mit § 109 Abs. 3 StVollzG eine Regelung getroffen, die es erlaubt, bestimmten Antragstellern unter privilegierten Voraussetzungen einen Rechtsanwalt beizuordnen. Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt die Beiordnung – bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen sowie bei einem Streit über die dort genannten Maßnahmen dann – den Regelfall dar (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27).

bb) Eine Beiordnung nach § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ist dabei allein im Hinblick auf eine „Maßnahme“ möglich, „die der Umsetzung des § 66c Abs. 1 des Strafgesetzbuches“ dient. Denn die Beiordnung soll nur für solche Streitigkeiten erfolgen, die eine den Leitlinien des § 66c StGB konforme Umsetzung des Abstandsgebotes betreffen (vgl. Senat NStZ 2017, 115). Das ist hier nicht der Fall. Denn es handelt sich vorliegend um keine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 StGB. Im Einzelnen:

Bei den hier konkret im Streit stehenden Ausführungen handelt es sich um keine spezifische „Betreuung“ im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB, insbesondere auch nicht um eine „psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung“. Die Ausführungen waren allein bewilligt worden, um dem Gefangenen medizinische Hilfe außerhalb der Justizvollzugsanstalt, nämlich in der Charité zukommen zu lassen. Diese allgemeine Gesundheitsfürsorge an sich ist aber in aller Regel keine spezifische „Betreuung“ im Sinne der genannten Vorschrift (so schon Senat, Beschluss vom 22. Juli 2021 – 2 Ws 37/21 Vollz –). Nichts Anderes kann für die bloße Ausführung dorthin gelten. Denn ihr Zweck erschöpft sich allein darin, dem Gefangenen dann vor Ort externe ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Entsprechendes hatte der Senat auch schon für die Ausführung von Sicherungsverwahrten zu Gerichtsterminen entschieden (Beschluss vom 5. Dezember 2016 – 2 Ws 242/16 Vollz –). Ebenso wenig betreffen die hier streitigen Einzelmodalitäten der Ausführungen die in § 66c Abs. 1 Nr. 2 StGB beschriebenen grundsätzlichen Anforderungen an die Unterbringung. Dies gilt insbesondere auch für das in lit. b der Vorschrift beschriebene (räumliche) Trennungsgebot. Schließlich handelte es sich auch nicht um eine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB. Zwar kann auch eine Ausführung grundsätzlich eine „vollzugsöffnende Maßnahme“ im Sinne von lit. a) der Vorschrift sein. Doch dienten die hier bewilligten Maßnahmen gerade nicht der (für Nr. 3 erforderlichen) „Erreichung des in Nummer 1 Buchstabe b genannten Ziels“, nämlich die Gefährlichkeit des Gefangenen zu mindern, sondern galten allein der allgemeinen Gesundheitsfürsorge (§§ 70 ff. StVollzG Bln). Schon aus diesem Grund liegt auch keine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 3 lit. b) StGB vor, zumal es sich hier nicht um eine „nachsorgende Betreuung“ handelte.“

Pflichti III: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder. Exequaturverfahren und inhaftierter Mandant

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Und dann zum Tagesschluss und zum Ende des „Pflichtverteidigungsmarathons“ noch zwei Beschlüsse zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im (Straf)Vollstreckungsverfahren.

Zunächst der KG, Beschl. v. 03.02.2022 – 2 Ws 12/22 -, der sich zur  Bestellung im sog. Exequaturverfahren nach dem IRG ablehnend äußert:

„Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers liegen nicht vor; der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers war daher abzulehnen.

Im Vollstreckungsverfahren hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, für wenige Einzelfälle – vor allem in Bezug auf die Sicherungsverwahrung (vgl. § 463 Abs. 3 Satz 5 und Abs. 8 StPO) – die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben. Jenseits dessen wendet die Rechtsprechung die für das Erkenntnisverfahren geltende Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO entsprechend an, wenn und soweit dies verfassungsrechtlich geboten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verfahren außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist oder der Verurteilte aufgrund besonderer, in seiner Person liegender Umstände ersichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst angemessen zu äußern (vgl. Senat NJW 2015, 1897 und Beschluss vom 11. Februar 2015 – 2 Ws 29/15 – m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen jedoch im Vollstreckungsverfahren nur ausnahmsweise vor, weil dieses – anders als das Erkenntnisverfahren – nicht kontradiktorisch ausgestaltet ist. Der Verurteilte muss sich hier auch nicht gegen einen Tatvorwurf verteidigen, vielmehr ist das Vollstreckungsgericht an die rechtskräftigen Feststellungen des Tatrichters in dem der Vollstreckung zugrunde liegenden Urteil gebunden. Schließlich ergehen im Vollstreckungsverfahren gerichtliche Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung (vgl. dazu Senat a.a.O. m.w.N.). Insgesamt besteht danach im Vollstreckungsverfahren in deutlich geringerem Maße ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers. Maßgeblich ist letztlich, in welchem Umfang die vollstreckungsrechtliche Entscheidung in die Rechte des Verurteilten eingreift.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Beiordnung ersichtlich nicht gegeben. Das Beschwerdeverfahren wirft angesichts der eindeutigen Rechtslage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Fragen auf, die über die Probleme hinausgehen, die in einem die Anrechnung von Haftzeiten betreffenden Verfahren regelmäßig zu beurteilen sind. Schwierige Fragestellungen – etwa psychiatrischer Art –, die das Verständnis des Verurteilten und seine Fähigkeit über-stiegen, sich damit angemessen auseinanderzusetzen (vgl. Senat NStZ-RR 2006, 211 und Beschluss vom 23. September 2005 – 5 Ws 469-470/05 –), fehlen.

Es ist auch nicht über eine sehr lange (Rest-)Strafdauer zu entscheiden, die für eine Pflichtverteidigerbestellung sprechen könnte. Zwar beträgt die in Deutschland zu ver-büßende Restfreiheitsstrafe 7396 Tage. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht diese – rechtskräftig verhängte – (Rest-)Strafe, sondern lediglich der Anrechnungsmaßstab der nach der Entscheidung des Landgerichts vom 12. Mai 2020 auf die Strafe anzurechnenden ausländischen Haft. Ungeachtet dessen ist die von der Rechtsprechung für die Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren als bedeutsam erachtete Grenze von einem Jahr Freiheitsstrafe aus den vorgenannten Gründen nicht ohne weiteres auf das Vollstreckungsverfahren übertragbar (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. April 2016 – 2 Ws 111/16 – und vom 11. Februar 2015 – 2 Ws 29/15 –). Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer, der sich in seinem Antrag auf Neuberechnung der Strafzeit selbst ausführlich und nachvollziehbar zur Sache geäußert hat, aufgrund persönlicher Defizite nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, fehlen.“

Und dann noch der LG München I, Beschl. v. 16.10.2020 – 23 Qs 30/20. Er ist schon etwas älter, aber in der Begründung interessant. Das LG München I hat beigeordnet und begründet das wie folgt:

„Der rechtliche Anknüpfungspunkt ist § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO. Nach dieser Vorschrift ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte sich aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet. Hierunter ist insbesondere auch die Strafhaft zu verstehen (Schnitt In Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., StPO § 140 Rn. 16). Zwar regelt diese Vorschrift die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Erkenntnisverfahren, sie findet jedoch im Strafvollstreckungs- bzw. im Bewährungsverfahren entsprechende Anwendung, soweit dies im Lichte der Besonderheiten des Bewährungs- und Vollstreckungsverfahrens geboten ist. Die Rechtsmittelmöglichkeiten des Verurteilten sind hier aufgrund der öffentlichen Zustellung des Widerrufsbeschlusses – wie bereits dargestellt – stark eingeschränkt und mit der Inhaftierung weiter in tatsächlicher Hinsicht – auch weiter durch die besonderen Quarantäneregelungen während der andauernden Covid-19-Pandemie beschnitten, sodass die Beiordnung hier im konkreten Einzelfall auch im Licht der Besonderheiten des konkreten Bewährungsverfahrens geboten ist.“