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Voller Verteidiger oder „Durchwinkverteidiger“ – die richtige Antwort bringt schon ein paar € mehr

Das LG Aurich hat sich vor einiger Zeit in seinem Beschl. v.  12.08.2009, 12 Qs 90/09 mit der Frage auseinander gesetzt, ob der nach § 408b StPO im Strafbefehlsverfahren beigeordnete Rechtsanwalt voller Verteidiger oder nur „Durchwinkverteidiger (den Begriff habe ich vom Kollegen Rosenthal aus StraFo 2010, 430) ist. Geht man von letzterem aus, dann wird nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abgerechnet, sonst nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Und der Unterschied kann beträchtlich sein.

Die Verteidigerin hat gegen die (falsche) Entscheidung des LG Beschwerde eingelegt und nun beim OLG Oldenburg Recht bekommen. Dieses ist in seinem Beschl. v.  29.07.2010 – 1 Ws 344/10 von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ausgegangen und führt aus, dass dem nach § 408b StPO bestellten Verteidiger , auch wenn er erstmals nach Erlass des Strafbefehls tätig wird und keinen Einspruch einlegt, die vollen Gebührenansprüche eines Verteidigers und nicht nur eine Einzeltätigkeitsgebühr zusteht. Also kein Durchwinkverteidiger. Das meint übrigens das OLG Düsseldorf auch.

So werde ich die Sache nicht endgültig los….

habe ich gedacht, als ich den Beschl. des OLG Rostock v. 10.08.2010 – I Ws 193/10 – gelesen habe. Da hatte das AG einen Strafbefehlsantrag „u.m.A…….“ dem Landgericht geschickt, also im Grunde eine Verweisung. Das LG hat dann übernommen und dann die Eröffnung abgelehnt – also den Antrag wie eine Anklage behandelt. Auf die sofortige Beschwerde hat das OLG aufgehoben und dem AG die Sache zur Entscheidung über den Strafbefehlsantrag zurückgeschickt mit der Erklärung.
1. Keine Verweisung von Strafbefehlsanträgen vom Amtsgericht an das Landgericht wegen sachlicher Unzuständigkeit.
2. Keine Eröffnungszuständigkeit des Landgerichts im Strafbefehlsverfahren.

Ich weiß manchmal wirklich nicht, warum man es sich so schwer macht und Wege sucht/geht, die in der StPO so nicht vorgesehen sind.

Auch wenn der Verteidiger stumm bleibt, spricht das allein nicht gegen seinen Vertretungswillen…

Wir hatten vor einigen Tagen über die Vertretung des ausgebliebenen Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung im  Strafbefehlverfahren und die dafür erforderliche Vertretungsvollmacht des (Pflicht)Verteidigers berichtet (vgl. hier und hier).

Dazu passt ganz gut die mir jetzt übersandte Entscheidung des KG vom 07.07.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), in der das KG zur Art und Weise der Vertretung des Angeklagten Stellung genommen hat. Danach reicht zur Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin die Anwesenheit des bevollmächtigten Verteidigers aus. Aus dessen bloßem Schweigen und dem Absehen von einer Antragstellung darf nicht geschlossen werden, er sei vertretungsunwillig. Hierfür bedarf es vielmehr eindeutiger Indizien.

LG Essen: Keine Disziplinierung durch Haftbefehl

Was immer wieder übersehen wird:  Der Haftbefehl nach den §§ 230 Abs. 2, 236 StPO erfüllt im Strafbefehlsverfahren nicht den Selbstzweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden. Vielmehr soll er (nur) die Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht und der gestalterischen Vorstellungen des Tatrichters sichern – so das LG Essen jetzt in einem Beschluss vom 13.10.2009 – 51 Qs 86/09.

Ein Haftbefehl im Strafbefehlsverfahren ist danach daher unverhältnismäßig, wenn das Gericht die Hauptverhandlung trotz Nichterscheinens des Angeklagten ohne gravierende Einbußen der Wahrheitsfindung durchführen kann. Dabei sind auch die Umstände, die der Zumutbarkeit des Erscheinens des Angeklagten entgegenstehen, zu berücksichtigen.

Interessante Entscsheidung zu einer Problematik, in deren Bereich in der Praxis immer wieder Fehler gemacht werden.