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StPO I: Wenn der Verteidiger der Sohn des Richters ist, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Heute ist dann ein Tag der StPO-Entscheidungen, aber nicht von BGH-Entscheidungen, sondern von den sog. „Instanzgerichten“.

Zunächst hier der AG Meiningen, Beschl. v. 20.05.2021 – OWi 161 Js 14163/20 – zur Besorgnis der Befangenheit. Es geht um eine „Selbstanzeige/Selbstablehnung“ eine OWi-Richters, der seine Selbstanzeige damit begründet hat, dass in einer Bußgeldsache der Verteidiger des Betroffenen sein Sohn ist. Das AG sagt: Die Selbstablehnung ist begründet:

„Schon die Selbstanzeige des Richters am Amtsgericht X führt dazu, dass er wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden ist. Zwar liegt ein gesetzlicher Ausschließungsgrund nach §§ 22, 23 StPO nicht vor und eine analoge Anwendung auf ähnlich erscheinende Sachverhalte scheidet grundsätzlich aus, weil die Aufzählung in § 22 StPO erschöpfend ist. (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 22, Rn. 3 m.w.N.). Der anzeigende Richter ist aber wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden, § 24 StPO……

….. II.

Die Selbstanzeige ist begründet, § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.

1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eines Richters findet gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn bei verständiger Würdigung aufgrund des bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der betreffende Richter gegenüber dem Beschuldigten eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es auf den Standpunkt des Betroffenen an, nicht aber auf seinen (möglicherweise einseitigen) subjektiven Eindruck. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge scheiden als Ablehnungsgrund aus. Maßgeblich ist vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Beschuldigten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 24, Rn. 8 m.w.N.).

Ein Befangenheitsgrund kann jedoch auch dann vorliegen, wenn eine in § 22 StPO beschriebene ähnliche Konstellation gegeben ist, die sich nicht unter diese Regelung fassen lässt. Allein die Nähe zu § 22 StPO genügt hierfür zwar nicht. Um einen generellen Rückgriff auf § 24 StPO und eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 22 StPO entgegen der gesetzgeberischen Wertung zu vermeiden, bedarf es jedoch besonderer Umstände, die auf die fehlende Neutralität des vorbefassten Richters schließen lassen (LG München I, Beschluss vom 13. Juli 2015 – 20 KLs 124 Js 209119/14 –, juris, m.w.N.). Solche werden bei engen persönlichen Verhältnissen des Richters zu weiteren Prozessbeteiligten angenommen (so auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 19). So hat der 5. Zivilsenat des BGH in einer Grundsatzentscheidung ausgeführt, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn seine Ehefrau als Rechtsanwältin – auch ohne mit der Sache selbst befasst zu sein – in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt und dies damit begründet, dass alleine schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners der Partei begründeten Anlass zur Sorge gebe, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügten, die sie befähigten, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, sei es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben werde, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschehe und ihr das bekannt werde (BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11 –, juris). Mit gleicher Begründung hat das Amtsgericht Kehl das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes angenommen, wenn die zuständige Richterin und der sachbearbeitende Staatsanwalt miteinander verheiratet sind (AG Kehl, Beschluss vom 15. April 2014 – 5 OWi 304 Js 2546/14 –, juris). Zur Begründung hat das Amtsgericht Kehl ausgeführt, dass die Ehe in der Regel auf gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung gegründet sei. Aus Sicht eines unvoreingenommenen Angeklagten bzw. Betroffenen bestehe in dieser Situation dann die Besorgnis, dass der Richter den Ausführungen eines mit ihm verheirateten Staatsanwalts eine besondere Bedeutung beimesse, ihnen einen höheren Richtigkeitsgrad zuerkenne als in vergleichbaren Fällen oder (eventuell auch nur unbewusst) aus Rücksicht auf den Ehepartner einem Entscheidungsvorschlag (Verurteilung, Strafmaß etc.) zustimme, ohne dass dies der Sach- und Rechtslage im Verfahren entspreche (AG Kehl, a.a.O.; ebenso Ellbogen/Schneider, JR 2012, 188). Insofern wird zu Recht angenommen, dass eine Befangenheit in der Regel anzunehmen ist, wenn eine Ehe oder ein Verlöbnis mit einem Prozessbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger oder Nebenklagevertreter) besteht (MüKo/Conen/Tsambikakis, StPO, 1. Aufl., § 24, Rn. 30).

2. Gemessen an diesen Ausführungen ist eine Befangenheit auch dann anzunehmen, wenn der Verteidiger des Betroffenen der Sohn des zuständigen Richters ist. Auch hier besteht auf Grund der sehr nahen verwandtschaftlichen Verbindung des anzeigenden Richters ein derart enges höchst persönliches und intimes Vertrauensverhältnis zwischen dem Richter und dem Verteidiger, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten Grund zu der Annahme bestehen kann, dass der anzeigende Richter auf Grund familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (in diesem Sinne auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 22). Es ist daher aus Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar, dass er aufgrund des vorliegenden Verhältnisses Grund zur Sorge dahin gehend hat, dass die erforderliche Neutralität des anzeigenden Richters durch sein Näheverhältnis zum Verteidiger beeinflusst werden kann.“

Ablehnung II: Wann ist ein Richter (auch) Zeuge?, oder: Selbstablehnung

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.5.2020 – 1 Ws 140/20 – im Hinblick auf § 22 Nr. 5 StPO zur Abgrenzung der dienstlichen Äußerung eines Richters von einer Zeugenaussage Stellung genommen.

Es geht in etwa um folgenden Sachverhalt: Im September 2019 ist vom LG Oldenburg der ehemalige Krankenpflegers Niels H. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen (ehemalige) Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg erhoben. Im anhängigen Verfahren wird den Angeschuldigten als Mitarbeitern der Klinik vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch F ermöglicht zu haben. Das Schwurgericht hat das Hauptverfahren bisher noch nicht eröffnet.

Die Angeschuldigten haben geltend gemacht, der Vorsitzende und der Beisitzer seien von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, und lehnen die Richter hilfsweise wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Vorsitzende und der Beisitzer haben jeweils eine Selbstanzeige zu den Akten gereicht und das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift als zutreffend bezeichnet. Mit angefochtenem Beschluss hat die Vertreterkammer die auf Ablehnung wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten hat das OLG als unbegründet verworfen.

Hier die (amtlichen) Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Eine dienstliche Erklärung über Wahrnehmungen anlässlich einer früheren Hauptverhandlung kann nur dann als eine die persönliche Vernehmung ersetzende schriftliche Zeugenäußerung i.S.d. § 22 Nr.5 StPO gewertet werden, wenn diese sich nicht allein zu prozessual erheblichen Vorgängen verhält, sondern Beweisergebnisse zum Gegenstand hat, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen.

  2. Die Urteilsgründe eines früheren Prozesses stellen schon deshalb keine Zeugenbekundungen im vorstehenden Sinne dar, da diese lediglich das Ergebnis der geheimen Beratungen (der Mehrheit) eines Spruchkörpers abbilden und sich ihnen gerade nicht entnehmen lässt, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen in der früheren Hauptverhandlung gemacht hat.

  3. Das Vorliegen einer Selbstanzeige nach § 30 StPO führt selbst dann, wenn diese komplexe, ausschließlich auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen aus einer früheren Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, nicht zwangsläufig zum Ausschluss des betreffenden Richters nach § 22 Nr. 5 StPO, solange vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gegeben sind, das im Rahmen der Selbstanzeige zu Tage getretene Wissen des Richters auf andere Weise als durch dessen Zeugenvernehmung in das laufende Verfahren einzubringen.

StPO III: Selbstablehnung des Richters, oder: Allein enge Freundschaft zum Verteidiger reicht nicht

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So, und die Nachmittagsentscheidung kommt ebenfalls aus dem Bereich des Ablehnungsrecht. Das AG Torgau hat im AG Torgau, Beschl. v. 24.02.2020 – 2 Ds 950 Js 41188/19 – zu einer Selbstablehnung (§ 30 StPO) Stellung genommen. In einem Verfahrenn hatte sich der zuständige Amtsrichter „selbst abgelehnt“ und das mit einer engen freundschaftlichen Verbindung zum Verteidiger begründet. Das reicht aber allein nicht, sagt das AG:

„…. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.01.2020 zeigte sich für die Angeschuldigte unter Beifügung einer Prozessvollmacht Rechtsanwalt pp. an und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht sowie die Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zur Anklageschrift. Mit richterlicher Verfügung vom 21.01.2020 wurde durch Richter am Amtsgericht pp. die Akteneinsicht bewilligt mit dem Zusatz, dass das Gericht gleichzeitig auch die Stellungnahmefrist zur Anklageschrift von zwei Wochen ab Eingang der Akte verlängere.

Nach gewährter Akteneinsicht erfolgte die Rückgabe der Akte an das Amtsgericht Torgau am 29.01.2020. Richter am Amtsgericht pp. hat sodann mit Verfügung vom 03.02.2020 gem. § 30 StPO mitgeteilt, dass zwischen ihm und dem die Angeschuldigte vertretenden Rechtsanwalt pp. ein enges Freundschaftsverhältnis seit dem Referat [so im Original] bestehe und man sich auch regelmäßig wöchentlich zu gemeinsamen Abendessen treffe und er auch vor wenigen Wochen auf der Geburtstagsfeier des Rechtsanwaltes pp. als Gast gewesen sei. Aufgrund dieses Näheverhältnisses scheine es ihm fraglich, ob er das Verfahren mit der gebotenen Objektivität entscheiden könne. Mit Verfügung vom 05.02.2020 wurde diese dienstliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Leipzig, Zweigstelle Torgau, und dem Verteidiger Rechtsanwalt pp. zur Äußerung übersandt. Die Staatsanwaltschaft Leipzig, Zweigstelle Torgau, teilte mit Verfügung vom 06.02.2020 mit, dass aufgrund der dienstlichen Stellungnahme des Richters am Amtsgericht pp. Zweifel an der notwendigen Objektivität bestehen. Seitens des Verteidigers Rechtsanwalt pp. Reiche wurde mit Schreiben vorn 11.02.2020 Stellung genommen. Er bestätigte das enge freundschaftliche Verhältnis zu Herrn Richter am Amtsgericht pp. Seiner Auffassung nach sei aber die Besorgnis der Befangenheit und damit die Berechtigung der Selbstablehnung gern. § 30 StPO nicht begründet. Ergänzend wird auf das Schreiben vom 11.02.2020 Bezug genommen.

Herr Richter am Amtsgericht pp. hat mit Verfügung vom 13.02.2020 mitgeteilt, dass eine ergänzende dienstliche Stellungnahme nicht veranlasst sei.

II.

Die von Herrn Richter am Amtsgericht pp. in seiner dienstlichen Äußerung gern. § 30 StPO mitgeteilten tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen nicht für die am Verfahren Beteiligten die Besorgnis der Befangenheit.

Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln; es ist ein individuell objektiver Maßstab anzulegen (Fischer, Karlsruhe Komm. zur StPO, 8. Aufl., München 2008 § 24 Rdnr. 3 mit einer Vielzahl von Nachweise der Rechtsprechung).

Das unbestrittene Vorliegen einer engen Freundschaft zwischen Herrn Richter am Amtsgericht pp. und dem Verteidiger, Herrn pp.,  allein reicht noch nicht aus, aus der Sicht eines der Verfahrensbeteiligten, bei vernünftiger Würdigung aller Umstände an einer Unvoreingenommenheit dieses Richters zu zweifeln (vgl. OLG Koblenz 05.05.2003 – 5 U 120/03; OLG Frankfurt 04.12.1995 -13 U 113/95- BayObLG 02.10.1986 – BReg 2 Z 113/86, OLG Frankfurt 02.03.1998 – 15 W 8/98, LG Bonn 11.10.1965 ¬4 T 460/65).

Das Hinzutreten weiterer objektiver Umstände ist nicht erkennbar. Die Bearbeitung des Strafverfahrens nach Eingang beim Amtsgericht Torgau ist nicht zu beanstanden. Rechtsanwalt pp. wurde die beantragte Akteneinsicht mit Schreiben vom 17.01.2020 ohne ihn zu bevorzugen, gewährt. Gleiches gilt auch für die gewährte Frist zur Verlängerung der Stellungnahme zur Anklageschrift. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich Herr Richter am Amtsgericht pp. mit dem Verteidiger Rechtsanwalt pp. bereits außergerichtlich in einem privaten Rahmen über das vorliegende Strafverfahren unterhalten haben könnte. Aufgrund der Darlegungen des Rechtsanwalts pp. ist hiervon auch nicht auszugehen. Ergänzend wird auf dessen Vorbringen mit Schreiben vom 11.02.2020 verwiesen. Im Ergebnis war die aus dem Tenor dieser Entscheidung ersichtliche Entscheidung zu treffen.“

Vernünftige Entscheidung: Sowohl vom zuständigen Richter als auch vom Entscheider.

Befangen? Ja, wenn die Richterin mittags mit dem Geschädigten Essen geht

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Und als zweite „Wochenauftaktsentscheidung“ kommt dann hier der BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 90/17. Er ist in einem Sicherungsverfahren ergangen und hat u.a. auch eine Befangenheitsproblematik zum Gegenstand. Es geht um die „Begründetheit“ einer Selbstablehnung (§ 30 StPO), die von einer zuständigen Richterin erklärt worden und von der Strafkammer nicht anerkannt worden ist. Das wird vom BGH als rechtsfehlerhaft beanstandet:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Geschädigter im vorliegenden Verfahren ist ein Richter am Landgericht Hildesheim. Noch vor Beginn der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende Richterin der zuständigen 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim eine Erklärung ab, mit der sie Selbstanzeige zu Umständen machte, die ihrer Ansicht nach eine Befangenheit begründen könnten: Der Verletzte sei ein Kollege, zu dem sie eine enge Bindung habe. Sie kenne ihn bereits aus der gemeinsamen Asses-sorenzeit und nehme mit ihm seit 2011 nahezu täglich – im Kreise weiterer Kollegen – das Mittagessen ein. Dabei würden auch regelmäßig Gespräche mit privatem Inhalt geführt. Aufgrund dieses – über kollegiale Beziehungen hinausgehenden – Verhältnisses zum Geschädigten sei sie dem Beschuldigten gegenüber nicht unvoreingenommen. Sie halte sich für befangen.

Mit Beschluss vom 28. Juni 2015 hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Hildesheim festgestellt, dass ein Grund, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu rechtfertigen, nicht vorliege. Ob die Richterin sich selbst für befangen halte, sei ohne Belang. Im Übrigen lege das dienstliche Verhältnis zwischen der Vorsitzenden Richterin und dem Verletzten keine Voreingenommenheit nahe. Ein solches Verhältnis könne nur dann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn es besonders eng sei und auf die persönlichen Verhältnisse ausstrahle. Aus der Anzeige ergebe sich jedoch weder eine dienstliche Zusammenarbeit noch ein privates Verhältnis, das die Schwelle zur Freundschaft überschreite.

Hiergegen wendet sich die Revision mit der Begründung, dass die Feststellung, ein Grund für Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richterin liege nicht vor, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar sei. Maßgeblich sei, dass die Vorsitzende Richterin ausdrücklich und unmissverständlich mitge-teilt habe, gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen zu sein. Diese innere Einstellung offenbare ihre Befangenheit.

2. Durch die Verfahrensweise des Landgerichts wurde der Beschuldigte seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG). Im Einzelnen:

a) In den Fällen des § 30 StPO kann das Revisionsgericht den Be-schluss, durch den die Selbstanzeige eines Richters wegen eines Verhältnis-ses, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, für begründet oder für nicht begründet erklärt wird, grundsätzlich nicht überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 1973 – 1 StR 541/72, BGHSt 25, 122, 127 mwN; vom 5. Januar 1977 – 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 99). Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO betrifft lediglich den Fall der Ablehnung des Richters nach § 24 StPO, nicht die Selbstanzeige eines Richters nach § 30 StPO. Der Grundsatz der Nichtüberprüfbarkeit gilt indes nicht ausnahmslos. Vielmehr kann im Falle einer objektiv willkürlichen Verfahrensweise mit der Verletzung von § 16 Satz 2 GVG im Revisionsverfahren eine Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begehrt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1968 – 2 StR 360/67, BGHSt 22, 94, 100; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 30 Rn. 9). So greift eine Rüge, § 16 Satz 2 GVG sei verletzt, durch, wenn das Verfahren des § 30 StPO missbraucht wird, indem ein Richter Anzeige nach § 30 StPO erstattet und das Gericht sie für begründet erklärt, obwohl sowohl der Anzeigende als auch das Gericht keine Befangenheit besorgen (LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., § 30 Rn. 24). Denn durch eine grundlose Selbstablehnung darf ein Angeklagter nicht dem verfassungsrechtlich garantierten gesetzlichen Richter entzogen werden (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1993 – 3 StR 512/93, BGHR StPO § 30 Selbstanzeige 1). Nichts anderes gilt, wenn die Selbstablehnung des Richters aus Gründen, die rechtlich unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar sind, für unbegründet befunden wird.

b) Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Feststellung, Gründe für den Anschein einer Befangenheit der Vorsitzenden Richterin seien nicht gegeben, ist angesichts der in der Selbstablehnung vorgetragenen Angaben nicht vertretbar. Schon die von der Richterin angezeigten äußeren Umstände zu ihrem Verhältnis zu dem Geschädigten rechtfertigten die Besorgnis ihrer Befangenheit nach § 24 Abs. 1 Alternative 2, Abs. 2 StPO. Nach ihren Angaben besteht eine enge Bindung zu dem Verletzten, die auch in das Privatleben hineinreicht. Dies lässt aus der Sicht eines verständigen Angeklagten den Schluss zu, dass ihr Verhältnis zu dem Verletzten über dienstliche Beziehungen, die für sich allein die Annahme von Befangenheit nicht rechtfertigen können (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 24 Rn. 10 mwN), hinausgehen. Ob die Zurückweisung der Selbstanzeige bereits deshalb nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern – weil willkürlich – mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht mehr zu vereinbaren ist, kann indes dahinstehen. Denn die Vorsitzende Richterin hat zudem ausdrücklich mitgeteilt, dass sie gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen sei. Zwar ist es für die Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält, da es maßgeblich nicht auf dessen subjektive Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1972 – BvA 1/96, BVerfGE 32, 288, 290). Teilt der Richter dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zu dem Angeklagten, die diesem – jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird – bei verständiger Würdigung Grund zu der Annahme liefert, dass der betreffende Richter eine innere Haltung gegen seine Person eingenommen hat, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst.“

Hier hat die Richterin Gründe für ihre Befangenheit angeführt, die schon für sich die Ablehnung gerechtfertigt hätten. Indem sie gleichzeitig erklärt hat, deshalb gegenüber dem Beschuldigten voreingenommen zu sein, musste dieser auch bei verständiger Würdigung davon ausgehen, dass sie ihn und seine Tat nicht unbefangen beurteilen würde. Vor diesem Hintergrund ist die Ent-scheidung der Strafkammer, der Beschuldigte habe keinen Grund, an der Un-parteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu zweifeln, nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar und damit objektiv willkürlich.“

Deutliche Worte des BGH: „nicht vertretbar“.

Let`s talk about – befangen werde/bin ich nicht…

Bei der Recherche nach interessanten Entscheidungen bin ich auf LSG Sachsen, Beschl. v. 27.09.2011 – L 7 SF 114/11 AB gestoßen, das über das Selbstablehnungsgesuch eines Richters am SG entschieden hat. Das LSG hat das Gesuch als unbegründet angesehen, und zwar mit folgender Begründung bzw. trotz Vorlage folgender Umstände:

Die von Richter am Sozialgericht P im Schreiben vom 11.07.2011 mit Ergänzung vom 31.08.2011 angezeigten Umstände rechtfertigen seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit i.S.d. §§ 42 Abs. 2, 48 ZPO nicht. Soweit er mitgeteilt hat, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Kanzlei in Bürogemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin betreibt und dass Rechtsanwältin P ihn privat in der Angelegenheit vor Klageerhebung um eine rechtliche Auskunft gebeten habe, die er erteilt habe, führt dies nicht zur Annahme einer Voreingenommenheit, die eine (Selbst-)Ablehnung begründen könnte. Es ist weder unüblich noch zu beanstanden, dass sich Juristen untereinander in ihrer Freizeit über rechtliche Fragen, die ihnen in ihrem Beruf und ihrer täglichen Arbeit begegnen, austauschen und ihre rechtlichen Ansichten kund tun. Dies beinhaltet weder eine Vorfestlegung zu einem bestimmten rechtlichen Problem, noch bestehen begründete Zweifel daran, dass der Richter, wenn er die vorher besprochene Frage in seinem beruflichen Amt zu entscheiden hat, nicht in der Lage sein wird, die im konkreten gerichtlichen Verfahren aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen mit der erforderlichen Objektivität und Unvoreingenommenheit zu prüfen und zu entscheiden. Daher begründet der Umstand, dass Richter am Sozialgericht P gegenüber Rechtsanwältin P eine rechtliche Einschätzung zu dem dem Rechtstreit zugrundeliegenden Sachverhalt (ohne Benennung der Verfahrensbeteiligten) abgegeben hat, keine Besorgnis der Befangenheit.

Auch der mitgeteilte Umstand, dass die Familie des Richters am Sozialgericht P und diejenige von Rechtsanwältin P aufgrund deren gemeinsamer Berufsausübung mit der Lebensgefährtin des Richters freundschaftlich eng miteinander verbunden sind, stellt für sich genommen keinen Anlass dar, an der unvoreingenommenen und neutralen Einstellung des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten zu zweifeln. Die private freundschaftliche Beziehung eines Richters zu einem Prozessbevollmächtigten ist regelmäßig nicht geeignet, einen Verfahrensbeteiligten an dessen Unvoreingenommenheit im gerichtlichen Verfahren zweifeln zu lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Richter ebenso wie Prozessbevollmächtigte in der Lage sind, ihre berufliche und private Beziehung zu trennen, wozu sie aufgrund ihres Amtes bzw. ihres Berufsstandes ohnehin verpflichtet sind. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend aufgrund der freundschaftlichen Verbundenheit der beiden Familien von einer besonders engen persönlichen Beziehung des Richters zur Prozessbevollmächtigten vergleichbar einer Ehe oder nahen Verwandtschaft ausgegangen werden kann, sind für den Senat nicht erkennbar (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 20. Aufl., § 42 RdNr. 13 i.V.m. RdNr. 2).“

Na ja, geht mir ein wenig weit. Die Besorgnis der Befangenheit, und nur darum geht es, soll das „Umständebündel“ nicht begründen?