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OWi II: VerfGH Saarland und kein Ende, oder: Hier spricht das KG

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Im zweiten Posting dann der KG, Beschl. v. 02.10.2019 – 3 Ws (B) 296/19 – 162 Ss 122/19, den gestern ein Kollege in einer Verkehrsrechtsgruppe auf FB zur Verfügung gestellt hat. Dort habe ich ihn mir dann „geklaut“.

Das KG  wendet in seinem Beschluss die Grundsätze (natürlich) nicht an, sondern:

1. Dass der Umstand, dass eine (Geschwindigkeits-)Messung im Nachhinein nicht mehr in allen Einzelheiten nachvollzogen werden kann, der Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht entgegensteht, ist obergerichtlich geklärt (vgl. Senat, Beschlüsse vorn 15. August 2014 – 3 Ws (B) 289/14 – und 15: Mai 2014 – 3 Ws (B) 249/14 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. März 2010 – 2 Ss-OWi 577/09 -juris).

2. Von dieser Rechtsprechung abzurücken, sieht der Senat auch im Hinblick auf die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom 5. Juli 2019 (NZV 2019, 414) keine Veranlassung. Die Annahme, den Betroffenen belastende technische Beweise müssten jederzeit und vollständig rekonstruierbar sein, ist durchgreifenden Zweifeln ausgesetzt. Eine derartige Tragweite lässt sich dem in Art. 6 EMRK und Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz des fairen Verfahrens nicht entnehmen.

a) Der Grundsatz des Verfahrens – hier in Gestalt der ;,Waffengleichheit“ – dazu allgemein Gaede in MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rdn. 302 ff.; Lohse/Jacobs in KK-StPO 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rdn. 45; beide m.w.N.) fordert, dass Personen, die sich vor Gericht in einem Verfahren mit kontradiktorischen Komponenten gegenüberstehen, gleiche oder zumindest in der Effektivität gleichwertige Befugnisse bei der Wahrnehmung ihrer gegenläufigen Interessen vor Gericht haben (vgl. Esser in LR-StPO 26. Aufl., Art. 6 EMRK Rdn. 202 m.w.N.). Das damit verbundene Prinzip der Wissensparität (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19 – juris; Esser ,a.a.O. Rdn. 212) eröffnet die gleichwertige Möglichkeit des Zugangs zu gesamten, dem Gericht vorliegenden verfahrensbezogenen Material. Das Gebot des fairen Verfahrens kann auch verletzt sein, wenn bei der Verfolgungsbehörde vorhandenes relevantes Beweismaterial dem Angeklagten/Betroffenen oder seinem Verteidiger verschwiegen (vgl. Esser a.a.O. Rdn. 216) oder sonst vorenthalten wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 – und 27. -April 2018 – 3 Ws (B) 133/18 -; beide juris). Aus der Struktur dieses Verfahrensgrundsatzes wird ersichtlich, dass ein über den gleichmäßigen Zugang zu bereits existenten Beweismitteln hinausgehendes Recht -zur Schaffung neuer bislang auch dem Verfahrensgegner (hier der Verfolgungsbehörde) nicht zur Verfügung stehender Beweismittel nicht aus dem Prinzip der Waffengleichheit erwachsen kann, mag auch hernach wiederum hinsichtlich neu hervorgebrachter Beweismittel der Grundsatz der Wissensparität greifen. In der Folge lässt sich mit dem Grundsatz der Waffengleichheit ebenso wenig begründen, dass technische Beweisgewinnungen, die, auf der Grundlage nicht rekonstruierbarer – und daher niemandem zur Verfügung stehender – Messrohdaten erstellt worden sind, zu unterbleiben hätten.

b) Die hier zu untersuchende Fallkonstellation unterscheidet sich grundlegend von den Fällen, in denen die Messrohdaten gespeichert, als Daten bei der Verwaltungsbehörde zur Verfügung stehen (vgl. dazu OLG Naumburg, Beschluss vom :5. November 2012 – Ss (Bz) 100/123 -) und etwaige diesbezügliche Informationsdefizite des Betroffenen die Wissensparität in Art. 6 EMRK; Art. 20 Abs: 3 GG verletzender Weise berühren können.

c) Die vom Bundesverfassungsgericht zur Zulässigkeit von Wahlautomaten entwickelten Grundsätze (BVerfGE 123, 39) haben darauf keinen Einfluss. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Forderung, dass alle wesentlichen Schritte einer Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen müssen, maßgeblich auf die Wahlrechtsgrundsätze, namentlich auf den Grundsatz der Öffentlichkeit von Wahlen nach Art. 38 GG in Verbindung mit-Art. 20 Abs. 1 und 2 GG gestützt. Eine Wahl (im vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall, eine Bundestagswahl) stellt als wesentliche Element des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen dar (a.a.O. Rdn, 108), so dass die Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtsträgern nicht unter einem Defizit leiden darf. Die demokratische Legitimität der Wahl verlangt nach Kontrollierbarkeit des Wahlvorgangs, damit Manipulationen ausgeschlossen oder korrigiert und unberechtigter Verdacht widerlegt werden kann (a.a.O.). Allein der Umstand, dass sich diese Anforderungen an die Öffentlichkeit einer Wahl auch aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lassen (vgl. BVerfG a.a.O. Rdn. 110), hat nicht zur Konsequenz, dass die Beweiserhebung im Bußgeldverfahren von vergleichbarer Bedeutung ist und deswegen den dargelegten Rekonstruierbarkeitsanforderungen zu entsprechen hat (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.). Schon die verfassungsrechtliche Bedeutung einer Bundestagswahl lässt sich schwerlich mit der eines Bußgeldverfahrens, dem mindere Bedeutung zukommt (vgl. BGHSt 24, 15), vergleichen. Dies hat unter anderem in § 77 Abs. 2 OWiG, wonach die Befugnis des Tatgerichts, Beweisanträge abzulehnen, gegenüber dem strafrechtlichen Anklageverfahren erheblich ausgeweitet wird, sowie durch die Einschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten in § 80 OWiG seinen Niederschlag gefunden. Herbei ist in den Blick zu nehmen, dass die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (das Bußgeldverfahren eingeschlossen) ihrerseits Gegenstand des Rechtsstaatsprinzips ist und Verfassungsrang besitzt (vgl. BVerfGE 33, 367, 383; 38, 105, 1.15; 39, 156, 163; 41; 246, 250; 46, 214, 222). Das Erfordernis jederzeitiger und vollständiger Rekonstruierbarkeit von (technikbasierten) Beweismitteln im Bußgeldverfahren lässt sich damit nicht vereinbaren.

Hinzu tritt, dass selbst bei der Bundestagswahl, der für die Verfassungsordnung konstituierende Bedeutung zukommt, nicht sämtliche Handlungen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Wahlergebnisses unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden müssen, damit ein begründetes Vertrauen in die Richtigkeit der Wahl geschaffen werden kann (vgl. BVerfGE 123; 39 Rdn. 111). Dies muss für das Bußgeldverfahren erst recht gelten (vgl. Peuker NZV 2019, 443).

Auch strukturell lässt sich ein Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafverfahren nicht mit den Vorgängen einer Wahl vergleichen. Die Feststellung eines Wahlergebnisses folgt im Kern den Regeln der Arithmetik (durch Stimmenauszählung), die Wahrheitsermittlung im Bußgeld- und Strafverfahren muss den (Bewertungs-) Prozess richterlicher Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) durchlaufen. Der Richter ist dabei keinen gesetzlichen Beweisregeln unterworfen (vgl. statt aller Meyer/Goßner-Schmitt, StPO 62: Aufl., § 261 Rdn: 2a, 11 m.w.N.). Die Rekonstruierbarkeit so gefundener Ergebnisse ist zwangsläufig nur eingeschränkt möglich.

d) Eine jederzeitige Überprüfbarkeit von auf technischen Aufzeichnungen beruhender Beweismittel ist deswegen weder von Verfassungs wegen geboten, noch ist sie praktisch umsetzbar. Soweit der saarländische Verfassungsgerichtshof, den (technischen) Sachbeweisen diesbezüglich eine Sonderstellung zuweist, fußt seine Auffassung auf der forensisch nicht belastbaren Annahme, ein Wesensmerkmal technischer Beweise sei deren jederzeitige Rekonstruierbarkeit (vgl. Krenberger NStZ 2019, 421, 422). Im Übrigen sieht der Senat auch keine gesetzliche Grundlage dafür, hinsichtlich der Folgen mangelnder Rekonstruierbarkeit zwischen Sach- und Personalbeweisen zu differenzieren. Dem Strafprozessrecht ist eine solche Unterscheidung zwischen den verschiedenen Beweismitteln fremd.“

Wenn überrascht es?  Mich nicht. Mich überrascht auch nicht, das so etwas natürlich der Einzelrichter entscheidet. Aber auch das kennt man ja schon. Bemerkenswert allerdings, dass der Zulassungsantrag des Betroffenen verworfen wird, „ohne dass der Beschluss einer Begründung bedürfte (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG)“. Immerhin schreibt man dann aber noch etwas.

OWi I: VerfGH Saarland und keine Ende, oder: Hier Entscheidungen aus dem Saarland

Heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen, und zwar weitgehend zur Anwendung der Entscheidung des VerfGH Saarland, also zum VerfGH Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17.  Einige OLG-Entscheidungen zur Anwendung dieses Urteils habe ich ja schon vorgestellt. Die findet man, wenn man in der Blogsuche „VerfG“ eingibt. Heute dann noch einige weitere.

Zunächst – bisher von mir übersehen – Entscheidungen aus dem Saarland, also vom OLG Saarbrücken. Nun bei denen ist/war klar: Von dort müssen die Grundsätze der Entscheidung des VerfG Saarland angewendet werden, auch wenn die Richter sicherlich/wahrscheinlich gern anders wollten. Die Entscheidungen habe ich zum Teil dem VerkehrsrechtsBlog des Kollegen Gratz entnommen. Es handelt sich um:

Alle drei Entscheidungen haben die weitgehend gleiche Begründung, die ich dem Selbststudium überlasse.

Und dann haben wir aus dem Saarland noch die Entscheidungen des AG St. Ingbert, das im Saarland ausschließlich für Bußgeldverfahren zuständig ist. Ich stelle dann hier den AG St. Ingbert, Beschl. v. 29.08.2019 – 25 OWi 63 Js 1212/19 (1936/19) – vor. Das AG stellt ein – besser formuliert wäre: Muss einstellen, nimmt aber das zur Gelegenheit in seinen Beschlüssen, dem VerfGH Saarland „es mal so richtig zu zeigen“.

OWi I: OLG Köln zu den Rohmessdaten, oder: Auch wir folgen dem VerfGH Saarland nicht

Ja, richtig gesehen. Heute schon wieder OWi. Stand an sich nicht auf meinem Plan. Hat sich aber so ergeben, weil mir der Kollege Freese aus Heinsberg gestern einen Beschluss des OLG Köln geschickt hat, den ich dann den interessierten Lesern nicht lange vorenthalten möchte.

Das OLG Köln sich hat im OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 – III – 1 RBs 362/19 – wen überrascht es? – nicht der Auffassung des VerfGH Saarland in seinem Urteil vom 05.07.2019 angeschlossen. Das hier in einer Einzelrichterentscheidung, die auf eine Senatsentscheidung (hoffentlich?, denn auch Einzelrichterentscheidungen sind Senatsentscheidungen) Bezug nimmt, und zwar wie folgt:

„Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. BGH VRS 40, 134 [137]). Zulassungsbedürftige Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache nicht auf; insbesondere hat der Senat in einem Parallelverfahren mit Entscheidung vom heutigen Tag zu der dort ebenfalls verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät TraffiStar S 350 und mit Blick auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17 = NJW 2019, 2456 ff) wie folgt Stellung genommen (vgl. SenE v. 27.09.2019 —III-1 RBs 339/19):

Die angefochtene Entscheidung verletzt ihn (erg.: den Betroffenen) nicht in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren. Namentlich ist sein Anspruch auf effektive Verteidigung nicht in durchgreifender Weise berührt.

Anlass zu Ausführungen bietet insoweit das Urteil des Verfassungsgerichts-hofes des Saarlandes (VerfGH) vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17 = NJW 2019, 2456 ff.), wonach der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt ist, wenn der Betroffene einwendet, er könne das Messergebnis mangels gespeicherter Rohmessdaten nicht sachverständig überprüfen lassen.

Die Entscheidung, die Geltung nur für das Saarland entfaltet, bindet den Senat nicht Er teilt im Übrigen die Auffassung auch in der Sache nicht; er hält vielmehr die dort postulierten Anforderungen an ein faires Verfahren und eine effektive Verteidigung für überzogen. Die Prämisse jederzeitiger anlassloser Überprüfbarkeit lässt sich jedenfalls für den Bereich der Verfolgung massenhaft auftretender Verkehrsordnungswidrigkeiten aus diesen Grundsätzen nicht herleiten (so wohl auch: Krenberger, NZV 2019, 421, 422). Das gilt nach Auffassung des Senats unabhängig davon, ob Messdaten im Einzelfall vom Gerät gespeichert werden oder nicht. Er folgt insoweit der Auffassung des OLG Oldenburg (Beschl. v. 09.09.2019 — 2 Ss OWi 233/19 – betr. das Lichtschrankenmesssystem ES 8.0).

Ein Messgerät durchläuft eine intensive, sich in der Regel über mehrere hundert Stunden erstreckende Bauartprüfung bei der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB). So sind bei dem betroffenen System TraffiStar S 350 — so der Sachverständige der PTB in der mündlichen Verhandlung vor dem VerfGH – über 21.000 Messungen mit dem Ergebnis durchgeführt worden, dass die gesetzlich geforderten Fehlergrenzen eingehalten werden. Erst nach erfolgreichem Durchlaufen dieser Testverfahren wird die Konformitätsbescheinigung erteilt, die nach der vom Senat geteilten obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt SenE v. 21_11.2018 – 111-1 RBs 383/18 -; SenE v. 10.04.2019 —111-1 RBs 416/19 -; OLG Düsseldorf, Beschl. v 31.01.2017 IV 3 RBs 20/17 -; OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 — 2 Ss OWi 40/17 – OLG Rostock, Beschl. v. 22.01.2019 — 21 SS OWi 251/128 ) ein sog. antizipiertes Sachverständigenglutachten darstellt Hinzu kommt, dass nach erfolgter Zulassung eines Messverfahrens jedes zum Einsatz kommende Einzelgerät noch zusätzlich dem Erfordernis der regelmäßigen Eichung — mithin einer turnusmäßigen Kontrolle der Gerätefunktionen und ihrer Konformität mit dem bei der PTB hinterlegten Baumuster durch eine unabhängige Landesbehörde – unterliegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – 1 RBs 50/14 ). Etwaigen Ungewissheiten und Ungenauigkeiten wird schließlich durch — äußerst großzügig bemessene — Toleranzabzüge Rechnung getragen. All dies begründet ein hohes Maß an Zuverlässigkeit, welches bei der Verfolgung angemessene Beachtung finden muss.

Das erkennt im Grundsatz auch der VerfGH an, indem „in keiner Weise bezweifelt wird, dass der Zulassungs- oder Konformitätsprüfung der PTB außerordentlich sorgfältig und neutral erfolgen und unter den gleichen Bedingungen gewährleisten, zu gleichen Ergebnissen zu gelangen.“ Ist dem aber so, so ist es nur konsequent, Vertrauen in die vom Messsystem gelieferten Ergebnisse zu setzen. Nach Auffassung des Senats würde die Systematik des antizipierten Sachverständigengutachtens konterkariert, ja geradezu ad absurdum geführt, würde der Betroffene diese jederzeit und allein auf einen Verdacht hin in Frage stellen und überprüfen dürfen. Durch die Verwehrung einer solchen Prüfung wird er nicht „zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit“ degradiert bzw. „auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuern-den Algorithmen ausgeliefert“. Anders als der VerfGH meint, ist er nämlich nicht rechtlos gestellt. Die gem. § 39 MessEG auf seinen Antrag durch die Landesbehörde vorzunehmende Befundprüfung vermag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt Wenngleich der konkrete in Rede stehende Messvorgang damit nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt ein Ergebnis, welches keine Beanstandungen zu Tage fördert, aber sehr wohl den Schluss, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind. Dem Betroffenen stehen darüber hinaus prozessuale Rechte zur Seite. So kann er Akteneinsicht nehmen, konkrete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messung jederzeit vortragen, in der Hauptverhandlung sein Fragerecht ausüben, Beweisanregungen oder Beweisanträge stellen (so zu Recht: OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – = NStZ 2018, 724 ff).

Damit bedarf es nicht der Klärung der Frage, ob die Rohmessdaten überhaupt geeignet sind, eine nachträgliche Plausibilisierung zu ermöglichen. Dies hat die PTB im Verfahren vor dem VerfGH mit beachtlicher Argumentation in Frage gestellt. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des VerfGH keinen für die Praxis gangbaren Weg aufzeigt, in welcher Weise eine private Überprüfung des Messvorgangs auf die Überzeugungsbildung des Tatrichters ggfls. Einfluss nehmen soll. Für. den Fall, dass der vom Betroffenen beauftragte Sachverständige die sich aus den Akten ergebende Messung bestätigt, entstehen zwar keine Probleme. Ergibt seine Untersuchung indes eine Geschwindigkeit, die die amtlich ermittelte unterschreitet, ebenso gut aber – was in der bisherigen Debatte erstaunlicherweise gar keine Rolle spielt – auch darüber liegen kann, stellt sich die Frage, welche Messung zugrunde zu legen ist. Der Tatrichter befindet sich in dem Dilemma, entscheiden müssen, ob er dem amtlichen Ergebnis gleichwohl vertraut oder auf den – auf einem in Eigenregie rekonstruierten Algorithmus beruhenden — Befund des Sachverständigen setzt. Eine weitere sachverständige Begutachtung wird allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Sachverständige des Betroffenen dartun kann, dass er über überlegene Erkenntnismöglichkeiten verfügt. Dafür sieht der Senat bislang keine- Anhaltspunkte.

Der Senat stellt klar, dass seine Entscheidung die Konstellation betrifft, in der von vornherein keine Messdaten gespeichert worden sind oder aber dem Gericht keine solchen zur Verfügung stehen. Damit bleibt (selbstverständlich) das — sich zwanglos bereits aus § 147 StPO ergebende – Recht der Verteidigung, unberührt, in sämtliche sich bei den Akten befindlichen Unterlagen gegebenenfalls auch Rohmessdaten) Einsicht zu nehmen. Soweit in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung dem Betroffenen weitergehende Informationsrechte — etwa auch im Hinblick auf nicht bei den verfahrensgegenständlichen Akten befindlichen Unterlagen — zugestanden werden (vgl. etwa: OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 1 Ss OWi 96/16 KG, Beschl. v. 06.08.2018 — 3 Ws 168/18 -; OLG Hamm, Beschl. v. 03.01.2019— 4 RBs 377/18 -; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 — 1 Rb 10 Ss 291/19 — m.w.N. – bei juris), muss der Senat sich damit nicht befassen, denn die genannten Entscheidungen beziehen sich auf Fallgestaltungen, in denen der Betroffene vergeblich eine entsprechende Herausgabe von Verwaltungsbehörde verlangt hatte. Von daher ist auch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gern. §§ 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG nicht veranlasst“

Daraus folgt zwanglos, dass der Betroffene durch die Zurückweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ausdrücklich „mit Blick auf die“ damals noch „bevorstehende Entscheidung des VerfGH des Saarlandes“ gestellten und auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für Geschwindigkeitsmessungen gerichteten Beweisantrages auch nicht in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG verletzt ist. Soweit sich die Rechtsbeschwerdebegründung zudem auf den Zulassungsgrund der „Nachprüfung zur einheitlichen Rechtsprechung“ beruft, ist dieser nach § 80-Abs. 1 Nr.-1, Abs. 2 Nr. 1 OWG angesichts der Höhe des verhängten Bußgeldes nicht, einschlägig.“

Es ist schon traurig zu sehen, wie schnell die OLG sich bemühen, dem VerfGH Saarland nicht zu folgen. Und: Hier haben wir ihn wieder: Den Teufelskreis. Abgelehnt wird u.a. mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der (Akten)Einsicht. Nur, wenn die beantragt wird, gibt es sie nicht vollständig – so auch das OLG Köln entgegen einigen anderen OLG. Und vorlegen? Wir doch nicht…

Edit am 02.10.2019 – 17.45 Uhr: In der Post war gestern eine Mail vom OLG köln mit Entscheidungen. Darunter der OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 –  III-1 RBs 339/19, der in der hier vorgestellten Entscheidung  erwähnt wird. Ich habe die Mail erst heute Nachmittag bearbeitet. Man erkennt, es war eine Sentasentscheidung, also Dreierbesetzung. Zumindest das 🙂 .

OWi I: ES 8.0 ist standardisiert, oder: Alles andere war überflüssig

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Heute geht es dann mit OWi-Entscheidungen weiter. Und ich stelle in der kleinen Serie zunächst den OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss (OWi) 233/19 – vor.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt. Festgestellt worden ist die Geschwindigkeitsüberschreitung durch eine Messung mit dem Einheitensensor ES 8.0 der Firma ESO. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat das OLG zugelassen, sie dann jedoch als unbegründet verworfen:

„Die Rechtsbeschwerde war zur Klärung der Frage zuzulassen, ob es sich bei Messungen mit dem Messgerät ES 8.0 um ein standardisiertes Verfahren handelt. Soweit ersichtlich, ist dieses in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt.

Die Frage ist zu bejahen.

Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH St 43, 277 ff).

Das Messgerät ES 8.0 ist ein von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt zugelassenes Lichtschrankenmessgerät. Es handelt sich um ein System, das dem bisherigen ES 3.0 ähnelt (Krumm, Neues Messgerät ES 8.0 – Was ist wirklich neu?, ZfSch 2019, 368 ff.). Ebenso wie bei letztgenanntem System (hierzu: Beck/Löhle/Schmedding/Siegert- Siemer, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 12. Aufl § 10 RN 63) wird der Messwert mittels der Sensoreinheit mit 5 optischen Helligkeitssensoren festgestellt. Dabei sind 3 Sensoren parallel eingestellt – nur diese dienen der Geschwindigkeitsmessung. Die beiden übrigen Sensoren dienen der Abstandsmessung (Krumm a.a.O.).

Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sind, werden daher grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt (OLG Bamberg, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 3 Ss OWi 450/12 –, Rn. 11, juris).

Ebenso wie das Messverfahren ES 3.0 (Senat, DAR 16, 404) ist deshalb auch dieses Messgerät als standardisiertes Messverfahren anzuerkennen (so auch Krumm, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund lässt das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.“

Das OLG setzt sich dann ausführlich mit der Rüge auseinander, der Verteidigung sei es nicht möglich, Anhaltspunkte für einen Messfehler darzulegen, da die Rohmessdaten unterdrückt würden. Dabei lässt es OLG dahinstehen, ob es sich bei dem hier eingesetzten Messgerät um ein solches handelt, bei dem Rohmessdaten nicht gespeichert werden, da eine derartige Feststellung vom AG nicht getroffen worden. Denn der Senat folge der Entscheidung des VerfGH Saarland v. 5.7.2019 (Lv 7/17) ohnehin nicht.

Die Ausführungen lasse ich hier mal weg; wer Interesse daran hat zu erfahren, warum auch das OLG Oldenburg – nicht unerwartet – dem VerfGH Saarland nicht folgt, kann es im verlinkten Volltext nachlesen. Denn: Warum das OLG da so weit ausholt und zu der Frage Stellung nimmt, erschließt sich nicht. Denn man sollte es als gerichtsbekannt voraussetzen dürfen, dass auch das OLG Oldenburg weiß, dass ES 8.0 ebenso wie das Vorgängergerät ES 3.0 alle Rohdaten einer Fahrzeugmessung speichert. Auf die Ausführungen des OLG zum VerfG Saarland kam es gar nicht an. Der Vorsitzende des Senats beim OLG Hamm in dem ich Anfang der 90-ziger Jahre zur Erprobung war, hätte mir die Akte um die Ohren gehauen, wenn ich so umfangreich unnötig Stellung genommen hätte. „Wir entscheiden nicht, was wir nicht entscheiden müssen.“ war seine (zutreffende) Devise.

Nun einen Grund, warum das OLG Stellung bezieht, kann ich mir denken. Es kann natürlcih sein, dass das OLG auf den Zug: Ablehnung der VerfGH Saarland, aufspringen, ihn nicht verpassen und möglichst bald in den Chor derjenigen einstimmen wollte, die dem VerfGH Saarland nicht folgen. Das Ganze nach wie vor ein Trauerspiel, wenn man sieht, wie die Gerichte anderer Bundesländer über ein Verfassungsgericht herfallen.

Wer sich über den Stand der Diskussion um den VerfGH Saarland informieren will, dem empfehle ich auch mal einen Blick in das VerkehrsrechtsBlog des Kollegen Gratz aus Saarbrücken. Der hat auch immer die aktuellen Entscheidungen….

OWI III: Das OLG Zweibrücken und der VerfG Saarland, oder: Bei Poliscan Speed FM 1 irrelevant

Und zur Abrundung der Berichterstattung zum VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17 – dann als dritte Entscheidung heute noch den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.07.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 68/19. Der nimmt kurz Stellung zur Anwendung des Urteils des VerfG Saarland auf das Messverfahren Poliscan Speed FM 1 und meint:

„Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17) nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte zu den standardisierten Messverfahren verworfen. Der Gerichtshof geht vielmehr bei seiner Entscheidung ausdrücklich von dieser Rechtsprechung aus (Rn. 90; zit. nach juris); er hält es lediglich verfassungsrechtlich für geboten, dass das Messergebnis aufgrund gespeicherter Rohmessdaten für den Betroffenen überprüfbar sein muss (Rn. 96). Dies ist bei dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed FM 1 aber grundsätzlich möglich.“

Na, ob das so richtig ist, weiß ich nicht. Da müsste man mal einen Sachverständigen fragen.

Bisher haben wir dann übrigens folgende „Anwendungsentscheidungen“ oder besser – weitgehend – „Nichtanwendungsentscheidungen“

anders: