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OWi II: Abwesenheitsverhandlung, oder: Verletzung des rechtlichen Gehörs

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Die zweite Entscheidung hat dann noch einmal das Agieren eines AG in einer Abwesenheitsverhandlung (§ 74 Abs. 1 OWiG) zum Gegenstand. Ein weites Feld, in dem es häufig zu Aufhebungen wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs kommt. So auch hier. Hier konnte selbst das OLG Frankfurt am Main im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 25.05.2020 – 1 Ss OWi 464/20 – nicht anders entscheiden 🙂 :

„Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Die diesbezügliche Rüge der Betroffenen ist ordnungsgemäß den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt worden und greift auch in der Sache durch.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG, NJW 1992, 2811 m.w.N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falls deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen der Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28. November 2017 – 2 Ss-Owi 1243/17; OLG Dresden, Beschluss vom 06. Dezember 2016 – OLG 21 Ss 739/16 (Z)). Nach diesen Maßstäben liegt hier eine Versagung des rechtlichen Gehörs vor.

Die Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden und im Termin zur Hauptverhandlung weder selbst anwesend, noch war ihr Verteidiger erschienen. Sie hatte aber im Vorfeld der Hauptverhandlung über ihren Verteidiger in mehreren Schriftsätzen (vom 2. April 2019, 21. Mai 2019, 22. Mai 2019 und 23. Mai 2019) verschiedene Anträge gestellt und zum Verfahren vorgetragen, insbesondere Einwendungen bezüglich der Geschwindigkeitsmessung vorgebracht. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG hätten diese Erklärungen der Betroffenen durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Ausweislich der Urteilsgründe ist in der Hauptverhandlung jedoch lediglich eine Stellungnahme des Verteidigers vom 12. September 2019 und diese nur insoweit verlesen worden, als darin die Fahrereigenschaft der Betroffenen eingeräumt wurde. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich ebenfalls nicht, dass die oben genannten Schriftsätze aus April und Mai 2019 zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden wären. Diese Umstände lassen nur die Annahme zu, dass das Amtsgericht wesentliches Verteidigungsvorbringen außer Acht gelassen und dadurch den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt hat.“

Und auch hier dann der Link auf den Beitrag: „Sind die Änderungen der StVO-Novelle wirksam?

Die Entscheidung des VerfGH Saarland, oder: VerfGH NRW zu den Anforderungen an eine zulässige Verfassungsbeschwerde

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Und dann als zweite Entscheidung noch einen Beschluss, der sich mit dem VerfGH-Urteil v. 05.07.2019 – Lv 7/17 – befasst. Das ist der VerfGH NRW, Beschl. v. 21.03.2020 – VerfGH 14/20. VB-1. „Befasst“, na ja, zumindest konkludent.

Es geht mal wieder um die Anwendung/Geltung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Das OLG Hamm hatte im OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2020 – III-5 RBs 2/20 den Antrag des Betroffefen – jetzt Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen ein urteil des AG Bottrop, durch das er wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden war, verworfen. Dagegen die Verfassungsbeschwerde. Die ist wegen nicht ausreichender Begründung als unzulässig zurückgewiesen worden:“

„2. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht ausreichend begründet worden ist.

a) Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 VerfGHG bedarf die Verfassungsbeschwerde einer substantiierten Begründung, die sich nicht lediglich in der Nennung des verletzten Rechts und in der Bezeichnung der angegriffenen Maßnahme erschöpfen darf (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 14. Januar 2020 – VerfGH 54/19.VB-1, juris, Rn. 2 m. w. N.). Der Beschwerdeführer muss hinreichend substantiiert darlegen, dass die behauptete Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts möglich ist (VerfGH NRW, Beschluss vom 14. Januar 2020 – VerfGH 44/19.VB-3, juris, Rn. 3 m. w. N.). Dabei hat die Begründung der Verfassungsbeschwerde dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Verfassungsgerichtshof kein „Superrevisionsgericht“ ist: Die Auslegung und Anwendung des maßgebenden einfachen Rechts sind nämlich grundsätzlich Aufgaben der zuständigen Fachgerichte. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen kommt regelmäßig erst dann in Betracht, wenn die angegriffene fachgerichtliche Entscheidung spezifisch verfassungsrechtliche Fehler erkennen lässt. Dementsprechend darf sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht in der Rüge eines Verstoßes gegen einfaches Recht erschöpfen, sondern sie muss die Möglichkeit aufzeigen, dass die angefochtene fachgerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlichen Verkennung des Gewährleistungsgehalts des  als verletzt gerügten Grundrechts beruht (VerfGH NRW, Beschluss vom 14. Januar 2020 – VerfGH 44/19.VB-3, juris, Rn. 4). Hierzu bedarf es insbesondere einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den Begründungen der angefochtenen Entscheidungen (VerfGH NRW, Beschluss vom 5. November 2019 – VerfGH 38/19.VB-2, juris, Rn. 5 m. w. N.).

b) Diesen Anforderungen wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

aa) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, lässt die Verfassungsbeschwerdeschrift nicht erkennen, worin konkret diese Verletzung liegen soll. Den Dokumenten, die der Beschwerdeführer seiner Verfassungsbeschwerdeschrift als Anlagen beigefügt hat, lässt sich zwar entnehmen, dass er gegenüber dem Oberlandesgericht mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gerügt hat, das Amtsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es ist indes nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, aufgrund einer bloßen Erwähnung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts in der Verfassungsbeschwerdeschrift in den dieser Schrift beigefügten Anlagen nach möglichen Verletzungen dieses Rechts zu suchen.

bb) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) rügt, hat er in seiner Verfassungsbeschwerdeschrift ebenfalls nicht dargelegt, worin die gerügte Grundrechtsverletzung liegen soll.

cc) Zu der gerügten Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und effektive Verteidigung (Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) hat der Beschwerdeführer sinngemäß ausgeführt, das mit dem Geschwindigkeitsmessgerät „TraffiPhot S“ gewonnene Messergebnis hätte im fachgerichtlichen Verfahren nicht zu seinen Lasten verwertet werden dürfen, weil dieses Gerät nicht sämtliche „Rohmessdaten“ speichere und damit keine ausreichende Datengrundlage für eine nachträgliche Überprüfung des Messergebnisses zur Verfügung stelle. Er beruft sich insoweit auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019  – Lv 7/17 (NJW 2019, 2456).

Es kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerde umfassend auf die mittlerweile zahlreichen kritischen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur zu dem genannten Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes hätte eingehen müssen. Er hätte sich aber jedenfalls hinreichend mit der in den im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen geübten Kritik an der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes auseinandersetzen müssen. Namentlich das Oberlandesgericht hat sich in dem hier angegriffenen Beschluss        – durch Bezugnahme auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 20. Dezember 2019 und damit auf seinen eigenen Beschluss vom 25. November 2019 – 3 RBs 307/19 (veröffentlicht in juris) – dezidiert gegen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gewandt. Mit dieser Kritik hat sich der Beschwerdeführer nicht auseinandergesetzt. Er hätte insbesondere zu zwei wesentlichen Kritikpunkten des Oberlandesgerichts Stellung beziehen müssen:

Zum einen hat das Oberlandesgericht mit umfangreichen Ausführungen die Auffassung vertreten, der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes habe das Recht auf ein faires Verfahren in rechtlich bedenklicher Weise überdehnt (OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2019 – 3 RBs 307/19, juris, Rn. 12 ff.).

Zum anderen hat das Oberlandesgericht mit gewichtigen Argumenten dargelegt (OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2019 – 3 RBs 307/19, juris, Rn. 16), dass die – für den Umfang der dem Landesverfassungsgericht obliegenden Prüfung bedeutsame – Prämisse des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes unzutreffend sei, die vom Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelten bundesrechtlichen Grundsätze zum Einsatz standardisierter Messverfahren bei der Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten seien durchweg für Fälle entwickelt worden, in denen Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang zur Verfügung gestanden hätten (so aber VerfGH SL, Urteil vom 5. Juli 2019 – Lv 7/17, NJW 2019, 2456 = juris, Rn. 80).“

Der „manipulierte Verkehrsunfall“ und das nicht eingeholte Sachverständigengutachten, oder: Rechtliches Gehör verletzt

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Und als zweite Entscheidung heute eine weitere BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 10.04.2018 – VI ZR 378/17. Ergangen aufgrund einer Nichtzulassunsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Schleswig. Das in einem  Verkehrsunfallprozess, in dem es um die Frage eines „manipulierten Verkehrsunfalls“ – „getürkter“ darf man ja nicht mehr schreiben 🙂 –  ging, Beweisangebote der beklagten Versicherung, die behauptet hatte: „manipulierter Verkehrsunfall“, nicht berücksichtigt und ein von der Versicherung beantragtes Unfallrekonstruktionsgutachten nicht eingeholt und die Berufung der Versicherung gegen das der Klage stattgebende Urteil des LG zurückgewiesen. Die Revision war nicht zugelassen worden. Das hat der BGh auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin geändert und ausgeführt, dass in der Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt:

„II.

Die Nichtzulassungsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Das Berufungsgericht hat – soweit hier erheblich – ausgeführt, die Beweiswürdigung des Landgerichts in Bezug auf die Behauptung der Beklagten zu 2, es liege ein manipulierter Unfall vor, sei nicht zu beanstanden. Die Haftung des Schädigers entfalle nur dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorlägen, die die Feststellung gestatteten, dass es sich bei dem behaupteten Unfall um ein manipuliertes Geschehen handele. Hier sei zwar nicht von der Hand zu weisen, dass es einige solche Anzeichen gebe. Im Ergebnis reichten diese Umstände aber nicht aus. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 1 möglicherweise nur unaufmerksam oder abgelenkt gewesen sei und deshalb seine Fahrspur nicht eingehalten habe. Der Unfall habe sich auf einer vielbefahrenen Straße bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h ereignet. Die Ehefrau des Klägers sei mit im Fahrzeug und dem Risiko eines Personenschadens ausgesetzt gewesen.

Für die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens fehle es an entsprechenden Anknüpfungstatsachen. Durch ein solches Gutachten könne nämlich nicht bewiesen werden, ob der Beklagte zu 1 willentlich oder absichtlich die Kollision herbeigeführt habe oder nicht. Es sei unstreitig, dass es eine streifende Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen gegeben habe. Auf den ersten Blick ergebe sich anhand der eingereichten Fotodokumentationen der beteiligten Fahrzeuge ein kompatibles Schadensbild, das mit der Schilderung des Unfallhergangs durch die unbeteiligten Zeugen K. in Einklang zu bringen sei.

2. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzen die Beklagte zu 2 in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – VI ZR 355/14, NJW 2016, 641 Rn. 6 mwN; BVerfG, WM 2012, 492 f.).

b) So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten zu 2, bei einem (tatsächlichen) Unfall sei ein unfallverhütendes bzw. beendendes Fahrmanöver (auch) des Klägers zu erwarten gewesen, nicht ausreichend berücksichtigt hat und aus diesem Grund einem erheblichen Beweisangebot nicht nachgegangen ist.

aa) Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2014 – III ZR 82/13, WM 2014, 2212 17 mwN). Insoweit ist größte Zurückhaltung geboten (BGH, Urteil vom 26. November 2003 – IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 84 f.). Darüber hinaus scheidet die Ablehnung eines Beweisantrags als ungeeignet aus, wenn dadurch ein noch nicht erhobener Beweis vorab gewürdigt wird, weil dies eine unzulässige Beweisantizipation darstellt (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2014, ebenda).

bb) Das Berufungsgericht hat (nur) darauf abgestellt, dass ein Sachverständiger keine Aussage dazu treffen kann, ob der Beklagte zu 1 das Fahrzeug willentlich auf die andere Spur gelenkt hat, oder schlicht abgelenkt war. Es hat sich in diesem Zusammenhang nicht mit dem Vortrag der Beklagten zu 2 auseinandergesetzt, dass (auch) die (Nicht-)reaktion des Klägers nicht plausibel zu erklären sei und ein Unfallrekonstruktionsgutachten insoweit weiteres ergeben könne. Das ist auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung nicht von der Hand zu weisen, vor allem, nachdem der Vorgang nach der Aussage der Zeugen K. so viel Zeit in Anspruch genommen hat, dass der Zeuge K. noch vor dem Unfall die Lichthupe getätigt und die Warnblinkanlage angeschaltet hat. Vor diesem Hintergrund findet die Nichtberücksichtigung des Antrags der Beklagten zu 2 auf Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens im Prozessrecht keine Stütze, Art. 103 Abs. 1 GG.

c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zu 2 zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Bei der neuen Würdigung wird das Berufungsgericht auch zu beachten haben, dass der Tatrichter bei der Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten kann, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2014, aaO, Rn. 18 mwN).“

Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt

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Auf den Paukenschlag aus dem Saarland mit dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) folgt dann schon nach kurzer Zeit die Antwort aus dem Freistaat. Das OLG Bamberg teilt im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – mit, was es von der Entscheidung des Verfassungsgerichts hält: Nämlich nichts. Und das in einer Diktion, die mich dann doch erstaunt. Bisher habe ich nämlich noch keinen OLG-Beschluss gesehen/gelesen, in dem das OLG einem Verfassungsgericht so „die Leviten liest“, jedenfalls kann ich micht nicht erinnern. Da heißt es: Das Verfassungsgericht „übersieht“, seine Auffassung ist „unhaltbar“ und sein „Hinweis….. verfängt“ nicht. Wenn man das so liest, hat man den Eindruck, dass man mit dem Verfassungsgericht spricht wie mit einem unartigen Kind, dem man nun endlich mal die Dinge, die es nicht kann/weiß, erklären muss. „Mia san mia“ eben, so wie man (teilweise) „die Bayern“, vor allem aber das OLG Bamberg kennt.

Mich überrascht allerdings nur die Diktion, nicht der Inhalt der Entscheidung. Denn ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass die OLG sich der Auffassung des VerfG Saarland anschließen würden. Das wäre dann ein zweiter Paukenschlag gewesen. Nein, es war zu erwarten, dass diese Antwort – vor allem aus Bayern – kommen würde, vollgestopft mit Zitaten und Hinweisen auf die eigene Rechtsprechung. Passieren wird jetzt Folgendes: Die anderen OLG werden dankbar auf diesen Zug aufspringen und sich dem OLG Bamberg anschließen. Und es wird weiter gehen wie bisher. Ändern wird sich also im Zweifel nichts. Schade. Und da kein OLG den Weg zum BGH gehen oder besser – zu gehen wagt -, werden Verteidiger nach wie vor, um die Einsicht in und die Übersendung von Messdaten pp. kämpfen müssen. Von wegen: „der Rechtsstaat lebt“.

So, das vorab. Und in der Sache erspare ich mir das Einstellen des recht langen Beschlusses und stelle hier nur die Leitsätze ein, so wie sie aus Bamberg gekommen sind – das heißt also mit von den dort bekannten vielen Zitaten der eigenen Rechtsprechung:

„1. Die Ablehnung eines Antrags des Betroffenen auf Beiziehung, Einsichtnahme oder Überlassung digitaler Messdateien oder weiterer nicht zu den Akten gelangter Messunterlagen verletzt weder das rechtliche Gehör noch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren. Es handelt sich um einen Beweisermittlungsantrag, über den der Tatrichter unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) zu befinden hat (Festhaltung u.a. an OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337 = OLGSt StPO § 147 Nr. 10; 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 = StraFo 2016, 461 = VA 2016, 214; 24.08.2017 – 3 Ss OWi 1162/17 = DAR 2017, 715 und 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 = NZV 2018, 80 = NStZ 2018, 235; entgegen VerfGH Saarbrücken, Beschl. v. 27.04.2018 – 1 Lv 1/18).

2. Die Annahme, den Betroffenen eines Bußgeldverfahrens treffe eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ in Bezug auf die geltend gemachte Unrichtigkeit des im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens erzielten Messergebnisses ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.“

Die Unterstreichungen sind nicht von mir.

Im Übrigen meine ich – das nur kurz und in der Diktion des OLG: U.a. die Auffassung des OLG zu Leitsatz 2 ist m.E. nicht haltbar. Es ist zwar richtig, dass den Betroffenen eines Bußgeldverfahrens ebenso wie den Beschuldigten im Strafverfahren nach den Vorgaben der StPO und des GG eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ nicht trifft. Nur ist die Aussage des OLG im Hinblick darauf, was die OLG aus dem Satz im Bußgeldverfahren gemacht haben, nicht „haltbar“ und „verfängt“ nicht.

Insgesamt schade. Das OLG Bamberg hat in meinen Augen mal wieder eine Chance vertan, die Rechte des Betroffenen – so wie es der VerfG Saarland getan hat – zu stärken und eine andere Rechtsprechung einzuläuten. Aber vielleicht will man das ja auch gar nicht und will lieber das Süppchen „standardisiertes Messverfahren“ weiter kochen lassen.

Vollstreckung eines niederländischen Knöllchens, oder: Rechtliches Gehör gewährt?

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Bei der zweiten OWi-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.06.2017 – 1 AR 2/16. Er nimmt zu einer etwas abseits gelegenen Problematik Stellung, nämlich zur Vollstreckung ausländischer Geldsanktion. Gegen den Betroffenen sollte eine in den Niederlanden verhängte Geldsanktion in Höhe von 115 EUR hier in Deutschland vollstreckt werden. Die Bewilligungsbehörde hatte die niederländische Entscheidung für vollstreckbar erklärt. Dagegen der Einspruch des Betroffenen. Den hat das AG verworfen, ohne zu prüfen, ob dem Betroffenen in dem niederländischen Verfahren rechtliches Gehör gewährt worden ist. Die Frage hatte das AG als unerheblich angesehen, da nach niederländischem Recht von einer Kenntnisnahme durch die betroffene Person ausgegangen wird, wenn drei Briefe an deren Adresse versandt worden sind und diese nicht als unzustellbar zurückgelangt sind.

Das OLG Zweibrücken sieht das jedoch anders und hat auf die Rechtsbeschwerde hin aufgehoben. Es sei zu prüfen, ob rechtliches Gehör im Ausgangsverfahren gewährt worden ist. Ist das nicht der Fall, ist die Vollstreckung einer Geldsanktion nach § 87b Abs. 3 Nr. 3 IRG unzulässig:

Nach § 87b Abs. 3 Nr. 3 IRG ist die Vollstreckung einer Geldsanktion nicht zulässig, wenn die zugrunde liegende Entscheidung in einem schriftlichen Verfahren ergangen ist und der Betroffene oder ein nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates befugter Vertreter nicht über das Recht zur Anfechtung oder über die Fristen entsprechend den Vorschriften dieses Rechts belehrt worden ist.

Die Vorschrift schränkt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung bereits ihrem Wortlaut nach in der Weise ein, dass ein Anfechtungsrecht überhaupt erst bestehen muss (Trautmann, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a. a. O., Rn. 27; Bock, a. a. O., § 87b, Rn. 338; Böttger, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, 2012, Rn. 2808c; vgl. auch Gesetzesbegründung a. a. O., S. 25). Zudem muss in jedem Falle eine Belehrung erfolgen, auch dann wenn diese nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht vorgesehen ist (vgl. auch die Gesetzesbegründung, a. a. O.).

Hinzu kommt, dass der Wortlaut nahelegt, dass dem Betroffenen tatsächlich ermöglicht worden ist, von der Belehrung Kenntnis zu nehmen.

Auch der Gesetzgeber hat die Gewährung rechtlichen Gehörs für erforderlich gehalten und macht dies an dem Begriff des schriftlichen Verfahrens nach § 87b Abs. 3 Nr. 3 IRG fest (vgl. auch Trautmann, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a. a. O., Rn. 24f.). Die Gesetzesbegründung unterscheidet indes nicht klar, ob dies vor Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung (hierfür Trautmann, NZV 2011, 57 [60]; Trautmann, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a. a. O., Rn. 24: im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde) oder jedenfalls vor deren Rechtskraft zu erfolgen hat. Danach setzt das schriftliche Verfahren nach § 87b Abs. 3 Nr. 3 IRG voraus, dass dem Betroffenen „die ihm vorgeworfene Handlung durch die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates vorher schriftlich bekannt gegeben worden ist“ (a. a. O., S. 25). Im Weiteren behandelt die Gesetzesbegründung jedoch das Erfordernis der Bekanntgabe der Entscheidung des ersuchenden Staates. Es kann hier indes die Frage offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt nach dem Willen des Gesetzgebers rechtliches Gehör zu gewähren ist, denn das Amtsgericht hat es auch für unerheblich gehalten und damit nicht ausgeschlossen, dass dem Betroffenen in dem Zeitraum zwischen Erlass des Ausgangsbescheids vom 23. Mai 2013 und dessen Rechtskraft die Möglichkeit zur Stellungnahme nicht eingeräumt worden ist.

Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht obsolet, soweit die Vorgaben nach Art. 5 EU-RhÜbk beachtet sind. Der Gesetzgeber verweist in seiner Begründung zwar auf Art. 5 EU-RhÜbk, geht jedoch ausdrücklich lediglich auf das Übersetzungserfordernis nach Art. 5 Abs. 3 EU-RhÜbk ein. Folglich kann aus der Gesetzesbegründung nicht darauf geschlossen werden, dass eine Vorgehensweise in Übereinstimmung mit Art. 5 EU-RhÜbk bereits hinreichend wäre, sondern nur, dass in der Vorschrift notwendige Vorgaben enthalten sind.

Aus dem Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (RB Geld) ergibt sich nichts anderes. …..“

Andere Länder, andere Sitten – was die Zustellung angeht.

Und >>Werbemodus an: Zur Bestellung zum vom OLG zitierten „Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren“, geht es hier. Gibt es inzwischen in der 5. Auflage. <<Werbemodus aus>>.