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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkohol, oder: Wenn eine Atemalkoholmessung nicht verwertbar ist

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt heute auch aus dem Saarland, dieses Mal aber mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 15.07.2020 – 1 B 173/20, vom OVG. Das hat sich in einem Verfahren, in dem es um die verwaltungsrechtliche Entziehung der Fahreralubnis ging, zur Verwertbarkeit einer als Entscheidungsgrundlage genommenen Atemalkohlmessung geäußert. Die hatte nach Umrechnung 3,48 Promille ergeben, die Polizeibeamten. von denen die Messung durchgeführt worden war, hatten von dem Antragsteller aber nur einen leicht alkoholisierten Eindruck. Das OVG hat bei der Diskrepanz die Messung und das u.a. auf ihr beruhende MPU-Gutachten als nicht verwertbar angesehen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehungsentscheidung wieder hergestellt:

„Des Weiteren setzt das medizinisch-psychologische Gutachten – ebenso wie das vorangegangene medizinische Gutachten vom 24.5.2019 – als Fakt voraus, dass beim Antragsteller angesichts der gemessenen Atemalkoholkonzentration (AAK) von 3,48 Promille – die AAK wird gemessen in Milligramm Ethanol je Liter Atemluft; in welcher Weise die Messung in Promille umgerechnet wurde (s. hierzu § 24a StVG), kann anhand der Akten nicht nachvollzogen werden – eine Blutalkoholkonzentration (BAK) in vorbezeichneter Höhe vorgelegen habe, weshalb davon auszugehen sei, dass der Antragsteller in einem auf einen Alkoholmissbrauch hindeutenden Ausmaß an Alkohol gewöhnt sei.

Nach zutreffender Auffassung des Antragstellers ist diese in dem Gutachten als Faktum zu Grunde gelegte Schlussfolgerung aus mehreren Gründen ernsthaft anzuzweifeln. Der an den Antragsgegner gerichteten Mitteilung der Polizeiinspektion SPP: vom 9.9.2018 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller am Tatabend zum Zeitpunkt des bei ihm durchgeführten Atemalkoholtest einen „nur leicht alkoholisierten Eindruck“ gemacht habe, der sich „in keinster Weise mit dem hohen Promillewert“ gedeckt habe. Diese Feststellung entspricht den – allerdings widersprüchlichen – Angaben der Anzeigenerstatterin, die laut Protokoll vom 9.9.2018 bei ihrer telefonischen Mitteilung an die Polizei angab, „der Mann war auch betrunken“, bei ihrer persönlichen polizeilichen Befragung vor Ort jedoch aussagte, „dass der Täter ihrer Meinung nach nicht alkoholisiert gewirkt hätte“.

Die sich hieraus ergebende kaum nachvollziehbare Diskrepanz zu dem polizeilich angegebenen exorbitanten Messergebnis des Atemalkoholtests von 3,48 Promille lässt sich nach dem Gesamtumständen nicht plausibel mit einer Alkoholgewöhnung des Antragstellers erklären. Sie deutet vielmehr auf eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses hin. Insoweit weist der Antragsteller zum einen mit Recht darauf hin, dass bei der Messung mit einem bauartzugelassenen und geeichten Messgerät Verfahrensbestimmungen einzuhalten sind, gegen deren Beachtung fallbezogen erhebliche Bedenken bestehen. Die Messung der AAK darf nicht vor Ablauf einer Wartezeit von 20 Minuten ab Trinkende durchgeführt werden, nach Ablauf der Wartezeit hat eine Doppelmessung in einem Abstand von höchstens fünf Minuten zu erfolgen, und es ist eine Kontrollzeit von 10 Minuten einzuhalten, in der nichts gegessen, getrunken und kein Medikament aufgenommen werden darf.10 Dass diese Vorgaben bei dem beim Antragsteller durchgeführten Atemalkoholtest beachtet worden wären, ist weder vom Antragsgegner vorgetragen noch aus dem diesbezüglichen Polizeibericht ersichtlich. Angesichts der von der Polizei selbst festgestellten Diskrepanz zwischen dem Auftreten des Antragstellers und der gemessenen AAK wären Kontrollmessungen – unterstellt, die an den Antragsteller gerichtete Aufforderung, sich einem Atemalkoholtest zu unterziehen, wäre überhaupt rechtmäßig gewesen – dringend angezeigt gewesen, anstatt vorschnell von einer auf einen Alkoholmissbrauch oder gar auf eine Alkoholabhängigkeit hindeutenden Alkoholgewöhnung des Antragstellers auszugehen. Im Übrigen hält der Antragsteller der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Wartezeit von 20 Minuten sei, wenn überhaupt, nur geringfügig unterschritten worden, zu Recht entgegen, dass diese auf nicht belastbare Mutmaßungen gestützt worden ist. Dies gilt auch für die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, es liege sogar nahe, dass der Antragsteller in der Gaststätte noch überhaupt keinen Alkohol getrunken habe. Der Vorfall ereignete sich um 18:53 Uhr, die unmittelbar aufgesuchte Gaststätte befand sich in einer Entfernung von 30 Metern. Dass dem Antragsteller als einem von zwei dort anwesenden (männlichen) Gästen um 19:44 Uhr noch kein Getränk serviert worden wäre, dürfte eher sehr fern liegen.

Gegen die Annahme einer Alkoholgewöhnung sprechen des Weiteren die Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen des Antragstellers. Sowohl das medizinische Gutachten vom 24.5.2019 als auch das medizinisch-psychologische Gutachten vom 14.8.2019 weisen keinerlei für einen Alkoholmissbrauch sprechenden Befund aus. Vielmehr lagen alle für die der Begutachtung zugrunde liegende Alkoholfragestellung relevanten Laborwerte – insbesondere auch die Leberwerte – im Normbereich. Auch der beim Antragsteller gemessene CDC-Wert lieferte nach den Feststellungen des Gutachtens keinen ausreichenden Hinweis auf einen chronischen Alkoholabusus. Dieses Ergebnis dürfte von einem Probanden, der an Alkohol derart gewöhnt ist, dass er bei einer regulär gemessenen AAK von 3,48 Promille noch in guter körperlicher und geistiger Verfassung mit geordnetem Denkablauf ohne größere Ausfallerscheinungen auftritt, wohl kaum zu erreichen sein. Nach den Vorbemerkungen zu dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 14.8.2019 setzen bereits Blutalkoholwerte ab 1,6 Promille einen vorangegangenen übermäßigen Alkoholkonsum voraus und können nur durch ein längeres „Trinktraining“ erreicht werden. Dass dieses ohne Auswirkungen auf die im Rahmen der Begutachtung des Antragstellers gemessenen Laborwerte bleibt, dürfte auszuschließen sein.

Vor diesem Hintergrund sowie angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller soweit ersichtlich seit mehr als 30 Jahren straßenverkehrsrechtlich im Zusammenhang mit Alkohol nicht auffällig geworden ist, kann die in dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 14.8.2019 getroffene Feststellung, es sei „noch nicht“ auszuschließen, dass der Antragsteller unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug führen werde, nicht schlüssig nachvollzogen werden.

Sie lässt sich auch nicht mit dem Ergebnis des mit dem Antragsteller geführten psychologischen Untersuchungsgesprächs rechtfertigen. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass der Antragsteller sich kooperativ und im psychologischen Untersuchungsgespräch offen gezeigt hat. Die in dem Gutachten aufgeführten Antworten des Antragstellers auf die ihm zu seinem Alkoholkonsum und dessen Hintergründen gestellten Fragen bestätigen dies. Die in dem Gutachten getroffene Feststellung, der Antragsteller habe keine hinreichend realistische Problemsicht entwickelt und die auslösenden oder aufrechterhaltenden Bedingungen des „früheren Alkoholmissbrauchs“ nicht erkannt, entbehren einer tragfähigen Grundlage. Der Antragsteller hat in aller Offenheit bekannt, dass er in der Vergangenheit aus eigener Sicht zeitweise zu viel Alkohol konsumiert hat. Von einer Uneinsichtigkeit kann daher keine Rede sein. Im Übrigen hat der Antragsteller angegeben, seit dem erstmaligen Verlust seiner Fahrerlaubnis (1989) Fahren und Trinken strikt zu trennen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller hierzu nicht in der Lage wäre, sind der Aktenlage nicht ansatzweise zu entnehmen.“

Beitragsbild passt nicht – ich weiß 🙂 .

Verzicht auf die Fahrerlaubnis, oder: Wirksamkeit einer Anfechtung

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Im Kessel Buntes heute dann seit längerer zeit mal wieder zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OVG Saarland, Beschl. v. 13.05.2020 – 1 A 57/20 – vor. Er behandelt einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis, der den Fahrerlaubnisinhaber dann gereut hat. Er hat den verzicht angefochten. Aber: Ohne Erfolg:

„Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die bei sachgerechter Auslegung auf die Feststellung gerichtete Klage, dass der Kläger als Folge der Anfechtung seiner Verzichtserklärung weiter im Besitz der Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B und L sei, mit der Begründung abgewiesen, dass die Fahrerlaubnis des Klägers aufgrund der gegenüber dem Beklagten abgegebenen Verzichtserklärung vom 23.3.2017 mit sofortiger Wirkung erloschen und die Verzichtserklärung nicht erfolgreich gemäß § 142 Abs. 1 BGB angefochten worden sei.

Das gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen des Klägers in der Antragsbegründung vom 17.3.2020 rechtfertigt die begehrte Zulassung des Rechtsmittels nicht.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 1 VwGO) ergibt sich aus diesen Darlegungen nicht.

Die Behauptung des Klägers, ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis könne von Seiten der Behörde nicht verlangt werden, weil ein solcher gesetzlich nicht vorgesehen sei, übersieht, dass der Verzicht auf eine Fahrerlaubnis in § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG genannt und dort mit der Entziehung der Fahrerlaubnis gleichgestellt ist (vgl. auch § 29 Abs. 5 Satz 1, 28 Abs. 3 Nr. 7 StVG). Dies zeigt, dass durch den Verzicht das die Fahrerlaubnis einräumende Rechtsverhältnis als beendet angesehen wird, wenn gegenüber der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde ein solcher erklärt wird.1

Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass der Kläger auf seine Fahrerlaubnis wirksam verzichtet und diesen Verzicht auch nicht erfolgreich angefochten hat.

Im Ausgangspunkt trifft es zwar zu, dass eine gegenüber einer Behörde abgegebene öffentlich-rechtliche Willenserklärung, wie hier der Verzicht auf eine Fahrerlaubnis, anfechtbar ist.2 Die Einwände des Klägers gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ihm – was hier allein in Betracht kommt – kein Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 1 BGB zur Seite steht, greifen jedoch nicht durch.

Mit der in den Zulassungsgründen vorgebrachten Behauptung, er habe keine weitergehende Erklärung als den vorübergehenden Verzicht auf die Fahrerlaubnis, ähnlich einem Fahrverbot, abgeben wollen, macht der Kläger einen Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB geltend, bei dem zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser sich jedoch über die Bedeutung und die Tragweite seiner Erklärung irrt.3 Dieses Vorbringen ist schon deshalb unglaubhaft, weil der Kläger in der durch seinen Prozessbevollmächtigten abgegebenen Anfechtungserklärung vom 16.1.2018 gegenüber dem Beklagten noch eine ganz andere Version vorgetragen hat. Danach sei er bei seiner Erklärung davon ausgegangen, dass er auf das körperliche Dokument verzichte, das er verloren habe, der Verzicht sei nur auf den Besitz des Dokuments gerichtet gewesen, nicht hingegen auf den Besitz einer Fahrerlaubnis als Recht zum Führen eines Kraftfahrzeuges. Beide Vorstellungen über sein angebliches Verständnis der von ihm abgegebenen schriftlichen Erklärung sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Der behauptete Irrtum über die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung ist außerdem wegen des allgemein verständlichen, klaren und eindeutigen Wortlauts der Formularerklärung vom 23.3.2017 nicht nachvollziehbar. Wie er dieser gut lesbaren und übersichtlich abgefassten Verzichtserklärung einen in Gänze dem Wortlaut widersprechenden Sinn beizulegen vermochte, hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt umso mehr, als der Kläger mit seiner Unterschrift zugleich die im Text vorgegebene Erklärung abgegeben hat, ihm sei bekannt, dass er ab sofort keine fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeuge auf öffentlichen Straßen führen darf, da er sich andernfalls strafbar mache. Hieraus ergibt sich unmissverständlich, dass mit der Erklärung auf die Fahrerlaubnis dauerhaft verzichtet wird.

Fehl geht die Behauptung des Klägers, dass es für eine derart weitreichende Erklärung weder Gründe noch eine Veranlassung gegeben habe. Der Kläger hat sich bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 1.12.2016 selbst als Alkoholiker bezeichnet und eingeräumt, dass er sich schon mehrfach wegen massiven Alkoholmissbrauchs in die geschlossene Psychiatrische Klinik der Universität B-Stadt begeben habe. Auf einen solchen Alkoholmissbrauch weist auch der Vorfall vom 8.11.2016 hin, bei dem der Kläger einen Blutalkoholgehalt von 4,17 bzw. 4,07 ‰ innehatte. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat das Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr unter dem 20.12.2016 nur deshalb eingestellt, weil in dem Zeitpunkt, als der Kläger mit seinem Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr gefahren ist, der Alkoholisierungsgrad nicht gerichtsverwertbar quantifiziert werden konnte. Gleichwohl liegen Zeugenaussagen vor, die bestätigen, dass der Kläger in zumindest angetrunkenem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt habe. Maßgeblich tritt hinzu, dass allein der am 8.11.2016 festgestellte Blutalkoholgehalt, der nur durch den selbst zugestandenen hohen Grad der Gewöhnung an große Mengen Alkohol zu erklären ist, im Sinne der §§ 46 Abs. 3, 13 S. 1 FeV Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers begründet. Von daher gab es gute Gründe dafür, dass der Beklagte die Frage der Fahreignung aufklären wollte. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass der Beklagte dem Kläger nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist mit weiterem Schreiben vom 15.3.2017 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und ihm angezeigt hat, im Falle eines freiwilligen Verzichts auf die Fahrerlaubnis von einem kostenpflichtigen Entzugsbescheid abzusehen, und der Betreuer des Klägers mit Schreiben vom 20.3.2017 gegenüber dem Beklagten kundgetan hat, dass er auf den Kläger mit dem Ziel einwirken werde, freiwillig eine Verzichtserklärung abzugeben. Wie der Kläger bei dieser Sachlage behaupten kann, es hätte keine Veranlassung zur Abgabe der Verzichtserklärung gegeben, ist schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar.

Ebenso wenig verfängt die Behauptung des Klägers, dass er als polnischer Staatsbürger der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Hierzu weist der Beklagte mit Recht darauf hin, dass von diesem – ohnehin unsubstantiierten -Vorbringen erstmals im Zulassungsverfahren die Rede ist und dieser Vortrag auch deshalb nicht überzeugt, weil der Kläger bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 1.12.2016 in deutscher Sprache vernommen wurde. Zudem hat der Kläger in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass er von seinem Betreuer zu der Erklärung gedrängt worden sei. Dies lässt den Schluss zu, dass der Betreuer mit dem Kläger über die Verzichtserklärung gesprochen und ihm dabei auch den Inhalt der Erklärung vor Augen geführt hat.

Soweit sich der Kläger noch ergänzend auf einen Erklärungsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB beruft, ist ein solcher ersichtlich nicht gegeben. Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser sich zum Beispiel verspricht oder verschreibt,4 was beim Kläger indes nicht der Fall ist.

Auf das Vorliegen der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen, insbesondere die Frage, ob die erst am 16.1.2018 abgegebene Verzichtserklärung noch innerhalb der Frist des § 121 Abs. 1 BGB erfolgt ist, kommt es nach alledem nicht mehr an.“

Die Rohmessdaten bei der Fahrtenbuchauflage, oder: Bindung an die Entscheidung des VerfGH Saarland

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Ich hatte neulich über den VG Saarlouis, Beschl. v. 09.01.2020 – 5 L 1710/19 – berichtet (vgl. hier: Die Rohmessdaten bei der Fahrtenbuchauflage, oder: Wir folgen dem VerfGH Saarland nicht…..). 

Das Posting endet mit: „Wahrscheinlich werden wir dazu dann aber etwas vom OVG Saarland hören. Die Richtung kann ich mir denken….“. Jetzt haben wir etwas dazu gehört. Denn inzwischen hat sich das OVG Saarland mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 30.03.2020 – 1 B 15/29 – „gemeldet“. Und: Ich habe mich geirrt. Denn das OVG sagt:

„Nach § 10 Abs. 1 VerfGHG SL binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs die Verfassungsorgane des Saarlandes sowie alle saarländischen Gerichte und Verwaltungsbehörden. Das gilt auch dann, wenn diese ggf. in der Rechtsprechung anderer Gerichte Kritik erfahren haben.“

und führt dazu aus:

„Das Vorbringen des Antragstellers in dem fristgerecht eingereichten Beschwerdebegründungsschriftsatz gibt Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung antragsgemäß abzuändern.

Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass die an die obergerichtliche Rechtsprechung anderer Bundesländer angelehnte Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Fahrtenbuchauflage sei offensichtlich rechtmäßig, angesichts der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes nicht tragfähig ist. Denn diese Argumentation lässt sich wegen der durch § 10 Abs. 1 VerfGHG SL vorgegebenen Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nicht damit begründen, dass das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung unter Anwendung eines standardisierten Messverfahrens mittels eines geeichten Messgeräts durch einen entsprechend geschulten Polizeibeamten gewonnen, und die Richtigkeit dieses Ergebnisses seitens des Antragstellers weder im Ordnungswidrigkeitenverfahren noch im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren bzw. im Rahmen des nunmehrigen gerichtlichen Verfahrens durch konkrete Einwände in Frage gestellt worden sei.

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Saarland hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2019 nach einer umfänglichen Beweisaufnahme betont, dass zu einem rechtsstaatlichen Verfahren aus Gründen der Transparenz und Kontrollierbarkeit jeder staatlichen Machtausübung die grundsätzliche Möglichkeit der Nachprüfbarkeit einer auf technischen Abläufen und Algorithmen beruhenden Beschuldigung gehöre. Das in der Garantie eines fairen gerichtlichen Verfahrens angelegte Grundrecht auf wirksame Verteidigung beziehe sich auch darauf, die tatsächliche Grundlage des erhobenen Vorwurfs auf ihr Vorliegen und ihre Validität prüfen zu dürfen. Sei nämlich ein Gericht im Rahmen von Massenverfahren befugt, sich auf standardisierte Beweiserhebungen zu stützen, ohne sie anlasslos hinterfragen zu müssen, so müsse zu einer wirksamen Verteidigung gehören, etwaige Anlässe, sie in Zweifel zu ziehen, recherchieren zu dürfen. Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens hätten keine normativ bindende Kraft, sondern stellten ähnlich antizipierten Sachverständigengutachten eine belastbare wissenschaftliche Grundlage einer Verurteilung dar, ohne diese zu erzwingen. Dass ein Bürger die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und nachprüfen dürfe, gelte nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln dürfe, so gering belastend es im Einzelfall sein möge und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen bestehe, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehöre die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen führten, und ihre staatsferne Prüfbarkeit – wie das Bundesverfassungsgericht zu dem Einsatz elektronischer Wahlgeräte entschieden habe (BVerfGE 123, 39 ff.) – zu den Grundvoraussetzungen eines freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens. Die Speicherung der Rohmessdaten sei ohne größeren Aufwand technisch möglich. Zwingende Gründe, Rohmessdaten nicht zu speichern, gebe es nicht und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Verfassungsgerichtshofs fest, dass ihre Speicherung es erlaube, das Ergebnis eines Messvorgangs nachzuvollziehen. Unter diesen Gegebenheiten könne sich ein Betroffener – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wenden und ein Fehlen von Rohmessdaten rügen (VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 -, juris). Nach § 10 Abs. 1 VerfGHG SL binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs die Verfassungsorgane des Saarlandes sowie alle saarländischen Gerichte und Verwaltungsbehörden. Demgemäß haben nicht nur die für Ordnungswidrigkeitenverfahren zuständigen Gerichte und die Bußgeldbehörden, sondern auch die saarländischen Verwaltungsgerichte und der Antragsgegner als zuständige Straßenverkehrsbehörde das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes zu beachten und im Rahmen der Rechtsanwendung umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Obergerichte anderer Bundesländer mit – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat – beachtlicher Begründung davon ausgehen, dass der Amtsermittlungsgrundsatz die Behörde in Verfahren betreffend den Erlass einer Fahrtenbuchauflage – also im Tätigkeitsbereich der vorbeugenden Gefahrenabwehr – nicht verpflichte, ohne konkreten Anlass gewissermaßen „ins Blaue hinein“ das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung zu hinterfragen, dies vielmehr erst dann geboten sei, wenn von dem Fahrzeughalter Unstimmigkeiten der Messung aufgezeigt würden oder sie sich der Behörde aufdrängen müssten (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2018 – 8 B 1018/18 -, juris).

Die angefochtene Verfügung des Antragsgegners kann schließlich nicht des-halb als offensichtlich rechtmäßig erachtet werden, weil die Messung nicht mit einem der Rechtsprechung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs zugrunde liegenden Gerät des Typs Traffistar S 350, sondern mit dem Messgerät Poliscan FM 1 durchgeführt worden ist. Nicht ausreichend ist in diesem Zusammenhang, dass sich im Tenor des vom Verwaltungsgericht zitierten Beschlusses des Oberlandesgerichts Zweibrücken die Formulierung findet, bei dem Messgerät Poliscan Speed FM 1 sei eine Überprüfung des Messergebnisses aufgrund gespeicherter Rohmessdaten für den Betroffenen grundsätzlich möglich. Ob diese seitens des Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht begründete Annahme tatsächlicher Art zutrifft oder nicht, ist seitens des Antragstellers durch Vorlage einer sachverständigen Stellungnahme vom 24.7.2018 substantiiert in Frage gestellt und es finden sich auch in dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 15.1.2020, dem ebenfalls eine Geschwindigkeitsmessung mit einem Gerät des Typs PoliScan FM1 vorausgegangen war, keine Feststellungen dazu, dass dieser Gerätetyp Rohmessdaten speichert, vielmehr scheint dies im vorangegangenen ordnungshördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren streitig gewesen und ungeklärt geblieben zu sein. Die Frage der Speicherung bedarf daher der Klärung in einem Hauptsacheverfahren (VerfGH Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rdnrn. 2 und 8).

Ist die Sach- und Rechtslage demnach nach dem Erkenntnisstand im verfahrensgegenständlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren offen, so hängt der Erfolg des einstweiligen Rechtsschutzantrags von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten ab. Diese Abwägung muss gerade auch vor dem Hintergrund der das Verwaltungsgericht und den Senat bindenden Rechtsprechung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs6 zugunsten des Antragstellers ausgehen.

Dass die Rechtsprechung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs in der Rechtsprechung anderer Bundesländer nach ersten Reaktionen auf eine gewisse Skepsis bzw. auf umfängliche Kritik (zusammenfassend: Brandenburgisches OLG Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 15.1.2020 – (1 Z) 53 Ss-OWi 798/19 (4/20) -, juris Rdnrn. 2 f. und 5 m.w.N ) gestoßen ist, ändert hieran nichts. Es bedarf in tatsächlicher Hinsicht der Klärung in einem Hauptsacheverfahren, ob Messgeräte des Herstellers Vitronic Typ PoliScan FM1 ausgehend von der Rechtsprechung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs den dortigen Bedenken in gleicher Weise unterliegen wie Messgeräte des Modells Traffistar S 350 der Firma Jenoptik. Sollte dies der Fall sein, wird die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bei der Entscheidung saarländischer Gerichte und Behörden über die sich hieran anschließenden Rechtsfragen zu berücksichtigen sein. Zwecks einer bundesgerichtlichen Klärung seitens der Fachgerichte (VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 5.7.2019, a.a.O., Rdnr. 62) wäre unabhängig vom Ausgang des noch nicht anhängigen, aber zu erwartenden erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens zu erwägen, die für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage erheblichen Rechtsfragen in Anwendung des § 134 VwGO durch Zulassung der Sprungrevision einer zeitnahen Klärung zuzuführen.“

Und das OVG Saarland ist ja nicht das erste Obergerichte, das eine Vorlage anmahnt. Das hatte ja auch schon der VerfGH Rheinland-Pfalz getan. Vielleicht kommt ja jetzt mal ein Gericht in die Puschen. 🙂

Wegfall des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme, oder: Herrschende Meinung sagt: Neues Recht

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst der OVG Saarlouis, Beschl. v. 04.12.2018, 1 D 317/18 -, der passt auch in die Rubrik „Strafrecht meets Verwaltungsrecht“. Denn es es geht noch einmal/mal wieder um die Auswirkungen des „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202)“. genauer: Es geht um die Frage: Altes oder neues Recht bei der Prüfung der Frage, ob eine ohne Beachtung des Richtervorbehalts vor dem 24.08.2017 entnommene Blutprobe verwertet werden kann.

Das OVG sagt: Neues Recht. Hier der Leitsatz:

Ergeht eine Fahrerlaubnisentziehungsverfügung nach Inkrafttreten der Neufassung der §§ 81a Abs. 2 StPO, 46 Abs. 4 OWiG (24.8.2017), so unterliegt das Ergebnis einer zuvor ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutprobe bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der neugefassten Vorschriften keinem Verwertungsverbot.

Das hatten bisher u.a. auch schon entschieden der VGH München im VGH München, Beschl. v. 05.02.2018 – 11 ZB 17.2069 (dazu Blutentnahme nach neuem Recht, oder: Auch in Bayern wird “gesund gebetet”), das Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 26.10.2018 – 3 Ss OWi 1410/18 (StPO III: Wegfall des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme, oder: Altes oder neues Recht) und das OLG Rostock im OLG Rostock, Beschl. v. 03.11.2017 – 1 Ss 94/17 (Blutentnahme nach altem Recht – “gesund gebetet” nach neuem Recht, oder: Asche auf mein Haupt). Da kann man dann wohl von einer herrschenden Meinung sprechen.

Immer wieder – auch Sonntags – Glockengeläut, oder: „Klageerzwingungsverfahren“ im OWi-Verfahren?

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So, heute im Kessel Buntes dann zunächst mal keine Entscheidung mit verkehrs- oder strafrechtlichem Bezug. Aber mit Bezug zum Sonntag. Und zwar geht es in dem Verfahren, das nun mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 29.03.2018 – 2 D 5/18 – geendet hat, um sonntägliches Glockengeläut. Ein Nachbar der Kirche, von der dieses Geläut stammte, fühlt(e) sich dadurch gestört.  Er hat sich deshalb mit Schreiben vom 10.9.2017 an die Gemeinde A-Stadt gewandt und beantragt, gegen die Verantwortlichen der Katholischen Kirche in A-Stadt ein Ordnungsgeld zu verhängen. Dieses Schreiben sandte die Gemeinde A-Stadt an den Nachbarn mit dem Hinweis zurück, dass für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der Antragsgegner (?) zuständig sei. Daraufhin wandte sich der Nachbar an diesen und beantragte die „Verfolgung der Lärmbelästigung, Ruhestörung, gesundheitliche Beeinträchtigung durch Schlafentzug durch die Verantwortlichen der Katholischen Kirche in A-Stadt.“ Der Antragsgegner teilte „dem Antragsteller mit, dass er nicht beabsichtige ein Bußgeld zu verhängen, weil seiner Ansicht nach keine Ordnungswidrigkeit vorliege.“

Daraufhin dann der Eilantrag des Nachbarn beim VG. Mit diesem beantragte er, „den Verfahrensgegner zur amtlichen Tätigkeit gerichtlich zu zwingen und seine Eingabe wegen OWiG-Lärmbelästigung zu bearbeiten. Des Weiteren beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Zur Begründung führte er unter anderem aus, er wende sich seit Monaten ungehört an Verwaltungen wegen unzumutbarer und auch rechtswidriger Lärmbelästigung durch die Katholische Kirche St. P. und P. in A-Stadt. Er habe auf seine Anzeige weder eine Eingangsbestätigung noch eine Abhilfe der gesundheitsschädlichen Lärmbelästigung erhalten. Er sei 63 Jahre alt, lungenkrank und brauche seinen Schlaf. Auch sehe er sich hinsichtlich Art. 4 GG als Jude diskriminiert. Es werde offenbar zuwider Art. 3 GG die Amtspflicht der Sachbearbeitung hinter die Katholikenbegünstigung gestellt. Er werde auch am Wochenende um 6.30 Uhr durch rechtswidriges Glockenläuten aus dem Schlaf gerissen und habe deshalb Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und könne nicht mehr schlafen. Es gelte die verfassungsgarantierte Trennung von Kirche und Staat.“

Das VG hat die Anträge zurückgewiesen. Das OVG schließt sich dem an:

Die zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis setzt zum Zwecke des Ausschlusses von Popularklagen analog § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass der Antragsteller die zumindest mögliche Verletzung eigener Rechte geltend macht. Als Rechte, deren Verletzung geltend gemacht werden können und die Voraussetzung für die Antragsbefugnis sind, kommen alle Normen in Betracht, die entweder ausschließlich oder – neben anderen Zwecken – zumindest auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Nicht ausreichend sind dagegen lediglich ideelle, wirtschaftliche oder ähnliche Interessen.

An einem solchen subjektiv öffentlichen Recht des Antragstellers fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anzeigeerstatter keinen durchsetzbaren Anspruch auf Tätigwerden der Bußgeldbehörde hat. Den objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Bußgeldbehörde bei Eingang einer Anzeige korrespondiert kein subjektives Recht des Anzeigeerstatters. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt anders als das Strafverfahrensrecht keine subjektiven Rechtspositionen von Anzeigeerstattern, die auf eine Pflicht zur Bearbeitung, Durchführung eines Verfahrens und Ahndung eines festgestellten Verstoßes gerichtet wären. Insbesondere gibt es kein dem strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahren entsprechendes „Ahndungserzwingungsverfahren“ (§ 46 Abs. 3 Satz 3 OWiG).22 Das Beschwerdevorbringen gibt zu keiner anderen Betrachtung Anlass. Daher ist die gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – aufgrund des Fehlens einer subjektiven Rechtsposition des Antragstellers hinsichtlich des Tätigwerdens des Antragsgegners als Bußgeldbehörde – zurückzuweisen.“