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Wer durch den ordnungsgemäßen Zugang kommt, steigt nicht ein

Diebstahl.pngEs gibt Entscheidungen, bei denen weiß man, wenn man sie liest, dass sie von allgemeinem Interesse sind und die Blogs beschäftigen werden. Dazu gehört z.B. der BGH, Beschl. v. 10.03.2016 – 3 StR 404/15, ergangen aufgrund eines Vorlagebeschlusses des OLG Oldenburg. Die Bedeutung des Beschlusses zeigt sich auch darin, dass er zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung BGHSt bestimmt ist.

Das OLG Oldenburg ist mit einer Revision gegen eine Berufungsurteil befasst, durch das der Angeklagte wegen Wohnungseinbruchdiebstahl und Diebstahl verurteilt worden ist, Grundlage waren folgende Feststellungen:

„Am 20. August 2013 griff der Angeklagte durch ein auf Kipp stehendes Fenster eines Wohnhauses und löste die am oberen Fensterrahmen angebrachte Verriegelungsschiene. Dadurch war es ihm möglich, das Fenster weiter nach hinten zu kippen und den Griff der danebenliegenden Terrassentür umzulegen. Durch die auf diese Weise geöffnete Tür verschafften sich der Angeklagte und weitere Beteiligte Zutritt zu dem Wohnhaus und entwendeten aus diesem Alkoholika.

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat das LG ausgeführt, dass in diesem Fall die Voraussetzungen des Einsteigens gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB, verstanden als ein jedes nur unter Schwierigkeiten mögliches Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung, erfüllt seien, weil es bei der Terrassentür, die der Angeklagte nur mit großem Geschick habe öffnen können, an einer entsprechenden Bestimmung fehle.

Der Angeklagte hatte Revision eingelegt, die das OLG verwerfen will. Das wäre/ist aber nur unter „Umgehung“ des BGH, Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 319/10 – möglich. Deshalb die Vorlage an den BGH mit der Frage:

„Liegt ein Einsteigen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, wenn der Täter zwar eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Öffnung benutzt, jedoch das Eindringen durch diese Öffnung eine manipulative Überwindung einer zum Öffnen nicht bestimmten mechanischen Sperre – ohne gewis-sen Kraftaufwand, Substanzverletzung oder Einsatz eines auf den Schließmechanismus wirkenden Werkzeugs – erfordert?“

Der BGH hat die dann jetzt beantwortet, und zwar dahin:

„Wer eine Räumlichkeit durch eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Tür betritt, steigt nicht im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein, unabhängig davon, auf welche Weise er die Tür geöffnet hat.“

Begründung: Die Ansicht des OLG „widerspricht dem gefestigten Verständnis des Einsteigens durch Reichsgericht und Bundesgerichtshof“. An deren Auslegung des Tatbestandsmerkmals, die sich auf den gesetzgeberischen Willen, die Systematik und den Wortlaut stützen kann, ist festzuhalten.“ Also ein Bisschen: Das haben wir immer schon so gemacht 🙂 . Aber das Wortlautargument hat was für sich:

„4. Das hergebrachte Begriffsverständnis deckt sich schließlich mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser versteht Einsteigen als das Sichverschaffen unrechtmäßigen Zutritts durch Hineinklettern (siehe www.duden.de/rechtschreibung/einsteigen#Bedeutung2). Soweit diese Definition die Stelle des Zutritts nicht näher umschreibt, bedeutet dies in der Sache keinen Unterschied. Denn dafür, dass eine zum ordnungsgemäßen Eintreten bestimmte Öffnung als Ort des Zugangs ausscheidet, spricht bereits das Erfordernis des Hineinkletterns, unabhängig davon, ob man darunter lediglich auf- und absteigende bzw. „herablassende“ (so RG, Urteile vom 14. Mai 1881 – Rep. 980/81, RGSt 4, 175, 176; vom 12. April 1882 – Rep. 688/82, RGSt 6, 186, 190) oder auch kriechende Bewegungen versteht (so BGH, Urteile vom 23. April 1953 – 4 StR 743/52, NJW 1953, 992; vom 10. Juni 1958 – 5 StR 212/58; Beschluss vom 18. Juni 1982 – 3 StR 196/82, juris Rn. 2).“

Ganz „aus dem Schneider“ ist der Angeklagte aber noch nicht, denn:

„5. Dass möglicherweise Sinn und Zweck der gesteigerten Strafdrohung – der erhöhte Rechtsfrieden des Verwahrungsortes (RG, Urteil vom 19. Mai 1919 – III 92/19, RGSt 53, 262, 263; BGH, Beschluss vom 11. Mai 1951 – GSSt 1/51, BGHSt 1, 158, 164 f.) sowie die in den Anstrengungen des Täters zum Ausdruck kommende besondere Geflissentlichkeit und Hartnäckigkeit des Die-bes (vgl. Reichstagsprotokolle 1867/70,12, S. 74) – auch die vorliegende Konstellation erfassen, rechtfertigt es nicht, das anhand der historischen, systematischen und grammatikalischen Auslegung gefundene, eindeutige Ergebnis zu revidieren. Die teleologischen Erwägungen könnten – bei tatsächlich vergleich-barer Gewichtigkeit der Fälle – allenfalls zu der Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB führen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – 1 StR 319/10, NStZ-RR 2010, 374, 375; BT-Drucks. IV/650, S. 402 f.).“