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Akteneinsicht: „Nächster Akt im Trauerspiel“ beim OLG Saarbrücken

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Und als letzte Entscheidung dann der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 09.11.2017 – Ss 39/17. Der gehört auch in die Reihe der (Akten)Einsichtsentscheidungen, ist aber leider nicht positiv (wer hätte das auch von einem OLG erwartet). Man darf also nicht euphorisch werden. Es geht um rechtliches Gehör und den formellen Aktenbegriff. Dazu dann (nur) der Leitsatz zu der Entscheidung:

„Es liegt keine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) vor, wenn sich nicht bei der Akte befindende Messunter­lagen und Messdaten nicht überlassen werden, sich das Gericht nicht mit allen Argumenten eines entsprechenden Antrags auseinandersetzt und einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Messung ablehnt, wenn dies nicht objektiv willkürlich ist, weil das Gericht von der Ordnungsmäßigkeit der Messung beim standardisierten Messverfahren nach durchgeführter Beweisaufnahme überzeugt ist.

Der Leitsatz stammt vom Kollegen Deutscher, der die Entscheidung für den VRR aufbereitet hat. Und ich zitiere – ein bisschen Werbung für den VRR muss auch mal sein, aus der Bewertung des Kollegen, der auch Mitautor im Owi-Handbuch ist:

„Der nächste Akt im Trauerspiel. Das OLG Saarbrücken hat auf der Linie der meisten OLG den Teufelskreis für den Betroffenen bei dem erforderlichen Vorbringen von konkreten Fehlern der Messtechnik und der Messung als solcher beim standardisierten Messverfahren zementiert, hier sub specie „Rechtliches Gehör“ (zum fairen Verfahren insoweit mit weitgehend identischer Argumentation OLG Bamberg DAR 2016, 337 = StRR 8/2016, 16/VRR 7/2016, 19 [jew. Deutscher]; jüngst StRR 11/2017, 19/VRR 11/2017, 14 [jew. Deutscher]). Auch wenn das OLG es abtut: Die Entscheidungen OLG Oldenburg (DAR 2015, 406 m. Anm. Deutscher = StRR 2015, 274/VRR 7/2015, 13 [jew. Burhoff] und OLG Jena (NJW 2016, 1457 = DAR 2016, 399 = StRR 4/2016, 20/VRR 4/2016, 16 [jew. Burhoff] weichen von dieser Grundhaltung deutlich ab. Wann endlich hat ein OLG den Mut, diesen Fragenkomplex dem BGH zur abschließenden Beurteilung nach § 121 Abs. 2 GVG vorzulegen? Wie man es besser machen kann, hat das LG Trier jüngst gezeigt (Beschl. v. 14.9.2017, 1 Qs 46/17, in DAR Heft12/2017 m. Anm. Deutscher). Dort wurde einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Beziehung und Herausgabe von Datensätzen der gesamten Messserie, Lebensakte u. a. mit überzeugender Begründung stattgegeben.“

Dem trete ich bei…

Parkplatzunfall, oder: Nach dem Pläuschchen unaufmerksam….

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Und noch ein Parkplatzunfall am Samstag, nämlich das schon etwas ältere OLG Saarbrücken, Urt. v. 02.02.2017 – 4 U 148/15.

Mal wieder ein Unfall auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Der Kläger ist dort mit seinem Pkw mit einer Geschwindigkeit von max. 10 km/h auf der Fahrgasse gefahren. Die Beklagte hielt ein „Pläuschchen“ und hatte dafür ihren Pkw quer über zwei Parktaschen parallel zur Fahrgasse abgestellt, um sich so mit einer Bekannten unterhalten zu können. Als man durch war, ist sie schräg in die Fahrgasse eingefahren. Es kam zum Zusammenstoß. Das OLG sagt:  80 % sind bei der Beklagten und nur 20 % beim Kläger:

„Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1 und 2, § 18 Abs. 3 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass neben der beiderseitigen Betriebsgefahr zu Lasten der Beklagten zudem ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 2) nach § 1 Abs. 2 StVO in die Haftungsabwägung einzustellen ist, während ein unfallursächliches Verschulden des Klägers hingegen nicht nachgewiesen ist.

a) Gemäß 17 Abs. 1, 2, § 18 Abs. 3 StVG hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter und -führer zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind (st. Rspr., BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05, Rn. 15 bei Juris; Senat, Urteil vom 1.12.2016 – 4 U 109/15, bei Juris Rn. 30; Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, NJW-RR 2015, 223 Rn. 31). Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, aaO Rn. 31).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise und von der Berufung unangegriffen auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass den Beklagten außer der Betriebsgefahr des Pkw Seat Seat das unfallursächliche pflichtwidrige Verhalten der Beklagten zu 2 als Fahrerin zur Last fällt.

aa) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte zu 2 vorliegend an der Unfallstelle zwar nicht gegen das Gefährdungsverbot aus 10 Satz 1 StVO verstoßen hat, ihr aber ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 2 StVO zur Last fällt.

(1) Nach § 10 Satz 1 StVO hat u.a. derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nach wohl vorherrschender Auffassung kommt eine unmittelbare oder zumindest eine analoge Anwendung von § 10 Satz 1 StVO auf einem – wie hier – öffentlichen Parkplatz nur dort in Betracht, wo verschiedene Bereiche des Parkplatzes sich im Verhältnis zueinander nach dem objektiven Erscheinungsbild als über- und untergeordnete Verkehrsflächen darstellen; verleiht die bauliche Gestaltung oder Markierung einer bestimmten Teilfläche – etwa einem Zu- und Abfahrtsweg – einen eindeutigen Straßencharakter, dann sind die angrenzenden Teilflächen – etwa die einzelnen Parkgassen – als (insoweit untergeordnete) „andere Straßenteile“ einzustufen (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.7.2014 – 14 U 2515/13, bei Juris Rn. 15; OLG Köln, MDR 1999, 675 – bei Juris Rn. 4; OLG Celle, DAR 2000, 216 – bei Juris Rn. 4 ff.; OLG Hamm, RuS 1994, 52 – bei Juris Rn. 6). Handelt es sich bei einem bzw. mehreren der Zufahrtswege um eine gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer und breiter ausgestalteten Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO, ob unmittelbar oder analog zur Anwendung kommen (OLG Hamm, NJW 2015, 413 Rn. 14; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.3.2010 – 1 U 156/09, bei Juris Rn. 21; KG, Beschluss vom 12.10.2009 – 12 U 233/08, bei Juris Rn. 7 f.; OLG Sachsen-Anhalt, SVR 2007, 61 – bei Juris Rn. 32 ff.; vgl. auch: JurisPK-StrVerkR/Scholten, 1. Aufl., § 10 Rn. 36).

(2) Ausgehend hiervon ist das Landgericht mit Recht davon ausgegangen, dass der Kläger vorliegend im Verhältnis zu der Beklagten zu 2 nicht nach § 10 Satz 1 StVO bevorrechtigt war, weil es sich bei der hier interessierenden Fahrgasse, auf der sich der Unfall ereignet hat, ausweislich der Luftbildaufnahmen in dem gerichtlichen Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. P. vom 7.7.2015 um eine Durchfahrtsgasse zwischen zwei Parkplatzreihen handelt, die ausgehend ihrer baulichen Anlage und von der fehlenden Mittelstreifenmarkierung keinen eindeutigen Straßencharakter aufweist, sondern nach dem objektiven Erscheinungsbild dem Parkplatzsucherverkehr und der Ermöglichung des Ein- und Ausparkens diente und nicht dem fließenden Verkehr.

bb) Die Beklagte zu 2 hat jedoch gegen 1 Abs. 2 StVO verstoßen.

(1) Das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme verlangt von einem Verkehrsteilnehmer, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Wiewohl Parkplätze dem ruhenden Verkehr dienen und der Ein- und Ausparkende in der Regel nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn trifft, weshalb im Grundsatz auf öffentlichen Parkplätzen die gegenseitigen Rücksichtspflichten einander angenähert sind (vgl. OLG Hamm, NJW 2015, 413 Rn. 16), können auch hier je nach Fallgestaltung die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung aus § 1 Abs. 2 StVO jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/16, bei Juris Rn. 11; Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 35 f.; LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476 Rn. 11 jeweils zur Wertung aus § 9 Abs. 5 StVO; LG Saarbrücken, NJW-RR 2016, 354 Rn. 13 und NJW-RR 2009, 1250 Rn. 8 zur Wertung aus § 14 StVO).

(2) So liegt es auch hier. Die ohnehin von der Beklagten zu 2 zu fordernde erhöhte Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf Parkplätzen (vgl. nachfolgend unter c), bb), (1)) war unter den im Streitfall vorliegenden Umständen noch dadurch gesteigert, dass sie aus Sicht der auf der Fahrgasse herannahenden Verkehrsteilnehmer kein aus- oder einparkendes Fahrzeug darstellte, sondern ein quer auf zwei Parktaschen nicht verkehrsbedingt anhaltendes Fahrzeug, deren Insassin sich mit einer neben dem Fahrzeug stehenden Fußgängerin unterhielt. Der Gefährlichkeit des eigenen Anfahrens auf die Fahrgasse aus dieser Situation heraus für die auf der Fahrgasse herannahenden Verkehrsteilnehmer hätte die Beklagte zu 2 entsprechend der Wertung des § 10 Satz 1 StVO durch ihr eigenes Fahrverhalten Rechnung tragen und so vorsichtig fahren müssen, dass sie kein plötzliches Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer bildet. Die Beklagte zu 2 hätte deshalb nicht quer vorwärts in die Fahrgasse einfahren dürfen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass der sich von hinten annähernde Kläger, den die Beklagte zu 2 nach ihren eigenen Angaben in der informatorischen Anhörung noch vor Beginn ihres Anfahrvorgangs wahrgenommen hatte, sich auf das Fahrverhalten der Beklagten zu 2 einstellen und ihr den Vortritt auf der Fahrgasse lassen würde. Im Zweifel hätte die Beklagte zu 2 den eigenen Anfahrvorgang zurückstellen müssen.

(3) Nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (LGU 8/9) hat die Beklagte zu 2 den Unfall durch einen Verstoß gegen diese Sorgfaltsanforderungen verursacht.

c) Vergeblich wendet sich die Berufung gegen die Auffassung des Landgerichts, zu Lasten des Klägers sei lediglich die Betriebsgefahr des gefahrenen PkW Ford Focus zu berücksichtigen und ein darüber hinaus gehender unfallursächlicher Verstoß des Klägers gegen 1 Abs. 2 StVO lasse sich nicht nachweisen……………

bb) Entgegen der Auffassung der Berufung genügen weder eine Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von 10 km/h noch eine Kollisionsgeschwindigkeit in gleicher Höhe, um einen unfallursächlichen Verstoß des Klägers gegen 1 Abs. 2 StVO zu bejahen.

(1) Im rechtlichen Ansatz trifft es zwar zu, dass wegen der oft unübersichtlichen Verkehrsverhältnisse auf Parkplätzen im Allgemeinen von allen Parkplatzbenutzern eine erhöhte Aufmerksamkeit und gegenseitige Bereitschaft zur Rücksichtnahme zu fordern ist (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 28.7.2014 – 14 U 2515/13, bei Juris Rn. 17; OLG Sachsen-Anhalt, SVR 2007, 61 – bei Juris Rn. 38; KG, NZV 2010, 461 – bei Juris Rn. 7; OLG Koblenz, VersR 2001, 349 – bei Juris Rn. 9; KG, NZV 2003, 381 – bei Juris Rn. 8; OLG Köln, MDR 1999, 675 – bei Juris Rn. 3), und ausgehend hiervon der die Fahrgasse zwischen den Parktaschen Befahrende mit Rücksicht auf Rangierende stets langsam bei ständiger Bremsbereitschaft fahren muss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 8 StVO Rn. 31a).

(2) Die dem Kläger nachweisbare Ausgangsgeschwindigkeit von 10 km/h war in der konkreten Situation und angesichts der örtlichen Gegebenheiten indes nicht zu schnell. Aufgrund des insoweit unstreitig gebliebenen Vorbringens des Klägers, § 138 Abs. 3 ZPO, ist davon auszugehen, dass der Bereich des Parkplatzes, in dem sich der Unfall ereignet hat, zum Unfallzeitpunkt weitgehend leer war, weshalb die Tatsache, dass der Kläger nur geringfügig über Schrittgeschwindigkeit (5-7 km/h, vgl.: Senat, Urteil vom 21.11.2014 – 4 U 21/14, bei Juris Rn. 91; Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 52) gefahren ist, noch keinen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO rechtfertigt.

(3) Auch eine unter § 1 Abs. 2 StVO zu fassende Reaktionsverzögerung ist dem Kläger nicht anzulasten. Die vage Aussage des Sachverständigen, im Hinblick darauf, dass beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung gewesen seien, sei aus technischer Sicht von einer Vermeidbarkeit für beide Beteiligte bei entsprechend angepasster Fahrgeschwindigkeit und entsprechender Aufmerksamkeit bzw. Beobachtung des jeweils gegnerischen Fahrzeugs auszugehen (Sachverständigengutachten Seiten 32 und 34, GA 150 und GA 152), genügt nicht, um den von den Beklagten zu führenden Nachweis einer schuldhaften Reaktionsverzögerung des Klägers als geführt anzusehen. Der Kläger selbst hat geltend gemacht, die Beklagte zu 2 sei unmittelbar in dem Moment, in dem er im Begriff gewesen sei anzuhalten, um nach links in eine dort gelegene Parktasche abzubiegen, für ihn völlig überraschend in die Fahrgasse eingefahren und mit seinem Fahrzeug kollidiert. In Ermangelung von tatsächlichen Anknüpfungspunkten dazu, wann eine Reaktionsaufforderung an den Kläger ergangen ist, ist offen, ob dieser die Anfahrabsicht der Beklagten zu 2 in die Fahrgasse so frühzeitig erkennen konnte, dass er sein eigenes Fahrzeug noch so rechtzeitig vor dem Beklagtenfahrzeug hätte abbremsen können, um hierdurch den Unfall zu vermeiden. Für einen – vom Landgericht gar nicht in Betracht gezogenen – Anscheinsbeweis ist kein Raum. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der beim Vorwärtsfahren auf der Fahrgasse eines Parkplatzes mit einem vorwärts seitlich auf die Fahrgasse auffahrenden Pkw kollidiert, mit zu hoher Geschwindigkeit oder unaufmerksam gefahren ist und verspätet reagiert hat (in Fortführung von Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 49 und in Abgrenzung zu LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476 Rn. 12)………“

Mofaunfall, oder: Ein 15-jähriger Mofafahrer haftet wie ein „alter“

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By Schauff – Schauff, CC BY-SA 3.0

Eine in meinen Augen interessante Frage behandelt das OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.08.2017 – 4 U 156/16. Es geht um die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Minderjährigen zu stellen sind und dabei um die Frage: Sind sie gemindert: Geklagt hatte ein zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre alter Mofafahrer. Der war mit seinem Mofa aus der Zuwegung eines Hauseingangs in Richtung Straße gefahren. Dort kam es auf Grund einer Unvorsichtigkeit des Klägers zum Zusammenstoß mit dem auf der Straße fahrenden Pkw des Beklagten. Das OLG Saarbrücken ist von der Alleinhaftung des Klägers auf Grund seines Verstoßes gegen § 10 Satz 1 StVO ausgegangen:

„b) Diesen gesteigerten Sorgfaltsanforderungen ist der Kläger, der im Unfallzeitpunkt das 15. Lebensjahr vollendet hatte und dessen Einsichtsfähigkeit gemäß § 828 Abs. 3 BGB zu vermuten ist, schuldhaft nicht gerecht geworden.

aa) Insoweit gelten im Straßenverkehr für einen minderjährigen Mofa-Fahrer nicht etwa geringere Sorgfaltsanforderungen. Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf zwar gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV keiner Fahrerlaubnis, wenn es sich – wie das hier offenkundig der Fall ist – um einspurige Fahrräder mit Hilfsmotor – auch ohne Tretkurbeln – handelt, deren Bauart Gewähr dafür bietet, dass die Höchstgeschwindigkeit auf ebener Bahn nicht mehr als 25 km/h beträgt (Mofas). Indessen muss schon bei der Bewerbung um die Mofa-Prüfbescheinigung eine theoretische und praktische Ausbildung durchlaufen werden. Dabei ist es laut Ziffer 1.5 Anlage 1 FeV in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 26.06.2012 Ziel der theoretischen Ausbildung, verkehrsgerechtes und rücksichtsvolles Verhalten im Straßenverkehr zu erreichen (Satz 1). Die theoretische Ausbildung soll beim Kursteilnehmer zu sicherheitsbetonten Einstellungen und Verhaltensweisen führen, verantwortungsbewusstes Handeln im Straßenverkehr fördern und das Entstehen verkehrsgefährdender Verhaltensweisen verhindern. Schließlich muss, wer auf öffentlichen Straßen ein Mofa (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FeV) führt, in einer Prüfung nachgewiesen haben, dass er ausreichende Kenntnisse der für das Führen eines Kraftfahrzeugs maßgebenden gesetzlichen Vorschriften hat (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FeV) und mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV). Da der Kläger ausweislich der Verkehrsunfallanzeige Inhaber einer entsprechenden Prüfbescheinigung des TÜV in St. Ingbert vom 10.12.2013 war (Beiakte Bl. 2), ist davon auszugehen, dass er vor dem Verkehrsunfall vom 22.07.2014 die theoretische Ausbildung mit dem Ziel, verkehrsgerechtes und rücksichtsvolles Verhalten im Straßenverkehr zu erreichen und das Entstehen verkehrsgefährdender Verhaltensweisen zu verhindern, durchlaufen hat.“

Ich weiß: Die Dame auf dem Bild dürfte etwas älter als 15 sein 🙂 .

Wettrennen auf der Landstraße, oder: Lenken des Überholten nach links bringt 100 % Haftung

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Die zweite zivilrechtliche Entscheidung aus dem heutigen „Kessel Buntes “ betrifft ebenfalls einen Verkehrsunfall, an dem ein Motorrad beteiligt ist (zur ersten Entscheidung OLG Brandenburg, Urt. v. 02.03.2017 – 12 U 18/16 siehe Kollision Bus/Motorrad an einer Engstelle, oder: Wer haftet wie?). Es ist das OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.10.2016 – 4 U 104/15.

Zum Sachverhalt: Es klagt ein Motorradfahrer, der innerorts einen Pkw-Fahrer überholt hatte. Das Überholen hatte dem gar nicht gefallen. Er hatte mit Hand- und Lichtzeichen sowie Hupen reagiert. Kurze Zeit später überholte dann der Pkw-Fahrer den mit ca. 100 km/h fahrenden Motorradfahrer und bremste nach dem Einscheren stark ab. Danach überholte der Motorradfahrer erneut. In dem Bereich befand sich auf der Mitte der Fahrbahn eine durchgehende Linie nach Zeichen 295. Unstreitig ist, dass der Pkw-Fahrer während des Überholvorgangs nach links gelenkt hat, wodurch es dann zu einem Zusammenstoß kam. Der Kläger stürzte von seinem Motorrad und verletzte sich schwer.Der Beklagte ist wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB verurteilt worden

Die Parteien streiten jetzt um die Haftung. Das OLG kommt zur vollen Haftung des Beklagten, und zwar auf der Grundlage folgender Leitsätze:

  1. Wird bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zulasten eines Unfallbeteiligten ein Überholen im Überholverbot berücksichtigt, so darf nicht offenbleiben, auf welcher Fahrbahn sich die Kollision ereignet hat, mithin ob das überholte Fahrzeug selbst einen Fahrbahnwechsel vorgenommen hat.
  2. Gehen einem Unfallgeschehen beiderseitige, eskalierende Verkehrsverstöße der Unfallbeteiligten voraus (hier: beiderseitige Überholmanöver nach Art eines Wettrennens), sind für die Haftungsquote, insbesondere für die Berücksichtigung der Betriebsgefahren, die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.
  3. Führt der Fahrer eines Pkw nach vorangegangenen beiderseitigen Überholmanövern eine bewusste Lenkbewegung nach links aus, um den Überholversuch eines Kraftradfahrers zu unterbinden, kann eine darin zum Ausdruck kommende rücksichtslose und grob verkehrswidrige Gesinnung des Pkw-Fahrers die auf Seiten des Kraftrads allein in die Abwägung einzustellende Betriebsgefahr dahinter im Einzelfall gänzlich zurücktreten lassen.

Gebührenverzicht des Pflichtverteidigers? – ja, das geht….

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Ich habe schon häufiger über die mit der Auswechselung/Umbeiordnung des Pflichtverteidigers zusammen hängenden Fragen berichtet. Die Auswechselung wird von der h.M. nur dann als zulässig angesehen, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und – der Staatskasse – keine Mehrkosten entstehen. In dem Zusammenhang spilet dann auch die Frage eine Rolle, ob ein Gebührenverzicht des neuen Pflichtverteidigers wirksam ist, oder ob dem § 49b BRAO entgegensteht. Dazu hat sich jetzt auch noch einmal das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.10.2016 – 1 Ws 113/16 – geäußert. Es sieht – mit der zutreffenden h.M. – den Gebührenverzicht als zulässig an:

„Beide Verteidiger haben sich mit der Auswechselung des Pflichtverteidigers einverstanden erklärt, eine Verfahrensverzögerung ist hierdurch nicht zu besorgen. Durch einen Wechsel des bestellten Verteidigers entstehen für die Landeskasse auch keine Mehrkosten. Zwar hat Rechtsanwalt F. bereits die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und im Hinblick auf die nach Einlegung der Revision gewährte Akteneinsicht auch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG (zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 6. März 2013 – 1 Ws 235/12 – und 16. Januar 2014 – 1 Ws 254/13-; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG, 22. Aufl., Vorb. 4 VV Rn. 10 ff., 14) verdient und stünde auch Rechtsanwalt M.-M1. im Falle seiner Bestellung grundsätzlich ein diese Gebühren umfassender Vergütungsanspruch zu, nachdem er die Revision des Angeklagten mit Schriftsatz vom 22. Mai 2016 begründet hat. Ein zweifacher Anfall der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG ist vorliegend jedoch – worauf die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hinweist – ausgeschlossen, nachdem Rechtsanwalt M.-M1. nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind.

Dieser Gebührenverzicht ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur auch wirksam (vgl. OLG Bamberg NStZ 2006, 467; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; Hartmann, Kostengesetze, VV 4100, 4101 Rn. 9; Volpert in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil A Rn. 1392). Der abweichenden Ansicht, die im Hinblick auf § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, wonach es unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt, einen derartigen Gebührenverzicht als unzulässig erachtet (vgl. Thüring. OLG, Beschluss vom 29.11.2005 – 1 Ws 440/05 -, juris; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.04.2010 – 2 Ws 52/10 -, juris; OLG Köln NStZ 2011, 654 f.; Hanseat. OLG Bremen NStZ 2014, 358 f.), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insoweit wird nämlich von der herrschenden Meinung zu Recht darauf hingewiesen, dass dem von § 49b BRAO verfolgten Zweck, einen Preiswettbewerb um Mandate zu verhindern (vgl. z. B. Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., § 49 b BRAO Rn. 17; Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 49 b Rn. 7), in der vorliegenden Fallkonstellation ausreichend dadurch begegnet wird, dass ein Wechsel nur bei Einverständnis beider beteiligter Rechtsanwälte möglich ist (vgl. OLG Frankfurt; OLG Oldenburg; OLG Karlsruhe, jew. a. a. O.).“

Wie gesagt: Zutreffend.