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beA II: Übermittlung von Willenserklärungen an den GV, oder: Das geht

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Bei der zweiten beA-Entscheidung handelt es ich um den OLG Köln, Beschl. v. 07.05.2019 – 7 VA 3/19. Das OLG hat sich – soweit ersichtlich bundesweit zum ersten Mal – mit der Frage befasst, ob die Übermittlung von Willenserklärungen – hier waren es Abmahnungen –  elektronisch an den Gerichtsvollzieher erfolgen darf. Die Frage führte, wie der Einsender S. Weinberger aus München, schreibt immer wieder zu Diskussionen mit Gerichtsvollziehern, ob ein Zustellauftrag über diesen Weg erteilt werden darf.

Das OLG Köln hat die Frage nun bejaht:

1. Der Zustellungsauftrag des Antragstellers vom 13.02.2019 hätte nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden dürfen, dass die Übermittlung der zuzustellenden Urkunde per elektronisches Dokument über das elektronische Gerichtspostfach unzureichend sei.

Nach § 29 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA NRW) hat der Gerichtsvollzieher Zustellungsaufträge nach den Vorschriften der ZPO über die Zustellung auszuführen. Daher konnte die Antragsgegnerin sich nicht auf § 754a ZPO berufen, um zu begründen, dass die Zustellung im vorliegenden Fall nicht erfolgen könne. § 754a ZPO zählt nicht zu den Zustellungsvorschriften der ZPO, sondern regelt vielmehr die Frage, unter welchen (eingeschränkten) Voraussetzungen ein Vollstreckungsauftrag elektronisch eingereicht werden kann. Maßgeblich für die Frage der Zustellung ist § 192 ZPO, der die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher auf Betreiben der Parteien regelt. Nach § 192 Abs. 2 ZPO „übergibt die Partei dem Gerichtsvollzieher das zuzustellende Schriftstück mit den erforderlichen Abschriften. Der Gerichtsvollzieher beglaubigt die Abschriften und führt die Zustellung anschließend durch. Für die Frage, auf welche Weise bzw. in welcher Form das zuzustellende Schriftstück dem Gerichtsvollzieher zur Verfügung zu stellen ist, enthält § 192 ZPO selbst keine konkrete Aussage. Allerdings kann nach § 174 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO ein Schriftstück bestimmten besonders vertrauenswürdigen Empfängern — unter anderem auch Gerichtsvollziehern — grundsätzlich sowohl durch Telekopie (Fax) als auch als elektronisches Dokument zugestellt werden. Das elektronische Dokument wird, sofern die Zustellung an den Gerichtsvollzieher betroffen ist, von § 174 ZPO genauso behandelt wie ein Fax.

Aus § 174 Abs. 3 ZPO ist zu folgern, dass (jedenfalls) ein Schriftstück, das vom Auftraggeber der Zustellung selbst herrührt, von diesem dem Gerichtsvollzieher auch dadurch im Sinne von § 192 Abs. 2 ZPO übergeben werden kann, dass er es dem Gerichtsvollzieher als elektronisches Dokument zustellt.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass § 174 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO zunächst einmal lediglich die Frage regeln, wie ein Dokument an einen Gerichtsvollzieher zugestellt werden kann und damit nicht automatisch auch die Frage, wie ein Dokument, das der Gerichtsvollzieher seinerseits an einen Dritten zustellen soll, dem Gerichtsvollzieher zur Verfügung zu stellen ist. Ob letzteres auch durch eine Telekopie oder ein elektronisches Dokument geschehen kann, wird in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur nicht einheitlich beantwortet. Während Zöller-Schultzky (32. Aufl. 2018, § 192 Rn. 7) meint, das Erfordernis der Übergabe der Urschrift schließe die Übermittlung mittels Telefax aus, wollen andere dies unter Berufung auf § 174 Abs. 2 ZPO ohne weiteres für zulässig halten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2003, DGVZ 2004, 125; Thomas-Putzo/Hüßtege § 192 Rn. 4). Das OLG Düsseldorf hat seine Entscheidung mit der Erwägung begründet, es sei nicht recht einleuchtend, dass der Gerichtsvollzieher eine förmliche Zustellung per Fax erhalten könne, dieser Kommunikationsweg ihm aber für die Weiterleitung eines Schriftstücks, welches er selbst zustellen solle, nicht zur Verfügung gestellt werde. Auch müsse der Gerichtsvollzieher im Hinblick auf die novellierten Vorschriften der ZPO nicht mehr überprüfen, ob die von ihm beglaubigte Kopie der Urkunde, die er dem Empfänger zu übermitteln habe, tatsächlich mit der Urschrift übereinstimme. Dies ergebe sich aus einem Rückschluss aus § 174 Abs. 2 ZPO; wenn sich der Reformgesetzgeber bei der Zustellung an bestimmte privilegierte Empfänger mit einer eingeschränkten Identitätsprüfung begnüge, müsse es möglich sein, auch die bloße Übermittlung eines Schriftstücks an den Gerichtsvollzieher zwecks Ausführung der Zustellung per Fax vorzunehmen. Sonst würde die mit der Zulassung des Telefax-Verkehrs bei der Zustellung bezweckte Beschleunigung teilweise wieder vereitelt.

Der Senat schließt sich diesen Überlegungen. die er im Hinblick auf § 174 Abs. 2 und 3 ZPO auf elektronisch zugestellte Dokumente unmittelbar für übertragbar hält, jedenfalls im Hinblick auf Fälle der vorliegenden Art an, in denen der Auftraggeber der Zustellung das zuzustellende Dokument selbst erzeugt hat. Speziell in dieser Fallkonstellation erschließt es sich nicht, warum dem Gerichtsvollzieher ein Original der Erklärung mit handschriftlicher Unterschrift hätte per Post überlassen werden müssen. Hinsichtlich der Identität des Verfassers der (Abmahnungs-) Erklärung bietet die elektronische Zustellung nach § 174 Abs. 3 ZPO aus Sicht des Gesetzgebers eine ausreichende Gewähr. Weitere Echtheitsüberprüfungen muss der Gerichtsvollzieher nicht vornehmen. Letztlich ist er lediglich für die Dokumentation der Übermittlung eben dieser Erklärung eingeschaltet worden. Daher hat die Gerichtsvollzieherin auch zu Recht die beantragte Zustellung im zweiten Anlauf ausgeführt.

2. Das von § 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG geforderte berechtigte Interesse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) ergibt sich vorliegend aus dem Umstand, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben bereits wiederholt Rückfragen und Schwierigkeiten bei der Zustellung seiner Abmahnungen beobachtet hat. Seine diesbezüglichen Angaben werden durch die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin plausibilisiert, sie habe im Vorfeld ihrer Entscheidung vom 22.02.2019 im Rahmen einer Rücksprache mit der Verwaltung des Amtsgerichts Köln keine eindeutige Auskunft im Hinblick auf die Zulässigkeit des vorliegenden Zustellungsantrags erhalten können und bitte um eine Bekanntgabe im Kollegenkreis, ob eine Übermittlung der Willenserklärung per EGGVG möglich sei.

Daraus ergibt sich, dass die begehrte Feststellung für die weitere einheitliche Gerichtspraxis von Bedeutung sein kann.

Unfall beim Entladen eines Lkw mit Ladekran, oder: Betriebsgefahr

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Author Thiemo Schuff

Der Halter eines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Lkw haftet für die Gefahren, die während eines Entladevorgangs von einem auf dem Lkw montierten Ladekran ausgehen. Das ist das Fazit aus dem OLG Köln, Beschl. v. 21.02.2019 – 14 U 26/18.

Entschieden hat das OLG über eine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte, die mit ihrem LKW für ein Bauvorhaben Baumaterial geliefert hate. Entladen wurde mit einem auf dem Lkw montierten hydraulischen Kran. Dabei ist ein Schlauch geplatz, wodurch Hydrauliköl austrat und das Haus und den Vorgarten der Kläger bespritzte. Dieser hat dann als Schadensersatz die Reinigungskosten verlangt. Das OLG hat eine Haftung aus § 7 StVG bejaht:

„1. Die Berufung, die sich nur gegen die Bejahung einer Haftung dem Grunde nach wendet, die Bemessung des Schadens der Höhe nach aber nicht angreift, hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung zu Recht angenommen, dass die Beklagte den Klägern dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG zum Schadensersatz verpflichtet ist.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Vorgarten und die Hausfassade der Kläger sind beim Betrieb des von der Beklagten gehaltenen Lkw beschädigt worden.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (zuletzt Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 11; vom 24.3.2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 5; vom 21.1.2014 – VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 5; jew. mwN).

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteile vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 12; vom 23.5.1978 – VI ZR 150/76, VersR 1978, 827; vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945).

Bei einem stehenden Fahrzeug mit Arbeitsfunktionen ist eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs auch dann gegeben, wenn das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel entladen wird, und zwar auch dann, wenn das Entladen mithilfe einer speziellen Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs erfolgt. Daher haftet der Halter auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierunter fällt nicht nur die Gefahr durch das entladene Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu Recht angenommen, dass der Schaden der Kläger auf den Betrieb des Lkw der Beklagten zurückzuführen ist.

Maßgeblich hierfür ist, dass der Lkw im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Haus der Nachbarn der Kläger abgestellt war und dass das Öl aus dem aufgeplatzten Schlauch des Krans gespritzt ist, während der Lkw mithilfe dieses Krans entladen wurde. Bei diesem Hergang war es allein vom Zufall abhängig, ob nur der Verkehrsraum, andere Verkehrsteilnehmer oder auch die Grundstücke der Anlieger beschädigt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 15). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74 – (VersR 1975, 945) zugrunde lag. In diesem Fall wurde ein auf einem Hof abgestelltes Tankfahrzeug durch einen Schlauch in ein neben dem Fahrzeug befindliches Silo entladen, wobei das Silo beschädigt wurde.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, der Kran sei keine „Entladevorrichtung des Kraftfahrzeugs“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern eine „eigenständige“ Einrichtung. Der Kran war bestimmungsgemäß – wenn auch möglicherweise nicht dauerhaft – auf dem Lkw montiert und ist ebenso bestimmungsgemäß dazu verwandt worden, den Lkw zu entladen. Kran und Lkw bildeten deshalb – ebenso wie ein mit Kran arbeitender Abschleppwagen oder ein mit einem Aufladegreifer versehenes Langholzfahrzeug (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.5.1975 – VI ZR 95/74, VersR 1975, 945; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 25. Kap. Rn. 84) – eine haftungsrechtliche Einheit (zum Abladen von Baumaterial mit einem Ladekran vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 5.4.2007 – 23 U 54/06, OLGR 2008, 470, 471; Wussow/Fad, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 17 Rn. 87).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Haftung auch nicht nach § 8 Satz  1 StVG ausgeschlossen. Dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mit ausgefahrenen Stützen abgestellt war, ändert nichts daran, dass es auf Grund seiner konstruktionsbedingten Beschaffenheit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.6.1997 – VI ZR 156/96, VersR 1997, 1115), die durch ein bloßes Ausfahren der Stützen nicht verändert wird, auf ebener Bahn mit einer höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann.“

Pauschgebühr beim/ein „Glücksspiel“, oder: Totgesagte leben länger

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Heute am Gebührenfreitag vor dem Rätsel zunächst zwei Entscheidungen zur Pauschvergütung des Pflichtverteidigers (§ 51 RVG). Zunächst kommt der OLG Köln, Beschl. v. 10.04.2019 – 1 RVGs 15/19, der auch in die Rubrik passen würde: Totgesagt – die Pauschvergütung – leben länger. Das OLG Köln hat nämlich eine Pauschvergütung gewährt:

„Der Antrag auf Bewilligung einer über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden Pauschvergütung gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist in dem erkannten Umfang begründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechts-anwalt auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs o-der der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Damit soll der Ausnahmecharakter bei der Bewilliguhg einer Pauschgebühr zum Ausdruck gebracht werden. Die Vorschrift soll verhindern, dass der bestellte oder beigeordnete Verteidiger im Verhältnis zu seiner Vergütung unzumutbar belastet wird, dass ihm ein grundrechtsverletzendes wirtschaftliches Sonderopfer abverlangt wird (vgl. BVerfG NJW 2007, 1445). Dass dabei im Ergebnis die Vergütung des beigeordneten Anwalts gleichwohl deutlich unter der eines Wahlverteidigers liegt bzw. liegen kann, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG NJW 2007, 3420).

Da wesentliche Gesichtspunkte, die noch unter Geltung der BRAGO Anlass zur Gewährung einer Pauschgebühr gegeben haben, nunmehr bereits bei der Bemessung der gesetzlichen Gebühr nach dem RVG berücksichtigt werden (z.B. Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und an Haftprüfungsterminen, besonders lange Dauer der Hauptverhandlung), ist der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift eingeschränkt (vgl. OLG Köln 2. StrafS B. v. 03.05. 2005 – 2 ARs 87/05 -; B. v. 06.01.2006 – 2 ARs 231/05 -; SenE v. 26.04.2007 -1 ARs 20/07 -; SenE v. 08.02.2008 – 1 ARs 3/08 -).

Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Gewährung einer Pauschgebühr gleichwohl gerechtfertigt.

2. Auf der Grundlage des Antragsvorbringens, der dem Pflichtverteidiger bekannt gemachten Stellungnahme des Vertreters der Landeskasse vom 1. März 2019 und der tatrichterlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2019 sowie unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Senats erscheint eine Erhöhung der gesetzlichen Gebühren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gerechtfertigt, aber auch ausreichend, um eine un-zumutbare Belastung des Pflichtverteidigers zu vermeiden. Maßgeblich hierfür ist namentlich der Umstand, dass im vorliegenden Verfahren streitige Rechtsfragen zum Begriff des „Glücksspiels“ im Sinne von § 284 StGB zum Tragen kamen, zu welchen sich der Pflichtverteidiger in einer Reihe von umfangreichen Schriftsätzen positioniert hat. Nicht ohne Berücksichtigung konnte des Weiteren bleiben, dass sich das Verfahren gegen insgesamt acht Angeklagte richtete. Gestützt wird die Einschätzung der be-sonderen Schwierigkeit vorliegender Sache durch die tatrichterliche Stellungnahme, ausweislich derer das Verfahren sich durch einen überaus komplexen Sachverhalt auszeichnete.

Nach der Rechtsprechung des Senats wird in der Mehrzahl der Verfahren die Pauschvergütung in der Höhe durch die (einfache) Wahlverteidigerhöchstgebühr begrenzt. Erreichen die gesetzlichen Gebühren in der Addition mit der Pauschgebühr die Wahlverteidigerhöchstgebühr, kann im Allgemeinen nicht davon ausgegangen werden, dass die Pflichtverteidigung dem Verteidiger ein Sonderopfer, das ihm nicht abverlangt werden darf (vgl. BVerfG NJW 2007, 1445), aufgebürdet hat (vgl. SenE v. 11.07.2014 —III-1RVGs 47/14, s. weiter OLG Nürnberg AGS 2015, 173). So liegt der Fall hier: Mit der Zuerkennung der tenorierten Pauschvergütung wird die Wahlverteidigerhöchstgebühr fast erreicht. Durchgreifende Gesichtspunkte, die es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, auch die Wahlverteidigerhöchstgebühr zu überschreiten, haben sich nicht ergeben. Der tenorierte Betrag ist damit erforderlich, aber auch ausreichend, um ein Sonderopfer des Pflichtverteidigers zu vermeiden.“

Titelbild ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber immerhin, oder: Es gibt sie also doch noch.

OWI III: Die „Benutzung“ des Laptops im Pkw, oder: Sicher mehr als kurze Blickzuwendung

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Und die letzte Entscheidung des Tages befasst sich ebenfalls mit dem neuen § 23 Abs. 1a StVO. Es handelt sich um den OLG Köln, Beschl. v. 14.02.2019 – 1 RBs 45/19. Es geht um das Aufnehmen eines Laptops – ein elektronisches Gerät – an einer eine Lichtzeichenanlage, dessen Benutzung und um das weitere Tippen nach Wiederanfahren des Betroffenen. Das OLG sagt: Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO:

„Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen festgestellt, dass der Betroffene mit seinem PKW in A, B, die Cstraße in Fahrtrichtung Dstraße befuhr, an der Lichtzeichenanlage der dortigen Kreuzung verkehrsbedingt anhalten musste, spätestens zu diesem Zeitpunkt seinen Laptop auf den Schoß nahm, das Gerät zwischen Oberschenkel und Lenkrad „klemmte“ und darauf „herum tippte“; als die Lichtzeichenanlage von rot auf grün umschaltete, fuhr der Betroffene „verzögert und tippender Weise an und weiter“. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe konnte das Tatgericht nicht ausschließen, dass der Betroffene den Motor seines Fahrzeugs an der Lichtzeichenanlage zunächst vollständig ausgeschaltet hatte.

2. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht ausdrücklich offengelassen, ob das Verhalten des Betroffenen dem Tatbestand des § 23 Abs. 1a Nr. 2 StVO unterfällt, da er jedenfalls den Bußgeldtatbestand des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO in der Fassung der ÄndVO vom 6. Oktober 2017 erfüllt habe. Diese Rechtsanwendung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nachdem der Betroffene den Motor seines Fahrzeugs an der LZA zunächst nicht ausschließbar vollständig ausgeschaltet hatte, unterfällt ein Aufnehmen und Halten des Laptops zu diesem Zeitpunkt nicht der vom Tatgericht bejahten Tatbestandsalternative. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1b S 2 StVO, der eine „Ausnahme von der Ausnahme“ begründet (vgl. Rebler, Das neue Verbot der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel während des Fahrzeugführens, SVR 2018, 241, 244), erfasst lediglich ein „fahrzeugseitig automatisches Abschalten des Motors“, nicht eine hier festgestellte (S 3, 6 UA) manuelle Abschaltung; eine Analogie verbietet sich (vgl. KG, Beschluss v. 23.08.2018, Az. 3 Ws (B) 217/18, zitiert nach juris).

Soweit das Amtsgericht von den getroffenen Feststellungen ausgehend auf die weitere Benutzung des Laptops abstellt, als der Betroffene von der Lichtzeichenanlage angefahren ist und weiterhin auf dem auf seinem Schoß zwischen Oberschenkel und Laptop eingeklemmten Gerät „getippt“ hat, unterfällt das festgestellte Verhalten ebenfalls nicht dem Tatbestand des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO. Die genannte Tatbestandsalternative begründet nach dem Willen des Verordnungsgebers ein „Hand-Held-Verbot“, erfordert mithin ein Aufnehmen mit den Händen bzw. ein Halten in den Händen (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 45. Auflage, § 23 StVO Rn. 32, 32a). So stellt die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf das „In-den-Händen-halten“ des Geräts und dessen besondere Gefährlichkeit ab (vgl. BR-Drucks. 556/17, S 25 ff).

Das Aufnehmen des Laptops durch den Betroffenen auf seinen Schoß zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht ausschließbar der Motor seines Fahrzeuges manuell ausgeschaltet war, begründet demnach kein tatbestandsmäßiges (fortgesetztes) Aufnehmen des Geräts im Zeitpunkt des Losfahrens, als der Betroffene den Laptop nach den Feststellungen nicht in den Händen hielt, sondern sich dieser auf seinem Schoß eingeklemmt zwischen Oberschenkel und Lenkrad befand.

3. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts ist gleichwohl nicht erforderlich, da die Anwendung der Tatbestandsalternative des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO nicht entscheidungserheblich ist.

Denn das vom Tatgericht festgestellte Verhalten des Betroffenen erfüllt – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – zwanglos und ohne dass es weiterer Feststellungen bedarf den Tatbestand des § 23 Abs. 1a Nr. 2 StVO. Wird das von der Norm erfasste elektronische Gerät nicht in der Hand gehalten oder aufgenommen, ist die Benutzung nach Nr. 2 unter anderem nur dann gestattet, wenn hierfür nur eine kurze, den Verhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist (vgl. dazu Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 33). Beim Anfahren an einer Lichtzeichenanlage unter weiterem „Tippen“ auf der Tastatur des Laptops scheidet eine noch erträgliche kurze Blickabwendung schon ihrer Natur nach aus; die festgestellten Benutzung erfordert jedenfalls mehr als einen nur kurzen Blickkontakt nach Maßgabe des § § 23 Abs. 1a Nr. 2 StVO. Davon ist auch das Tatgericht ausgegangen (S 6 UA).“

Ich glaube, bei den Feststellungen hätte ich mir die Rechtsbeschwerde „geschenkt“.

Fahrverbot wegen Durchfahrtverbotsverstoßes nach Nr. 250a BKat, oder: Rheinbrücke bei Leverkusen

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Und zum Tagesschluss eine Fabrverbotsentscheidung, und zwar der OLG Köln, Beschl. v. 04.10.2018 –1 RBs 217/18. Das OLG nimmt zu einem Fahrverbot wegen eines Durchfahrtverbotsverstoßes nach Nr. 250a BKat Stellung. Es geht um die Rheinbrücke bei Leverkusen.

Das AG hat den Betroffenen wegen „einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit gemäß § 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 24 StVG, 141.1BKat“ zu der Geldbuße verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbots ausdrücklich abgesehen. Der Betroffene befuhr die J-Straße in L an der Anschlussstelle L – O als Führer eines Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t. Im fraglichen Teilstück ist die J-Straße durch Zeichen 251 mit Zusatzzeichen 3,5 t (VZ 253) für Kraftfahrzeuge mit mehr als 3,5 t zulässigen Gesamtgewicht gesperrt, da es sich hierbei um eine Autobahnauffahrt zur BAB handelt. Die Autobahn führt von der Anschlussstelle L-O, ohne Absatzmöglichkeiten im direkten Weg über die Rheinbrücke. Aufgrund des maroden baufälligen Zustandes der Brücke ist sie durchgehend seit dem 25.06.2014 für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen gesperrt. Auf der J-Straße wird mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Auffahrt auf die BAB nur für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht unter 3,5 t erlaubt ist. Die Verkehrsführung ist an der Stelle so geregelt, dass zwei Spuren nach rechts auf die Autobahn gehen, Lkws mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t müssen dagegen gerade aus, auf dem ganz linken Fahrstreifen der an dieser Stelle dreispurigen J-Straße fahren. Aufgrund einer Vielzahl von Missachtung der bestehenden Verkehrsvorschriften wurde zum Schutz der Brücke im September 2017 eine Schrankenanlage installiert. Die Anlage besteht aus einer Wiegevorrichtung und einer automatischen Schrankenschließanlage mit Lichtzeichenregelung. In diese Schrankenanlage ist der Betroffene gefahren. Die Rechtsbeschwerde der StA war erfolgreich:

„Die unterbliebene Anwendung der Ziff. 250a BKatV durch das Tatgericht wird von den bislang getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Danach verwirkt – soweit hier in Betracht zu ziehen – eine Regelgeldbuße von 500,– € sowie ein Regelfahrverbot von zwei Monaten, wer vorschriftswidrig ein Verbot für Kraftwagen mit einem die gesamtmassebeschränkenden Zusatzzeichen (Zeichen 251 mit Zusatzzeichen 1053-33) nicht beachtet, wobei die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen (Anlage 4 lfd. Nr. 1 bis 4 zu § 43 Abs. 3 StVO) gekennzeichnet ist. Die Vorschrift statuiert daher ein – gegenüber dem durch Zeichen 251 angeordneten „schlichten“ – ein gleichsam „qualifiziertes“ Durchfahrverbot. Die gemeinten Verkehrseinrichtungen sind dabei Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde.

a) Das Tatgericht führt aus, dass die hier in Rede stehende Straßenfläche durch eine Schrankenanlage sowie durch Leitschwellen gekennzeichnet ist. Dabei sei die Schrankenanlage erst zu einem Zeitpunkt erkennbar, da ein Hineinfahren in diese unvermeidlich sei (UA 11). Die Frage, ob der Tatbestand aufgrund der Kennzeichnung der in Rede stehenden Straßenfläche durch die Leitschwellen erfüllt sei, lässt das Tatgericht zunächst ausdrücklich offen (UA 7), um dann (UA 11) darzulegen, für den Betroffenen sei „allenfalls“ der zur Schrankenanlage hinführende „Trichter“ und hier „nur“ die diesem vorausgehenden Leitschwellen erkennbar. Ersichtlich wegen der von ihm vorgenommenen teleologischen Reduktion der Ziff. 250a BKatV – auf diese wird zurückzukommen sein – hat das Tatgericht sich in erster Linie mit der Schrankenanlage befasst und sich damit den Blick auf die mögliche Bedeutung der gleichfalls vom Tatbestand erfassten Leitschwellen verstellt. Damit bleiben die Urteilsfeststellungen in rechtsbeschwerderechtlich bedeutsamer Weise lückenhaft:

Auch wenn das Tatgericht (UA 7 4. Abs. aE) von einer Möglichkeit spricht, „den Bereich“ zu verlassen, bleibt mangels diesbezüglicher konkreter Urteilsfeststellungen nämlich letztlich offen, ob der Betroffene in dem Zeitpunkt, da ihm die Wahrnehmung der besonders gekennzeichneten Straßenfläche erstmals möglich ist, deren Befahren (etwa durch verkehrsgerechtes Ausweichen auf die nach Süden führende Fahrspur Richtung BAB 0) noch vermeiden kann. Sollte der Betroffene im Zeitpunkt der ersten Wahrnehmungsmöglichkeit der besonders gekennzeichneten Straßenfläche gleichsam gezwungen sein, in diese und in der Folge dann auch in die Schrankenanlage hineinzufahren, würde ihn der Normbefehl erst zu einem Zeitpunkt erreichen, da er über keine rechtmäßige Handlungsalternative mehr verfügte. Eine (gesteigerte) Bebußung wäre daher mangels möglicher Erreichung eines legitimen Zwecks unverhältnismäßig. Sollte er indessen in diesem Zeitpunkt noch über die Möglichkeit verfügen, das Befahren der besonders gekennzeichnete Straßenfläche verkehrsgerecht zu vermeiden, stünden der Anwendung des Tatbestandes aus Sicht des Senats durchgreifende Bedenken nicht entgegen.

b) Soweit das Tatgericht solche (UA 7, 4. Absatz aE) aus dem Umstand herleiten will, dass in dem Zeitpunkt, da ein Betroffener gegen das „qualifizierte“ Durchfahrtverbot verstößt, dieser notwendig bereits das „einfache“ Durchfahrtverbot verletzt hat und damit gleichsam „in die Qualifikation hineinfährt“, teilt der Senat sie nicht. Es gibt keinen Rechtssatz, der die Durchfahrtverbote in ein Alternativitätsverhältnis dergestalt setzt, dass die Straßenverkehrsbehörde nur entweder das „einfache“ oder aber das „qualifizierte“ Durchfahrtverbot anordnen dürfte. Ausweislich der Verordnungsbegründung (BR-Drs. 556/17, S. 35) hat die Kontrolle von Lkw-Verkehrsverboten auf Autobahnbrücken gezeigt, dass dort Verkehrsverbote zum Schutze der Infrastruktur in erheblichem Umfang missachtet werden. So verstießen beispielsweise auf der hier in Rede stehenden Rheinbrücke bis zu 1000 Lkw-Fahrer täglich trotz eines räumlich weit gestaffelten Hinweis-und Umleitungskonzepts und wiederholter Polizeikontrollen gegen entsprechende Verkehrsverbote. Dies deckt sich mit den Erfahrungen des für die Tätigkeit der Bußgeldbehörden in diesem Bereich ausschließlich zuständigen Senats. Vor diesem Hintergrund wäre die Alternative zu der hier gewählten Beschilderung entweder die – ersichtlich ineffiziente – Beibehaltung eines „einfachen“ Durchfahrtverbots, oder aber eine unmittelbare besondere Kennzeichnung der zu befahrenden Straßenfläche gewesen. Ein Sachgrund für letzteres ist indessen nicht ersichtlich. Vielmehr kann die besondere Kennzeichnung nach Anordnung eines „einfachen“ Durchfahrtverbots im Sinne einer Eskalationsstrategie als gleichsam allerletzte Warnung dienen, den geschützten Bereich nunmehr zu verlassen. Gerade umgekehrt könnte man ggf. unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten Bedenken gegen die umstandslose Anordnung des „qualifizierten“ Durchfahrtverbots anmelden.

c) Es liegt des Weiteren auf der Hand, dass die vorstehenden Überlegungen zur konkreten Ausgestaltung der Kennzeichnung der in Rede stehenden Straßenfläche, deren Erkennbarkeit und dem Vorhandensein einer Handlungsalternative maßgebliche Bedeutung auch für die Frage gewinnen, ob der Betroffene den Verstoß vorsätzlich begangen hat.

2. Der Senat teilt die Auffassung des Tatgerichts, Ziffer 250a BKatV sei teleologisch zu reduzieren, nicht…..“