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(Akten)Einsicht a la OLG Celle/Hamm: In meinen Augen Unsinn bei der Begründung der Rechtsbeschwerde

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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Duplizität der Ereignisse. Gestern hat mir der Kollege Geissler den OLG Celle, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ss (OWi) 82/16 übersandt. Und gestern hat der Kollege Gratz dann auch über den OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2016 – 4 RBs 50/16 (vgl. Sachverständiger er­hält Messdaten, Verteidiger nicht: Nach Urteil muss Einsicht wei­ter ver­sucht wer­den!) berichtet. In beiden Beschlüssen geht es u.a. um die Begründung der Rechtsbeschwerde bei verweigerter Einsicht in die Rohmessdaten. Und beide OLG machen den Blödsinn (ups schreibe ich lieber nicht, aber was schreibt man?, vielleicht besser Unsinn/) weiter, den die OLG, darunter auch Celle und Hamm, vor einiger Zeit bei verweigerter Einsicht in die Bedienungsanleitung angefangen haben. Sie legen insgesamt die Hürden mal wieder so hoch, dass kaum ein Betroffener drüber springen kann. Man hat schon den Eindruck – der Kollege Geißler formuliert: „…lässt die Tendenz erkennen Rechtsmitteln die Grundlage durch Förmelei zu entziehen … .

Und m.E. ist das, was die OLG machen, auch nicht zutreffend. Das OLG Celle führt aus:

„Die Verfahrensrüge zur Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtbeiziehung der Rohmessdaten erweist sich als unzulässig. Der Senat hat bereits entschieden, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Anforderungen an eine Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei beantragter Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes auf die Herausgabe von Rohmessdaten zu übertragen sind. Danach muss sich der Betroffene bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist um die Herausgabe und ggf. Entschlüsselung der Rohmessdaten bemühen und vortragen, welche Anstrengungen er insoweit bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist unternommen hat (vgl. dazu Beschl. des Senats v. 21. März 2016, 2 Ss (OWi) 77/16). Der Betroffene muss sich außerhalb der Hauptverhandlung und ggf. auch unter Einsatz finanzieller Mittel darum bemühen, Anhaltspunkte für eine Fehlmessung zu ermitteln (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, NZV 2016, 140). Wenn das Amtsgericht es aus Amtsaufklärungsgesichtspunkten nicht für erforderlich erachtet, selbst in die Rohmessdaten Einsicht zu nehmen bzw. dazu ein Sachverständigengutachten einzuholen, weil keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehl-messung vorliegen, ist dies nicht zu beanstanden.“

Und bitte schön, liebes OLG: Was soll das an der Stelle noch bringen? Für das vorbereitende Verfahren mag die Ansicht ja noch nachvollziehbar sein – dazu verhält sich m.E. der OLG Düsseldorf-Beschluss. Aber für das Verfahrensstadium Rechtsbeschwerde? Was kann ich als Betroffener dann noch mit den Rohmessdaten anfangen, wenn ich sie erst jetzt erhalte? Ein Sachverständigengutachten erstellen lassen? Toll, die Hauptverhandlung ist beendet, wie soll ich das also ins Verfahren einführen. Und einen Beweisantrag formulieren – ebenso toll, denn – richtig – die Hauptverhandlung ist zu Ende. Also laufe ich gegen die Wand, bzw. befinde mich auch hier als Verteidiger/Betroffener in einem Teufelskreis. Es bringt mir nicht mehr, wenn ich mich weiter um die Daten bemühe.Oder?

Aber vielleicht bin ich inzwischen ja auch zu blöd zu erkennen, wo der Hase denn nun im Pfeffer liegt. Dann wäre es toll, wenn vielleicht mal ein OLG so nett wäre, es den staunenden Verteidigern und sonstigen interessierten zu erklären. So hat man wirklich den Eindruck, dass es darum geht, dass die Rechtsbeschwerden in dem gemeinsamen Kampf der OLG um die standardisierten Messverfahren „abgewürgt“ werden sollen. Warum auch immer?

Und vielleicht noch ein kleiner Hinweis nach Celle: Die Entscheidung ist in einem „Bußgeldverfahren“ ergangen, nicht in einem „Strafverfahren“ wie es im Beschluss steht.

Motorradfahrer mit 70 km/h zu tief geflogen: Haftung bei Unfall trotz Vorfahrt zu 70 %

entnommen wikimedi.org Urheber Noop1958

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Ein bisschen „tief geflogen“ war ein Motorradfahrer in dem dem OLG Hamm, Urt. v. 23.02.2016 – 9 U 43/15 – zugrunde liegenden Verkehrsgeschehen. Er war nämlich anstatt der erlaubten 50 km/h mit 121 km/h geflogengefahren. An einer Autobahnfahrt kam es zum Zusammenstoß mit dem aus der rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links hin abbiegenden PKW des Beklagten. Motorradfahrer bzw. dessen Versicherung und Beklagter haben dann um die Haftungsverteilung gestritten. Das OLG verteilt: 70% zu 30 % zu Lasten des (vorfahrtberechtigten) Motorradfahrers. Begründung:

„aa) Auf beiden Seiten ist zunächst die Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs zu berücksichtigen.

bb) Darüber hinaus ist aus Sicht des Senats auf beiden Seiten ein die Betriebsgefahr weiter erhöhendes unfallursächliches Verschulden der beteiligten Fahrzeugführer anzunehmen.

(1) Auf Seiten des Versicherten der Klägerin liegt – dies stellt die Klägerin nicht in Abrede – eine massive Tempoüberschreitung (nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen feststellbares Mindesttempo von 121 km/h statt erlaubter 50 km/h) vor. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung hat sich nach den auch insoweit nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen T (vgl. dazu schon S. 6 f. des im Ermittlungsverfahren erstatteten schriftlichen Gutachtens, Bl. 36 f. der BeiA 312 Js 340/11 Staatsanwaltschaft Arnsberg, sowie die diesbezüglichen Ausführungen vor dem Senat, S. 4 des Berichterstattervermerk i. V. m. der Anlage E 15) auch unfallursächlich ausgewirkt; danach hätte, wäre das Motorrad – namentlich zum Zeitpunkt der Reaktion seines Fahrers – nur mit den zulässigen 50 km/h bewegt worden, der PKW des Beklagten zu 1) den Kollisionsbereich bei Eintreffen des Motorrades in jedem Fall längst verlassen.

(2) Soweit das Landgericht in die Abwägung zu Lasten der Klägerin auch einen Verstoß ihres Versicherten gegen das Rechtsfahrgebot eingestellt hat, begegnet dies – unabhängig von der Frage der Vorwerfbarkeit der diesbezüglichen Ausweichreaktion – jedenfalls deshalb Bedenken, weil das Rechtsfahrgebot nicht den Schutz von aus Einmündungen einbiegender Verkehrsteilnehmer bezweckt (vgl. dazu nur Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27, Rdn. 58 f. m. w. Nachw. aus der Rechtsprechung). Auch eine relevante weitere Betriebsgefahrerhöhung vermag der Senat insoweit bei der hier gegebenen Konstellation nicht zu erkennen.

(3) Hauptstreitpunkt und für die Frage einer anteiligen Haftung der Beklagten entscheidend ist es, ob auch dem Beklagten zu 1) ein ins Gewicht fallendes unfallursächliches Verschulden, namentlich in Form einer Verletzung des – durch die massive Geschwindigkeitsüberschreitung nicht berührten – Vorfahrtrechts des Versicherten der Klägerin, anzulasten ist. Nach Auffassung des Senats ist dies nach dem Ergebnis der in dieser Instanz durchgeführten Parteianhörung und Beweisaufnahme – entgegen der Annahme des Landgerichts – zu bejahen.Der Beklagte zu 1) will – wie er letztlich bei seiner Anhörung durch den Senat auf Vorhalt seiner diesbezüglichen Angaben von Ende November 2012 beim Landgericht Arnsberg im Vorprozess (vgl. Bl. 98 R der beigezogenen Akten I-4 O 355/12 Landgericht Arnsberg) bestätigt hat und es aus Sicht des Senats auch geboten war – erst nach links, dann nach rechts und dann direkt vor dem tatsächlichen Abbiegebeginn nochmals nach links gesehen haben Der Sachverständige T hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass das nach seinen Feststellungen mit eingeschaltetem Fahrlicht von links aus der dortigen Kurve kommende Motorrad des Herrn D für den Beklagten zu 1) in jedem Fall zum Zeitpunkt des Anfahrentschlusses und des dabei gebotenen zweiten Linksblicks unmittelbar vor dem tatsächlichen Abbiegebeginn erkennbar war und der Beklagte zu 1) in jedem Fall auch bereits zum Zeitpunkt des von ihm angegebenen ersten Linksblicks das herannahende Motorrad hätte wahrnehmen können (vgl. dazu im Einzelnen die im Berichterstattervermerk auf S. 3 ff. niedergelegten Ausführungen hierzu i.V.m. den dort in Bezug genommenen Anlagen). Da der Beklagte zu 1) das Motorrad nach seinen Angaben erst deutlich nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen hat, ist davon auszugehen, dass er vor dem Abbiegen überhaupt nicht hinreichend nach von links herannahenden Fahrzeugen Ausschau gehalten und auf solche Fahrzeuge – namentlich auf das hier in Rede stehende Motorrad des Versicherten der Klägerin – geachtet hat. Hätte er dies mit hinreichender Sorgfalt getan, hätte er das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad bereits bei seinem ersten Linksblick und nochmals bei dem gebotenen zweiten Linksblick unmittelbar vor dem Anfahren in jedem Fall erkennen können und müssen. Dabei hätte er bei der hinsichtlich der Beobachtung des Motorrades gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit – wie dem Senat die im Senatstermin von allen Prozessbeteiligten eingesehenen Videoaufnahmen, Slideshows und Simulationen des Sachverständigen T verdeutlicht haben und wie es auch der Sachverständige bestätigt hat (vgl. S. 5 des Berichterstattervermerks) – zudem jedenfalls erkennen können und müssen, dass das Motorrad erheblich schneller als mit den erlaubten 50 km/h fuhr. Zwar war es nach den Ausführungen des Sachverständigen aus der Perspektive des an der Einmündung wartenden Beklagten zu 1) schwieriger, einzuschätzen, ob das Motorrad tatsächlich mit den festgestellten mindestens 121 km/h oder nur mit gut 100 km/h fuhr, bei denen es – so der Sachverständige (vgl. S. 5 des Berichterstattervermerks) – ohne jegliche Abwehrhandlung des Motorradführers zu keiner Kollision gekommen wäre. Gleichwohl hätte nach Auffassung des Senats der Beklagte zu 1) unter den hier gegebenen Umständen – eine hinreichende Ausschau nach links mit den vorgenannten Wahrnehmungen unterstellt – im Zweifel zuwarten müssen, hätte er in dieser Situation jedenfalls keinesfalls in der tatsächlich erfolgten langsamen Weise mit der vom Sachverständigen festgestellten nur geringen Beschleunigung abbiegen dürfen; vielmehr hätte er, wenn überhaupt, sein Abbiegemanöver zwecks sicherer Vermeidung jeglicher Behinderung oder gar Gefährdung des erkennbar mit deutlich überhöhtem Tempo herankommenden Motorradfahrers allenfalls zügig durchführen dürfen, wodurch nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen (vgl. S. 4 f. des Berichterstattervermerks) eine Kollision ebenfalls vermieden worden wäre.

cc) Bei dieser Sachlage ist es im Rahmen der Abwägung der vorgenannten beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt, den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) ganz hinter dem in der Tat massiven Verschulden des Versicherten der Klägerin zurücktreten zu lassen. Vielmehr erachtet der Senat angesichts der nach dem Vorstehenden feststehenden unfallursächlichen Vorfahrtverletzung des Beklagten zu 1), welche unter den hier gegebenen, oben erörterten Umständen auch keineswegs nur von geringem Gewicht ist, eine Haftungsverteilung von 70 : 30 zu Lasten der Beklagten für angemessen.W

Mutterschutz, Mutterschutz, oder: Man kann ein Urteil auch noch nach 7 Monaten unterzeichnen…

© Stefan Rajewski Fotolia .com

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Sicherlich nicht alltäglich ist/war die Fallgestaltung, über die das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2016 – 3 RBs 385/15 – zu entscheiden hatte. Es geht um Mutterschutz und die Frage der Unterzeichnung des Urteils. In einem Bußgeldverfahren war das nach eintägiger Hauptverhandlung am 20.03.2015 verkündete Urteil erst am 02.10.2015 in schriftlicher Form mit Gründen und Unterschrift zu den Akten gelangt. Ebenfalls vom 02.10.2015 datiert ein Vermerk der entscheidenden Richterin, der wie folgt lautet:

„Am 20.04.2015 musste ich stationär ins Krankenhaus. Im direkten Anschluss erhielt ich ein individuelles Beschäftigungsverbot. Hiernach folgte die Mutterschutzzeit, die bis zum 11.09.2015 andauerte. Insofern war mir eine frühere Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe nicht möglich“.

Die auf eine Verletzung des § 275 StPO gestützte Verfahrensrüge hatte beim OLG keinen Erfolg- Die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Das individuelle Beschäftigungsverbot und die Mutterschutzfristen stehen in ihren Auswirkungen der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung eines Richters, für die die Anwendung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, gleich.
  2. Eine Dienstpflicht der Richterin, während der bewilligten Elternzeit das schriftliche Urteil zu fertigen, besteht nicht; die im Rahmen einer überobligatorischen Leistung der Richterin gefertigten Urteilsgründe können daher nicht unter Verstoß gegen § 275 Abs. 1 StPO zu den Akten gebracht worden sein.
  3. Eine Höchstfrist für die nach § 275 Abs. 1 S. 4 StPO gerechtfertigte Fristüberschreitung lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen; eine an dem Gesetzeszweck der §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO orientierte Auslegung zwingt ebenfalls nicht zu der Annahme, nach Ablauf einer mit etwa einem Jahr zu bemessenden Fristüberschreitung sei das Urteil auf die Verfahrensrüge hin zwingend aufzuheben.

Zu Leitsatz 3 führt das OLG aus:

(4) Auch die absolute Zeitdauer zwischen der Verkündung des Urteils und der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe führt vorliegend nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils.

(a) In Literatur und Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang vertreten, die Fristüberschreitung dürfe sich im Rahmen des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO nur auf ein „vertretbares Maß“ im Sinne von Tagen oder wenigen Wochen beschränken, so dass eine Fristüberschreitung um fast ein Jahr nicht mehr hinnehmbar sei und zur Aufhebung nach § 338 Nr. 7 StPO führe (LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 275, Rdnr. 13; Julius in: Gercke/Julius/Temming u.a., StPO, 5. Aufl., § 275, Rdnr. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 275, Rdnr. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Mai 2004 – 1 Ss 85/04, […], Rdnr. 3; Thüringer OLG, Beschluss vom 8. April 2013 – 1 Ss Bs 8/13 (43), […], Rdnr. 6). In den zitierten Entscheidungen wird in diesem Zusammenhang auf den unzweifelhaft bestehenden Ausnahmecharakter der Regelung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO verwiesen. Ergänzend wird angeführt, der Ausgestaltung der Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO liege der Gedanke zugrunde, dass durch die Verzögerung der Urteilsabsetzung die Zuverlässigkeit, mit der die schriftlichen Urteilsgründe das Beratungsergebnis beurkundeten, gefährdet sei. Auch und gerade bei kleineren Verfahren bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren, die oft gleichgelagert seien, sei damit zu rechnen, dass das Erinnerungsbild des Richters schnell verblasse, weshalb ein Zeitraum von nahezu einem Jahr zwischen Urteilsverkündung und schriftlicher Urteilsabsetzung – auch unter Berücksichtigung der Belange der von der Entscheidung Betroffenen – nicht mehr tragfähig erscheine und zur Urteilsaufhebung führen müsse (Thüringer OLG, Beschluss vom 8. April 2013 – 1 Ss Bs 8/13 (43), […], Rdnr. 6; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Mai 2004 – 1 Ss 85/04, […], Rdnr. 3).

(b) Diese Auffassung teilt der Senat in dieser Allgemeinheit nicht. Eine Höchstfrist für die nach § 275 Abs. 1 S. 4 StPO gerechtfertigte Fristüberschreitung lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Eine an dem Gesetzeszweck der §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO orientierte Auslegung zwingt ebenfalls nicht zu der Annahme, nach Ablauf einer mit etwa einem Jahr zu bemessenden Fristüberschreitung sei das Urteil auf die Verfahrensrüge hin zwingend aufzuheben.

(aa) Die Auffassung, die Regelung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO erlaube nur Fristüberschreitungen in einem überschaubaren Rahmen von Tagen oder wenigen Wochen, findet in den Gesetzesmaterialien keine hinreichende Stütze. Die Vorschriften in §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO sind mit dem am 11. Dezember 1974 verkündeten Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) am 1. Januar 1975 in Kraft getreten. Nach § 275 Abs. 1 StPO des bis dahin geltenden Rechts war das Urteil mit den Gründen binnen einer Woche nach der Verkündung zu den Akten zu bringen, wobei es sich um eine Soll-Vorschrift handelte. Die Vorbereitung des 1. StVRG reicht bis in das Jahr 1970 zurück. Ein im Bundesjustizministerium erarbeiteter Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI/3478) wurde in der 6. Wahlperiode im April 1972 erstmals den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet, wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Herbst 1972 aber nicht mehr beraten. Den nur wenig veränderten Entwurf (BT-Drucks. 7/551) brachte die Bundesregierung in der 7. Wahlperiode im Frühjahr 1973 erneut ein. Die hier in Frage stehenden Regelungen zur Bestimmung einer neuen, zwingenden Frist zur Absetzung der schriftlichen Urteile in Strafsachen haben dabei im Zuge der parlamentarischen Beratungen im Vergleich zu den Gesetzentwürfen keine wesentlichen Änderungen erfahren und sind seit ihrem Inkrafttreten unverändert. Lediglich die Vorschrift des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO wurde aufgrund eines entsprechenden Anliegens des Bundesrates sprachlich anders gefasst als von der Bundesregierung zunächst vorgeschlagen (BT-Dr. 7/2600, S. 7, 36). Erklärtes Ziel der Neuregelung war nach den Gesetzesmaterialien eine Beschleunigung des Verfahrens und eine Abkürzung der Fristen, innerhalb derer schriftliche Urteile in Strafverfahren zu den Akten gebracht werden. Dazu war eine Auswertung von Revisionsverfahren vorgenommen worden, über die der Bundesgerichtshof entschieden hatte. Die in den Begründungen beider Regierungsentwürfe ebenfalls erwähnte Absicht, auch sicherzustellen, dass die Gründe besser mit dem Beratungsergebnis übereinstimmen, tritt demgegenüber erkennbar zurück (so auch Rieß, Die Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 I StPO), NStZ 1982, S. 441, Rdnr. 8). Eine Höchstfrist für die Überschreitung der durch unabwendbare Ereignisse gerechtfertigten Urteilsabsetzungsfrist spielte bei den parlamentarischen Beratungen zu § 275 Abs. 1 S. 4 StPO nach der vorliegenden Dokumentation keine Rolle. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber durch die gleichzeitig geschaffene Regelung in § 275 Abs. 1 S. 2 StPO, die gestaffelte Fristen für die Urteilsabfassung vorsieht, gezeigt, dass er durchaus Vertrauen in das Erinnerungsvermögen der erkennenden Richter an das Ergebnis Hauptverhandlung und der Beratungen auch nach langem Zeitablauf seit Verkündung des Urteils hat. Denn mit dieser Regelung wurde bewusst in Kauf genommen, dass das schriftliche Urteil nach lang andauernden Strafverfahren mit vielen Hauptverhandlungstagen unter Umständen erst nach Wochen oder Monaten zu den Akten gelangt. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung ist ein Beispielfall zitiert, wonach dann, wenn an mehr als 90, aber an nicht mehr als 100 Tagen verhandelt worden ist, insgesamt 25 Wochen für die Urteilsabsetzung zur Verfügung stehen (BT-Drucks. 7/551, S. 84, 85). Eine absolute Höchstfrist für die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe hat der Gesetzgeber dabei nicht vorgesehen.“

Überzeugt mich nicht so ganz. Denn die Begründungen und auch das zitierte Beispiel haben die landgerichtlichen Verfahren im Blick. Da sind aber am schriftlichen Urteil bei den großen Strafkammern, um die es geht/ging, meist zwei oder drei Berufsrichter beteiligt, die sich erinnern können…

Wie viel Marihuana passt in den Kofferraum eines Mercedes 350 CLS?

entnommen wikimedia.org Urheber nakhon100

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„Wie viel Marihuana passt in den Kofferraum eines Mercedes 350 CLS?“ So ähnlich hatte sich für das LG Dortmund die Frage in einem BTM-Verfahren gestellt. Da hatten die Angeklagten im Kofferraum eines Mercedes 350 CLS „zwei große schwarze Koffer vor [gefunden], die den Kofferraum fast gänzlich ausfüllten“. In denen befand sich Marihuana. Das LG hat dann zur Menge des Rauschgifts festgestellt:

„Da nicht festgestellt werden konnte, dass das später in Süddeutschland sichergestellte Marihuana auch das war, das sich in dem Fahrzeug der Angeklagten befunden hatte, hat die Kammer das Gewicht des in dem Fahrzeug des Angeklagten L gefundenen Marihuanas auf 5 kg geschätzt. Diese Schätzung beruht auf den Angaben der Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Im Übrigen haben auch die Angeklagten selbst erklärt, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana gehandelt habe.“

Dem OLG Hamm reicht das nicht. Es hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 05.01.2016 – 1 RVs 96/15 – auf:

aa) Zunächst ist im vorliegenden Fall die Schätzung der Rauschgiftmenge des in den beiden Koffern im Kofferraum des Mercedes 350 CLS aufgefundenen Marihuanas durch das Landgericht zu beanstanden. Insoweit ist ausgeführt, diese beruhe auf den Angaben der beiden Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Zu den konkreten Größenangaben findet sich in den Urteilsgründen hierzu lediglich die Feststellung, die beiden Koffer hätten den Kofferraum „fast gänzlich ausgefüllt“. Angaben zur tatsächlichen Größe des Kofferraums und der Koffer werden dagegen nicht gemacht. Zudem bleibt offen, ob sich diese Angabe neben Länge und Breite auch auf die Höhe der beiden Koffer bezogen hat. Insoweit ist anzumerken, dass in allgemein zugänglichen Quellen z.B. selbst für die Coupéversion des Mercedes 350 CLS die Kofferraumgröße mit 520 Litern angegeben ist (vgl. http://www.autobild.de/artikel/mercedes-cls-350-cdi-test-1288344.html), so dass unter Berücksichtigung selbst des Volumens großer Reisekoffer von bis zu 150 Litern die Feststellung, der Kofferraum sei durch zwei Koffer „fast gänzlich“ ausgefüllt gewesen, nicht ohne Weiteres schlüssig erscheint. Ferner ist auch nicht festgestellt, ob die in den Koffern aufgefundenen Plastikbeutel eher lockeres oder stark verdichtetes Pflanzenmaterial enthielten, so dass ggfls. nachvollziehbare Rückschlüsse auf ein zugrunde zu legendes spezifisches Gewicht des abgepackten Marihuana möglich wären. Die Schätzung, es habe sich im zu beurteilenden Fall um mindestens 5 kg Marihuana gehandelt, ist aber auch deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt, weil die Kammer nicht mitteilt, worin ihre konkreten Erfahrungen hierzu als Spezialkammer begründet sind (BGH NStZ-RR 2015, 77).“

Fracke, oder: Wie schätze ich Mietwagenkosten?

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Ein häufiger Streitpunkt bei der Unfallschadenregulierung sind die Mietwagenkosten. So auch bei einem Verkehrsunfall aus dem Jahr 2004. Der Kläger hatte im Verfahren (seine) Mietwagenkosten nicht konkret nachweisen. Es war nämlich nicht klar, ob er beim Anmieten des genutzten Ersatzfahrzeugs dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügt hatte. Das OLG ist im OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2016 – 9 U 142/15 – dann davon ausgegangen, dass der Schaden Des klägers insoweit nach dem angemessenen Normaltarif zu schätzen sei. Dabei komme es nicht darauf an, zu welchen Konditionen der Kläger einen Mietwagen erlangt hätte, wenn er dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprochen hätte.

Es stellte sich dann die Frage: Auf welche Marktpreiserhebungen ist abzustellen, auf die ?Schwacke-Liste? oder den Fraunhofer-Marktpreisspiegel. Beide sind nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich geeignete Schätzungsgrundlagen.

Das OLG findet eine salomonische Lösung: Es geht den Mittelweg und stellt auf die in der Rechtsprechung auch vertretene Mittelwertmethode ?Fracke? ab:

„7.4 Berücksichtigt man die allgemein aufgezeigten Vor- und Nachteile sowohl des Schwacke Automietpreisspiegels als auch des Fraunhofer Marktpreisspiegels Mietwagen, so erscheint es dem Senat in der Tat sachgerecht, keine der beiden Listen isoliert heranzuziehen, sondern im Rahmen der dem Gericht offenstehenden freien Schätzung des angemessenen Normaltarifs gemäß § 287 ZPO auf den Mittelwert zwischen den beiden Markterhebungen abzustellen. Die jüngste Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (MDR 2015, 454, bestätigt im weiteren Urteil v. 21.04.2015 – I-1 U 114/14, zitiert nach juris), die zum Teil auch mit den dortigen regionalen Verhältnissen argumentiert, gibt dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Zwar bedeutet die Mittelwertlösung in der praktischen Anwendung etwas Mehraufwand; dieser hält sich aber in überschaubaren und vertretbaren Grenzen. Da beide Listen ihre Vor- und Nachteile haben, erscheint die Mittelweglösung immer noch am ehesten als Grundlage einer zuverlässigen Schätzung  gem. § 287 ZPO geeignet. Der Senat hält es auch für wenig konsequent, wenn das OLG Düsseldorf einerseits die Schwacke-Liste bei der Ermittlung des Normaltarifs als Schätzungsgrundlage gänzlich verwirft, dann aber bei der Bemessung der Nebenkosten – konkret für Winterreifen – dann (mangels anderweitiger Erhebungen hierzu) doch wieder die Schwacke-Liste heranzieht (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urteil v. 21.04.2015 – I-1 U 114/14, zitiert nach juris, dort Rdn. 14 im juris-Ausdruck). Eine Einheitlichkeit der obergerichtlichen Rechtsprechung – namentlich in NRW – besteht ohnehin nicht und wird sich auch kaum erreichen lassen, wie die bisherige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (u.a. in NRW) und auch das Ergebnis der vom Senat eingeholten Stellungnahmen der Haftpflichtsenate des OLG Hamm belegen; der BGH will sich ersichtlich nicht festlegen und hält letztlich i.R. des § 287 ZPO alle zur umstrittenen Schätzungsgrundlage vertretenen Auffassungen für vertretbar (vgl. dazu nochmals BGH, NJW 2013, 1539, dort Rdn. 10 f. im juris-Ausdruck sowie BGH, NJW-RR 2010, 1251, dort Rdn. 4 im juris-Ausdruck).8.Auf Basis der danach vom Senat zugrunde gelegten Mittelwertlösung ist zur konkreten Vorgehensweise bei der Schätzung – soweit hier relevant – noch ergänzend auszuführen:8.1Bei der Schätzung des angemessenen Normaltarifs kann aus Sicht des Senats hinsichtlich der Fraunhofer-Erhebung auf die Liste für zweistellige Postleitzahlbezirke bzw. für die 20 größten Städte, also allein auf die Internet-Erhebung abgestellt worden, und können die von Fraunhofer – lediglich für einstellige Postleitzahlbereiche ermittelten – Preise laut telefonischer Erhebung auch aus Gründen der besseren Praktikabilität unberücksichtigt bleiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Erhebung nur für den einstelligen Postleitzahlbereich doch reichlich ungenau erscheint. Zudem war die Zahl der bei der Internet-Erhebung ermittelten Preise um ein Vielfaches höher als die Zahl der telefonisch ermittelten Preise (vgl. dazu S. 26 ff. des Fraunhofer-Mietpreisspiegels 2014). Die Unterschiede zwischen den via Internet und den telefonisch ermittelten Preisen waren – jedenfalls bei der hier gegebenen längeren Anmietdauer und der unstreitig angemieteten Fahrzeugklasse 6 – auch überschaubar (vgl. dazu S. 65 f. der Fraunhofer-Erhebung 2014). Durch die Bildung des Mittelwertes zwischen Schwacke und Fraunhofer wird den Unterschieden ohnehin hinreichend Rechnung getragen. Da Fraunhofer für die Stadt D – in Anhang B 2 – besondere Internet-Erhebungswerte ausweist, ist hier auf diese Werte zurückzugreifen.  8.2Bei den Listenwerten kann aus Sicht des Senats jeweils auf das in beiden Erhebungen ausgewiesene arithmetische Mittel abgestellt werden.“

Damit ist die Frage für den Bezirk des OLG Hamm dann wohl auch entschieden.