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Nebenklage II: Ich will einen Nebenklägerbeistand, oder: Wann muss er bestellt werden?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 Ws 35/21 –, nimmt das OLG Hamm zur der Frage Stellung, wann der Nebenkläger einen Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands hat.

Die Staatsanwaltschaft hat dem u. a. einen Totschlagsversuch vorgeworfen.  Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Es sei schon nicht wahrscheinlich, dass sich ein bedingter Tötungsvorsatz feststellen lasse, jedenfalls werde anzunehmen sein, dass die beiden Angeklagten strafbefreiend zurückgetreten seien. Die Strafkammer hat dann antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Der Vorsitzende hat aber die beantragte Beiordnung eines des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei. Dagegen die erfolgreiche Beschwerde:

„1. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380: Dort wurde eine solche Möglichkeit in einem Fall bejaht, in dem das Tatgericht bereits einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen und der Nebenkläger die Beistandsbeiordnung für die Revisionsinstanz beantragt hatte; BGH NStZ 2000, 552; BGH NStZ-RR 2008, 352, 353). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196). Dies ergibt sich daraus, dass § 397a Abs. 1 StPO – anders als etwa § 112 StPO oder § 170 StPO – nicht auf einen bestimmten Verdachtsgrad abstellt, sondern auf ein Verletztsein durch bestimmte Straftaten. Dabei kommt es aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf an, dass bereits die Verletzteneigenschaft feststeht oder für sie bereits ein bestimmter Verdachtsgrad besteht. Vielmehr soll dem Verletzten durch seine Stellung als Nebenkläger die Möglichkeit eingeräumt werden, aktiv auf das Verfahrensergebnis einzuwirken (BT-Drs. 10/5305 S. 11). Diese Möglichkeit würde geschmälert, wenn man ihm einen rechtlichen Beistand in scheinbar aussichtslosen Fällen verweigert. Er wäre dann eventuell gar nicht in der Lage, in seinem Sinne auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Dementsprechend kann es auf irgendwie geartete Erfolgsaussichten für Beistandsbeiordnung ebenso wenig ankommen, wie dies bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO der Fall ist. Bei dieser hat der Gesetzgeber bewusst von dem Erfordernis der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht Abstand genommen (BT-Drs. 10/5305 S. 14; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 397 Rdn. 9). In Anlehnung an die Verletzteneigenschaft i. S. v. § 172 StPO (vgl. zu dieser Parallele OLG Koblenz, Beschl. v. 30.05.1988 – 2 VAs 3/88 – juris LS; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 406d Rdn. 1) kann daher eine Beistandsbestellung nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Bezug auf den Nebenkläger vor. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Nebenklägers durch die Angeklagten mit einem Gegenstand und womöglich auch mit dem beschuhten Fuß (vgl. Bl. 1571 d.A.) besteht – wie auch in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt – jedenfalls die Möglichkeit, dass die Angeklagten die Tötung des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen haben. Anders als in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, erscheint dem Senat auch das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags nicht so evident, dass eine Verfolgung des Ziels einer entsprechenden Verurteilung der Angeklagten als schlechthin ausgeschlossen und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint. So hat der Zeuge C in seiner Vernehmung vom 30.08.2020 (Bl. 213) angegeben: „Die Blutrünstigkeit und der Klärungsbedarf unter den Beteiligten war so intensiv, dass die Lage sich erst beruhigte, als die Blaulichter den Q [Straße des Tatortes, Anm. d. Senats] herunterfuhren.“ Insoweit käme es auf in der Hauptverhandlung zu klärende Details an, etwa wie nah die Polizei bereits war, als die Angeklagten sie bemerkten, welche Möglichkeiten sie noch sahen, bis zu deren Einschreiten den Nebenkläger tatsächlich zu Tode bringen zu können oder ob sich das Nahen der Polizei für die Angeklagten als unvertretbare Risikoerhöhung (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 9, 10) darstellte und sie nur deswegen auf eine Fortsetzung ihres Tuns verzichteten.“

StGB III: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Dann versetze ich mich eben (selbst) in den Dienst

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Und bei der letzten Entscheidung des Tages handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.2020 – 4 RVs 123/20.

Leider hat der Beschluss keinen Sachverhalt. Man kann also nur vermuten, worum es gegangen ist. Es hat sich um ein Verfahren nach § 113 StGB gehandelt, in dem wohl die Frage eine Rolle gespielt hat, ob der (verletzte [?]) Polizeibeamte „im Dienst“ war. Das OLG bejaht:

„1. Der Nebenkläger, der in seiner Freizeit unterwegs war, konnte sich als Polizeibeamter in den Dienst versetzen (vgl. OLG Hamburg NJW 1976, 2174). Dies hat er auch wirksam getan, da er zum Zwecke der Strafverfolgung (§ 163 StPO) eingeschritten ist und die Diensthandlung in seinem sachlich und örtlich zuständigen Bereich vorgenommen hat (vgl. hierzu: VG Würzburg, Urteil v. 03.03.2015 – W 1 K 13.366).

2. Die vom Nebenkläger vorgenommene Diensthandlung war auch rechtmäßig im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB. Nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 113 Rdnr. 11 m.w.N.) kommt es nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, auf die formelle Rechtmäßigkeit der Diensthandlung an. Diese ist vorliegend gegeben. Der Nebenkläger war sachlich und örtlich bei Vorliegen eines Anfangsverdachts (§ 163 StPO) einer Straftat (§ 17 TierSchG)  zuständig. Zudem hat er der Angeklagten eröffnet, welcher Straftat er sie beschuldigt und sie entsprechend belehrt. Die ergriffenen Maßnahmen zur Feststellung der Personalien der Angeklagten waren nach § 163 b StPO zulässig, geboten und nicht unverhältnismäßig, da eine mildere Maßnahme, wie etwa das Notieren des Kfz-Kennzeichens, nicht die erforderliche Sicherheit zur Feststellung der Identität der Angeklagten bot. Zudem hätte die Angeklagte das Festhalten durch den Nebenkläger unschwer abwenden können, da sie ihren Personalausweis bei sich trug.“

Haft II: Unrechtmäßige Strafhaft, oder: Wie hoch ist die Entschädigung/das Schmerzensgeld/Tag?

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Die zweite Entscheidung des Tages behandelt die Frage der Entschädigung für unrechtmäßig erlittene Haft.

Ergangen ist der OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 W 67/20 – in einem PKH-Verfahren.

Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 839 BGB, Art.34 GG für eine zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungshaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018.

Der Antragsteller wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des LG Hagen vom 21.03.2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht. Das Urteil wurde am Tag der Verkündung rechtskräftig. Vor Erlass des Strafurteils war der Antragsteller per Unterbringungsbefehl in der Zeit vom 12.10.2017 bis zum 21.03.2018 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Der Unterbringungsbefehl wurde am letzten Tag der Hauptverhandlung aufgehoben.

Am 25.10.2018 erließ die Staatsanwaltschaft Hagen einen Strafvollstreckungshaftbefehl aufgrund des Urteils vom 21.03.2018. Dabei blieb unberücksichtigt, dass die Zeit der Unterbringung auf die Strafhaft anzurechnen war, daher erging der Haftbefehl zu Unrecht. Am 13.11.2018 wurde der Antragsteller auf Grund des Haftbefehls festgenommen und in die JVA Hagen zur Verbüßung der Strafhaft überstellt. Am 27.11.2018 fiel die unrechtmäßige Inhaftierung des Antragstellers auf, er wurde am gleichen Tag entlassen.

Der Antragsteller macht wegen der rechtswidrigen Inhaftierung einen Schmerzensgeldanspruch gegen das Land NRW geltend. Vorgerichtlich zahlte das Land ein Schmerzensgeld von 600,00 € (= 40,00 €/Tag) und erstattete dem Antragsteller Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.

Der Antragsteller beantragt jetzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine u.a. auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen gerichtete Klage.

Das LG hat hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiese. Das OLG hat teilweise bewilligt,

„Die gem. §§ 127 Abs.2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die beabsichtigte Klage des Antragstellers hat Aussicht auf Erfolg, soweit er wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 600,00 € weitere 900,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 54,15 € verlangt.

1. Dass dem Antragsteller wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 gegen das antragsgegnerische Land dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 839, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG zusteht, steht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens außer Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Antragstellers zuzuerkennenden angemessenen Schmerzensgeldes.

Der Senat bemisst das angemessene Schmerzensgeld nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umständen für die 15 Tage unrechtmäßig erlittener Haft auf einen Betrag von insgesamt 1.500,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend, um das erlittene Unrecht auszugleichen und dem Antragsteller Genugtuung zu verschaffen.

Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die Dauer der erlittenen Haft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Antragstellers während der Haft sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens ausschlaggebend.

Im Ausgangspunkt sind die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das antragsgegnerische Land folgen der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen einer unrechtmäßig erlittenen Haft – wie eine Reihe weiterer Oberlandesgerichte – regelmäßig auf die Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG abstellt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2001, Az.: 11 W 23/01, Tz.10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2011, 10 W 14/11, Tz. 29; OLG München, Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, Tz.62, alle zitiert nach juris; Senat, Urt. v. 15.08.2018, Az.: 11 U 138/17). Des Weiteren nimmt der Senat – wie auch das Landgericht – die Rechtsprechung des EGMR in den Blick, wonach durchgängig rund 500,00 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen gesehen werden (vgl. Urt. v. 19.04.2012, 61272/09; Urt. v. 19.01.2012, 21906/09; Urt. v. 24.11.2011, 48038/06; Urteile v. 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urt. v. 17.12.2009, 19359/04). Die von anderen Oberlandesgerichten angenommenen Schmerzensgeldbeträge für eine rechtswidrig erlittene Haft haben sich bisher in einem Bereich zwischen 20,00 € u. 40,00 €/Tag bewegt. Der Senat hat bisher regelmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung einen Betrag von 40,00 €/Tag zu Grunde gelegt, da er es für erforderlich hält, die sich nach dem StrEG und der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Beträge angemessen zu erhöhen, um den Umständen Rechnung zu tragen, dass die Haft, anders als die nach dem StrEG zu entschädigenden Fälle, unrechtmäßig angeordnet worden ist, und, anders als die wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 EMRK zugesprochenen Entschädigungen, auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht.

Der Senat berücksichtigt bei der Bemessung des in Betracht kommenden angemessenen Schmerzensgeldes außerdem die zum 08.10.2020 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs.3 StrEG, wonach die Entschädigung für jeden angefangenen Tag einer (rechtmäßig) angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € beträgt. Da die geänderte Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Tag ihres Inkrafttretens maßgeblich ist (BT Drs 19/17035, S.7), orientiert sich der Senat bei der hier vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldbetrages an der nunmehr gültigen Fassung des StrEG. Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass der Betrag nach dem StrEG bei rechtswidriger und schuldhafter Anordnung der Haft angemessen zu erhöhen ist. Nach Abwägung der im vorliegenden Fall vorgetragenen Umstände des Einzelfalls bemisst der Senat das Schmerzensgeld für die in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 erlittene Haft mit einem Betrag von insgesamt 1.500,00 €, worauf das antragsgegnerische Land vorgerichtlich bereits 600,00 € gezahlt hat.

Konkrete Umstände, die abweichend von der Praxis des Senats die Zahlung eines deutlich von den Eckbeträgen des StrEG und der EMRK abweichenden Schmerzensgeldes erforderlich machen, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargetan. Von daher besteht keine Veranlassung dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes zu bewilligen, allein damit über sein Begehren im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann. Da die der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde liegenden Umstände unstreitig sind, bedarf es keiner weiteren Klärung durch ein Hauptsacheverfahren. Die Bestimmung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes betrifft außerdem lediglich den vorliegenden Einzelfall, so dass im Hauptsacheverfahren keine grundsätzlichen Fragen zu klären sind. Auch die von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe rechtfertigen keinen anderen Ansatzpunkt für die Schmerzensgeldbemessung. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit dem Beschluss vom 07.03.2018, 1 U 1025/17, die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, dass das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 400,00 € zum Ausgleich für eine unrechtmäßige Ingewahrsamnahme von 13 Stunden angemessen und ausreichend sei. Keineswegs ergibt sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass eine unrechtmäßige Freiheitsentziehung mindestens ein Schmerzensgeld von 400,00 €/Tag erforderlich erscheinen lässt. Soweit der Antragsteller zutreffend darauf hinweist, dass das Oberlandesgericht München wegen zu Unrecht verhängter Beugehaft mit Urteil vom 27.05.1993, Az.: 1 U 6228/92, ohne Rücksicht auf die Entschädigungsbeträge nach dem StrEG ein Schmerzensgeld von 1.500,00 DM wegen 4 Tage unrechtmäßig angeordneter Haft für angemessen gehalten hat, ist die Entscheidung durch die nachfolgende Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München überholt (vgl. Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, veröffentlicht bei juris). Dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12.11.2015, Az.: 9 U 78/11, lag schließlich ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem dortigen Verfahren ist dem Kläger für eine zweimonatige rechtswidrige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € zugesprochen worden, wobei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Unterbringung mit einer Zwangsmedikation einhergegangen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz.56 – juris).“

Nebenklage II: Nebenklagebeistand, oder: (Geringe) Bestellungsvoraussetzungen

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In der zweiten Entscheidung zur Nebenklage, dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 Ws 35/21 – wird die Frage der Bestellung eines Nebenklagebeistandes (§ 397a StPO) behandelt.

Die Anklage wirft den Angeklagten (u. a.) vor, „gemeinschaftlich und tateinheitlich handelnd, a) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen versucht zu haben, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein, b) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen andere Personen mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei in einem Fall die verletzte Person in Siechtum, Lähmung und geistige Krankheit oder Behinderung verfiel“. Hintergrund des Tatvorwurfes ist, dass der Nebenkläger zusammen mit seinem Bruder am pp. in U gegen Mitternacht den Angeklagten F überfallen und ihm Marihuana mit einem Nettogewicht von 360,91 Gr und einem THC-Gehalt von 60,2 Gr entwendet haben soll. Den auf der Flucht befindlichen Brüdern sollen die Angeklagten nachgesetzt haben. Der Bruder des Nebenklägers soll auf der Flucht zu Fall gekommen sein. Nach dem Anklagevorwurf soll er von dem Angeklagten P sodann mehr als 30 mal mit Fäusten und Tritten gegen Kopf und Oberkörper traktiert worden sein, während der Angeklagte F im einverständlichen Zusammenwirken mit P auf den Kopf des zu seinem Bruder geeilten Nebenklägers eingeschlagen und eingetreten haben soll. Anschließend soll auch der Angeklagte P dem Nebenkläger einen wuchtigen Schlag mit einem Gegenstand gegen den Kopf versetzt haben, hernach soll der Angeklagte F diesem kraftvoll gegen den Kopf getreten haben. Die Angeklagten sollen hierbei den Tod des Nebenklägers und seines Bruders zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Während der Bruder des Nebenklägers nach mehrfacher Notoperation mit schwersten Hirnverletzungen immer noch im Koma liegt, soll der Nebenkläger u.a. multiple Mittelgesichtsfrakturen (beidseitiger Bruch des Jochbeins, der Kieferhöhlen und der Augenhöhlenböden) erlitten haben. Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Mit Beschluss vom 21.01.2021 hat das LG antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Vorsitzende der Strafkammer die beantragte Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei.

Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380: Dort wurde eine solche Möglichkeit in einem Fall bejaht, in dem das Tatgericht bereits einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen und der Nebenkläger die Beistandsbeiordnung für die Revisionsinstanz beantragt hatte; BGH NStZ 2000, 552; BGH NStZ-RR 2008, 352, 353). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196). Dies ergibt sich daraus, dass § 397a Abs. 1 StPO – anders als etwa § 112 StPO oder § 170 StPO – nicht auf einen bestimmten Verdachtsgrad abstellt, sondern auf ein Verletztsein durch bestimmte Straftaten. Dabei kommt es aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf an, dass bereits die Verletzteneigenschaft feststeht oder für sie bereits ein bestimmter Verdachtsgrad besteht. Vielmehr soll dem Verletzten durch seine Stellung als Nebenkläger die Möglichkeit eingeräumt werden, aktiv auf das Verfahrensergebnis einzuwirken (BT-Drs. 10/5305 S. 11). Diese Möglichkeit würde geschmälert, wenn man ihm einen rechtlichen Beistand in scheinbar aussichtslosen Fällen verweigert. Er wäre dann eventuell gar nicht in der Lage, in seinem Sinne auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Dementsprechend kann es auf irgendwie geartete Erfolgsaussichten für Beistandsbeiordnung ebenso wenig ankommen, wie dies bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO der Fall ist. Bei dieser hat der Gesetzgeber bewusst von dem Erfordernis der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht Abstand genommen (BT-Drs. 10/5305 S. 14; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 397 Rdn. 9). In Anlehnung an die Verletzteneigenschaft i. S. v. § 172 StPO (vgl. zu dieser Parallele OLG Koblenz, Beschl. v. 30.05.1988 – 2 VAs 3/88 – juris LS; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 406d Rdn. 1) kann daher eine Beistandsbestellung nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Bezug auf den Nebenkläger vor. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Nebenklägers durch die Angeklagten mit einem Gegenstand und womöglich auch mit dem beschuhten Fuß (vgl. Bl. 1571 d.A.) besteht – wie auch in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt – jedenfalls die Möglichkeit, dass die Angeklagten die Tötung des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen haben. Anders als in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, erscheint dem Senat auch das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags nicht so evident, dass eine Verfolgung des Ziels einer entsprechenden Verurteilung der Angeklagten als schlechthin ausgeschlossen und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint. So hat der Zeuge C in seiner Vernehmung vom 30.08.2020 (Bl. 213) angegeben: „Die Blutrünstigkeit und der Klärungsbedarf unter den Beteiligten war so intensiv, dass die Lage sich erst beruhigte, als die Blaulichter den Q [Straße des Tatortes, Anm. d. Senats] herunterfuhren.“ Insoweit käme es auf in der Hauptverhandlung zu klärende Details an, etwa wie nah die Polizei bereits war, als die Angeklagten sie bemerkten, welche Möglichkeiten sie noch sahen, bis zu deren Einschreiten den Nebenkläger tatsächlich zu Tode bringen zu können oder ob sich das Nahen der Polizei für die Angeklagten als unvertretbare Risikoerhöhung (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 9, 10) darstellte und sie nur deswegen auf eine Fortsetzung ihres Tuns verzichteten.“

StGB II: Vergewaltigung, oder: Willensunfähigkeit

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2021 – 4 RVs 10/21 – zur Frage der Vergwaltigung – Stichwort: Willensunfähigkeit.

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Nach den (zusammengefassten) Feststellungen des Landgerichts, welches von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 StGB ausgeht, beförderte der Angeklagte am 00.00.2017 kurz nach Mitternacht als Taxifahrer in dem von ihm geführten Taxi die damals 17-jährige, sexuell noch unerfahrene, bei ihren Eltern lebende und stark alkoholisierte Nebenklägerin von einer Feier nach Hause. Dort angekommen stellte die Nebenklägerin fest, dass sie ihre Handtasche mit dem ihr von den Eltern zur Verfügung gestellten Fahrgeld und den Haustürschlüsseln auf der Feier vergessen hatte. Der Angeklagte telefonierte sodann mit dem auf der Feier noch befindlichen Bruder der Nebenklägerin, welche zuvor die Verbindung auf ihrem Mobiltelefon hergestellt hatte. Dieser besprach mit dem Angeklagten, dass er bei den Eltern klingeln solle, um sein Geld zu bekommen. Die Nebenklägerin musste sich mehrfach übergeben. Angesichts ihres Zustandes (die Eltern hatten ihr den Genuss von „hartem“ Alkohol untersagt, den sie aber gleichwohl konsumiert hatte) wollte die Nebenklägerin nicht, dass die Eltern geweckt werden. Der Angeklagte klingelte nicht an deren Tür. Er erkannte den Zustand der Nebenklägerin, insbesondere, dass sie alkoholbedingt „motorisch sowie in ihrer Fähigkeit, einen klaren Willen zu bilden oder gar zu äußern, eingeschränkt war“ und machte sich diesen in der Folge zu nutze: Er verbrachte die Nebenklägerin auf die Rückbank seines Taxis, legte sich zu ihr, entblößte ihren Unterleib, drückte ihr linkes Bein so zur Seite, dass auf der inneren Oberschenkelseite zwei Hämatome entstanden, und führte mit der Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch.“

Das AG hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat dann das LG verworfen.Das OLG hat auf die Revision hin aufgehoben.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Die Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

  2. Eine erhebliche Einschränkung der Fähigkeit zur Bildung oder Äußerung des Willens i.S.v. § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist gegeben, wenn die Fähigkeit des Opfers, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern gegenüber Personen ohne eine Beeinträchtigung deutlich herabgesetzt – aber noch nicht aufgehoben – ist. Dies kann namentlich daran liegen, dass das Tatopfer zustandsbedingt die Situation nicht in ihrer Tragweite oder nicht schnell genug erfasst oder Wahrnehmungsstörungen hat. Es kann auch daran liegen, dass es wegen kurzzeitiger Bewusstlosigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen etc. in der Willensbildung oder Willensäußerung eingeschränkt ist.

  3. Die tatrichterliche Wertung, dass der Täter einen Zustand des Opfers im Sinne v. § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgenutzt hat, setzt bzgl. des Vorliegens des Zustands eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände, auch solcher, die gegen das Vorliegen eines solchen Zustands sprechen können, voraus.