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OWi I: Nochmals BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: Wie geht das OLG Hamburg damit um?

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Urheber Jepessen

Heute dann ein OWi-Tag.

Und ich eröffne den Reigen mit dem OLG Hamburg, Beschl. v.  02.03.2021 –  2 RB 5/21 – zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18. Der Betroffene hatte gegen seine Verurteilung Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt, ohne Erfolg:

„3. Die Aufhebung des Urteils ist auch nicht wegen Versagung des rechtlichen Gehörs i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geboten.

a) Eine – in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit der Verfahrensrüge geltend zu machende (vgl. Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16a) – Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nach den für die Auslegung des Art. 103 Abs. 1 GG maßgebenden Grundsätzen zu bestimmen (vgl. nur Seitz/Bauer aaO. m.w.N.). Der Anspruch ist insbesondere verletzt, wenn ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet hat, zu denen dieser nicht gehört worden ist (Seitz/Bauer aaO. m.w.N.; vgl. auch KK-StPO/Maul § 33a Rn. 3). Daneben umfasst der Anspruch das Recht, Kenntnis von Anträgen und Rechtsausführungen anderer Verfahrensbeteiligter zu erhalten, sich hierzu äußern und das eigene Prozessverhalten darauf einstellen zu können (LR/Graalmann-Scheerer § 33a Rn. 3 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 33a Rn. 1). Außerdem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. nur BVerfG Beschl. v. 10. Februar 2020, Az.: 2 BvR 336/19 m. zahlr. Nachw. (juris)).

Vor diesem Hintergrund kann der Anspruch auf rechtliches Gehör unter anderem dann verletzt sein, wenn dem Betroffenen für eine Äußerung zu verfahrensrelevanten Umständen unzureichende Zeit zur Verfügung stand, wenn das Gericht kurzfristig einen nicht angekündigten Beweis erhoben und verwertet hat, oder wenn ein Beweisantrag nicht beschieden oder unter deutlichem Verstoß gegen § 77 OWiG zurückgewiesen worden ist (vgl. Seitz/Bauer aaO. Rn. 16b m.w.N.).

b) Der Betroffene hat mit seiner Rechtsbeschwerde „die Verletzung des rechtlichen Gehörs“ gerügt und dazu zusammengefasst vorgebracht, sein Verteidiger habe mit an die Bußgeldstelle gerichtetem Schreiben vom 28. April 2020 beantragt, zum Zwecke der Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung verschiedene Unterlagen bzw. Daten „beizuziehen“, darunter „die Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie die Statistikdatei und die Case-List“. Die „Bußgeldstelle“ habe nicht reagiert.

Der Antrag sei dann auch in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 24. September 2020 gestellt worden, verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Beiziehung und Überprüfung der Unterlagen. Das Amtsgericht habe beides zurückgewiesen.

Außerdem habe die Verteidigung in der Hauptverhandlung einen auf die Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens „unter Beiziehung“ verschiedener Unterlagen gerichteten Beweisantrag gestellt, nach dessen Inhalt sich aus der Beweiserhebung die „Fehlerhaftigkeit der Messung“ „respektive“ der Umstand habe ergeben sollen, dass eine Überprüfung der Messung mangels fehlender Unterlagen nicht möglich sei. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen.

Schließlich habe die Verteidigung gegenüber dem Amtsgericht noch beantragt, „bei der LBV-VÜ 21 die Annulierungsrate bezüglich der streitgegenständlichen Messung vom 24.01.2020 bis zum 30.01.2020 zu ermitteln, da nur so die Frage der Messbeständigkeit im Rahmen des einzuholenden SV-Gutachtens geprüft werden könne“. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen. In der Hauptverhandlung sei hinsichtlich sämtlicher zurückweisenden Beschlüsse die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs gerügt worden.

c) Die hiermit geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden Daten und Unterlagen zum Zwecke der Überprüfung des Ergebnisses der Geschwindigkeitsmessung stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. ausführlich: KG Beschl. v. 2. April 2019, Az.: 3 Ws (B) 97/19 (juris); ferner BayObLG Beschl. v. 4. Januar 2021, Az.: 202 ObOWi 1532/20; BayObLG Beschl. v. 6. April 2020, Az.: 201 ObOWi 291/20 (juris); OLG Hamm, Beschl. v. 1. Januar 2019, Az.: III-4 RBs 377/18 (juris); KG Beschl. v. 1. November 2018, Az.: 3 Ws (B) 253/18 (juris); OLG Bamberg Beschl. v. 13. Juni 2018, Az.: 3 Ss OWi 626/18 (juris)).

Dies entspricht zugleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unabhängig von der Frage, inwieweit der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, dieses jedenfalls auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten beschränkt ist (BVerfG Beschl. v. 12. Januar 1983, Az.: 2 BvR 864/81 (juris)). Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner maßgeblichen Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Verweigerung des Zugangs zu Daten und Informationen, die der Betroffene aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung für die Beurteilung des gegen ihn gerichteten Ordnungswidrigkeitenvorwurfs zumindest theoretisch für bedeutsam halten darf, die Frage einer Verletzung der Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG zwar nicht ausdrücklich erörtert. Es hat aber eine Gehörsverletzung nicht festgestellt, obwohl diese im dortigen Verfahren ausdrücklich gerügt worden war (BVerfG Beschl. v. 12. November 2020, Az.: 2 BvR 1616/18 (juris)).

Im Übrigen erscheint eine die Aufhebung des Urteils i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG gebietende und mithin entscheidungserhebliche Beeinflussung der amtsgerichtlichen Entscheidung durch Umstände, die dem Amtsgericht nicht bekannt geworden sind, auch denklogisch nur schwer vorstellbar. Die weiteren sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. oben Ziff. 3. a)) sind ebenfalls nicht berührt.

d) Soweit schließlich, ausgehend von dem Zweck des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, absehbar erfolgreichen Verfassungsbeschwerden entgegenzuwirken, eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung der Regelung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG befürwortet wird (vgl. dazu Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16e m.w.N.), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Einer erweiternden Auslegung steht bereits der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Im Übrigen ist der Weg analoger Anwendung der Vorschrift auf andere Rechtsverletzungen in Ermangelung einer erkennbaren Regelungslücke nicht eröffnet. Aus der Begründung des Gesetzgebers zur Regelung in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geht hervor, dass der Gesetzgeber die mit der beschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde in Fällen von geringer Bedeutung bezweckte Entlastung der Gerichte lediglich insoweit begrenzen wollte, als er es als „unbefriedigend“ eingeschätzt hat, „wenn in den Fällen, in denen das rechtliche Gehör versagt worden ist, die Rechtsbeschwerde unter diesem Gesichtspunkt nicht zugelassen wird, so daß letztlich das Bundesverfassungsgericht bemüht werden muß, um diesen Verfassungsverstoß zu beseitigen“ (BT-Drs. 10/2652 S. 29). Demnach hat der Gesetzgeber die Erweiterung der Zulassungsgründe des § 80 Abs. 1 OWiG bewusst auf Fälle entscheidungserheblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs begrenzt. Dass ihm dabei die Möglichkeit einer noch weitergehenden Vermeidung absehbarer Verfassungsbeschwerden durch Erweiterung des Kreises der dafür in Betracht kommenden (Grund-)Rechtverletzungen nicht vor Augen stand, und mithin von einer entsprechenden weitergehenden Zulassungsregelung nicht bewusst abgesehen worden ist, liegt fern.“

Terminsgebühr im Auslieferungsverfahren, oder: Die gibt es nicht…..

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Und als zweite Entscheidung dann gleich noch eine falsche Entscheidung. Es handelt sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 16.02.2021 – Ausl 35/20. An dem Aktenzeichen sieht man: Ergangen ist der Beschluss nach einem Auslieferungsverfahren. Und es geht mal wieder um die Frage des Entstehens der Terminsgebühr, wenn der Beistand des Verfolgten an einem Termin beim AG nach den §§ 21 ff. IRG teilgenommen hat.

Das OLG Hamburg macht es ebenso verkehrt wie der Rest der OLG und meint:

„In Auslieferungsverfahren löst die Teilnahme des Rechtsbeistands an Terminen zur Vernehmung des Verfolgten vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG auch nach Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG aus.“

Zur Neuregelung führt es aus:

„bb) Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) gibt keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Dieses Gesetz diente der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen im Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Zentraler Aspekt war die Stärkung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand, indem zur Gewährleistung von dessen Effektivität Beschuldigen und gesuchten Personen die Unterstützung eines – jedenfalls vorläufig – durch die Mitgliedsstaaten finanzierten Rechtsbeistands zur Verfügung gestellt wird (BT-Drs. 19/13829 S. 1). Kostenrechtliche Aspekte der Rechtsbeistandschaft waren hingegen nicht Regelungsgegenstand.

(1) Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung zahlreiche Änderungen u.a. in der StPO, der BRAO, dem IRG, dem OWiG und auch dem RVG vorgenommen. Die Gesetzesänderung des RVG hat die anwaltliche Vergütung selbst indes nicht berührt. Durch die Erweiterung des § 59a RVG um den neuen Absatz 1

„Für den durch die Staatsanwaltschaft bestellten Rechtsanwalt gelten die Vorschriften über den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt entsprechend. Ist das Verfahren nicht gerichtlich anhängig geworden, tritt an die Stelle des Gerichts des ersten Rechtszugs das Gericht, das für die gerichtliche Bestätigung der Bestellung zuständig ist.“

wurde vor dem Hintergrund, dass die Bestimmungen des Abschnitts 8 des RVG „Beigeordneter oder bestellter Rechtsanwalt, Beratungshilfe“ auf eine gerichtliche Bestellung abstellen, nur dem Umstand Rechnung getragen, dass nun auch der Staatsanwaltschaft eine Eilzuständigkeit für die Beiordnung zusteht (§ 142 Abs. 4 StPO). Zudem war die Zuständigkeit für Anträge zu regeln, wenn das Verfahren nicht gerichtlich anhängig wird (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 63-64).

Trotz der Neuregelung des § 59a Abs. 1 RVG hat der Reformgesetzgeber die Formulierung des Gebührentatbestandes für die Terminsgebühr in Auslieferungssachen unverändert gelassen. Die in der Literatur (Volpert in Burhoff, a.a.O.; Oehmichen, a.a.O.) nach der bisherigen Rechtslage thematisierte und für geboten gehaltene gesetzliche Klarstellung, dass Nr. 6012 VV-RVG auch Termine nach § 21, 22, 28 IRG erfasst, ist weder im Rahmen des 2. KostRMoG vom 23. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2586) noch nunmehr im Rahmen der Umsetzung der „PKH-Richtlinie“ (Richtlinie 2016/1919) erfolgt. Insbesondere wurde keine Nr. 4102 Nr. 1 VV-RVG entsprechende Regelung für die Teilnahme an „richterlichen Vernehmungen“ in Nr. 6102 VV-RVG aufgenommen. Der Gesetzgeber wollte trotz der nunmehr statuierten notwendigen Rechtsbeistandschaft bei einer Festnahme der verfolgten Person (§ 40 Abs. 2 IRG) offensichtlich keine entsprechende kostenrechtliche Regelung in Nr. 6102 VV-RVG – ein generelles Anfallen einer Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen außerhalb von Verhandlungsterminen – schaffen. Die Nrn. 6101 und 6102 VV-RVG wurden in Kenntnis der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum Anwendungsbereich der Nr. 6102 VV-RVG, vielmehr unverändert belassen.“

Na ja, die OLG wollen nicht – warum auch immer.

 

EncroChat-Erkenntnisse, oder: Verwertbar, auch wenn „nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig….“

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Und als zweite Entscheidung von der „Resterampe“ dann der OLG Hamburg, Beschl. v. 29.01.2021 – 1 Ws 2/21 – zu der Thematik: Zulässigkeit der Verwertung von Daten, die aus einer EncrChat-Überwachung stammen.  Dazu hatte ich ja bereits vor einiger Zeit über den OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ws 166/20 berichtet (vgl. BVV I: Verwertung einer Überwachung der TK mit Krypto-Handys, oder: Stichwort “EncroChat”) berichtet. Hier dann noch die Entscheidung des OLG Hamburg.

Die kommt zu demselben Ergebnis wie das OLG Bremen: Die Verwertung der Erkenntnisse ist zulässig. Wen wundert das? Mich nicht.

Aus dem umfangreichen Beschluss hier nur die Passage, die ich besonders „bemerkenswert“ finde:

„(ddd) Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde. Denn im Kern ist angesichts der bekannten Fakten davon auszugehen, dass der Zugriff auf die Daten von EncroChat grundsätzlich geboten und damit rechtmäßig war. Das konkrete Vorgehen könnte allenfalls insoweit in Frage gestellt werden, als an gewisse Eingrenzungen der Datenerhebung – etwa durch eine möglichst frühzeitige Ausrichtung auf schwere Straftaten unter Ausklammerung der übrigen Kommunikation – zu denken gewesen wäre. Sollte es bei diesen oder anderen Nuancen des Vorgehens der französischen Ermittlungsbehörden zu Rechtsverstößen gekommen sein, könnten diese aber jedenfalls im Rahmen der den vorliegenden Fall betreffenden Abwägung nicht zu einem Verwertungsverbot führen. Denn bei den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten handelt es sich gerade um solche, die besonders schwer wiegen und überragend gewichtige Rechtsgüter gefährdenden bzw. geschädigt haben. Welche Schranken oder Grenzen auch immer hätten greifen müssen: Jedenfalls hätten Straftaten wie diejenigen, die der Beschwerdeführer hochwahrscheinlich begangen hat, zielgerichtet erforscht werden müssen.“

Ach so. Verwertbar also auch, wenn als „teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig begriffen werden würde“. Na, da bin ich aber mal gespannt, was das BVerfG dazu sagen wird.

Übrigens: Zu der Thematik gibt es dann im StRR 4/2021 etwas von den Kollegen Stehr, Göppingen, und Rakow, Rostock, die derzeit mit Verfahren, in denen solche Erkenntnisse eine Rolle spielen, befasst sind.

Corona II: Corona-Schutz-VO, oder: Zeitgesetze?

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Bei der zweiten „Corona-Entscheidung“, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 17.2.2021 – 2 RB 69/20. Thematik: Die Corona-VO als Zeitgesetz? Dazu das OLG:

„2. Die – auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden – Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch.

a) Das Amtsgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

Der Betroffene war am 17. April 2020 um 17:20 Uhr in Hamburg auf dem Mittelweg mit seiner Ehefrau und seinem Kleinkind unterwegs. Auf der Straße begrüßte er bei einem zufälligen Zusammentreffen die Schwester seiner Ehefrau und deren Ehemann durch Berührung des Ellenbogens des anderen mit dem eigenen Ellenbogen, wobei der Betroffene zu den anderen drei erwachsenen Personen einen Mindestabstand von 1,5 m nicht einhielt, obwohl ihm das Abstandsgebot bekannt war und die örtlichen und räumlichen Verhältnisse dessen Beachtung zugelassen hätte. Der Betroffene lebte mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kleinkind, nicht aber mit den übrigen Personen in derselben Wohnung. Ein Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnis des Betroffenen bestand im Verhältnis des Betroffenen zu letzteren Personen nicht.

b) Die festgestellte Zuwiderhandlung stellte einen Verstoß gegen das Abstandsgebot gemäß § 1 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 und damit eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO dar. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der genannten Verordnung greift nicht ein. Denn § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 2. April 2020 erlaubt nur die Begleitung einer weiteren Person, die nicht in derselben Wohnung lebt. Hier waren es deren zwei.

c) Die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 ist unbeschadet ihres Außerkrafttretens und ihrer Ersetzung durch andere, für den Betroffenen etwa „günstigere“ Vorschriften, noch anzuwenden.

aa) Auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt, dass eine Geldbuße sich nach dem Gesetz bestimmt, das zur Zeit der Handlung gilt (§ 4 Abs. 1 OWiG). Wird dabei das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG: Meistbegünstigungsprinzip).

Allerdings sieht § 4 Abs. 4 OWiG eine Ausnahme von dem Meistbegünstigungsprinzip für sogenannte Zeitgesetze vor, bei denen es für die Bußgelddrohung grundsätzlich bei dem Tatzeitprinzip zu verbeiben hat, da anderenfalls bei ausnahmsloser Anwendung des Gebots der Rückwirkung des mildesten Gesetzes diese Zeitgesetze gegen Ende ihrer Geltungsdauer nach und nach die erforderliche Achtung in der dann begründeten Erwartung verlieren, nach Außerkrafttreten des Gesetzes könnten Gesetzesübertretungen nicht mehr geahndet werden (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.).

Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37; Göhler/Gürtler, § 4 Rn. 10).

Demgegenüber kann auch ohne eine solche Bestimmung ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) vorliegen, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37), vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.). Allerdings wird das Meistbegünstigungsprinzip dann wieder eine Bedeutung erlangen, wenn diese Neubewertung nicht ausschließlich auf der Veränderung der in Betracht kommenden Lebensverhältnisse, sondern auf einem Wechsel in der Rechtsanschauung des Gesetzgebers beruht (vgl. RGSt 57, 209; LK/Dannecker/Schuhr, StGB, § 2 Rn. 159; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, § 2 Rn. 38; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 36): Denn wenn die außergewöhnlichen Verhältnisse nicht mehr in gleicher Weise geregelt werden wie zur Zeit der Einführung des Zeitgesetzes, liegt eine Bewertungsänderung durch den Gesetzgeber vor, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass das Zeitgesetz auch für die Altfälle nicht mehr als die zutreffende Regelung Geltung beanspruchen will (LK/Dannecker/Schuhr, § 2 Rn. 159). Das setzt allerdings voraus, dass das ursprüngliche Zeitgesetz nicht wegen Änderung seiner tatsächlichen Voraussetzungen, sondern deswegen gemildert wird, weil sich der Gesetzgeber zu der ursprünglich schärferen Regelung nicht mehr bekennt (vgl. KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37).

bb) Hieran gemessen erweist sich die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.

(1) § 33 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 sollte von vornherein gemäß § 34 der Verordnung mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft treten, § 1 der Verordnung bereits mit Ablauf des 19. April 2020, und ist daher als Zeitgesetz im engeren Sinne zu qualifizieren.

(2) Spätere Lockerungen des kontaktbeschränkenden Abstandsgebots im Sinne einer Ausweitung des Ausnahmetatbestandes für Aufenthalte von Personen, die in derselben Wohnung leben, und Personen, die gemeinsam in einer anderen Wohnung leben, bei einer Höchstzahl von zehn Personen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 26. Mai 2020) sowie von Personen, zwischen denen ein bestimmtes familienrechtliches Verhältnis besteht (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) oder allgemein bis zu zehn Personen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) beruhten ersichtlich auf einem Rückgang der Neuinfektionen im Frühling und Sommer 2020.

(3) Mit der Verordnung vom 7. Januar 2021 (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 1), der 27. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020, ist der Verordnungsgeber, soweit es das Abstandsgebot bei Zusammenkünften von Angehörigen eines gemeinsamen Haushalts mit Personen eines weiteren Haushalts ohne Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnisse betrifft, zu der strengen Regelung wie zur Tatzeit erneut zurückgekehrt.

Dies wurde mit der aktuellen epidemiologischen Lage und Infektionsdynamik begründet, die eine Reduktion persönlicher Kontakte dringend erforderlich mache, um die Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitswesens zu verhindern (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 3). Der Umstand, dass der Verordnungsgeber zuvor in der Begründung zur 23. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 595, 608) trotz kritischer Entwicklung des Infektionsgeschehens in Hamburg zum Schutz der grundrechtlichen Freiheiten von Familie und Wohnung für Haushaltsangehörige und Familienmitglieder sowie zum Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit für Zusammenkünfte mit Angehörigen eines weiteren Haushalts eine weitergehende Ausnahme vom Abstandsgebot geregelt hat, deutet nicht auf eine grundsätzliche Neubewertung der Situation in dem Sinne hin, dass grundrechtlichen Belangen und sozialen Bedürfnissen in jedem Falle vor effektiver Bekämpfung der Pandemie (auch) durch Kontaktbeschränkungen der Vorzug gegeben werden sollte.

Vielmehr handelte der Verordnungsgeber in der Erwartung, das Gesamtkonzept der Neuregelung – welches in anderen Bereichen auch Verschärfungen vorsah, wie etwa Beschränkungen von Zusammenkünften auch in privaten Wohnräumen, die keine Feierlichkeiten darstellen (vgl. § 4a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 3 der 23. Änderungsverordnung gegenüber § 2 Abs. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020) und die Maskenpflichten (vgl. § 10a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 4 der 23. Änderungsverordnung) – führe zu einer Verringerung der Verbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 603). Dass die Begründung der Änderungsverordnung nicht allein auf empirische, sondern auch normative Aspekte (geringstmögliche Einschränkung der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten) Bezug nimmt, gibt der Änderungsverordnung nicht schon den Charakter einer Milderung des früheren Zeitgesetzes durch späteres Zeitgesetz (vgl. auch Kießling/Lorenz/ O?lakc?o?lu, IfSG, vor §§ 73 Rn. 22), denn der Verordnungsgeber hielt das Abstandsgebot weiterhin für geeignet und erforderlich, um die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen.

cc) Fehlt es nach alledem an einer relevanten Bewertungsänderung, kann für die Rechtsverordnungen zur Gefahrenabwehr im Rahmen von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz die Rückwirkung des mildesten Gesetzes nicht in Betracht kommen; dem früheren Normbefehl ist die nachwirkende Autorität nicht zu versagen.

d) Die Regelungen in §§ 1 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1, 32 Satz 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG genügen dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG.

…….“

Rechtsmittel III: Die nicht lesbare Unterschrift, oder: Lesbar schreiben!!!

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Und als letzte Entscheidung des Tages und auch des Jahres 2020 dann noch der OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2020 – 2 Rev 55/20. Den bringe ich als „Mahnung“, und zwar dahin: „Leute“ schreibt leserlich, so dass man eure Unterschrift erkennen kann. Sonst kann es böse Folgen haben. So hier in dieser Entscheidung:

„2. Die Revision der Angeklagten ist jedoch unzulässig, weil die äußere Form der Revisionsbegründungsschrift nicht den formellen Anforderungen des § 345 Abs. 2 StPO genügt.

a) Nach dieser Vorschrift muss die Revisionsbegründung, wenn sie nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben wird, durch eine vom Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift erfolgen. Dabei muss der Unterzeichnende die volle Verantwortung für den Inhalt der Schrift übernehmen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 345 Rdn. 16).

Ist, wie bei der Revisionsbegründung gemäß § 345 Abs. 2 StPO und anders als bei Revisionseinlegung nach § 341 Abs. 1 StPO, einfache Schriftform nicht ausreichend, sondern Unterzeichnung durch den Verteidiger oder einen Rechtsanwalt erforderlich, gehört zur Unterzeichnung die eigenhändige Unterschrift, die in der Regel aus einer Wiedergabe des vollen bürgerlichen (Familien-)Namens besteht, wobei bei Doppelnamen einer der Namen ausreicht, wenn keine Zweifel an der Identität der unterzeichnenden Person bestehen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1989, 3030). Die Verwendung eines Anfangsbuchstabens bzw. der ersten Anfangsbuchstaben (Paraphe) reicht nicht aus (vgl. BGH, NJW 1967, 2310; 1982, 1467; Senatsbeschluss vom 26. März 2012, Az.: 2-20/12 (REV) und vom 12. März 2019, Az.: 2 Rev 5/19). Lesbar braucht die Unterschrift nicht zu sein (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 253). Undeutlichkeiten und Verstümmelungen schaden nicht, wenn ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individueller Schriftzug vorliegt (vgl. BGH MDR 1964, 747), der einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist und sich als Unterschrift eines Namens darstellt (vgl. BGH NJW 1982, 1467). Es muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit in dem Sinne bestehen, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ihn aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (vgl. BGHSt 12, 317). Daher müssen mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sein; andernfalls fehlt es an den Merkmalen einer Schrift (vgl. BGH NJW-RR 2017, 417; BGH NJW 1985, 1227). Wegen des Fehlens der charakteristischen Merkmale einer Unterschrift reichen geschlängelte Linien unter keinen Umständen aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Einl. 129 m.w.N.; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschlüsse vom 14. März 2018, Az.: 2 Rev 15/18; 2 Rev 65/17; vom 1. September 2017 Az.: 2 Rev 54/17 und vom 12. März 2019, Az.: 2 Rev 5/19).

b) Eine diesen Maßstäben genügende Unterschrift weist die Revisionsbegründungsschrift vom 28. Juni 2020 nicht auf.

Der unter der Begründungsschrift angebrachte handschriftliche Schriftzug weist einen individuellen Charakter mit Bezug zum Namen des Verteidigers allenfalls im Hinblick auf den vorangestellten Anfangsbuchstaben des Nachnamens (N) auf, da es sich um einen von oben nach unten laufenden langen Strich handelt und dieser offensichtlich einen Großbuchstaben darstellen soll. Ob diesem Buchstaben weitere folgen ist nicht eindeutig, allenfalls könnte man in den Schriftzug einen weiteren Buchstaben hineinlesen, wobei dieser nicht zu konkretisieren wäre. Jedenfalls findet der Nachnamen in Hinblick auf Anzahl und Form der Buchstaben keine Entsprechung im maßgeblichen Schriftzug. Vielmehr scheint es sich aufgrund der Art der Unterzeichnung und der darin zum Ausdruck kommenden Schreibbewegung um eine hier nicht genügende Paraphe zu handeln.

Diese Art der Unterzeichnung reicht auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Verteidiger nach Aktenlage eine Mehrzahl weiterer Dokumente wie etwa auch die Revisionseinlegungsschrift und weitere Schriftsätze so oder ähnlich abgezeichnet hat, nicht aus. Denn der Verteidiger hat in mehreren Fällen (Schriftsatz vom 16. Januar 2020, vom 27. Januar 2020, Empfangsbekenntnis vom 22. Juli 2020) abweichend davon mit eher ausdifferenzierten Namenszügen, die allerdings keine überragende Ähnlichkeit untereinander aufweisen, unterzeichnet, die den Namen aufgrund mehrere Bögen länger erscheinen lassen. Gemessen an diesem Muster trägt die beschriebene verkürzte Schreibweise keine die Identität des Verteidigers als Unterschreibenden noch hinreichend kennzeichnenden individuellen bzw. charakteristischen Merkmale.“

Ob diese Verwerfung zwingend war, kann man, ohne die „Unterschrift“ gesehen zu haben, nicht beurteilen. Jedenfalls aber: Vorsicht!!

Wie gesagt. Das war es dann für 2020. Jetzt kommen keine Entscheidungen mehr, es sei denn das BVerfG veröffentlicht einen Beschluss, wonach die StPo verfassungswidrig ist. Aber damit ist wohl nicht zu rechnen 🙂 . Besten Dank für die Aufmerksamkeit in 2020 und auf ein Neues mit vielen schönen (?) Entscheidungen in 2021.