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Das Werfen von rohen Eiern, oder: Kein Karneval, sondern ggf. Landfriedensbruch

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Das OLG Frankfurt, Urt. v. 29.09.2017 – 1 Ss 323/16 – passt dann auch ein wenig zu Karneval, wie gesagt: ein wenig 🙂 . Denn es geht auch um das Werfen von Gegenständen. Zwar nicht – wie an Karneval – Kamelle, sondern rohe Hühnereier aus einer Demonstration auf eine Gegendemonstration. Deswegen hatte es ein Verfahren u.a. mit dem Vorwurf der versuchten Körperverletzung gegeben. Das AG hatte verurteilt, das LG hat dann frei gesprochen: „Es hat sich nicht von dem Vorwurf zu überzeugen vermocht, der Angeklagte habe am ….2015 aus einer Gegendemonstration von 900 – 1000 Personen heraus mindestens zwei rohe Hühnereier auf eine Demonstration des O2er Ablegers von „X“ mit ca. 40 – 50 Teilnehmer geworfen. Die Kammer hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte sich in der Gruppe besagter Gegendemonstranten aufhielt. Sie hat aber offen gelassen, ob der Angeklagte diejenige Person war, die gegen 18:55 Uhr Gegenstände in Richtung der „X-Demonstration“ warf. Die Kammer sah sich jedenfalls nicht in der Lage, mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, wo diese Gegenstände aufschlugen und was entscheidend für den Freispruch war, um was genau es sich bei den geworfenen Gegenständen handelte.“ Auf die Revision der StA hebt das OLG auf. Es sieht Beweiswürdigungsmängel:

„Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft, da das Landgericht die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt. Das Landgericht hält es für nicht nachvollziehbar, dass die beiden Polizeibeamten den Angeklagten aufgrund eines weißen Totenkopfemblems mit zwei gekreuzten weißen Rosen erkannt haben, das annähernd handflächengroß auf der linken Seite der Jacke angebracht worden sei, weil sie nicht die freifliegenden Wurfgegenstände farblich erkannt haben. Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.10.2016 zutreffend aus, das die Polizeibeamten ihren Blick auf den Werfer und nicht auf das Flugobjekt gerichtet haben. Es überspannt aus diesem Grund die Anforderungen an die Überzeugungsbildung, wenn Zweifel an der Aussage der Polizeibeamten konstruiert werden, weil diese in der Dämmerung eines Abends im März bei Beobachtung eines Werfers die Farbe des Flugobjekts nicht zu benennen in der Lage waren. Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und der bruchstückhaften Darstellung der Zeugenaussagen haben die Polizeibeamten den Werfer beobachtet und sodann als den Angeklagten identifiziert. Der Angeklagte stand vor ihnen am Absperrgitter, so dass die Polizeibeamten auch das Totenkopfemblem erkennen konnten. Der Flug des eiähnlichen Gegenstandes, der von den Polizeibeamten nicht weiter beobachtet worden war, da es ihnen darauf ankam, den Werfer zu identifizieren, war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Anlass, an den Aussagen der Polizeibeamten aufgrund der Nichtangabe der Farbe des Wurfgegenstandes zu zweifeln, besteht daher nicht.

Nach den landgerichtlichen Feststellungen war entscheidend für den Freispruch die weitere Unklarheit, welche Gegenstände überhaupt geworfen wurden. Der Umstand, dass aus der Gruppe der Gegendemonstranten zahlreiche rohe Eier geworfen wurden, lasse, so die Feststellungen, nicht den Schluss zu, dass es sich bei den konkreten geworfenen Gegenständen um solche gehandelt habe. Zu denken sei etwa auch ein gepelltes gekochtes Ei oder eiförmige Nachbildungen, die aber bei einem Auftreffen auf einen menschlichen Körperteil keine Verletzungen hervorriefen. Allein die Üblichkeit, dass bei Demonstrationen häufig rohe Eier geworfen würden, rechtfertige nicht im konkreten Einzelfall dies ohne jeglichen Anhaltspunkt zu Lasten eines Angeklagten zu unterstellen. Weiterhin wäre auch fraglich, ob ein Verletzungsvorsatz gegeben wäre. Wo die Gegenstände auftrafen und worauf sie zielten, habe sich nicht feststellen lassen. Diese Ausführungen sind lückenhaft, denn es lässt sich nicht nachvollziehen, weshalb aus dem Umstand, dass die Gegenstände über die Polizeikette hinweg flogen und dem daraus abgeleiteten Gewicht des Gegenstandes nicht auch dessen Eignung zur Herbeiführung eines Körperverletzungserfolges abgeleitet werden konnte. Es kann somit nicht überprüft werden, ob die Kammer die an die Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderung möglicherweise überspannt hat. Um die Beweiswürdigung umfassend nachvollziehen zu können, wäre es insbesondere notwendig gewesen mitzuteilen, in welchem Abstand die Polizeikette von den Gegendemonstranten stand, bzw. in welcher Entfernung sich die Zeugen von dem Werfer befanden. Denn sollten sich die Zeugen in einiger Entfernung befunden haben, so wäre der Umstand, dass der Gegenstand über die Polizeikette hinweg flog, ein gewichtiges Indiz für dessen Masse und kinetischer Energie und damit auch für dessen Eignung zur Herbeiführung eines Körperverletzungserfolges. Wäre der Wurfgegenstand erkennbar bereits mit einigem Tempo ein gutes Stück geflogen, so läge eine solche Eignung nahe. Nahe läge es in diesem Fall aufgrund der Tatsache, dass auch ansonsten diverse rohe Eier geworfen wurden, dann auch, dass es sich auch bei diesem als eiförmig identifizierten Gegenstand um ein rohes Ei handelte. In diesem Fall würden die Anforderungen an die Überzeugungsbildung außerdem zu hoch angesetzt, wenn nicht auch von einem zumindest bedingten Körperverletzungsvorsatz ausgegangen würde. Im Falle eines ungezielten Wurfes eines rohen Eies auf Menschen über eine möglicherweise größere Entfernung hinweg, lässt sich nicht vorab präzise kalkulieren, an welche Stelle des Körpers das Ei auftreffen wird. Ziel kann daher nur sein, den anderen Menschen überhaupt zu treffen, was auch das Gesicht einschließt. Trifft ein rohes Ei jedoch einen Menschen im Gesicht, insbesondere im Augenbereich, sind pathologische Folgen fast zwangsläufig zu erwarten. Wer so handelt, kann nicht davon ausgehen, ein Körperverletzungserfolg werde dennoch ausbleiben.“

Und:

„Für den Fall einer erneuten Verurteilung sei darauf hingewiesen, dass in dem Fall, dass ein Wurf mit rohen Eiern durch den Angeklagten nachgewiesen werden können sollte, eine tateinheitliche Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nach § 125 StGB (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 1997, 234 f.) sowie wegen Sprengens einer Versammlung nach § 21 Versammlungsgesetz in Betracht kommt. „

Das „Scheinproblem“ PoliscanSpeed, oder: Bemerkenswerte Arroganz/Diktion

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Mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.06.2017 – 2 Ss-OWi 542/17 – habe ich ein Problem, und zwar ein richtiges, und nicht nur ein „Scheinproblem“. Warum? Nun, mein Problem ist, dass das OLG die Diskussion um das Messverfahren „x“ – kann nur PoliscanSpeed sein – als ein „Scheinproblem“ ansieht und mit einer in meinen Augen bemerkenswerten Arroganz die Einwände, die dagegen gerade auch von technischen Sachverständigen erhoben worden sind, vom Tisch wischt. Darauf muss – so das OLG – nicht mehr eingegangen werden, weil ja die OLG das „Scheinproblem“ ausführlich behandelt haben. So kann man mit Bedenken auch umgehen. Das OLG hätte auch schreiben können: Die PTB und wir bei den OLG haben (immer) Recht:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Das Amtsgericht hat zu Recht die Geschwindigkeitsüberschreitung auf die Messwerte des Messgeräts X gestützt.

Es handelt sich um ein standardisiertes Messsystem, das von der PTB amtlich zugelassen ist. Das zum Einsatz gekommene konkrete Gerät war zum Messzeitpunkt geeicht und — wie das Amtsgericht ausgeführt hat — im Rahmen der Zulässigkeitsvorgaben vom Messbeamten verwendet worden. Die Messergebnisse sind danach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffend im Rahmen der Messtoleranz. Dies wird von der Verteidigung vorliegend nicht angegriffen.

Die Verteidigung stützt sich darauf, dass dem Messsystem die Zulassung fehlen würde. Dies ist vorliegend ebenso falsch wie rechtlich irrelevant. Die Verteidigung übersieht nämlich, dass das konkret verwendete Gerät geeicht war. Selbst wenn die Zulassung gefehlt hätte — was auch nicht zutreffend ist -, wird mit der Eichung durch das Eichamt die Messrichtigkeit des konkreten Geräts garantiert. Die Frage, ob ein Messgerät zugelassen ist, ist für ganz andere Fragen von Belang, die hier nicht in Frage gestellt sind.

Im Übrigen ist durch die Obergerichtliche Rechtsprechung das „Scheinproblem“ der Zulassung bei „X“, hinreichend ausführlich behandelt, so dass es dazu weiterer Ausführungen nicht bedarf (vgl. dazu nur: OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Juni 2017 — 1 Ss (OWi) 115/17 —, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. Januar 2017 — 1 OWi 1 Ss Bs 53/16 —, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Mai 2017 — 2 Rb 8 Ss 246/17 —, Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 21. April 2017 — Ss RS 13/2017 (26/17 OWi) jew.n.juris).“

Bemerkenswert 🙂 . Auch in der Diktion.

Poliscan Speed, oder: Heiligsprechung der PTB durch das OLG Frankfurt

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Author Rvin88

Poliscan, Poliscan, Poliscan und kein Ende oder auch: PTB, PTB, PTB und keine Ende. Seit längerem ja nun schon wird die Diskussion um die Frage der Verwertbarkeit von Messungen geführt, die mit PoliscanSpeed durchgeführt worden sind. Die OLG verteidigen dieses Messverfahren, gegen das von einigen Sachverständigen erhebliche Bedenken vorgetragen werden, mit Zähnen und Klauen.

Aus der Diskussion stammt die Argumentation zur Bauartzulassung durch die PTB als „antizipiertes Sachverständigengutachten“. Das war in meinen Augen die Seligsprechung der PTB. Nun ist beim OLG Frankfurt der Heiligsprechungsprozess der PTB eingeleitet worden, und zwar in Zusammenhang mit der Diskussion darüber, welche Auswirkungen es hat, wenn von den Vorgaben in der Bauartzulassung abgewichen wird.  Die PTB sagt in ihren Stellungnahmen, nein, denn es ist nicht mit falschen Messergebnissen zu rechnen sei.

Und dazu liegt dann jetzt der/ein Heiligsprechungsbeschluss des OLG Frankfurt vor (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.09.2017 – 2 Ss OWi 919/17):

„Durch die obergerichtliche Rechtsprechung ist zudem hinreichend geklärt, dass „PoliScanSpeed“ weiterhin ein standardisiertes Messverfahren darstellt (vgl. I. 3 dazu nur: OLG Braunschweig, Beschluss vom· 14. Juni 2017 – 1 Ss (OWi) 115/17 -. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. Januar 2017- 1 OWi 1 Ss Bs 53/16 -, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Mai 2017 – 2 Rb 8 Ss 246/17 – , Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 21. April 2017 – Ss RS 13/20 17 (26/17 OWi) – , jew.n.juris; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.06.2017 -2 Ss-OWi 542/17-).

Ein allein mit pauschaler Kritik an dem eingesetzten standardisierten Messverfahren unter Hinweis auf von der PTB bereits widerlegte Ausführungen aus anderen Verfahren begründete Beweisantrag war daher richtigerweise nicht geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung hervorzurufen. Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt gerade den Zweck, Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung freizustellen (BGHSt 39, 291, 297). Die abstrakt-theoretische Möglichkeit eines Messfehlers vermag keine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung nahezulegen (vgl. OLG Frankfurt am Main, – 2 Ss-OWi 224/11 -;- 2 Ss-OWi 147/12 -, BayObLG DAR 1998, 481 ; OLG Hamm NZV 1900, 279, OLG Köln VRS 88, 376). Der. Tatrichter würde die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung vielmehr überspannen, wenn er ohne konkrete Anhaltspunkte an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt (st. Rspr. des Senats, vgl. OLG Frankfurt am Main,- 2 Ss-OWi 850/12 -, – 2 Ss-OWi 228/13 -, 2 Ss-OWi 269/13 -,jeweils m. w. N.). Das Amtsgericht konnte den Beweisantrag somit gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 02.02.2017 -2 Ss-OWi 47/17-).

Die Ausführungen der Verteidigung erschöpfen sich darin, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob das Gerät die beschreibenden Teile seiner Funktionsdarstellung, wie z. B. in einer Bauartzulassung wiedergegeben, in jeglicher Hinsicht und jeglicher Wortlautauslegung erfüllt. Die aktuellen Einwände gegen die PoliScanSpeed beziehen sich nicht darauf, dass das Gerät anders messen würde, als es dies zum Zeitpunkt der Prüfung durch die PTB getan hätte, sondern nur dass es angeblich anders misst, als die Funktionsweise in der Bauartzulassung beschrieben sein soll.

Darauf kommt es, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat nicht an. Das Wortverständnis der Verteidigung zu Begrifflichkeiten in einer Bauartzulassung ist für das Bußgeldverfahren irrelevant. Maßgeblich ist das, was der Zulassungserteiler, vorliegend die PTB, gemeint hat

Die PTB hat immer wieder, zuletzt mit Schreiben vom 12.01.2017 und 29.03.2017 bestätigt, dass das Gerät genau so misst. wie es dies auch schon bei den Prüfungen der PTB getan hat. Die nunmehr diskutierten angeblichen Abweichungen in der Beschreibung der Funktionsweise hat die PTB insoweit erklärt, als die Beschreibung der Funktionsweise lediglich beschreibenden Charakter habe und sich die Bedeutung bei Kenntnis der Funktionsweise des Geräts eindeutig, entgegen der Darstellung der jetzigen Kritiker, ergebe. Die PTB hat insoweit sogar auch bestätigt, dass es für die Aufrechterhaltung der Bauartzulassung, und damit für die Verwertbarkeit ihres antizipierten Sachverständigengutachtens irrelevant wäre, ob die – nach Angaben der PTB verkürzte und vereinfachte – Beschreibung der Funktionsweise des Geräts den tatsächlichen Vorgängen im Gerät inklusive der Zusatzdaten entspricht, weil das Gerät auf jeden Fall genau so misst, wie es dies auch schon bei den extensiven Prüfungen durch die PTB getan hat.

Damit ist es für das Gericht unerheblich, ob die von den Kritikern nun. vorgebrachten angeblichen Abweichungen bei der Behandlung von Messpunkten außerhalb des Messbereichs zutreffen, oder ob es bei der Frage, was innerhalb des Messbereichs sein muss, von vornherein immer nur auf das Messobjekt selbst (und nicht die Messpunkte) ankam. Entscheidend ist primär, dass die PTB bestätigt hat, dass das Gerät in seiner aktuellen Verwendung genau dem Gerät entspricht, das auch getestet und dessen ordnungsgemäßen Messungen bestätigt wurden. Das Gerät misst nach den Ausführungen der PTB richtig. Eine weitere Beweiserhebung zur Ordnungsmäßigkeit der Messung war mithin nicht geboten.

Angesicht der unverändert fortgeltenden Bauartzulassung der PoliScanSpeed durch die PTB kann das Gericht von der Richtigkeit der Messung ausgehen, wenn das Gerät zum Messzeitpunkt gültig geeicht war und von einem Messbeamten, der über die nötige Sachkunde zur Bedienung des Geräts verfügt, entsprechend der Gebrauchsanweisung eingesetzt wurde und die Messung entsprechend nach der Gebrauchsanweisung ausgewertet wurde.“

Man steht fassungslos, aber auch hilflos vor dieser Argumentation. Die PTB zugleich Sachverständiger und Richter. Das ist die Heiligsprechung. Schade, dass nicht ein OLG mal den A…… in der Hose hat, den BGH mit den Fragen zu befassen. Dazu liest man dann nur: Wir befinden uns auf dem Stand der heiligmachenden Gnade der Weisheit herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des BGH und müssen nicht vorlegen (so das OLG Bamberg). Ich bin froh, dass ich keine Fortbildungen mehr mache, weil ich nicht weiß, was ich den Verteidigern an der Stelle noch raten kann/könnte.

Die Übernachtungskosten des Verteidigers/Rechtsanwalts, oder: Mittelklasse genügt

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Den heutigen „Zahltag“ = Tag der gebührenrechtlichen Entscheidungen/Fragen eröffne ich mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 01.09.2017 – 2 Ws 16/17 -, den mir der Kollege Siebers aus Braunschweig übersandt hat. Der Beschluss behandelt zwei Fragen, auf eine davon will ich hier heute eingehen. Und zwar die der Höhe der einem Verteidiger/Rechtsanwalt zustehenden Übernachtungskosten.

Darum ist im Verfahren heftig gestritten worden. Der Kollege hatte 200 €/Nacht geltend gemacht, der Rechtspfleger hat den Kollegen mit 100 €/Nacht abspeisen wollenb, die Strafkammer hat dann 150 €/Nacht festgesetzt, allerdings auch für die Nächte, in denen der Kollege weniger bezahlt hatte. Das OLG geht dann unter Zugrundelegung von § 46 Abs. 1 RVG  auch von 150 €/Nacht aus, setzt die aber nur für die Nächte fest, in denen diese Kosten auch mindestens entstanden sind.

„Der Rechtsanwalt hat bei der sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit den allgemeinen Kostengrundsatz zu berücksichtigen, dass jede Partei und daher auch jeder für sie tätige Anwalt die Kosten und damit auch die Auslagen möglichst gering halten muss. Die Übernachtung in einem Mittelklassehotel ist daher regelmäßig ausreichend.

Übernachtungen sind vorliegend — außerhalb von Messezeiten — bis zu einem Höchstbetrag von € 150 erstattungsfähig. Auf die ausführliche Begründung der Kammer, die unter Rückgriff auf Buchungsportale im Internet und einen dort verzeichneten Hotelpreisindex, bei einem Standard von mindestens drei Sternen einen Hotelpreis von bis zu € 150 als ausreichend und angemessen angesehen hat, wird Bezug genommen. Der Verteidiger ist aber trotzdem gehalten, bei der Auswahl seiner Übernachtungsmöglichkeit seiner Pflicht zur Geringhaltung von Kosten nachzukommen und möglichst günstige Hotels zu buchen. Wie sich aus den eingereichten Kostenbelegen ergibt, bestand auch im vorliegenden Fall teilweise die Möglichkeit, preisgünstige Hotels von weniger als € 150 pro Übernachtung in Frankfurt am Main auszuwählen. Soweit der Verteidiger im Einzelfall Übernachtungskosten von über € 150 für erforderlich hält, bedarf es einer konkreten Darlegung im Kostenfestsetzungsverfahren, wieso diese in dieser Höhe erforderlich waren.

Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, Beschluss vom 11. Februar 2008 – 6 W 207/07, meint, bereits im Jahr 2008 sei ein Hotelpreis für ein Hotelzimmer in Frankfurt am Main in Höhe von € 170 als angemessen angesehen worden. so wurde der im dortigen, zivilrechtlichen Verfahren veranschlagte Hotelpreis ohne Begründung auf € 170 geschätzt. Angesichts des realen, deutlich darunter liegenden Preisniveaus für eine angemessene Unterkunft kann dieser Schätzung für das vorliegende Verfahren keinerlei Bedeutung zugemessen werden.“

Vom Ansatz her m.E. zutreffend, über die Höhe kann man natürlich streiten. Die wird in Frabkfurt zu Messzeiten sicherlich nicht ausreichen.

Im zweiten Teil hat das OLG dann noch zum Längenzuschlag Stellung genommen und ausgeführt, dass es an seiner – in meinen Augen unzutreffenden – Rechtsprechung zur Berückischtigung von Pausen festhält. Dazu möchte ich aber nichts mehr schreiben, da alles gesagt ist.Die OLG wissen es eben besser.

Radfahrer, oder: Wer gegen die Fahrtrichtung fährt, muss besonders aufpassen

Im Kessel Buntes heute dann zunächst eine Fahrradfahrerentscheidung. Sie kommt vom OLG Frankfurt. Der dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.05.2017 – 4 U 233/16 – zugrunde liegende Sachverhalt spielt in Frankfurt, er könnte aber auch ohne weiteres in Münster spielen. Es geht um einen Fahrradfahrer, den Beklagten, der mit einer Geschwindigkeit von 10-12 km/h in Gegenrichtung auf einem Fahrrad-Schutzstreifen in der Frankfurter Innenstadt gefahren ist. Der Kläger wollte als Fußgänger diesen Schutzstreifen in der Nähe eines Fußgängerüberweges überqueren. Dabei wurde er von dem Fahrrad des Beklagten niedergerissen. Die Parteien hatten sich vor dem Unfall gegenseitig nicht gesehen. Der Kläger wurde bei dem Sturz verletzt und verlangt von dem Beklagten Schmerzensgeld und weiteren Schadensersatz. Das LG hat 5.000 € Schmerzensgeld egwährt und weiteren Schadensersatz. Dagegen die Berufung des Beklagten.

Das OLG sieht die Berufung als unbegründet an hat einen entsprechenden Hinweisbeschluss erlassen. Daraufhin hate der Beklagte seine Berufung zurück. Das OLG stellt darauf ab, dass der Beklagte den Fahrrad-Schutzstreifen verbotswidrig genutzt habe. Er habe gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Dieses Fehlverhalten löse gesteigerte Sorgfaltspflichten aus. Der Beklagte habe deshalb insbesondere darauf achten müssen, ob Fußgänger von – aus seiner Sicht – links die Straße überqueren wollen. Diese Fußgänger müssten nicht mit einem von rechts verbotswidrig herannahenden Radfahrer rechnen.

Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Ein Radfahrer, der bei auf jeder Straßenseite vorhandenen Fahrradschutzstreifen den in seiner Fahrtrichtung linken benutzt, verstößt gegen das Rechtsfahrgebot.

2. Fußgänger, die von links die Straße überqueren wollen, sind ihm gegenüber zwar gleichwohl wartepflichtig.

3. Den Radfahrer trifft bei der Benutzung des linken Fahrradschutzstreifens jedoch aus § 1 Abs. 2 StVO eine gesteigerte Vorsichtspflicht, darauf zu achten, ob nicht von links kommende Fußgänger die Straße überqueren wollen. Deren Missachtung kann eine überwiegende Haftung für den Schaden des bei einem Zusammenstoß verletzten Fußgängers aus § 823 Abs. 1 BGB rechtfertigen.

10 % Haftung, mehr aber auch nicht, sind dann aber doch beim Kläger geblieben, denn:

„Soweit das Landgericht dem Kläger ein Mitverschulden von lediglich 10 % allein deshalb angelastet hat, weil der Kläger die Straße “X” nicht auf dem in der Nähe befindlichen Fußgängerüberweg überquert hat, ist dies nicht zu beanstanden. Dem Beklagten ist schon kein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 S. 2 StVO vorzuwerfen. Eine Verpflichtung, den Fußgängerüberweg zu benutzen, besteht danach nur, wenn die Straße “an Kreuzungen oder Einmündungen überschritten” wird. Der Fußgängerüberweg lag hier jedoch mindesten 10 – 15 m (Beklagter im Protokoll vom 19.8.2016, S. 5: 18 m) von der Einmündung der Straße “Y” entfernt. Dazwischen befinden sich noch Parkflächen und der eingehauste U-Bahn-Eingang.“