Schlagwort-Archive: OLG Celle

Gefahrenstelle, oder: Wenn man das Stauende übersieht…

Entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

Entnommen wikimedia.org
Urheber Mediatus

Eine „Gefahrenstelle“ im Straßenverkehr wird ggf. nicht nur durch das Verkehrszeichen „Gefahrenstelle“ angekündigt, sondern ggf. auch durch andere Verkehrsteilnehmern, die durch eingeschaltetes Warnblinklicht auf Gefahren aufmerksam machen/gemacht haben. Das ist das Fazit aus dem OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2015 – 2 Ss (OWi) 263/15.

Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betroffene mit einem Sattelzug der Marke Daimler/Faymontville, die BAB 7 . Die Autobahn war in dem Bereich zweispurig. Der Betroffene nutzte die rechte Fahrspur. Da sich auf der rechten Fahrspur ein Stau bildete, reduzierten die vor dem Betroffenen fahrenden Kraftfahrzeugführer ihre Geschwindigkeit. Obwohl der direkt vor dem Betroffenen fahrende Lastkraftwagen bremste, seine Geschwindigkeit auf unter 40 km/h verringerte und bereits sein Warnblinklicht eingeschaltet hatte, verringerte der Betroffene seine Geschwindigkeit nicht. Vielmehr fuhr er ungebremst mit einer Geschwindigkeit von über 80 km/h auf den vor ihm fahrenden Lastkraftwagen auf, wodurch dieser in die Mittelleitplanke geschoben wurde. Es entstand an diesem Lastkraftwagen ein Sachschaden in Höhe von 20.000 EUR. Darüber hinaus wurden durch umherfliegende Unfallteile weitere Fahrzeuge beschädigt, an denen Sachschäden in unterschiedlicher Höhe entstanden.

Das AG hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verkehrsverstoßes gemäß § 24 StVG i. V. m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 1 Nr. 4, 1 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße von 165,00 EUR verurteilt. Das AG ist dabei zunächst von der Regelbuße in Höhe von 100 EUR nach der lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BKatV ausgegangen. Aufgrund der Bremsvorgänge und der eingeschalteten Warnblinkanlagen habe sich eine Gefahrenstelle angekündigt. Der Betroffene sei trotz angekündigter Gefahrenstelle mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren. Diese Regelbuße hat das AG gemäß § 3 Abs. 3 i. V. m. Tabelle 4 BKatV aufgrund der erfolgten Sachbeschädigungen zunächst um 45 EUR auf 145 Euro und im Hinblick auf verkehrsrechtliche Vorbelastungen des Betroffenen sodann um 20 EUR auf insgesamt 165 EUR erhöht.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, dann aber verworfen. Die Leitsätze seiner Entscheidung:

  1. Der Begriff der „angekündigten Gefahrenstelle“ im Sinne der lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 zur BKatV erfasst nicht nur durch Verkehrszeichen (Gefahrzeichen) angekündigte Gefahrenstellen, sondern auch verkehrsbedingt oder aus anderen Ursachen plötzlich auftretende Gefahrenstellen, auf die andere Verkehrsteilnehmer durch eingeschaltetes Warnblinklicht aufmerksam gemacht haben.
  1. Übersieht ein Fahrzeugführer aus Unachtsamkeit die eingeschalteten Warnblinkanlagen der vorausfahrenden Fahrzeuge, die hierdurch auf ein plötzlich auftretendes Stauende aufmerksam machen und fährt infolgedessen ungebremst auf das vorausfahrende Fahrzeug auf, stellt dies eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach §  3 Abs. 1 Satz 2 und 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO dar.

 

VW-Abgasskandal: OLG Celle – ja, aber, oder: Nachbesserung erfolgreich möglich?

entnommen wikimedia.org Urheber User: High Contrast

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

Am Samstag dann mal wieder Zivilrecht, nun ja, einen Touch Strafrecht hat das Ganz für mich auch. Es geht um den Abgasskandal bei VW und die sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen, über die ich hier ja schon häufiger berichtet habe (vgl. hier das LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15 und das LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15 und dazu: VW-Abgasskandal: Hier dann LG Bochum/LG Münster zur „VW-Schummelsoftware“ und das LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15 und dazu VW-Abgasskandal – beim LG München I geht es „käuferpositiv“….). Jetzt gibt es zu der Problematik auch eine Entscheidung des OLG Celle, nämlich den OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016 –  7 W 26/16. Der ist im PKH-Verfahren ergangen. Grundlage ist die beabsichtigte Klage einer Käuferin eine Pkw Skoda Yeti 2,0 l TDI, die sich gegen den Händler und die VW-AG richtet. Der Pkw der Klägerin ist von dem sog. VE-Abgasskandal betroffen ist. Das LG hatte Pkw nicht bewilligt. Das OLG hat ihm nun aufgegeben, von seinen „dargelegten Bedenken Abstand zu nehmen und unter Berücksichtigung der nachfolgenden Gründe erneut über den Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin zu entscheiden.“ Begründung des OLG: Der Abgasskandal, von dem unzählige Fahrzeuge betroffen sind, werfe diverse schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf, die bislang in der Rechtsprechung nicht geklärt seien. Für einen derartigen Fall gelte, dass es verfassungsrechtlich unzulässig sei , schwierige und nicht geklärte Rechtsfragen im PKH-Verfahren durchzuentscheiden. Diese Fragen müssten vielmehr einer Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden (vgl. etwa Musielak, ZPO, 12. Auflage, § 114, Rdnr. 20). Hinreichende Erfolgsaussicht für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung sei deshalb bereits dann zu bejahen, wenn der Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung zumindest vertretbar erscheint. Und das hat das OLG hinsichtlich des Rücktritts- und Schadensersatzbegehrens der Antragstellerin anzunehmen. Und das begründet das OLG dann wie folgt:

„Die Antragstellerin kann die Antragsgegnerin zu 1 gemäß §§ 346, 323, i.V.m. §§ 433, 434, 437 BGB auf Rückabwicklung des in Rede stehenden Fahrzeugs in Anspruch nehmen, wenn die Kaufsache mit einem Sachmangel behaftet ist und die Nacherfüllungsphase erfolglos durchlaufen ist. Die Antragstellerin hat indes davon Abstand genommen, die Antragsgegnerin zu 1 nach § 439 BGB auf Nacherfüllung in Anspruch zu nehmen, sondern hat unmittelbar mit Anwaltsschreiben vom 4. Februar 2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, weil sie der Ansicht ist, dass eine Nachbesserung des Mangels unmöglich sei (s. Anlage K2)

Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgassoftware sind im Sinn des § 434 Abs. 1 BGB mangelbehaftet (vgl. etwa LG Frankenthal, 8 O 208/15, Urteil vom 12.05.2016). Ungeklärt ist indes die Frage, ob dieser Mangel etwa mittels eines Software-Updates folgenlos für das Fahrzeug beseitigt werden kann.

Allgemein gilt, dass eine objektive Unmöglichkeit der Nachbesserung auch dann anzunehmen ist, wenn der Mangel als solcher einschließlich seiner Ursache zwar beseitigt werden kann, dies aber nur unter Zurückbleiben einer technischen und/oder merkantilen Wertminderung möglich ist (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Auflage, Rdnr. 938). Hierauf hat sich die Antragstellerin bereits in ihrem Klageentwurf berufen. Sie hat unter Darlegung im Einzelnen und unter Bezugnahme auf Unterlagen vorgebracht, dass eine Nachbesserung nachteilige Auswirkungen auf das Fahrzeug haben werde (Bl. 13ff. GA), was sie in der Beschwerdeinstanz insbesondere durch Vorlage eines Gutachtens (Anlage BF9) vertieft hat (Bl. 169ff., 230ff. GA). Ferner ist von ihr bereits in dem Klageentwurf im Einzelnen unter Verweis auf Anlagen ausgeführt worden, dass Fahrzeuge, die von dem Abgasskandal betroffen seien, dauerhaft mit einem Makel behaftet seien, was zu einem merkantilen Minderwert führe (Bl. 23ff. GA). Da die von der Antragstellerin als solche schlüssig vorgebrachten und unter Sachverständigenbeweis gestellten Behauptungen, wonach eine Behebung des Mangels ohne das Auftreten von Folgeproblemen nicht möglich sei und es trotz der von den Antragsgegnern angedachten Nachbesserungsmaßnahmen bei dem Fahrzeug zu einer dauerhaften Wertminderung kommen werde, grundsätzlich nur mittels eines Sachverständigengutachtens auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden können (vgl. hierzu den Beweisbeschluss des LG Traunstein vom 10.06.2016, 6 O 1267/18, Anlage BF13), kann vorliegend der beabsichtigen Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO nicht abgesprochen werden. Denn sollte eine Nachbesserung wegen des Verbleibs nachteiliger Folgen für das Fahrzeug objektiv unmöglich sein, wäre grundsätzlich sowohl das Rücktrittsbegehren gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 als auch das Schadensersatzbegehren gegenüber der Antragsgegnerin zu 2 begründet.

Anzumerken ist, dass für den Fall, dass der Mangel folgenlos behoben werden kann, sich das Rücktrittsbegehren der Antragstellerin mit dem Landgericht als derzeit unbegründet darstellt. Denn die Antragstellerin muss sich dann auf das Durchlaufen der Nacherfüllungsphase verweisen lassen. Entgegen ihrer Ansicht ist mit dem Landgericht eine Nachbesserung unbeschadet eines längeren Zuwartens weder unzumutbar noch wegen arglistiger Täuschung entbehrlich. Denn die Antragsgegnerin zu 1 muss sich eine etwaige arglistige Täuschung der Antragsgegnerin zu 2 nicht zurechnen lassen. Demzufolge kommt hier zugunsten der Antragstellerin eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB nicht in Betracht. Der Vertragshändler muss sich das Wissen des Herstellers nicht zurechnen lassen (vgl. Reinking/Eggert, aaO, Rdnr. 4339).“

Da irrt der Amtsrichter, oder: Ein Blick ins Gesetz …

© fotomek - Fotolia.com

© fotomek – Fotolia.com

Nach dem erfreulichen OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16 (dazu OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch)  hier dann eine weitere „schöne“ OLG Celle-Entscheidung, und zwar: Ich habe ja schon häufiger über die Ablehnung von Beweisanträgen im Bußgeldverfahren und die ggf. darauf gestützte Aufhebung es Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) berichtet (vgl. u.a. den OLG Hamm, Beschl. v. 13.01.2016 – 2 RBs 181/15  und den OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 3 RBs 352/15 und dazu Nicht so hurtig mit der Ablehnung von Beweisanträgen, oder: Versagung des rechtlichen Gehörs). Fakt ist, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht jede Ablehnung eines Beweisantrages zur Verletzung des rechtlichen Gehörs führt, sondern grdunsätzlich nur dann, wenn – so die Formulierung der Obergerichte – „der Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Gründe in willkürlicher Weise abgelehnt worden ist“. Und von einem solchen Fall ist das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 28.06.2016 – 2 Ss (OWi) 125/16 – ausgegangen.

Er hat eine mal etwas anderes Konstellation zum Gegenstand.  Der Betroffene, der gegen den gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, hatte über seinen Verteidiger vor Beginn der Hauptverhandlung verschiedene Beweisanträge stellen lassen. Der Betroffene nahm an der Hauptverhandlung dann aber nicht teil, er war vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden; auch der Verteidiger des Betroffenen nahm an der Hauptverhandlung nicht teil. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitesüberschreitung verurteilt. Im Urteil heißt u.a.:

„Anträge wurden in der Hauptverhandlung nicht gestellt. Soweit der Verteidiger beantragt hat, den Schriftsetz vom 25.01.2016 zu verlesen, der (wohl: diesen) als Anlage zum Protokoll zu nehmen, sehen weder die Strafprozessordnung noch das Ordnungswidrigkeitengesetz ein solches Verfahren vor.“

Da irrt der Amtsrichter aber, was ihm dann auch das OLG bescheinigt:

„b) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht die vor der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen und Anträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen und diese erwogen hat.

§ 74 Abs. 1 Salz 1 OWG bestimmt, dass die Hauptverhandlung dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wird, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG bestimmt weiter, dass frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen sind. Gegen diese Vorschrift hat das Amtsgericht verstoßen, indem es sich ausweislich des Urteilsinhaltes geweigert hat, die vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich gestellten Anträge zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWIG soll sicherstellen, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung der auch im Bußgeldverfahren zu beachtenden Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsätze alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene In irgendeinem Stadium des Verfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat im Falle des ihm gestatteten Fernbleibens von der Hauptverhandlung bei der Entscheidung berücksichtigt werden; es handelt sich hierbei um zwingendes Recht (vgl. Senge in: KK-OWiG, 4. Aufl. § 74 Rn. 11 m.w.N.).

Da das Amtsgericht – auch ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls – die Äußerungen und Anträge des Betroffenen nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht hat und diese weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden hat, hat es hierdurch das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (vgl, zu einer ähnlichen Fallgestaltung OLG Dresden DAR 2014, 708 f.). Dies nötigt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.“

Tja, ein Blick ins Gesetz….

OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch

© AKS- Fotolia.com

© AKS- Fotolia.com

Gerade frisch rein gekommen – dem Kollegen Ritter aus Laatzen herzlichen Dank für die Übersendung – ist der erfreuliche OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16, den ich dann auch schnell hier „veröffentlichen“ will. Erfreulich deshalb, weil das OLG Celle nun (ebenfalls) davon ausgeht, dass die Versagung der Messdaten nebst Token eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt. Und: Ferner muss der Betroffene bei der Begründung der Verfahrensrüge auch nicht darlegen, welche Anstrengungen er bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge vorgenommen hat, um in den Besitz der Daten zu kommen. Das hatten schon andere OLG auch so gesehen. Im Einzelnen:

„Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da das angefochtene Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Soweit der Betroffene rügt, dass ihm die Messdaten nebst zugehörigem Token trotz entsprechenden Antrages nicht zur Verfügung gestellt worden sind, ist die Verfahrensrüge ordnungsgemäß erhoben worden, weil sie den Senat in die Lage versetzt, zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft. Denn die Rechtsbeschwerde führt aus, dass der Betroffene mehrfach beantragt hat, ihm die Messdatei zugänglich zu machen und dies weder durch die Verwaltungsbehörde noch durch das Gericht erfolgt ist. Dass der Betroffene im Rahmen der Verfahrensrüge nicht dargelegt hat, was er im Fall der Zugänglichmachung der Messdatei geltend gemacht hätte, steht der Zulässigkeit der Verfahrensrüge nicht entgegen. Solche Ausführungen sind dem Betroffenen nicht möglich gewesen. Auch bedurfte es keiner weiteren Darlegung, welche Bemühungen der Betroffene bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge angestrengt hat, um in den Besitz dieser Datei zu gelangen. Zwar sind die insoweit geltenden Grundsätze bei begehrter Einsichtnahme in eine Bedienungsanleitung eines Messgerätes (vgl. dazu OLG Gelle, DAR 2013, 283; OLG Braunschweig ZfS 2014, 473; OLG Hamm, VRR 2013 (79); KG DAR 2013, 211) auch auf die Einsichtnahme in Rohmessdaten übertragbar (vgl. OLG Celle, Beschluss des hiesigen 2. Senats für Bußgeldsachen vom 21. März 2016, 2 Ss (OWi) 77/16). Dies gilt jedoch nur für öffentlich zugängliche Quellen, wie sie etwa das Entschlüsselungsprogramm für die Auswertung von Rohmessdaten betrifft. Die Rohmessdaten selbst befinden sich jedoch im alleinigen Besitz der Verwaltungsbehörde, die ungeachtet einer Bitte des Betroffenen und bestätigt durch eine gerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts im Vorverfahren nach § 62 OWiG die Herausgabe der Rohmessdaten dem Betroffenen verweigert hat, weshalb eine erneute Bitte unzumutbar und nicht erfolgversprechend erschien (vgl. OLG Oldenburg, DAR 2015, 406).

Ob die Ablehnung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Hinweis darauf, der Beweisantrag gehe ins Blaue hinein, weil es für die Fehlerhaftigkeit der Messung keine Anhaltspunkte gebe, die Verletzung rechtlichen Gehörs begründet, konnte vorliegend dahingestellt bleiben. Denn bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden. Denn nur so wird der Betroffene in die Lage versetzt, die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf diesem Mangel beruht.“

Ich war mir nicht so ganz sicher, welche Überschrift, ich wählen sollte. Zur Auswahl standen: Na bitte, geht doch, oder: Und sie bewegt sich doch…. 🙂 .

Scanausdruck: Erstattung auch nicht bei starker Sehbehinderung?

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Bei dem OLG Celle, Beschl. v. 26.05.2016 – 1 Ws 245/16 – handelt es sich in meinen Augen um eine Art „Steine statt Brot Entscheidung, bzw.: Das OLG nimmt mit der einen Hand, was es gerade mit der anderen Hand gegeben hat. Es geht um die Pflichtverteidigervergütung und dabei um das sattsam bekannte Probleme der Erstattung der Kosten für Ausdrucke von Ablichtungen einer auf CD endgültig dem Pflichtverteidiger überlassenen Aufzeichnung einer Telekommunikation, immerhin in einem Umfang von insgesamt 33.394 Seiten. Das Ganze macht der Pflichtverteidiger ein wenig spät geltend, so dass die Landeskasse Verwirkung einwendet.

Insoweit – also zur Verwirkung – „gibt“ die Landeskasse dem Plfichtverteidiger und verneint die Voraussetzungen für die Annahme einer Verwirkung – die dazu gemachten Ausführungen entsprechen der H.M. in der Rechtsprechung. Aber zu den Auslagen für die Ausdrucke wird dann gleich wieder genommen. Denn die werden nicht erstattet.

aa) Die durch Ausdrucken der kompletten Telekommunikationsinhalte auf der ihm dauerhaft überlassenen CD im Umfang von 33.394 Seiten entstandenen Auslagen sind nicht erstattungsfähig.

Nach Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a W RVG erhält der Rechtsanwalt die Aufwendungen für Ausdrucke aus Gerichtsakten ersetzt, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Ausdrucke kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Beschwerdeführers oder darauf an, ob in seiner Kanzlei eine elektronische Aktenbearbeitung üblich ist oder nicht. Vielmehr ist auf die objektive Sicht eines verständigen sachkundigen Dritten abzustellen. Dabei besteht zwar ein gewisser Ermessenspielraum; andererseits ist der allgemeine Grundsatz der kostenschonenden Prozessführung zu beachten (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2011 – 1 Ws 415¬418/11 – NJW 2012, 1671 mit weiteren Nachweisen).

Der Senat hat zwischenzeitlich seine von dem Beschwerdeführer zitierte vorherige Rechtsprechung (OLG Celle, NJW 2012, 1671) nach der aus der allgemein anerkannten Beweislastverteilung nach § 46 Abs. 1 RVG gefolgert wurde, dass auch bei der Anwendung von Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a W RVG die Staatskasse darlegen und beweisen müsse, dass die Aufwendungen nicht notwendig waren, aufgegeben (OLG Celle, Beschluss vom 11. Dezember 2015 — 1 Ws 518/15 juris). Da das Vergütungsverzeichnis nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG als Anlage zum RVG ausgestaltet worden ist, sind seine Reglungen Bestandteil des Gesetzes. Deshalb hat in der hier zu beurteilenden Frage die speziellere Regelung in Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a VV RVG Vorrang; diese weist aber die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit der Ausdrucke dem zu, der hierfür Aufwendungen geltend macht, also dem Rechtsanwalt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.09.2014 – 111-1 Ws 247/14, 111- 1 Ws 293/14,- juris; OLG Rostock JurBüro 2014, 637; OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 2015, 332).

Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist nicht erkennbar, dass der Ausdruck der CD für die sachgerechte Bearbeitung durch den Beschwerdeführer im Sinne von Nr. 7000 Abs. 1 a VV RVG geboten war.

Dem Beschwerdeführer stand die gesamte Aufzeichnung der Telekommunikation dauerhaft in digitalisierter Form zur Verfügung. Er konnte darauf – das Vorhandensein entsprechender Hard- und Software vorausgesetzt – jederzeit Zugriff nehmen. Eine Fallkonstellation, in der die Gerichtsakten dem Rechtsanwalt nur vorübergehend überlassen wurden und er deshalb daraus Dateien für seine eigenen Unterlagen ausdrucken musste, war deshalb nicht gegeben. Das gilt auch während der Teilnahme an der Hauptverhandlung.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Beschwerdeführer. persönlich nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 5. Oktober 2012 jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einem Computer gearbeitet habe. Denn dies belegt nicht die Notwendigkeit der Ausdrucke vom Standpunkt eines objektiven Dritten.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, sich aufgrund langjähriger Erfahrung eine spezielle Lesetechnik erarbeitet zu haben, die es ermögliche, physisch in Papierform vorliegenden Text quasi zu scannen, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung, weil es nicht auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts, sondern auf die objektive Sicht eines sachkundigen Dritten ankommt.

Das Studium umfangreicher Akten am Bildschirm mag von dem Beschwerdeführer als unangenehmer und für die Augen ermüdender empfunden werden als das Lesen von Papierakten. Eine objektive Notwendigkeit, die Dateien deshalb (vollständig) auszudrucken, folgt daraus auch angesichts der vorgetragenen – auch starken – Sehbeeinträchtigung nicht. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese nicht mit eine Sehhilfe korrigiert werden kann.“

Nun ja, das ist grudnsätzlich leider auch h.M.. Dass dem OLG insoweit nun aber sogar auch eine vom Rechtsanwalt vorgetragene – auch starke – Sehbeeinträchtigung nicht ausreicht, ist allerdings neu und für ich wenig verständlich. Auch die Begründung: „Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese nicht mit einer Sehhilfe korrigiert werden kann.“ macht die Argumentation des OLG für mich nicht nachvollziehbarer. Man fragt sich, warum fragt man denn nicht mal nach.