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OWi I: Sonntagsfahrverbot, oder: (Norm)Adressat?

 Heute hier dann OWi-Entscheidungen.

Und ich beginne mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 01.10.2020 – 1 SsRs 54/20. Nichts weltbewegend Neues, denn die Frage die das OLG Bremen entschieden hat, hat auch bereits vor einiger Zeit das OLG Hamm entschieden, nämlich die Frage nach dem Normadressat des § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO. Stichwort Sonntagsfahrverbot. Dazu meint das OLG Bremen (auch):

„Zwar liegt der Entscheidung des Amtsgerichts ein Rechtsfehler zugrunde, indem darin der Betroffene wegen der fahrlässigen Anordnung beziehungsweise des fahrlässigen Zulassens eines Verstoßes gegen das Sonntagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 StVO verurteilt wurde, weil er nach den Feststellungen des Amtsgerichts als Disponent der Firma … den Zeugen … angewiesen hat, gegen das Sonntagsfahrverbot zu verstoßen. Diese entspricht dem Rechtsverständnis zu § 30 Abs. 3 S. 1 StVO a.F. in der bis zum 18.10.2017 geltenden Fassung, wonach bestimmt war, dass Lastkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 Tonnen an Sonntagen und Feiertagen nicht verkehren durften und wozu in der Rechtsprechung anerkannt war, dass auch ein von dem Fahrzeughalter beauftragter Disponent Täter nach dieser Vorschrift sein konnte, wenn er anordnete oder zuließ, dass ein Lastkraftwagen während der Verbotszeit verkehrte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12.02.1986 – 2 Ob OWi 325/85, juris Ls., DAR 1986, 231; OLG Hamm, Beschluss vom 29.05.2013 – III-3 RBs 336/12, juris Rn. 9, VRR 2013, 470). Mit Wirkung seit dem 19.10.2017 ist dagegen der Wortlaut des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO n.F. dahingehend geändert worden, dass Lastkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 Tonnen an Sonntagen und Feiertagen nicht geführt werden dürfen. Führer eines Fahrzeuges kann nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur derjenige sein, der sich selbst aller oder wenigstens eines Teils der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, also das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt (siehe BGH, Beschluss vom 27.10.1988 – 4 StR 239/88, juris Rn. 11, BGHSt 35, 390; Beschluss vom 23.09.2014 – 4 StR 92/14, juris Rn. 10, BGHSt 59, 311). Dies trifft auf den Disponenten eines Transportunternehmens nicht zu. Er führt das Fahrzeug in dieser Eigenschaft nicht eigenhändig. Zwar wollte der Verordnungsgeber ausweislich der Begründung (siehe die Begründung der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 12.07.2017, BR-Drs. 556/17, S. 29) durch Verwendung des Wortes „führen“ lediglich klarstellen, dass der ruhende Verkehr von dem Sonn- und Feiertagsfahrverbot nicht betroffen ist. Dies ändert aber nichts daran, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des neu gefassten § 30 Abs. 3 S. 1 StVO der vom Fahrzeughalter beauftragte Disponent in dieser Eigenschaft nicht mehr als Normadressat des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO n.F. angesehen werden kann (siehe so bereits OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.01.2020 – IV-2 RBs 185/19, juris Rn. 11, NZV 2020, 484; OLG Köln, Beschluss vom 05.07.2019 – 1 RBs 207/19, juris Rn. 15, VerkMitt 2019, Nr 69).

Dieser Rechtsfehler des Amtsgerichts im Einzelfall begründet aber keinen schwer erträglichen Unterschied in der Rechtsprechung und beruht nicht ersichtlich auf einer gewollten Abweichung vom herrschenden Normverständnis des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO n.F., sondern offenbar lediglich auf einem Übersehen der Änderung dieser Rechtsprechung in der Folge der Neufassung des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO n.F. Ein Anhaltspunkt für eine Wiederholung dieses Rechtsfehlers besteht nicht, dies nicht zuletzt auch aufgrund der Hinweiswirkung der vorliegenden Entscheidung (vgl. ähnlich KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2018 – 3 Ws (B) 234/18, juris Rn. 17).

Zudem führt diese Versagung der Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der fehlenden über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung auch nicht zu einer nicht mehr tolerablen Abweichung der vorliegenden Einzelfallentscheidung von der sonstigen Rechtsprechung: Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass auch für den Fall der Zulassung der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf den Rechtsfehler des Amtsgerichts in der Anwendung des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht eine Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung an das Amtsgericht geboten gewesen wäre, da vielmehr auch ohne eine erneute Beweisaufnahme nach § 79 Abs. 6 OWiG durch das Rechtsbeschwerdegericht bereits auf der Grundlage der vom Amtsgericht festgestellten äußeren Tatsachen, die zugleich einen Schluss auf die innere Tatseite zulassen (vgl. allgemein hierzu zuletzt u.a. BGH, Urteil vom 05.04.2018 – 1 StR 67/18 –, juris Rn. 13, NStZ-RR 2018, 371), das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verurteilung für eine vorsätzliche Beteiligung des Betroffenen an der ebenfalls vorsätzlich begangenen Tat des Fahrers des Lkw nach den § 30 Abs. 3 S. 1 StVO i.V.m. § 14 OwiG festzustellen gewesen wäre. Die aus den oben genannten Erwägungen begründete Versagung der Zulassung der Rechtsbeschwerde wirkt sich damit auch im Hinblick auf den vorliegenden Einzelfall nicht als Verkürzung des Rechtswegs zum Nachteil des Betroffenen aus.“

Pflichti I: Keine nachträgliche Bestellung, oder: Für mich „unfassbare“ OLGe Brandenburg und Bremen

Smiley

Heute stelle ich dann wieder Entscheidungen zur Pflichtverteidigung vor.

Und ich beginne mit zwei OLG-Entscheidungen, die mich ein wenig – oder auch ein wenig mehr ratlos/verärgert/fassungslos zurückgelassen haben. Es sind der OLG Brandenburg, Beschl. v. 09.03.2020 – 1 Ws 19/20 – 1 Ws 20/20 – und der OLG Bremen, Beschl. v. 23.09.2020 – 1 Ws 120/20. Beide OLG äußern sich zur nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers und: Beide OLG lehnen die nachträgliche Beiordnung ab. Beide OLG äußern sich mit keinem Wort zu den gesetzlichen Neuregelungen und dazu, ob man vielleicht nicht dann doch mal die alte Rechtsprechung überdenken muss, sondern fahren auf den alten Pfaden fort und zitieren nur „alte“ Rechtsprechung. Beim OLG Brandenburg kann man das noch einigermaßen nachvollziehen, zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung lagen viele der LG-Entscheidungen, die das zutreffend anders machen, noch nicht vor. Das OLG Bremen hätte sie aber kennen können, m.E. sogar müssen. So sind die Beschlüsse ein Schlag ins Gesicht der LG, die sich mit den Fragen unter Geltung des neuen Rechts befasst haben. Und zugleich auch ein Schlag ins Gesicht des Gesetzgebers, in dem man die Neuregelung der §§ 140 ff. StPO offenbar einfach negiert. Man muss den LG ja nicht folgen – m.E. schon -, aber man muss sich doch zumindest mit der eindeutig anderen h.M. auseinander setzen und kann doch nicht einfach uralte Rechtsprechung zur Stützung einer nicht mehr haltbaren Auffassung heranziehen. Wie gesagt: Unfassbar.

Da die Beschlüsse inhaltlich nichts Neues bringen, stelle ich hier nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Eine rückwirkende nachträgliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kommt  nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn das Verfahren insgesamt noch nicht abgeschlossen ist.

2. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient der ordnungsgemäßen Verteidigung eines Angeklagten sowie einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in der Zukunft. Eine Rückwirkung wäre auf etwas Unmögliches gerichtet und würde eine notwendige Verteidigung des Angeklagten in der Vergangenheit nicht gewährleisten. (Rn. 7)

3. Eine Beiordnung erfolgt insbesondere nicht im Kosteninteresse eines Angeklagten oder um dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen.

1. Eine auf ein beendetes Verfahren bezogene rückwirkende bzw. nachträgliche Bestellung eines Verteidigers ist grundsätzlich unzulässig, da die Bestellung eines Verteidigers nach § 140 StPO nicht im Kosteninteresse des Beschuldigten erfolgt, sondern allein dem Zweck dient, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten.

2. Der Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Bestellung als Verteidiger gilt auch für den Fall einer vorläufigen Einstellung des Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO.

Volltext bitte selber lesen – und ärgern.

OWi I: Nochmals: Keine Speicherung der Rohmessdaten, oder: Mit dem Einwand muss man im Verfahren richtig umgehen

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Heute dann ein OWi-Tag.

Den beginne ich mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 06.04.2020 – 1 SsRs 10/20. Der setzt sich – wie schon die Beschlüsse anderer OLG vor ihm – mit der Umsetzung des VerfGH Saarland-Urteil vom 05.07.2019 auseinander. Mich überrascht nicht, dass auch das OLG Bremen meint, dass der Umstand, dass bei einem standardisierten Messverfahren zur Geschwindigkeitsmessung im Bußgeldverfahren keine Speicherung der Rohmessdaten erfolgt, nicht zur Unzulässigkeit der Verwertung der Messergebnisse dieses Messverfahrens führt:

„(b) Vorliegend liegt der Messung der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen die Verwendung eines Geräts vom Typ Jenoptik TraffiStar S350 zugrunde. Bei den Geschwindigkeitsmessgeräten vom Typ TraffiStar (Typen S330 und S350) handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wie auch der übrigen Oberlandesgerichte um standardisierte Messverfahren im Sinne der vorstehend dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe hierzu die Entscheidung des Senats in Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 30.09.2015 – 1 SsBs 50/15 (TraffiStar S330); aus der Rechtsprechung der übrigen Oberlandesgerichtsbezirke siehe BayObLG, Beschluss vom 09.12.2019 – 202 ObOWi 1955/19, juris Rn. 5, DAR 2020, 145 (TraffiStar S330); OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.10.2015 – 1 Ss (OWi) 156/15, juris Rn. 8, SVR 2015, 465 (TraffiStar S330); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2020 – 2 RBs 30/20, juris Rn. 5 (TraffiStar S350); OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2016 – 3 RBs 385/15, juris Rn. 13, NJW-Spezial 2016, 282 (TraffiStar S330), Beschluss vom 25.11.2019 – 3 RBs 307/19, juris Rn. 21 (TraffiStar S350); OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2008 – 1 Ss 281/07, juris Rn. 56, DAR 2009, 40 (TraffiStar S330); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.01.2020 – 3 Rb 33 Ss 763/19, juris Rn. 8 (TraffiStar S350); OLG Köln, Beschluss vom 10.04.2019 – 1 RBs 416/18, juris Rn. 8, VerkMitt 2019, Nr. 61 (TraffiStar S350); OLG Rostock, Beschluss vom 22.01.2019 – 21 Ss OWi 251/18, juris Rn. 6 (TraffiStar S350); OLG Schleswig, Beschluss vom 11.11.2016 – 2 Ss OWi 161/16 (89/16), juris Rn. 3, SchlHA 2017, 104 (TraffiStar S350); siehe auch VerfGH Saarland, Urteil vom 05.07.2019 – Lv 7/17, juris Rn. 68 f., NJW 2019, 2456 (TraffiStar S350); OVG Bautzen, Beschluss vom 27.10.2016 – 3 A 385/5, juris Rn. 5, VRS 131 Nr. 41 (TraffiStar S330); OVG Münster, Beschluss vom 20.12.2018 – 8 B 1018/18, juris Rn. 6 (TraffiStar S350)).

bb. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat nun im vergangenen Jahr – worauf sich die Rüge des Betroffenen bezieht – entschieden, dass die Verwertung der Messergebnisse eines solchen standardisierten Messverfahrens unzulässig sein soll, wenn dessen Messergebnisse deswegen nicht vom Betroffenen auf der Grundlage ihm zu überlassender Rohmessdaten überprüft werden könnten, weil das jeweilige Messgerät keine Speicherung dieser Daten vornehme (so VerfGH Saarland, Urteil vom 05.07.2019 – Lv 7/17, juris Rn. 125, NJW 2019, 2456). Dieser Rechtsprechung hat sich auf der Grundlage der Bindungswirkung dieser Entscheidung für saarländische Gerichte nach § 10 Abs. 1 des saarländischen VerfGHG auch das OLG Saarbrücken angeschlossen (siehe OLG Saarbrücken, Beschluss vom 28.08.2019 – Ss Rs 26/2019 (46/19 OWi), zit. nach IWW-Institut, Abrufnummer 213257; Beschluss vom 03.09.2019 – Ss Rs 34/2019 (43/19 OWi), zit. nach IWW-Institut, Abrufnummer 213258; Beschluss vom 15.10.2019 – Ss Bs 59/2019 (62/19 OWi), juris Rn. 23, VRS 137, Nr. 3) und auch einzelne Amtsgerichte innerhalb wie auch außerhalb des Saarlandes haben sich für eine Unverwertbarkeit der so gewonnenen Messergebnisse ausgesprochen (siehe AG Bautzen, Beschluss vom 18.07.2019 – 43 OWi 620 Js 24643/18, juris Rn. 1; AG St. Ingbert, Beschluss vom 08.08.2019 – 23 OWi 66 Js 1126/19 (1845/19), juris Rn. 52 (unter Kritik an der Rechtsprechung des VerfGH Saarland); AG Heidelberg, Urteil vom 18.01.2018 – 17 OWi 540 Js 21713/17, juris Rn. 8, ZfSch 2018, 412; AG Neunkirchen, Urteil vom 15.05.2017 – 19 OWi 532/16, juris Rn. 19; AG Stralsund, Urteil vom 07.11.2016 – 324 OWi 554/16, juris Rn. 16, SVR 2017, 193). Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes wie auch des OLG Saarbrücken ist dabei jeweils auch ausdrücklich mit Bezug auch auf das im vorliegenden Fall verwendete Messgerät TraffiStar S350 ergangen (so VerfGH Saarland, a.a.O., juris Rn. 2; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 28.08.2019, a.a.O.). Dabei erkennt der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes die Geltung der Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsfigur des standardisierten Messverfahrens weiterhin an und stellt ausdrücklich auch nicht in Frage, dass das Messgerät TraffiStar S350 als ein solches standardisiertes Messverfahren anzusehen ist (so VerfGH Saarland, a.a.O., juris Rn. 68 f.). Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes begründet sodann aber seine Auffassung zur Unverwertbarkeit der Messergebnisse dieses Messgeräts bei einer fehlenden Speicherung der vom Messgerät gewonnenen Rohmessdaten damit, dass es zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung eines Betroffenen gehöre, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und nachprüfen dürfe, weswegen zu einem rechtsstaatlichen Verfahren auch die grundsätzliche Möglichkeit der Nachprüfbarkeit einer auf technischen Abläufen und Algorithmen beruhenden Beschuldigung zählen müsse (so VerfGH Saarland, a.a.O., juris Rn. 92 ff.).

cc. Von den Obergerichten der übrigen Bundesländer wird demgegenüber diese Auffassung nahezu einhellig abgelehnt und es wird stattdessen angenommen, dass die fehlende Speicherung von Rohmessdaten der Verwertung der Messergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht entgegenstehen soll (siehe BayObLG, Beschluss vom 09.12.2019 – 202 ObOWi 1955/19, juris Rn. 5, DAR 2020, 145; KG Berlin, Beschluss vom 15.05.2014 – 3 Ws (B) 249/14122 Ss 73/14, juris Rn. 13, VRS 127, Nr. 44; OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.01.2020 – (1Z) 54 Ss-OWi 13/20 (13/20), juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.01.2019 – 2 RBs 1/19, juris Rn. 8; Beschluss vom 10.03.2020 – 2 RBs 30/20, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 13.01.2020 – 1 RBs 255/19, juris Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.01.2020 – 3 Rb 33 Ss 763/19, juris Rn. 16 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2019 – 1 RBs 339/19, Rn. 6, DAR 2019, 695; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.09.2019 – 2 Ss (OWi) 233/19, juris Rn. 23 f., NdsRpfl 2019, 399; OLG Schleswig, Beschluss vom 20.12.2019 – II OLG 65/19, juris Rn. 28, SchlHA 2020, 42; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.09.2019 – 1 Rb 28 Ss 300/19, juris Rn. 4, DAR 2019, 697; kritisch ferner, aber i.E. offengelassen in VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.01.2020 – VGH B 19/19, juris Rn. 48, NZV 2020, 97; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.08.2019 – 1 OWi 2 Ss Bs 68/19, juris Rn. 6). Dabei wird zunächst festgestellt, dass eine Bindungswirkung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes für die Gerichte anderer Bundesländer nicht besteht (siehe BayObLG, Beschluss vom 09.12.2019 – 202 ObOWi 1955/19, juris Rn. 5, DAR 2020, 145; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2020 – 2 RBs 30/20, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 13.01.2020 – 1 RBs 255/19, juris Rn. 7; OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2019 – 1 RBs 339/19, Rn. 7, DAR 2019, 695; diese beschränkte Bindungswirkung anerkennend ebenfalls VerfGH Saarland, Urteil vom 05.07.2019 – Lv 7/17, juris Rn. 62, NJW 2019, 2456). Weiter konnte die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes seiner Rechtsprechung zugrunde gelegte Prämisse widerlegt werden, dass die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsfigur des standardisierten Messverfahrens mit Blick auf solche Fälle entwickelt worden seien, in denen die Rohmessdaten zur Überprüfung zur Verfügung standen: Dies ist vielmehr beispielsweise bei dem der diesbezüglichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1997 (siehe BGH, Beschluss vom 30.10.1997 – 4 StR 24/97, juris Rn. 20 ff., BGHSt 43, 277) zugrundeliegenden Laserhandmessgerät LTI 20/20 (sog. Laserpistole) nicht der Fall (siehe BayObLG, a.a.O., juris Rn. 6; OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Oldenburg, a.a.O., juris Rn. 26 f.). Eine von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt erteilte Zulassung des verwendeten Messgeräts zur innerstaatlichen Eichung sei als ein antizipiertes Sachverständigengutachten zu begreifen, welches die Richtigkeit des gemessenen Wertes indiziere (siehe BayObLG, a.a.O., juris Rn. 8; OLG Düsseldorf, a.a.O., juris Rn. 8). Gegenüber der vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hervorgehobenen Bedeutung des Grundsatzes des fairen Verfahrens wird darauf hingewiesen, dass es hierzu einer Gesamtschau bedürfe, bei der neben den Rechten des Betroffenen insbesondere auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege – zumal im OWiG-Verfahren – zu berücksichtigen seien (siehe VerfGH Rheinland-Pfalz, a.a.O.; vgl. auch OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O., juris Rn. 14; OLG Köln, a.a.O.).

dd. Festzustellen ist aber, dass die Argumentation des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes sich als nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Grundsätzen der Anwendung von standardisierten Messverfahren vereinbar erweist, wonach bei diesen durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahren ein Erfordernis, dass sich das Tatgericht von der Zuverlässigkeit der Messungen im konkreten Fall überzeugt, nur dann bestehen soll, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (siehe BGH, Beschluss vom 19.08.1993 -4 StR 627/92, juris Rn. 28, BGHSt 39, 291; Beschluss vom 30.10.1997 – 4 StR 24/97, juris Rn. 26, BGHSt 43, 277). Diese Grundsätze würden nicht beachtet, wenn auch ohne das Vorliegen solcher konkreten Anhaltspunkte für Messfehler allein wegen der fehlenden Speicherung von Rohmessdaten die Messergebnisse des betreffenden Geräts als unverwertbar angesehen würden (siehe BayObLG, a.a.O., juris Rn. 5; OLG Schleswig, a.a.O.). Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich das Oberlandesgericht Saarbrücken der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes angeschlossen hat, bedarf es auch keiner Divergenzvorlage in entsprechender Anwendung des § 121 Abs. 2 GVG (siehe hierzu allgemein BGH, Beschluss vom 08.05.2013 – 4 StR 336/12, juris Rn. 11, BGHSt 58, 243; vgl. auch VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.01.2020 – VGH B 19/19, juris Rn. 33, NZV 2020, 97 m.w.N.) für eine Abweichung von dieser Auffassung, so es denn auf diese Frage überhaupt entscheidungserheblich ankäme, da es sich hier vielmehr um eine höchstrichterlich bereits geklärte Rechtsfrage handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2018 – 5 StR 230/18, juris Rn. 5, NStZ-RR 2019, 110 m.w.N.): Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nach den vorstehenden Ausführungen eine Überprüfung der Messergebnisse eines standardisierte Messverfahrens nur bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für Messfehler geboten und dieser Rechtsstandpunkt schließt es zugleich entgegen der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes sowie des Oberlandesgerichts Saarbrücken aus, diese Messergebnisse schon wegen des allgemeinen Umstands der nicht erfolgten Speicherung von Rohmessdaten als unverwertbar anzusehen. Dies ist nicht mit dem Fehlen einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle des Messergebnisses eines standardisierten Messergebnisses gleichzusetzen, sondern es ist das Überprüfungsinteresse vielmehr dadurch gewahrt, dass bei begründeten Zweifeln an der Konformität des in Rede stehenden Gerätes mit den zulassungstechnischen Vorgaben der PTB oder bei Vermutung eines Gerätedefekts die Möglichkeit einer Befundprüfung durch die zuständige Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle besteht, mit der festgestellt werden kann, ob ein geeichtes bzw. eichfähiges Messgerät die Verkehrsfehlergrenzen einhält (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.08.2019 – 2 RBs 123/19, juris Rn. 9).“

Also nichts Neues aus dem Norden. Allerdings: Wenn man die Frage in der Rechtsbeschwerde rügen will, muss man das natürlich in der Hauptverhandlung mit einem Widerspruch vorbereiten und dazu in der Rechtsbeschwerde dann auch vortragen. Das hatte der Verteidiger hier übersehen, so dass die Rechtsbeschwerde schon aus dem Grund keinen Erfolg haben konnte. Das OLG hätte also gar nicht so viel Worte machen müssen 🙂 .

 

Was dürfen Amtsanwälte? oder: Beim LG dürfen Amtsanwälte nichts tun.

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den OLG Bremen, Beschl. v. 18.05.2020 – 1 Ws 49/20. Er nimmt Stellung zur Frage der Wirksamkeit von Prozesserklärungen von Amtsanwälten gegenüber dem Landgericht. Und: Die Wirksamkeit wird verneint:

„Der Verurteilte verbüßte Freiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 19.02.2016 (26 Ds 980 Js 45341/14) und des Amtsgerichts Hannover vom 15.02.2017 (245 Ls 2081 Js 97827/14). Mit dem angefochtenen Beschluss vom 26.03.2020 setzte die Strafvollstreckungskammer den Rest der Freiheitsstrafen am 08.04.2020 zur Bewährung aus. Er wurde der Staatsanwaltschaft Bremen – Zweigstelle Bremerhaven – am 01.04.2020 zugestellt. Am 02.04.2020 legte diese Staatsanwaltschaft per Telefax durch eine Oberamtsanwältin sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Mit Verfügung vom 12.05.2020, eingegangen per Telefax am 13.05.2020, nahm die Staatsanwaltschaft Bremen – Zweigstelle Bremerhaven – die Beschwerde zurück.

Die notwendigen Auslagen des Verurteilten waren gem. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen. Die zurückgenommene Beschwerde war bereits unzulässig und konnte keinerlei Wirkung entfalten.

Die Strafvollstreckung steht den Amtsanwälten gem. § 451 Abs. 2 StPO nur insoweit zu, als sie ihnen die Landesjustizverwaltung übertragen hat. Eine solche ist in Bremen nicht erfolgt. Damit sind die Amtsanwälte von jeder Prozeßerklärung gegenüber dem Landgericht ausgeschlossen.

Gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StPO (muss GVG heißen) wird das Amt der Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten durch Staatsanwälte ausgeübt. Amtsanwälte sind gem. §§ 142 Abs. 1 Nr. 3, 145 Abs. 2 StPO (muss GVG heißen) grundsätzlich auf Tätigkeiten bei den Amtsgerichten beschränkt. Prozeßerklärungen von Amtsanwälten gegenüber dem Landgericht verstoßen gegen das für sie geltende gesetzliche Verbot, Verfahrensrechte der Staatsanwaltschaft vor den Landgerichten wahrzunehmen und sind unwirksam (BayObLG, Beschluß vom 12.12.1973 – RReg. 1 St 201/73, NJW 1974, 761; BGH, Beschluss vom 29. November 2011 – 3 StR 281/11 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. A. 2020, § 142 GVG Rn 19; KK-StPO/Mayer, 8. Aufl. 2019, GVG § 142 Rn. 3 ; BeckOK GVG/Huber, 6. Ed. 1.2.2020, GVG § 142 Rn. 7).“

OWi III: (Zu) kurzfristige Rücknahme des Einspruchs ==> Kosten?, oder: Erkundigungspflicht des Gerichts?

entnommen wikimedia.org

Die letzte Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 22.04.2020 – 1 SsBs 65/19 – aus dem Norden. Die Entscheidung passt ganz gut zu dem vorhin vorgestellten KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20 – (vgl. dazu OWi II: Erkundigungspflicht des Gerichts vor Verwerfungsurteil?, oder: Willkommen im 21. Jahrhundert). In meinen Augen führt auch dieser Beschluss zum Kopfschütteln.

Folgender Sachverhalt: Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen. Auf den Einspruch des Betroffenen beraumte das AG Bremen Hauptverhandlung an für den 25.07.2019 um 10:00 Uhr. Am 25.07.2019 ging um 09:02 Uhr per Telefax beim AG die Rücknahme des Einspruchs ein. Die Hauptverhandlung begann um 10:00 Uhr. Da weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen und der zuständigen Richterin die Rücknahme des Einspruchs nicht zur Kenntnis gelangte, verwarf sie den Einspruch des Betroffenen mit Urteil vom 25.07.2019 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Der Betroffene legte gegen das Urteil „Rechtsmittel“, ein. Das OLG hat das Urteil des AG aufgehoben, da nach Einspruchsrücknahme der Einspruch nicht mehr durch Urteil verworfen werden durfte. Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat es aber dem Betroffenen auferlegt:

„Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren dem Betroffenen gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 2 StPO aufzuerlegen, denn er hat sie durch eine schuldhafte Säumnis verursacht.Die Säumnis muss zwar grundsätzlich eine Frist oder einen Termin betreffen; allgemein nachlässiges Verhalten bei der Verteidigung oder Prozessverschleppung genügen nicht (BVerfG NStE Nr. 4 zu § 467; Pfeiffer Rn. 5; Degener in SK-StPO Rn. 8). Eine derartige Säumnis liegt aber auch dann vor, wenn das Ausbleiben zwar durch triftige Gründe gerechtfertigt war, der Betroffene dem Gericht jedoch nicht rechtzeitig von der Verhinderung Kenntnis gegeben hat, obwohl ihm dies nach den Umständen möglich war (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 4). Entsprechend verhält es sich dann, wenn die Rücknahme des Einspruchs so spät erfolgt, dass damit gerechnet werden muss, dass sie den zuständigen Spruchkörper vor dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr erreicht. Ergangen ist das angefochtene Urteil nur, weil er Betroffene seinen Einspruch so kurz vor der Hauptverhandlung zurückgenommenen hat, dass die zuständige Richterin nicht rechtzeitig davon erfahren hat. Eingegangen ist die Rücknahme per Fax knapp eine Stunde vor Beginn der Hauptverhandlung. Nach den üblichen Geschäftsabläufen in einem derart großen Gericht wie dem Amtsgericht Bremen konnte der Betroffenen nicht davon ausgehen, dass die zuständige Richterin davon noch rechtzeitig vor der Verhandlung erfahren würde.“

Ich habe Bedenken, ob die Entscheidung des OLG allgemein zutreffend ist. Denn sie legt dem Betroffenen die Haftung für Vorgänge auf, die er nicht beeinflussen kann. Denn wie soll der Betroffene letztlich sicher stellen, dass seine – in der Tat kurzfristige – Rücknahme den zuständigen Richter rechtzeitig erreicht? Eine telefonische Nachricht an den Richter dürfte keinen Erfolg haben, denn der befindet sich in der Sitzung. Natürlich kann der Betroffene durch eine entsprechende Nachricht auf seiner Rücknahme „Bitte sofort vorlegen!“ o.Ä. versuchen zu erreichen, dass die Rücknahme von der Posteingangsstelle zur Geschäftsstelle gebracht wird, die dann (hoffentlich) den Richter informiert. Wenn man aber die Abläufe bei Gericht kennt, muss man m.E. bezweifeln, ob das klappt. Andererseits: Warum verlangt man nicht vom Gericht, dass es sich auf der Geschäftsstelle nach einem Eingang erkundigt, der das Ausbleiben des Betroffenen erklärt? Das Gericht hat vor seiner Verwerfungsentscheidung eine Wartepflicht, die sich für solche Erkundigungen gut nutzen ließe. Aber das hatten wir ja schon, siehe den KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20.