OWi III: (Zu) kurzfristige Rücknahme des Einspruchs ==> Kosten?, oder: Erkundigungspflicht des Gerichts?

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Die letzte Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 22.04.2020 – 1 SsBs 65/19 – aus dem Norden. Die Entscheidung passt ganz gut zu dem vorhin vorgestellten KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20 – (vgl. dazu OWi II: Erkundigungspflicht des Gerichts vor Verwerfungsurteil?, oder: Willkommen im 21. Jahrhundert). In meinen Augen führt auch dieser Beschluss zum Kopfschütteln.

Folgender Sachverhalt: Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen. Auf den Einspruch des Betroffenen beraumte das AG Bremen Hauptverhandlung an für den 25.07.2019 um 10:00 Uhr. Am 25.07.2019 ging um 09:02 Uhr per Telefax beim AG die Rücknahme des Einspruchs ein. Die Hauptverhandlung begann um 10:00 Uhr. Da weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen und der zuständigen Richterin die Rücknahme des Einspruchs nicht zur Kenntnis gelangte, verwarf sie den Einspruch des Betroffenen mit Urteil vom 25.07.2019 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Der Betroffene legte gegen das Urteil „Rechtsmittel“, ein. Das OLG hat das Urteil des AG aufgehoben, da nach Einspruchsrücknahme der Einspruch nicht mehr durch Urteil verworfen werden durfte. Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat es aber dem Betroffenen auferlegt:

„Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren dem Betroffenen gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 2 StPO aufzuerlegen, denn er hat sie durch eine schuldhafte Säumnis verursacht.Die Säumnis muss zwar grundsätzlich eine Frist oder einen Termin betreffen; allgemein nachlässiges Verhalten bei der Verteidigung oder Prozessverschleppung genügen nicht (BVerfG NStE Nr. 4 zu § 467; Pfeiffer Rn. 5; Degener in SK-StPO Rn. 8). Eine derartige Säumnis liegt aber auch dann vor, wenn das Ausbleiben zwar durch triftige Gründe gerechtfertigt war, der Betroffene dem Gericht jedoch nicht rechtzeitig von der Verhinderung Kenntnis gegeben hat, obwohl ihm dies nach den Umständen möglich war (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 4). Entsprechend verhält es sich dann, wenn die Rücknahme des Einspruchs so spät erfolgt, dass damit gerechnet werden muss, dass sie den zuständigen Spruchkörper vor dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr erreicht. Ergangen ist das angefochtene Urteil nur, weil er Betroffene seinen Einspruch so kurz vor der Hauptverhandlung zurückgenommenen hat, dass die zuständige Richterin nicht rechtzeitig davon erfahren hat. Eingegangen ist die Rücknahme per Fax knapp eine Stunde vor Beginn der Hauptverhandlung. Nach den üblichen Geschäftsabläufen in einem derart großen Gericht wie dem Amtsgericht Bremen konnte der Betroffenen nicht davon ausgehen, dass die zuständige Richterin davon noch rechtzeitig vor der Verhandlung erfahren würde.“

Ich habe Bedenken, ob die Entscheidung des OLG allgemein zutreffend ist. Denn sie legt dem Betroffenen die Haftung für Vorgänge auf, die er nicht beeinflussen kann. Denn wie soll der Betroffene letztlich sicher stellen, dass seine – in der Tat kurzfristige – Rücknahme den zuständigen Richter rechtzeitig erreicht? Eine telefonische Nachricht an den Richter dürfte keinen Erfolg haben, denn der befindet sich in der Sitzung. Natürlich kann der Betroffene durch eine entsprechende Nachricht auf seiner Rücknahme „Bitte sofort vorlegen!“ o.Ä. versuchen zu erreichen, dass die Rücknahme von der Posteingangsstelle zur Geschäftsstelle gebracht wird, die dann (hoffentlich) den Richter informiert. Wenn man aber die Abläufe bei Gericht kennt, muss man m.E. bezweifeln, ob das klappt. Andererseits: Warum verlangt man nicht vom Gericht, dass es sich auf der Geschäftsstelle nach einem Eingang erkundigt, der das Ausbleiben des Betroffenen erklärt? Das Gericht hat vor seiner Verwerfungsentscheidung eine Wartepflicht, die sich für solche Erkundigungen gut nutzen ließe. Aber das hatten wir ja schon, siehe den KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20.

5 Gedanken zu „OWi III: (Zu) kurzfristige Rücknahme des Einspruchs ==> Kosten?, oder: Erkundigungspflicht des Gerichts?

  1. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Ich mag das mal ganz unvoreingenommen fragen, aber aus Sicht des Betroffenen… Oder Seines Verteidigers… Wieso nimmt man denn so zeitnah vor dem Termin zurück? Ist das denn wirklich etwas, was man sich eine Stunde vor der Verhandlung überlegt oder könnte man das nicht am Abend vorher noch schicken?

    Wenn es da ne gute Erklärung gibt, gerne. Aber auf den ersten Blick spricht doch irgendwie wenig dafür, oder sehe ich die einfache Lösung nicht?

  2. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Da mag es Gründe vür geben, die wir nicht kennen. Einer könnte sein, die Rechtskraft hinaus zu schieben. Aber das ändert doch nichts daran, dass man den Betroffenen doch nicht abstrafen darf für eine – in den Augen des OLG – zu späte Rücknahme. Wie gesagt: Wie soll der Betroffene die rechtzeitig Info an das Gericht denn sicher stellen. Schauen Sie sich den KG-Beschluss von heute an. Da hat es drei Tage gedauert, bis die Nachricht/die Eingabe bei der Geschäftsstelle war.

  3. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Ich halte es in dem drei-Tages-Fall auch für falsch. Aber wo soll man denn die Grenze ziehen.

    Bei einer Stunde.. Oder zehn Minuten.. Oder fünf?

    Je nach Größe des Gerichts kommt man evtl in der Zeit gar nicht zum Sitzungssaal (im evtentuellen Nebengebäude) rüber gelaufen, selbst wenn man tüchtig und flink ist als Servicekraft.

    Was ich aber nicht verstehe.. Niemand hindert mich doch als Richter dran, die Akte auf den Stapel zu legen und erst am Ende des Sitzungstages (nach kurzem Plausch mit der Geschäftsstelle) den Einspruch zu verwerfen (falls dann noch nötig)

    Von der Rücknahme Kenntnis zu nehmen macht nämlich weniger Arbeit, als einen Verwefungstenor zu basteln und sei es auch nur Ankreuzen auf dem Formblatt… Und dann wenn die Beschwerde kommt sogar noch begründen müssen. Pfui, Aufwand.

    Es spricht also schon unter Arbeitsvermeidungsgesichtspunkten viel für eine kurze Nachschau, wieso die Kundschaft fehlt.

    Und Arbeitsvermeidung ist nun wirklich ein Argument, das in meiner Zunft gut zieht 😉

  4. Richter im Bezirk des OLG Köln

    @Richter im OLG-Bezirk München:

    Die Verwerfung am Ende des Sitzungstages durch den Richter im Dienstzimmer oder auf der Geschäftsstelle dürfte dann entweder gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen oder eine Falschbeurkundung im Amt darstellen (Anwesenheit der Protokollkraft).

    Ich hätte die Kosten der Staatskasse auferlegt. 1 Stunde ist in jedem Gericht zu schaffen, wenn an das Zentralfax oder an das korrekte Abteilungsfax gefaxt wird.

  5. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Niemand hat gesagt dass ich das im Büro machen soll. Natürlich im Sitzungssaal, also bitte. Aber Ob ich zwischendrin weg gehe oder was anderes verhandele und wiederkomme, stört niemanden.

    „auch bei erneutem aufruf der Sache um xy Uhr ist niemand erschienen.“

    Und seit wann hat man eine Protokollkraft in OWi Sitzungen? Was sind denn das für Luxusbedingungen bei euch? Ich hab ein Diktiergerät dabei, mehr nicht ;-/

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