„1. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das AG den Begriff der ‚genügenden Entschuldigung‘ i.S.v. § 74 II OWiG verkannt und demgemäß das Fernbleiben des Betr. in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat, wodurch der Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör verletzt worden ist.
a) Der Begriff der „genügenden Entschuldigung darf nicht eng ausgelegt werden. Denn § 74 II OWiG enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne den Betr. nicht verhandelt werden darf. Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichti-gen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betr. das ihm nach Art. 103 I GG verbürg-te rechtliche Gehör entzogen wird. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Betr. gebo-ten (OLG Bamberg, Beschl. v. 06.03.2013 – 3 Ss 20/13 [für § 329 I Satz 1 StPO] = OLGSt StPO § 329 Nr 32).
b) Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betr. einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betr. unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Betr. genügend entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt ist. Den Betr. trifft daher hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grund-sätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis; vielmehr muss das Gericht, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungs-grund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (st.Rspr.; vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 28.11.2011 – 3 Ss OWi 1514/11 = ZfS 2012, 230 = OLGSt StPO § 329 Nr 31 = GesR 2012, 231 sowie zuletzt u.a. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 und KG, Beschl. v. 27.08.2018 – 3 Ws [B] 194/18 [jeweils bei juris]). Ein Sachvortrag zum Entschuldigungsgrund der Erkrankung erfordert für seine Schlüssigkeit zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes. Dies kann durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen erfolgen, ohne dass diesen die Art der Erkrankung zu entnehmen sein muss. Anderenfalls bedarf es zumindest ent-sprechenden Sachvortrags zu Art und Auswirkung der geltend gemachten Erkrankung, um dem Gericht die Grundlage für eine rechtliche Bewertung zu bieten, ob dem Betr. die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar ist. Die pauschale Mitteilung, der Betr. sei „erkrankt“, „bettlägerig erkrankt“ oder „plötzlich erkrankt“, genügt diesen Anforderungen deshalb nicht und begründet keine Verpflichtung des Gerichts, bei etwaigen Zweifeln weitere Feststellungen im Freibeweisverfahren zu treffen (vgl. schon OLG Bamberg, Beschl. v. 14.01.2009 – 2 Ss OWi 1623/08 = NStZ-RR 2009, 150 = VM 2009, Nr 32 = NZV 2009, 303 = OLGSt OWiG § 74 Nr 20; KG, Beschl. v. 18.01.2018 – 3 Ws [B] 5/18 – VRS 133, Nr 1; OLG Zweibrücken a.a.O.).
c) Bescheinigungen, insbesondere ärztliche Atteste haben andererseits so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht, es sei denn, das Vorbringen ist aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich ungeeignet, das Ausbleiben zu entschuldigen (OLG Bamberg a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.08.2016 – 53 Ss-OWi 491/16 [bei juris]; ferner schon BayObLGSt 2001, 14/16 und zuletzt KG a.a.O.). Bloße Zweifel an einer genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Betr. gehen. Das Gericht ist in die-sem Fall vielmehr gehalten, seinen Zweifeln – ggf. im Wege des Freibeweises (BayObLGSt 1998, 79/82) – nachzugehen.
d) Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist gleichwohl nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betr. vor der Hauptverhandlung schlüs-sig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind; nur dann ist er auch nicht ver-pflichtet, die Richtigkeit seines Vorbringens glaubhaft zu machen und durch Vorlage von geeigneten Unterlagen zu belegen. Eine andere Sicht wäre mit dem Gesetzeszweck, das Verfahren zu beschleunigen und den Betr. daran zu hindern, eine gerichtliche Ent-scheidung nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, unver-einbar. In diesen Fällen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Stre-ben nach einer möglichst gerechten Sachentscheidung mit der Folge zurück treten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334 f.).
2. Nachdem der Betr. über seine Verteidigerin schon am Vortag der für den 01.08.2018 anberaumten Hauptverhandlung und im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an ein an diesem Tag von seiner Verteidigerin mit der Vorsitzenden geführtes Telefonat dem Gericht per Telefax-Schreiben vom 31.07.2018 eine unter dem 27.07.2018 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) für den Zeitraum vom 27.07.2018 bis „voraussichtlich […] einschließlich 10.08.2018“ mitsamt einem, wenn auch nicht vollständig lesbaren eingedruckten Diagnoseschlüssels übermittelte, war das AG aufgrund der konkreten Hinweise auf einen berechtigten Entschuldigungsgrund gehalten, diesem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen, insbesondere fortbestehende Zweifel durch eine Anfrage bei dem behandelnden Arzt abzuklären. Von dieser Verpflichtung wurde das Gericht schon aufgrund der Inhalte des vorangegangenen Telefonats mit der Verteidigerin und des Begleitschreibens der Verteidigung vom 31.07.2018 nicht dadurch entbunden, dass aus der übermittelten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der ausstellende Arzt – möglicherweise infolge einer falschen Zoomein-stellung des Übermittlungsgeräts – nicht entnommen werden konnte. Denn in der Vorlage des Attests durch den Betr. liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht. Gründe dafür, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend anzusehen wäre, sind nicht ersichtlich. Dies gilt erst recht, als die Verteidigerin noch vor dem Termin mit weiterem Telefax-Schreiben vom 01.08.2018 darauf hinwies, dass die übermittelte Arbeits-unfähigkeitsbescheinigung von der Hausärztin des Betr. ausgestellt wurde und von dieser „zunächst ein beidseitiges Lumbago“ diagnostiziert worden sei und mit dem Schreiben nochmals die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27.07.2018 mitüber-sandte, wobei aufgrund des gegenüber der Erstübersendung günstigeren Bildausschnitts nunmehr neben der Praxisanschrift und Telefonnummer der behandelnden Ärztin einschließlich ihres Titels und Vornamens auf der Bescheinigung der aufgedruckte Diagnoseschlüssel bzw. ICD-Code „M54.5 G B“ ebenso ohne weiteres lesbar war wie die im Klartext aufgedruckte Beschreibung „Lumbago beidseitig“.“