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OWi III: Begründung des Beschlusses nach § 72 OWiG, oder: Wie ein Urteil

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Und als dritte Entscheidung dann noch den OLG Bamberg, Beschl. v. 29.11.2018 – 2 Ss OWi 1359/18 – zu den inhaltlichen Anforderungen an die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG. Wie fast immer beim OLG Bamberg reicht der Leitsatz:

Unbeschadet der Tatsache, dass sich im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG der Umfang der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin auch auf den Akteninhalt erstreckt, soweit die tatrichterliche Überzeugung darauf gestützt ist, müssen die Beschlussgründe so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale (§ 72 Abs. 4 Satz  3 OWiG) sowie des Rechtsfolgenausspruchs (§ 72 Abs. 4 Satz 5 OWiG) aus sich selbst heraus ermöglichen; gebotene Feststellungen und Würdigungen dürfen daher nicht durch Verweisungen auf den Bußgeldbescheid oder auf den sonstigen Akteninhalt ersetzt werden.

Verfahrensabtrennung bei der Einziehung, oder: Gibt es für den Drittbeteiligten ein Rechtsmittel?

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Die 3. KW. eröffne ich mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 01.10.2018 – 1 Ws 479/18, der eine verfahrensrechtliche Problematik in Zusammenhang mit Einziehung behandelt.

Die StA hat gegen den Angeklagten am 30.05.2018 Anklage wegen Betrugs bzw. Beihilfe zum Betrug erhoben. Gegen seine Ehefrau und andere macht sie das Vorliegen eines Vertretungsfalles i.S.v. § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB (n.F.) geltend und beantragt u.a., diese als Einziehungsbeteiligte gemäß § 424 StPO am Verfahren zu beteiligen. Am 01.08.2018 hat das LG das Verfahren teilweise wegen Verfolgungsverjährung eingestellt, im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Einziehungsbeteiligung der Ehefrau des Angeklagten sowie weiterer Beteiligter angeordnet. Mit Beschluss vom 08.08.2018 hat das LG dann das Verfahren über die Einziehung u.a. hinsichtlich der Einziehungsbeteiligten und Ehefrau des Angeklagten gem. § 422 StPO (n.F.) abgetrennt. Gegen diesen Beschluss hat die Einziehungsbeteiligte sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie geltend macht, durch die vollständige Abtrennung des Verfahrens werde hinsichtlich der Fälle 101 bis 110 der Anklage ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Das LG hat die sofortige Beschwerde als einfache Beschwerde behandelt, dieser nicht abgeholfen und die Abtrennungsentscheidung näher begründet. Die GStA beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, da es sich bei der Abtrennung um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts handle, also § 305 Satz 1 StPO. Das OLG sagt/meint:

„Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten der Einziehungsbeteiligten findet gegen die Entscheidung vom 08.08.2018 eine sofortige Beschwerde nicht statt, insbesondere ergibt sich die Statthaftigkeit nicht aus § 424 IV 2 StPO. Nach § 424 IV 2 StPO kann lediglich der Beschluss, mit dem eine Verfahrensbeteiligung abgelehnt wird, mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Das LG hat vielmehr mit Beschluss vom 01.08.2018 ausdrücklich die Einziehungsbeteiligung der Bf’in angeordnet. Eine Ablehnung der Beteiligung ergibt sich auch nicht aus dem Abtrennungsbeschluss vom 08.08.2018. Abgetrennt wird lediglich das Verfahren über die Einziehung mit der Folge, dass die Entscheidung über die Einziehung nach Rechtskraft der Entscheidung über die Hauptsache zu treffen ist (§ 423 I 1, II StPO). Eine Nichtbeteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass das Gericht nach § 423 I 2 StPO bei seiner Entscheidung über die Einziehung an die Entscheidung in der Hauptsache und die dortigen Feststellungen gebunden ist. Im Gegenteil: Die vom Gesetzgeber gewollte Bindungswirkung kann, da die Einziehungsentscheidung auch in die Rechte der Einziehungsbeteiligten eingreift, nur dann gelten, wenn und soweit der Einziehungsbeteiligte die Möglichkeit hatte, seine Rechte bereits im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Vor diesem Hintergrund können die §§ 422, 423 StPO nur dahingehend verstanden werden, dass durch eine Abtrennung nach § 422 StPO die Beteiligung am Verfahren nach § 424 I StPO nicht berührt wird (so auch Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler StPO 61. Aufl. § 422 Rn. 5; § 423 Rn. 5; § 424 Rn. 1; BeckOK StPO/Temming StPO [30. Edit., Stand: 01.06.2018] § 422 Rn. 1). Insoweit wird auch der Anspruch der Einziehungsbeteiligten auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Denn ihr stehen auch weiterhin die Rechte aus §§ 427, 430 und 431 StPO in der Weise zu, wie sie ihr ohne die Abtrennung zugestanden hätten.

Das Rechtsmittel der Einziehungsbeteiligten ist trotz der eindeutigen Bezeichnung als sofortige Beschwerde gem. § 300 StPO als einfache Beschwerde nach § 304 I StPO gegen die Abtrennung zu behandeln […]. Insoweit ist das Rechtsmittel auch statthaft (wie hier, wenn auch ohne Begründung: LG Offenburg, Beschl. v. 08.01.2018 – 3 Qs 118/17 [bei juris]).

Ein ausdrücklicher Ausschluss der Beschwerde i.S.v. § 304 I StPO liegt nicht vor. Eine Anfechtbarkeit ist aber auch nicht durch § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen (so aber BeckOK StPO/Temming § 422 Rn. 5). Zwar handelt es sich bei der im Ermessen des Gerichts stehenden Abtrennung nach § 422 StPO um eine Entscheidung des erkennenden Gerichts, die der Entscheidung in der Hauptsache i.S.v. § 305 S. 1 StPO vorausgeht. Auch fällt die Entscheidung über die Abtrennung nach § 422 StPO nicht unter die Ausnahmefälle des § 305 S. 2 StPO, zumal die Einziehungsbeteiligte aufgrund der Beteiligungsentscheidung vom 01.08.2018 gerade keine Dritte ist.

Unter § 305 S. 1 StPO fallen allerdings regelmäßig nur solche Entscheidungen, die im inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen. Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar (KG, Beschl. v. 09.12.2016 – 4 Ws 191/16 [bei juris] und schon v. 10.05.2012 – 4 Ws 42/12 = NStZ-RR 2013, 218; Meyer-Goßner/Schmitt § 305 Rn. 4 f.; KK-StPO/Zabeck 7. Aufl. § 305 StPO Rn. 5).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Anfechtbarkeit hier nicht durch § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen. Zwar zielt eine Abtrennung des Verfahrens über die Einziehung, wenn die Herbeiführung der Entscheidung hierüber die Entscheidung über die Hauptsache verzögern würde, auch darauf ab, die Abwicklung des Hauptsacheverfahrens zu fördern, so dass ein innerer Zusammenhang mit der Urteilsfällung in der Hauptsache in Betracht kommt. Auch dient die Entscheidung nach § 422 StPO dem Grundsatz der Beschleunigung im Hauptsacheverfahren. Andererseits erzeugt eine Abtrennung nach § 422 StPO durchaus weitere Verfahrenswirkungen. Die Einziehungsentscheidung hinsichtlich der abgetrennten Einziehungsbeteiligten wird verzögert bzw. gehemmt und auf einen nach § 423 StPO zu bestimmenden Zeitpunkt nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache hinausgeschoben, obwohl eine Entscheidung über eine Einziehung nach §§ 73, 73a, 73b StGB grundsätzlich obligatorisch gemeinsam mit der Entscheidung in der Hauptsache zu erfolgen hat. Damit ist die Situation […] durchaus mit der Rspr. zur Anfechtbarkeit von Entscheidungen hinsichtlich der Abtrennung eines von mehreren Mitangeklagten nach §§ 2 II bzw. 4 StPO vergleichbar. Insoweit besteht im wesentlichen Einigkeit damit, dass der Abtrennungsbeschluss grundsätzlich mit der Beschwerde angefochten werden kann. Umstritten ist lediglich der Prüfungsumfang. Während nach der einen Ansicht (BGH, Beschl. v. 06.08.2013 – 1 StR 201/13 = NStZ-RR 2013, 352; Meyer-Goßner/Schmitt § 2 Rn. 13; KK-StPO/Scheuten § 2 StPO Rn. 15) das Beschwerdegericht – anders als das Revisionsgericht – die Ermessensentscheidung vollständig zu überprüfen hat, soll nach der anderen Auffassung (KG a.a.O. m.w.N; im Überblick: KK-StPO/Zabek § 305 Rn. 6 m.w.N.) eine Beschwerde ausnahmsweise nur dann zulässig sein, wenn sich die Abtrennung ausschließlich hemmend oder verzögernd auf das Verfahren auswirkt oder die Abtrennung auf Willkür beruht. Zwar werden anders als bei der Abtrennung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten durch die Abtrennung der Entscheidung über die Einziehung die Rechte des Einziehungsbeteiligten hinsichtlich seiner Beteiligung an der Hauptsache weder betroffen noch eingeschränkt (vgl. schon oben). Dieser kann seine Beteiligtenrechte vielmehr uneingeschränkt wahrnehmen und seine Einwendungen gegen die Hauptsache unterliegen der Überprüfung sowohl bei der Urteilsfällung als auch in Rahmen eines evtl. Rechtsmittelverfahrens. Andererseits kann durch eine fehlerhafte, nicht den Voraussetzungen des § 422 StPO genügende Abtrennung auch der Anspruch des abgetrennten Einziehungsbeteiligten auf Erhalt einer Entscheidung der ihn betreffenden Einziehung in angemessener Zeit bzw. der Grundsatz des fairen Verfahrens, die mit der Anordnung der Beteiligung nach § 424 I StPO auch für diesen gelten, beeinträchtigt sein. Schließlich wird die Ermessensentscheidung bezüglich der Abtrennung durch das erkennende Gericht mangels Entscheidung hinsichtlich der Einziehung gegenüber dem Einziehungsbeteiligten regelmäßig auch nicht mehr geprüft werden. Das gleiche gilt für die Prüfung durch das Rechtsmittelgericht auf ein Rechtsmittel des abgetrennten Einziehungsbeteiligten, selbst wenn diesem die Rüge einer ermessenmissbräuchlichen Verfahrenstrennung offenstehen sollte (BGH a.a.O.). Auch im Rahmen der nachträglich noch zu treffenden Entscheidung nach § 423 StPO kann die Abtrennung keine Rolle mehr spielen, weil eine nicht den Anforderungen des § 422 StPO genügende Abtrennung keine Auswirkungen auf die materiellen Voraussetzungen einer Einziehung haben kann.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen, kann die Anfechtbarkeit der Abtrennung nach § 422 StPO nicht durch § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen sein. Die Erwägung, die Anfechtung nur im Falle von Willkür zuzulassen, überzeugt vorliegend bereits deshalb nicht, weil die Abtrennung – anders als bei der Trennung der Verfahren mehrerer Mitangeklagter – nicht dem uneingeschränkten Ermessen des erkennenden Gerichts überlassen ist, sondern von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig ist.“

OWi I: Die unvollständig übermittelte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, oder: Einspruchsverwerfung?

Der heutige Tag ist dem OWi-Verfahrensrecht gewidmet. Und ich eröffne ihn mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 29.10.2018 – 3 Ss OWi 1464/18. Thematik: Dauerbrenner Einspruchsverwerfung, und zwar hier nach einer unvollständig übermittelter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das AG hatte verworfen, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) hatte Erfolg:

„1. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das AG den Begriff der ‚genügenden Entschuldigung‘ i.S.v. § 74 II OWiG verkannt und demgemäß das Fernbleiben des Betr. in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat, wodurch der Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör verletzt worden ist.

a) Der Begriff der „genügenden Entschuldigung darf nicht eng ausgelegt werden. Denn § 74 II OWiG enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne den Betr. nicht verhandelt werden darf. Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichti-gen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betr. das ihm nach Art. 103 I GG verbürg-te rechtliche Gehör entzogen wird. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Betr. gebo-ten (OLG Bamberg, Beschl. v. 06.03.2013 – 3 Ss 20/13 [für § 329 I Satz 1 StPO] = OLGSt StPO § 329 Nr 32).

b) Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betr. einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betr. unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Betr. genügend entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt ist. Den Betr. trifft daher hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grund-sätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis; vielmehr muss das Gericht, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungs-grund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (st.Rspr.; vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 28.11.2011 – 3 Ss OWi 1514/11 = ZfS 2012, 230 = OLGSt StPO § 329 Nr 31 = GesR 2012, 231 sowie zuletzt u.a. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 und KG, Beschl. v. 27.08.2018 – 3 Ws [B] 194/18 [jeweils bei juris]). Ein Sachvortrag zum Entschuldigungsgrund der Erkrankung erfordert für seine Schlüssigkeit zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes. Dies kann durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen erfolgen, ohne dass diesen die Art der Erkrankung zu entnehmen sein muss. Anderenfalls bedarf es zumindest ent-sprechenden Sachvortrags zu Art und Auswirkung der geltend gemachten Erkrankung, um dem Gericht die Grundlage für eine rechtliche Bewertung zu bieten, ob dem Betr. die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar ist. Die pauschale Mitteilung, der Betr. sei „erkrankt“, „bettlägerig erkrankt“ oder „plötzlich erkrankt“, genügt diesen Anforderungen deshalb nicht und begründet keine Verpflichtung des Gerichts, bei etwaigen Zweifeln weitere Feststellungen im Freibeweisverfahren zu treffen (vgl. schon OLG Bamberg, Beschl. v. 14.01.2009 – 2 Ss OWi 1623/08 = NStZ-RR 2009, 150 = VM 2009, Nr 32 = NZV 2009, 303 = OLGSt OWiG § 74 Nr 20; KG, Beschl. v. 18.01.2018 – 3 Ws [B] 5/18 – VRS 133, Nr 1; OLG Zweibrücken a.a.O.).

c) Bescheinigungen, insbesondere ärztliche Atteste haben andererseits so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht, es sei denn, das Vorbringen ist aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich ungeeignet, das Ausbleiben zu entschuldigen (OLG Bamberg a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.08.2016 – 53 Ss-OWi 491/16 [bei juris]; ferner schon BayObLGSt 2001, 14/16 und zuletzt KG a.a.O.). Bloße Zweifel an einer genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Betr. gehen. Das Gericht ist in die-sem Fall vielmehr gehalten, seinen Zweifeln – ggf. im Wege des Freibeweises (BayObLGSt 1998, 79/82) – nachzugehen.

d) Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist gleichwohl nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betr. vor der Hauptverhandlung schlüs-sig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind; nur dann ist er auch nicht ver-pflichtet, die Richtigkeit seines Vorbringens glaubhaft zu machen und durch Vorlage von geeigneten Unterlagen zu belegen. Eine andere Sicht wäre mit dem Gesetzeszweck, das Verfahren zu beschleunigen und den Betr. daran zu hindern, eine gerichtliche Ent-scheidung nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, unver-einbar. In diesen Fällen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Stre-ben nach einer möglichst gerechten Sachentscheidung mit der Folge zurück treten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334 f.).

2. Nachdem der Betr. über seine Verteidigerin schon am Vortag der für den 01.08.2018 anberaumten Hauptverhandlung und im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an ein an diesem Tag von seiner Verteidigerin mit der Vorsitzenden geführtes Telefonat dem Gericht per Telefax-Schreiben vom 31.07.2018 eine unter dem 27.07.2018 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) für den Zeitraum vom 27.07.2018 bis „voraussichtlich […] einschließlich 10.08.2018“ mitsamt einem, wenn auch nicht vollständig lesbaren eingedruckten Diagnoseschlüssels übermittelte, war das AG aufgrund der konkreten Hinweise auf einen berechtigten Entschuldigungsgrund gehalten, diesem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen, insbesondere fortbestehende Zweifel durch eine Anfrage bei dem behandelnden Arzt abzuklären. Von dieser Verpflichtung wurde das Gericht schon aufgrund der Inhalte des vorangegangenen Telefonats mit der Verteidigerin und des Begleitschreibens der Verteidigung vom 31.07.2018 nicht dadurch entbunden, dass aus der übermittelten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der ausstellende Arzt – möglicherweise infolge einer falschen Zoomein-stellung des Übermittlungsgeräts – nicht entnommen werden konnte. Denn in der Vorlage des Attests durch den Betr. liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht. Gründe dafür, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend anzusehen wäre, sind nicht ersichtlich. Dies gilt erst recht, als die Verteidigerin noch vor dem Termin mit weiterem Telefax-Schreiben vom 01.08.2018 darauf hinwies, dass die übermittelte Arbeits-unfähigkeitsbescheinigung von der Hausärztin des Betr. ausgestellt wurde und von dieser „zunächst ein beidseitiges Lumbago“ diagnostiziert worden sei und mit dem Schreiben nochmals die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27.07.2018 mitüber-sandte, wobei aufgrund des gegenüber der Erstübersendung günstigeren Bildausschnitts nunmehr neben der Praxisanschrift und Telefonnummer der behandelnden Ärztin einschließlich ihres Titels und Vornamens auf der Bescheinigung der aufgedruckte Diagnoseschlüssel bzw. ICD-Code „M54.5 G B“ ebenso ohne weiteres lesbar war wie die im Klartext aufgedruckte Beschreibung „Lumbago beidseitig“.“

Ablehnung eines Sachverständigen II: Wie schnell muss es gehen?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Am 06.03.2018 – habe ich über den BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 1 StR 437/17 – berichet (vgl. Ablehnung eines Sachverständigen, oder: Wie schnell muss man sein?). Der Beschluss behandelt die Frage, ob bei der Ablehnung eines Sachverständigen auch das Unvezüglichkeitsgebot des § 25 Abs. 2 StPO gilt. Der BGH hat das verneint.

Dem hat sch nun im OLG Bamberg, Beschl. v. 18.10.2018 -2 Ss OWi 1419/18 – das OLG Bamberg angeschlossen. Da das OLG die Argumentation des BGh weitgehend übernommen hat – früher hätte man gesagt: quasi abgeschrieben 🙂 – reicht m.E. hier der Hinweis auf den Leitsatz der Entscheidung: 2 Ss OWi 1419/18

 „Letztmöglicher Zeitpunkt für die Anbringung eines Ablehnungsgesuchs wegen Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ist der Schluss der Beweisaufnahme. Für das Ablehnungsverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit findet das sog. Unverzüglichkeitsgebot des § 25 II 1 StPO keine Anwendung.“

Wie gesagt: Ich würde dennoch nicht „klüngeln“ :-).

OWI II: Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt, aber nicht allein wegen eines „Fluchtversuchs“

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Als zweite Entscheidung aus dem OWi-Bereich dann der OLG Bamberg, Beschl. v. 23.10.2018 – 2 Ss OWi 1379/18. Er behandelt die Annahme einer vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1 StVG durch das AG, und zwar aufgrund eines „Fluchtversuchs“ des Betroffenen. Das – so sagt das OLG – geht nicht:

a) Zutreffend hat das AG zwar erkannt, dass Bezugspunkt der Schuld bei § 24a I StVG das bloße Erreichen der darin genannten Grenzwerte ist und Vorsatz voraussetzt, dass der Betr. zumindest mit einer Atem- bzw. Blutalkoholkonzentration in der in § 24a I StVG genannten Höhe rechnet und diese, für den Fall, dass sie vorliegt, billigend in Kauf nimmt (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.01.1989 – 1 Ss 275/88 = VRS 76 [1989], 453 = DAR 1989, 310; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 24a Rn. 25, 25a und 26). Auch ist das AG zutreffend davon ausgegangen, dass allein aus der Höhe der festgestellten AAK nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 316 StGB (Burhoff [Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 5. Aufl. Rn. 3595 f. unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 60, 227 sowie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; vgl. zuletzt etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 RVs 18/17 = ZfS 2017, 590 = BA 54 [2017], 382 = StV 2018, 445). Danach hat die Vorsatzbeurteilung, wenn es an einem Geständnis fehlt, auf der Grundlage einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Fahrt zu erfolgen. Von Bedeutung können hier etwa einschlägige Vorverurteilungen sein, desgleichen dem Täter bewusst gewordene Ausfallerscheinungen während der Fahrt bzw. grobe Fahrfehler, die Flucht vor einer Polizeikontrolle sowie Verschleierungsversuche wie beispielsweise das Nutzen von „Schleichwegen“ (Freymann/Wellner/Görlinger jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016] § 316 StGB Rn. 49; Königa.O. Rn. 26 mit krit. Hinweis auf OLG Celle NZV 1997, 320; umfassend zu möglichen Beweisanzeichen und deren Gewichtung LK/König StGB 12. Aufl. § 316 Rn. 190 ff.; Hentschel DAR 1993, 449 ff.; vgl. auch OLG Hamm ZfS 1999, 217; BA 37 [2000], 116; BA 41 [2004], 538).

b) Soweit jedoch das AG die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung allein darauf gestützt hat, dass sich der Betr. bei zunächst unauffälligem Fahrverhalten innerorts auf einer Strecke von etwa 2 km zwischen dem ersten polizeilichen Anhalteversuch und der letztendlich erfolgreichen Anhaltung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der polizeilichen Kontrolle zu entziehen versuchte, tragen diese Feststellungen nicht hinreichend den vom AG gezogenen Schluss, dass der Betr. zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass er nach dem Alkoholkonsum den in § 24a I StVG genannten Grenzwert überschreiten würde, und daher eine mögliche Überprüfung der Blut- oder Atemalkoholkonzentration im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle gefürchtet hat. Denn auch in Fällen bewusster Fahrlässigkeit hat der Täter die Möglichkeit der Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes erkannt, aber zu Unrecht darauf vertraut, einen solchen Zustand noch nicht erreicht zu haben. Dass ihm bei einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle insoweit erneut Zweifel kommen, die ihn zu einem Fluchtversuch veranlassen, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (Hentschela.O. S. 452). Mag ein solches Verhalten damit auch von schlechtem Gewissen zeugen und dahinter die Befürchtung stehen, den gesetzlichen Grenzwert überschritten zu haben, so genügt dies aber für die Annahme von Vorsatz bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in der Regel noch nicht. Der von dem AG festgestellte Fluchtversuch lässt damit für sich allein noch keinen tragfähigen Rückschluss auf den Vorsatz des Betr. zu.