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Revisonsentscheidung des BGH im NSU-Verfahren, oder: B. Zschäpe ist Mittäterin

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Der BGH hatte für heute Entscheidungen im NSU-Verfahren angekündigt.

Inzwischen sind sie da. Der BGH hat u.a. mit BGH, Beschl. v. 12.08.2021 – 3 StR 441/20 – die Revision von B. Zschäpe im Wesentlichen verworfen.

Dazu hier zunächst mal nur zwei Punkte:

1. Von den umfangreichen Verfahrensrügen, die erhoben worden sind, bleibt im BGH-Beschluss nur ein Satz übrig:

„2. Die Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt dar
gelegten Gründen nicht durch.“

Ohne Kommentar.

2. Rechtlich war die Frage der Mittäterschaft von B. Zschäpe, die ja nie am Tatort war, von Bedeutung. Dazu führt der BGH aus:

„b) Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten als Mittäterin der von Böhnhardt und Mundlos ausgeführten Taten.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt:

Werden Taten aus einer terroristischen Vereinigung heraus begangen, können sie dem einzelnen Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund dessen Zugehörigkeit zu der Organisation als eigene zugerechnet werden. Vielmehr ist für jede Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt oder ob es insoweit keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat (vgl. – allgemein zu Personenzusammenschlüssen – BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 18; Urteil vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 521/18, NJW 2020, 1080 Rn. 21; Beschluss vom 23. Januar 2020 – 3 StR 27/19, juris Rn. 10).

Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB ist nach allgemeinen Grundsätzen, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ebenso wenig eine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tat-beitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, NJW 2019, 1818 Rn. 157; Beschlüsse vom 26. März 2019 – 4 StR 381/18, NStZ-RR 2019, 203, 204; vom 6. August 2019 – 3 StR 189/19, NStZ 2020, 22 Rn. 4 f. mwN).

Auch die psychische Förderung der Tat, insbesondere die Bestärkung des Tatwillens des Handelnden, kann ein relevanter Tatbeitrag im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB sein (s. BGH, Beschlüsse vom 23. August 1990 – 5 StR 273/90, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatbeitrag 2; vom 14. Februar 2012 – 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380; vom 13. September 2017 – 2 StR 161/17, NStZ-RR 2018, 40; vom 12. Dezember 2017 – 2 StR 308/16, NStZ-RR 2018, 178, 180). Um allein die Annahme von Mittäterschaft – in Abgrenzung zur psychischen Beihilfe – zu  tragen, muss der psychischen Förderung allerdings ein erhebliches Gewicht zukommen (s. BGH, Beschluss vom 26. März 2019 – 4 StR 381/18, NStZ-RR 2019, 203, 204).

bb) Bei Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe begegnen der Bewertung des Oberlandesgerichts, die Angeklagte, die in keinem Fall an der Ausführung der Taten unmittelbar beteiligt war, habe diese gleichwohl im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos begangen, im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Revisionsverfahren ein tatrichterlicher Beurteilungsspielraum bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe anzuerkennen ist (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Harden, NStZ 2021, 193 f.). Denn auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen führt eine Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte mittäterschaftlich handelte:

(1) Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft ist in den Blick zu nehmen, dass die Angeklagte maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer Komplizen zur Tatbegehung hatte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. April 2018 – 3 StR 638/17, NStZ-RR 2018, 271, 272). Sie selbst hielt sich während der Ausführung der Taten in oder in der Nähe der Wohnung auf und bereit, die zugesagten Handlungen vorzunehmen, ohne die das Ziel der Taten nicht erreicht werde konnte.

(a) Nach den Urteilsfeststellungen wertete die Angeklagte vor jedem Mordanschlag und Raubüberfall zusammen mit Böhnhardt und Mundlos die Erkenntnisse aus den Ausspähmaßnahmen aus und traf zusammen mit ihnen die Entscheidung, die Tat in ihrer konkreten Gestalt zu begehen.

Indem sie als gleichberechtigtes Mitglied der Vereinigung an der Tatplanung mitwirkte (s. UA S. 774, 812, 848 etc.), nahm sie bestimmenden Einfluss darauf, ob, wann, wo und wie die Taten ausgeführt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2018 – 3 StR 638/17, NStZ-RR 2018, 271, 272 mwN; ferner Schön-ke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 25 Rn. 67; zum Mitwirken in der Rolle eines gleichrangigen Partners s. BGH, Urteil vom 3. August 2005 – 2 StR 360/04, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 62 mwN; Beschluss vom 28. April 2020 – 3 StR 85/20, juris Rn. 6). Denn sie kam mit den beiden anderen Vereinigungsmitgliedern jeweils überein, dass ein Mordanschlag mittels Schusswaffe bzw. Sprengsatzes oder dass ein Raubüberfall verübt wird; des Weiteren verständigte sie sich mit ihnen auf Tatzeit, Tatort und Tatopfer.

Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts bedarf es hinsichtlich des „Ob“, „Wann“, „Wo“ und „Wie“ der Tatbegehung keiner weiteren Differenzierung. In den Urteilsgründen ist im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt, die Angeklagte habe durch ihre Mitwirkung an der Tatplanung gestaltenden Einfluss darauf genommen, wo, wann und wie die Taten ausgeführt worden seien; auf das „Ob“ und – über die Planung hinausgehend – das „Wie“ der Tatbegehung habe sie stets dadurch prägend eingewirkt, dass sie einen wesentlichen Tatbei-trag im Ausführungsstadium, in Form ihrer den Personenverband abtarnenden Präsenz in oder in der Nähe der jeweiligen Wohnung, geleistet habe (UA S. 2779 ff., 2787, 2789 f., 2793, 2797, 2799, 2801, 2803). Nach den Urteilsfeststellungen erfasste der planerische Einfluss der Angeklagten indes ohne Weiteres die Tatentschließung dem Grunde nach (das „Ob“). Dagegen ist auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen nicht erkennbar, dass es sich auf die Begehung der jeweiligen konkreten Tat in irgendeiner Form hätte auswirken können, wenn die Angeklagte abredewidrig nicht im Bereich der Wohnung anwesend gewesen wäre. Zwar waren Böhnhardt und Mundlos nach dem Vereinigungskonzept darauf angewiesen, dass die Angeklagte die Aufgaben erfüllt, die sie bei jeder einzelnen Tat übernommen hatte, um im Fall, dass die zwei Männer zu Tode kämen, das gemeinsame ideologische Ziel des NSU erreichen zu können; zudem hatten beide ein maßgebliches Interesse an der Erhaltung eines sicheren Rückzugsraums. Hätte die Angeklagte die ihr obliegenden Handlungen nicht vorgenommen, wäre dies jedoch den Tatausführenden vor Tatbeendigung naheliegend verborgen geblieben. Dass die von der Angeklagten übernommenen Aufgaben für die Konzeption der Deliktserie notwendig waren, zeigt indes deren Bedeutung für die Tatplanung und machte es erforderlich, jede einzelne Tat mit ihr zu koordinieren (vgl. UA S. 2781).

(b) Die Ansicht des Oberlandesgerichts, wonach die Angeklagte einen tat-herrschaftsbegründenden Tatbeitrag im Ausführungsstadium erbrachte, greift daher zu kurz. Zwar hielt sich die Angeklagte während der Tatausführung tatplangemäß in oder in der Nähe der Wohnung auf und war insbesondere bereit, bei bestimmten Ereignissen dem Vereinigungs- und Tatkonzept entsprechend zu handeln. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass – wie dargelegt (s. soeben (a)) – nicht ersichtlich ist, wie ein solches Verhalten die Deliktsverwirk-lichung noch hätte beeinflussen können. Die Präsenz der Angeklagten im Nah-bereich der Wohnung ist nicht vergleichbar mit einem „Schmierestehen“, das es dem in Tatortnähe anwesenden Wachposten ermöglicht, auf die Tatbegehung einzuwirken, indem er den Tatausführenden warnt (vgl. dazu SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 25 Rn. 109; LK/Schünemann/Greco, StGB, 13. Aufl., § 25 Rn. 213 mwN).

(c) Zu Recht hat der Generalbundesanwalt allerdings hinsichtlich der Tatherrschaft auf die Bedeutung der von der Angeklagten gemäß dem Vereinigungskonzept erteilten Zusagen abgestellt. Insbesondere sicherte sie zu, die tatbedingte Abwesenheit ihrer Komplizen zu legendieren, und gab, wie seit der Gründung des NSU vorgesehen war, ab der siebten Tat der gesamten Deliktserie (Fall 11) das Versprechen, das Bekennervideo in der aktuellen Version zu verbreiten und die auf die Vereinigung hinweisenden Beweismittel zu vernichten.

Beides erforderte bei jeder einzelnen Tat die Anwesenheit der Angeklagten im Bereich der als Zentrale genutzten Wohnung.

Die in jedem Einzelfall zugesagten Handlungen waren wesentlicher Bestandteil der Konzeption der gesamten Deliktserie. Die von der Angeklagten arbeitsteilig übernommenen Aufgaben waren entscheidend dafür, dass der von ihr, Böhnhardt und Mundlos erstrebte ideologische Zweck der Mordanschläge und – damit mittelbar auch – der Raubüberfälle realisierbar war. Denn nach der Grundidee der im „Untergrund“ agierenden Vereinigung sollte die Öffentlichkeit zunächst nur den Seriencharakter der Mordanschläge erkennen, während beabsichtigt war, dass die tatverantwortliche Organisation und die Tatmotivation zunächst unentdeckt bleiben. Die nachfolgende Veröffentlichung eines gemeinschaftlich erstellten Bekennungsdokuments über diese Serientaten sollte eine gegenüber dem Bekenntnis zu einer Einzeltat deutlich größere destabilisierende Wirkung entfalten. Die Angeklagte und ihre Komplizen vertraten die Ansicht, erst durch dieses Vorgehen könne eine Staats- und Gesellschaftsform Deutschlands entsprechend ihren nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen herbeigeführt werden.

Infolgedessen war die Angeklagte entscheidend dafür verantwortlich, dass das über die Deliktsverwirklichung hinausgehende Ziel der Taten erreicht werden konnte; ihre Zusagen waren für ihre Komplizen sinnstiftend und handlungsleitend. Der Zweck der gesamten Deliktserie stand und fiel mit den von der Angeklagten zugesagten Handlungen. Sie übte daher eine wesentliche Funktion aus, von der das Gelingen des Gesamtvorhabens abhing.

(d) Nach alledem waren Durchführung und Ausgang jeder einzelnen Tat maßgeblich auch vom Willen der Angeklagten abhängig. Indem sie mit den Zusagen jeweils psychisch in hohem Maße auf die Deliktsverwirklichung Einfluss nahm, erbrachte sie zusätzlich über die Beteiligung an der Tatplanung hinaus einen bedeutenden objektiven Tatbeitrag. Deshalb schadet es nicht, dass das Oberlandesgericht über die Anwesenheit der Angeklagten in oder in der Nähe der Wohnung sowie die – nicht ohne Weiteres bedeutsame – Beobachtung der Umgebung hinaus keine konkreten Handlungen während der Ausführung einer einzelnen Tat festgestellt hat.

(2) Unter dem Gesichtspunkt des Tatinteresses fällt wesentlich ins Gewicht, dass dasjenige der Angeklagten nicht hinter demjenigen ihrer beiden Komplizen zurückstand. Das Oberlandesgericht hat den Grad ihres eigenen Interesses an den ideologisch motivierten Mordanschlägen ebenso wie an den deren Finanzierung dienenden Raubüberfällen auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen mit Recht als hoch bewertet (s. UA S. 2776 ff.).

Das starke Tatinteresse ist wesentlich in der politisch-ideologischen Einstellung der Angeklagten begründet. Nach den Urteilsfeststellungen wollte sie in gleichem Maße wie Böhnhardt und Mundlos mit den Mordanschlägen auf Menschen südländischer Herkunft die betreffenden Opfergruppen einschüchtern, um sie zur Auswanderung zu bewegen. Bei dem Anschlag auf die Polizisten kam es ihr darauf an, die Behörden als unfähig zur Verhinderung und Aufklärung von Taten zum Nachteil von Repräsentanten des Staates darzustellen. Fernziel war jeweils, in Deutschland eine nationalsozialistisch-völkische Herrschaftsform zu errichten. Die Raubüberfälle dienten mittelbar diesem Ziel; denn hierdurch wurden die aufwendige Vorbereitung und Ausführung der Mordanschläge finanziell ermöglicht. Ungeachtet dessen hatte die Angeklagte gleichermaßen ein unmittelbares Interesse an den Überfällen, weil die von ihr verwalteten Taterträge die Lebensgrundlage für die Vereinigungsmitglieder bildeten. Dass sie zusammen mit Böhnhardt und Mundlos zirka 13 Jahre lang im „Untergrund“ ein weitgehend abgeschottetes und konspiratives Leben führte, um die Deliktserie zu begehen, damit durch die Veröffentlichung des Bekennungsdokuments eine tiefgreifende destabilisierende Wirkung auf staatliche und gesellschaftliche Strukturen eintritt, offenbart das Gewicht ihres Tatinteresses.

Dieses große Tatinteresse hat nicht deshalb eine geringere Bedeutung für eine Beteiligung der Angeklagten als Mittäterin, weil es sich mit den übergeordneten gemeinsamen Zielen aller Mitglieder des NSU deckt (zur Bedeutung solcher Ziele für den – vor dem 24. August 2017 geltenden – Vereinigungsbegriff im Sinne der §§ 129 ff. StGB aF vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 40 f.; zum übergeordneten gemeinsamen Interesse gemäß § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB nF s. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21, juris Rn. 21 ff.). Zwar führt – wie dargelegt (s. oben II. 4. b) aa)) – die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung für sich gesehen nicht zur mittäterschaftlichen Zurechnung der Tat an das einzelne Mitglied. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kriterien, die für das Vorliegen der Vereinigung bedeutsam sind, deswegen für die Qualifizierung der Tatbeteiligung an Gewicht verlören. Vielmehr kann etwa ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung sowohl den Charakter eines Personenzusammenschlusses bestimmen als auch in erheblicher Weise für Mittäterschaft sprechen.

(3) Da die Angeklagte somit gewichtige objektive Tatbeiträge leistete und ein starkes Tatinteresse hatte, war sie Mittäterin im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB.

Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu dem Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2009 in der Sache StB 51/09 (NStZ 2010, 445), den die Beschwerdeführerin für ihre abweichende Rechtsmeinung in Anspruch nimmt (ebenso Drenkhahn/Momsen/Diederichs, NJW 2020, 2582 Rn. 29). Denn in den Gründen dieser Haftentscheidung ist ausgeführt, das Verhalten der dortigen Beschuldigten sei insbesondere deshalb nur als Beihilfe zum Mord zu werten, weil – anders als hier – nicht ersichtlich sei, dass der von ihr bereits vor dem eigentlichen Tatge-schehen geleistete Beitrag für die konkrete Ausführung des Mordanschlags auf den damaligen Generalbundesanwalt von wesentlicher Bedeutung gewesen sei (BGH aaO, Rn. 14). Der diesem Beschluss zugrundeliegende Fall ist mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Die dortige Beschuldigte war dringend verdächtig, als Führungsperson der Kerngruppe der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) an der gemeinschaftlichen Absprache zur Durchführung der „Offensive 77“ beteiligt gewesen zu sein, zu der das Attentat auf den Generalbundesanwalt gehörte (BGH aaO, Rn. 13). Allerdings hatte die Beschuldigte nach der maßgebenden Verdachtslage weder einen bestimmenden Einfluss auf die Planung der Tat in ihrer konkreten Gestalt, noch übte sie eine Funktion in Bezug auf diesen Anschlag aus, die für das hiermit verfolgte ideologische und/oder politische Ziel von ausschlaggebender Bedeutung war. Vielmehr bestand ihr mutmaßlicher objektiver Beitrag zu dieser Tat darin, dass sie – mit hoher Wahrscheinlichkeit – die unmittelbaren Täter in deren Willen zur Tatbegehung bestärkte, indem sie den Tötungsbefehl der in Stammheim inhaftierten Führungsmitglieder der RAF („Der General muss weg“) offensiv propagierte (BGH aaO, Rn. 6 f.).“

Nun ja …… Mich erstaunt schon, dass der BGH das alles in einem Beschluss macht und nicht in die Hauptverhandlung gegangen ist. In meinen Augen ist es nicht nachvollziehbar, wenn der BGH schreibt: „im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.“ „Offensichtlich unbegründet? Und warum schreibt man dann so viel. Für mich bedeutet „offensichtlich“ etwas anderes. Jedenfalls ist das für mich nicht eine Sache, in der ich für die Begründung der Verwerfung 17 Seiten (ab Rz. 27) benötige. Aber offensichtlich wollte der BGH nicht in die Hauptverhandlung. Dabei hätte es gerade m.E. doch diesem Verfahren angestanden in einer öffentliche Hauptverhandlung abgeschlossen zu werden.

Im Übrigen u.a. hier bei Spon.

„hohe“ (?) Pauschgebühr im NSU-Verfahren, oder: Manches versteht man beim OLG München aber nicht

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So, da ist sie dann. Die erste – jedenfalls für mich – (End)Entscheidung des OLG München zur Pauschgebühr (§ 51 RVG) im NSU-Verfahren.

Das OLG hat im OLG München, Beschl. v. 27.05.2019 – 6 St (K) 5/19 – eine Pauschgebühr von 256.160 € bewilligt. Auf den ersten Blick ein hoher Betrag. Wenn man aber die Länge des Verfahrens berücksichtigt, relativiert sich das sehr schnell.

Ich will und kann hier jetzt nicht auf alle Einzelheiten eingehen (siehe aber unten). Ich stelle aber die Gründe vollständig ein, damit sich jeder mal ein Bild machen kann:

„Dem Antragsteller war für den im Tenor genannten Verfahrensabschnitt mit den dort aufgeführten Gebührenpositionen eine Pauschgebühr von insgesamt 256.160,00 € zuzusprechen.

1. Eine Pauschvergütung ist auf Antrag zu gewähren, wenn die in den Teilen 4 bis 8 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens nicht zumutbar sind (§ 51 Abs. 1 Satz 1 RVG).

a) Das vorliegende Verfahren zeichnet sich sowohl durch einen besonderen Umfang, als auch durch besondere Schwierigkeit aus.

aa) Bis zur Anklageerhebung waren bereits mehr als 580 BSachaktenbände angefallen.

Hinzu kommen zahlreiche Bei- bzw. Altakten, die ihrerseits z. T. erheblichen Umfang aufweisen. Bis zum Urteil am 11. Juli 2018 hat sich der Aktenbestand auf 672 Aktenordner erweitert. Diese Materialfülle schlug sich auch in einer Zahl von 438 Hauptverhandlungstagen nieder, die in einem Zeitraum von 5 Jahren, 2 Monaten und 5 Tagen stattfanden. Es lag damit ein besonders umfangreiches Verfahren vor.

bb) Das Verfahren war auch besonders schwierig, weil es eine Vielzahl von schweren Delikten umfasste, die teils viele Jahre zurücklagen und in ihrer Gesamtheit – mit einer Vielzahl von Nebenaspekten, sachlichen und persönlichen Verbindungen – zu erfassen und zu würdigen waren, um die Art und den Umfang der Vereinigung „NSU“ aufzuklären. Die Einbindung der Angeklagten in das Gesamtgeschehen wiederum konnte in weiten Teilen nur über Indizienbeweise abgeklärt werden, was dazu führte, dass im Verfahren mehr als 500 Zeugen und Sachverständige — teils mehrmals ¬vernommen werden mussten. Diese besondere Schwierigkeit betraf insbesondere auch die Nebenklage, weil die Einbindung jener Angeklagter, denen Nebenklagedelikte zur Last lagen in das Tatgeschehen es erforderte, den gesamten Prozessstoff einschließlich der personellen und sachlichen Verflechtungen einer Vielzahl von Personen zu erfassen.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung liegen damit vor.

b) Der Einzelrichter setzt die Pauschvergütung für den im Tenor beschriebenen Verfahrensabschnitt fest. Grundsätzlich wird beim Oberlandesgericht München der endgültige Verfahrensabschluss abgewartet. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine außergewöhnlich lange Verfahrensdauer gegeben ist. Obwohl sich die Eignung des Verfahrens für die Bewilligung von Pauschvergütungen bereits bei seinem Beginn abzeichnete, warten viele Verfahrensbeteiligte bereits seit 6 Jahren, teils auch länger, auf die Anhebung der gesetzlichen Gebühren. Der endgültige Verfahrensabschluss ist weiter offen. Überdies haben die Nebenkläger entweder rechtlich nicht die Möglichkeit in Rechtsmittel zu, gehen oder haben dies nicht getan, so dass auch insoweit von dieser Seite keine wesentlichen Verfahrenshandlungen mehr zu erwarten sind. Im Falle einer Aufhebung des Urteils und einer Zurückverweisung der Sache aufgrund der Revisionen der Angeklagten und des Generalbundesanwalts bleibt die Sache nach wie vor umfangreich. Eine Kompensation der Pauschvergütung durch mögliche einfachere Verfahrensabschnitte in der Zukunft ist damit nicht zu erwarten.

2. Entgegen der Rechtsmeinung des Antragstellers handelt es sich bei den von ihm vertretenen Nebenklagen um eine einzige Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG, für die er auch nur einmal Gebühren nach der alten Fassung des RVG abrechnen kann.

Zu Recht stellt der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 19. Februar 2019 u. a. auf den Begriff der Angelegenheit ab. Denn nur über den Angelegenheitenbegriff lässt sich klären, ob mit der Beauftragung ein neuer Auftrag in einer neuen Angelegenheit erteilt wurde, oder aber lediglich eine Erweiterung der vertretenen Personen in ein und derselben Angelegenheit erfolgte. Nur im ersteren Fall könnte der Antragsteller hinsichtlich der Gebühren tatsächlich auf einer Gebührenberechnung nach der aktuellen Fassung des RVG bestehen, während im zweiten Fall mit dem Beginn einer einheitlichen Angelegenheit vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung im August 2013 auch die damals geltende Rechtslage bei den Gebühren nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG festgeschrieben wäre. Dementsprechend gilt, dass dann, wenn-ein Rechtsanwalt mehrere Auftraggeber in einem Gerichtsverfahren vertritt, und der eine ihn vor dem Stichtag, der andere aber erst danach beauftragt, dies wie eine Auftragserweiterung in derselben Angelegenheit zu behandeln ist, mit der Folge, dass einheitlich altes Recht anzuwenden ist (vgl. vgl. Gerold/Schmidt, RVG, Meyer, 22. Aufl. 2015, Rnr. 13 zu § 60). Maßgeblich ist die erste unbedingte Auftragserteilung in der Angelegenheit. Wird daher durch das Hinzutreten eines weiteren Auftraggebers lediglich die bereits bestehende Angelegenheit erweitert, kommt es weiterhin auf den Zeitpunkt des zuerst erteilten Auftrags an (Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Auflage 2007, Seite 416, Rnr. 25). Diese Meinung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In der Entscheidung NJW 2007, 769 hat er ebenfalls den Begriff der Angelegenheit in das Zentrum der Erwägungen gestellt und ausgeführt:“… § 61 I 1 RVG entspricht der aus § 134 I 1 BRAGO übernommen allgemeinen Übergangsvorschrift des § 60 I 1 RVG, die an den Zeitpunkt der Auftragserteilung anknüpft und auf diese Weise die Anwendung des neuen Gebührenrechts auf bereits bestehende Mandatsverhältnisse verhindert. Darüber hinaus vermeidet sie eine Gebührenspaltung innerhalb derselben Angelegenheit, indem sie den für die Anwendung des alten Rechts maßgebenden Auftrag bestimmt. Da der Begriff der Angelegenheit i.S. des § 15 RVG von der Person des Auftraggebers unabhängig ist, gilt dies nicht nur für Folgeaufträge desselben Mandanten, wie etwa bei einer Klageerweiterung oder Widerklage, sondern auch für das Hinzutreten weiterer Auftraggeber (vgl. Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, S. 973; N. Schneider, in: Gebauer/Schneider, § 61 Rdnr. 69; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, § 60 Rdnrn. 13f.; ders., NJW 2005, 1609 [1613].

Die gebührenrechtliche Angelegenheit im Strafverfahren wird definiert als das gesamte Geschäft das der Rechtsanwalt für seinen Auftraggeber erledigen soll. Dieses umfasst sämtliche Tätigkeiten von der Erteilung des (Verteidigungs-) Auftrags bis zu seiner Erledigung (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, Burhoff, 22. Aufl. 2015, Rnr. 19, VV Einleitung Teil 4). Die gleiche Angelegenheit ist also stets auch das gleiche Strafverfahren (vgl. auch vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, Rnr. 17 zu § 15).

3. Anstelle der Gebühr nach Nr. 4100 VV RVG (Grundgebühr) setzt der Senat eine Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG in Höhe von 20.000,00 € fest.

a) Die gesetzliche Grundgebühr in der für das Verfahren maßgeblichen Fassung des RVG beträgt 132,00 E. Der Antragsteller stellt sich hier einen Betrag von 20.000,00 € (allerdings für jeweils 2 Nebenklägerinnen) vor. Aufgrund der Ausführungen unter oben „2″ ist klargestellt, dass er jeden Gebührentatbestand nur einmal für die Angelegenheit geltend machen kann.

b) Angesichts der genannten Höhe der gesetzlichen Gebühr kann festgestellt werden, dass diese unzumutbar niedrig ist.

Der Senat ist aus eigener Aktenkenntnis zu der Überzeugung gelangt, dass zum Aktenstudium jedenfalls mehrere hundert Stunden Einarbeitungszeit in einem rechtlich und tatsächlich anspruchsvollen Verfahren angefallen sind. Ferner hat der Antragsteller sich in der von ihm in seinen Schriftsätzen geschilderten Form intensiv in der Angelegenheit engagiert.

Damit aber erscheint ein Betrag von 20.000,00 € als angemessener Pauschbetrag anstelle der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG. Dieser repräsentiert das mehr als das 151-fache der gesetzlichen Gebühr und bedeutet im Ergebnis, dass der Senat die Einarbeitung in dieses Verfahren so hoch schätzt wie die Bearbeitung von mehr als 150 „normalen“ Verfahren.

Auf Stundensätze, die Erzielung eines bestimmten Mindesthonorars oder entgangene Möglichkeiten zur Pflichtverteidigertätigkeit in anderen (Groß-)Verfahren kommt es in diesem Zusammenhang von vornherein nicht an, da Sinn der Pflichtverteidigung nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung eben nicht darin besteht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen (BVerfG NJW 2007, 3420).

4. Anstelle der Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG erscheint eine Pauschvergütung in Höhe von 12.000,00 € angemessen.

a) Mit der Vorverfahrensgebühr soll die Tätigkeit des Anwalts bis zum Eingang der Anklageschrift abgegolten werden. Wie bereits oben festgestellt, war der Antragsteller bereits vor Anklageerhebung in das Verfahren eingebunden. Er hat bis zur Anklageerhebung das Verfahren ca. 9 Monate betreut und erhielte hierfür nach dem RVG einen Betrag von 112,00 €. Dies ist nicht zumutbar. Der Antragsteller hat hier einen Betrag von 12.000,00 € beantragt.

b) Der Senat hat berücksichtigt, dass der Antragsteller sich im Vorverfahren weiter um die Einarbeitung in die Sache zu bemühen hatte und den Kontakt zu seinen Mandanten halten musste, der sich aufgrund der Umstände umfangreich und komplex gestaltete. Ferner war er in dieser Phase gehalten, sich auf der Grundlage der erworbenen Aktenkenntnis mit der Frage auseinanderzusetzen, wie er den Interessen des Nebenklägers bestmöglich dienen wird können. Andererseits war zu sehen, dass der Gesetzgeber selbst nach der in den gesetzlichen Gebühren niedergelegten Wertung, die Vorverfahrensgebühr als die geringste Vergütung im Verhältnis zur Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Hauptverhandlungs-gebühr nach Nr. 4118 VV RVG ausgestaltet hat und sie so in ihrer Wertigkeit von den beiden anderen Gebühren nach unten abhebt.

Der Senat übt das ihm eingeräumte Ermessen im Rahmen der vorgenannten Kriterien dahingehend aus, dass anstatt der Vorverfahrensgebühr ein Pauschbetrag von 12.000,00 € anzusetzen ist. Dieser Betrag entspricht nach Überzeugung des Senats einer angemessenen Vergütung.

5.) Anstatt der Hauptverfahrensgebühr nach Nr. 4118 VV RVG erhält der Antragsteller einen Pauschbetrag von 20.000,00 €.

Die gesetzliche Gebühr nach Nr. 4118 VV RVG beträgt 264,00 €, was im Hinblick auf das Verfahren unzumutbar niedrig ist.

a) Der Abgeltungsbereich der Gebühr umfasst u.a. die Beratung des Auftraggebers, den gesamten schriftlichen und mündlichen Verkehr mit dem Auftraggeber oder dem Gericht (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, Rnr. 8 zu VV 4106-4107). Nach Auffassung des Senats rechnet hierzu auch die Einarbeitung in die Anklageschrift, die im vorliegenden Fall insgesamt 488 Blatt umfasst, worauf auch der Antragsteller hinwies. Im Rahmen der Festsetzung der Pauschvergütung für diese Gebührenposition ist zu berücksichtigen, dass ein sehr langes Strafverfahren vorlag, das eine Vielzahl von Tätigkeiten des anwaltlichen Vertreters erforderte, die nicht in den Abgeltungsbereich der Terminsgebühren fallen. Insbesondere der Bereich der Information der Mandanten und die Planung des weiteren Prozessverhaltens kann bei einer solch langen Verfahrensdauer nicht in einem oder zwei Schriften geleistet werden, sondern fordert ständige Aufmerksamkeit. Auch in die Nachlieferungen zur Akte musste er sich ebenso einarbeiten wie in den während der Hauptverhandlung angefallenen Zuwachs zur Hauptakte.

b) Der Senat erachtet auf dieser Grundlage einen Pauschbetrag von 20.000,00 € als angemessen, was bei einer Verhandlungsdauer von gut 5 Jahren einer jährlichen Vergütung für die Tätigkeit im Verfahren neben der Hauptverhandlung von knapp 4.000,00 € entspricht. Der Aufwand des Antragstellers erscheint damit als ausreichend honoriert, zumal die Tätigkeit im Hauptverfahren auch durch die Terminsgebühren geprägt ist.

6. Der Antragsteller erhält anstelle der Hauptverhandlungsgebühren (Nr. 4120 VV RVG), einen Pauschbetrag von 204.160,00 €.

a) Als Grundlage der Bemessung für die Pauschgebühr für die Sitzungsteilnahme und die übrigen Kostentatbestände greift der Senat auf die Wahlverteidigerhöchstgebühr von 780,00 €, wie sie sich aus der Fassung des RVG, vor dem zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergibt, zurück. Dieses Gesetz trat am 1. August 2013 in Kraft und sieht im Vergütungsverzeichnis im hier relevanten Bereich höhere Gebühren vor.

Die Wahl der Wahlverteidigerhöchstgebühr als Bemessungskriterium für die Vergütung der Terminsgebühren beruht auf der Berücksichtigung der Verfahrenskonstellation mit mehr als 70 beigeordneten Rechtsanwälten.

Der Gesetzgeber hat im Bereich der Nr, 4120 VV RVG eine deutliche Lücke zwischen der Höchstvergütung des Wahlverteidigers und der Vergütung des beigeordneten Anwalts festgesetzt. Während der Wahlverteidiger bis zu 780,00 € pro Terminstag umsetzen kann, ist die Terminsgebühr für den beigeordneten Anwalt auf 356,00 € fixiert. Selbst wenn er an einem — eher seltenen – Termin mit mehr als 8 Stunden teilnimmt (Längenzuschlag nach 4123 VV RVG), kann der beigeordnete Anwalt lediglich 712,00 € umsetzen. Diese Lücke zwischen der Vergütung des Wahlverteidigers und des beigeordneten Anwalts war vom Gesetzgeber offenbar gewollt und sollte damit grundsätzlich auch bei der Bemessung einer Pauschvergütung Berücksichtigung finden. Dass der Senat diese Lücke zugunsten der bestellten Vertreter gefüllt hat, lässt sich allein mit den Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens begründen. Es wurde bereits erwähnt, dass das Verfahren besonders umfangreich und schwierig war. Dies allein kann den Lückenschluss aber noch nicht rechtfertigen, weil hier erst die Grundvoraussetzung für eine Pauschgebühr definiert ist. Maßgebend war vielmehr die Verfahrenskonstellation mit einer Vielzahl anwaltlicher Beteiligter mit zum Teil widerstreitenden Interessen (Verteidigung, Nebenklage) die ständige Aufmerksamkeit, adäquates Reagieren und schnelles Verarbeiten auftretender Rechtsprobleme und tatsächlicher Fragen vor dem Hintergrund verschiedenster Meinungen erforderte. Die Vielzahl an Beteiligten förderte zugleich das Auftreten juristischer Meinungsverschiedenheiten, die Wortbeiträge zu ihrer sachgerechten Lösung herausforderten. Die anwaltlichen Beteiligten waren hier sitzungstäglich einer besonderen, außergewöhnlichen Belastung ausgesetzt, die es ausnahmsweise erlaubt, auch für bestellte Rechtsanwälte die Wahlverteidigerhöchstgebühr als Grundlage ihrer Pauschvergütung heranzuziehen.

Das Verfahren unterliegt nach § 60 Abs. 1 RVG noch dem alten Recht mit dem damaligen Vergütungsverzeichnis. Abweichungen hiervon sind nicht angezeigt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit seinem Beschluss vom 6. Oktober 2008 (2 BA 1173/08) entschieden, dass Stichtagsregelungen im Vergütungsbereich nicht gegen die Verfassung verstoßen.

Die Wahlverteidigerhöchstgebühr, auch in der damaligen Fassung, bringt zum Ausdruck, welche Vergütung der Gesetzgeber als auskömmlich ansah. Dabei ist es nicht nötig, sich über den für das Verfahren relevanten gesetzlichen Rahmen hinaus zu begeben, weil der Senat den Verfahrensbeteiligten Rechtsanwälten auch die Längenzuschläge nach den Nrn. 4122, 4123 VV RVG zugebilligt hat und weiter zubilligt.

b) Der Antragsteller hat im Verfahren vor dem 6. Strafsenat persönlich an 320 von 438 angebotenen Terminen teilgenommen 118 Termine hat er nicht persönlich wahrgenommen, weshalb ein Abschlag von der Wahlverteidigerhöchstgebühr vorzunehmen ist, den der Senat auf 1/3 der Differenz zwischen der Wahlverteidigerhöchstgebühr und der gesetzlichen Gebühr bemisst. Pro Sitzungstag erhält der Antragsteller damit 638,00 € (780 — 356 = 424; 424 : 3 = 142; 780 — 142 = 638).

Daneben hat der Antragsteller auch die angefallenen Längenzuschläge nach den Nrn. 4122 und 4123 verdient, die nicht gesondert dargestellt werden müssen, weil sie in der gesetzlichen Höhe bewilligt werden und aufgrund der bereits erfolgten Auszahlung damit kostenneutral sind.

Hieraus ergibt sich folgende Berechnung:
320 x 638,00 € statt Nr. 4120 VV RVG 204.160 €

7. Insgesamt ergibt sich damit folgende Pauschvergütung für das erstinstanzliche Verfahren vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München:

Pauschgebühr anstelle Nr. 4100 VV RVG 20.000,00 €
Pauschgebühr anstelle Nr. 4104 VV RVG 12.000,00 €
Pauschgebühr anstelle Nr. 4118 VV RVG – 20.000,00 €
Pauschgebühr anstelle Nr. 4120 VV RVG 204.160,00 €
Gesamt: 256.160,00 €“

Was ist anzumerken:

  • Die Frage: Eine oder mehrere Angelegenheiten hat das OLG m.E. richtig beantwortet. In dem Zusammenhang darf man nicht übersehen, dass dem Verteidiger der Zuschlag nach § 7 RVG, Nr. 1008 VV RVG zusteht.
  • Zur Höhe der Gebühren kann man natürlich trefflich diskutieren. Aber immerhin: Das OLG ist über seinen Schatten gesprungen – was beim OLG München nicht so selbstverständlich ist – und ist von den Wahlanwaltshöchstgebühren ausgegangen. Aber: Es war nicht so „mutig“ die Grenze dann auch noch zu überschreiten.
  • Schön 🙂 , dass das OLG von „umsetzen“ = Umsatz spricht. Das passt allerdings nicht so ganz zu den OLG-Ausführungen, die man sonst immer wieder liest, dass der Pflichtverteidiger nämlich keinen Gewinn machen soll.
  • Unverständlich ist für mich die Berechnung der Pauschgebühr für die Hauptverhandlungstage. Denn das OLG kürzt die Pauschgebühr für die Hauptverhandlungstage, an denen der Nebenklägervertreter teilgenommen hat, um „1/3 der Differenz zwischen der Wahlverteidigerhöchstgebühr und der gesetzlichen Gebühr“. Das verstehe ich nicht. Und das OLG erklärt auch nicht nachvollziehbar, warum es kürzt. Jedenfalls ist die Erklärung, dass der Kollege an 118 Terminen nicht teilgenommen hat, keine vernünftige Erklärung. Denn für die Tage wird doch schon eine Pauschgebühr gar nicht gewährt. Warum wird dann für die anderen „Anwesenheitstage“ gekürzt“? Das bleibt das Geheimnis des OLG.
  • Und zur Abrundung: Was mich erschreckt, ist die Literatur, mit der das OLG München offenbar arbeitet bzw. die angeführt wird. Das ist Burhoff/Volpert, in der 2. Auflage (!!!!), obwohl inzwischen die 5. Auflage vorliegt. Die sollte man sich beim OLG vielleicht mal anschaffen. Gibt es im Moment als Mängelexemplar, das man hier bestellen kann. Und dann werden angeführt: „Gerold/Schmidt“ in der 22. Auflage – die ist auch alt – aber immerhin auch die aktuelle 23. Auflage. Warum die beiden nebeneinander, versteht man nicht. Und: Das Werk heißt seit – ich glaube 4 oder 5 Auflage: „Gerold/Schmidt“. „Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe“ ist also auch nicht gerade aktuell, es sei denn, man will noch auf das Werk verweisen, was dann aber nicht deutlich gemacht wird. Bei solchen „Fehlern“ habe ich immer das Gefühl, dass einem OLG anwaltliche Gebühren lästig sind. Kann ich ja verstehen. Aber „liebe Senate“: „Andere Leute“ müssen von dem Geld, dass ihr gewährt, leben. Also: Etwas Sorgfalt (auch) an der Stelle……

„Wir machen hier keinen Stuhlkreis“, richtig, oder: Auch das NSU-Verfahren ist ein Strafverfahren

entnommen wikimedia.org
Urheber Holger.Ellgaard

Wer gedacht hatte, das Münchener NSU-Verfahren würde nun nach vier Jahren ruhig auf die Zielgerade einbiegen, der hat sich getäuscht. Denn – wie nicht anders zu erwarten – es hat auch um die Plädoyers der Bundesanwälte, die mit 22 Stunden Dauer angekündigt worden sind, Diskussionen gegeben. Und wie nicht anders zu erwarten, haben die Verteidiger beantragt, diese (auf Toband) aufzunehmen und wie – nochmals nicht anders zu erwarten – haben die Vertreter des GBA das abgelehnt. Und der Senat beim OLG München ist ihnen – wenn ich die Berichterstattung über den gestrigen Hauptverhandlungstag richtig verstehe – (zunächst) gefolgt (vgl. hier die SZ).

Daran hat sich dann eine Diskussion entwickelt, über die die SZ auch berichtet. Da heißt es dann:

„Bundesanwalt Herbert Diemer wehrte sich heftig. Die Staatsanwälte seien „keine rechtlosen Gesellen“, die kein Persönlichkeitsrecht hätten. Sie seien auch nicht verpflichtet, ihre Plädoyers an „jeglichen Verständnishorizont anzupassen“. „Wir machen hier keinen Stuhlkreis, sondern das ist ein Prozess. Und die Strafprozessordnung sieht es nicht vor.“

Da möchte man ihm zurufen: Das ist richtig Herr Diemer, aber: Auch die Angeklagten – egal welchen Vorwurf man ihnen macht – sind keine „rechtlosen Gesellen“, sondern – so jedenfalls noch die Rechtsprechung des BVerfG – „Subjekt des Strafverfahrens“ und nicht nur „Objekt“, die alles hinzunehmen haben, so wie es sich der GBA ggf. denkt. Manchmal hat man den Eindruck, dass das dann doch übersehen wird, woran sicherlich auf die „Opfergesetzgebung“ der letzten Jahre Mitschuld trägt. Und ihr „Verständnishorizont“ spielt schon auch eine Rolle.

Zu der Problematik – „Bandaufnahme?“- gibt es übrigens ja auch bereits Rechtsprechung, allerdings wohl nur von einigen OLG, die sehr stark auf das vom Vorsitzenden aus zu übende Ermessen abstellt. Denn eins ist klar und das weiß die Verteidigung auch: Einen Rechtsanspruch auf Bandaufnahme haben die Angeklagten und die Verteidiger nicht, aber sie haben einen Anspruch auf (fehlerfreies) Ermessen in der Frage. Und ob das bislang richtig ausgeübt ist/war, kann man vielleicht bezweifeln. Jedenfalls überzeugt mich die in der Presse mitgeteilte Begründung für die Ablehnung: „Doch das Gericht lehnte den Wunsch rundweg ab und erklärte, gegen den Willen der Bundesanwälte sei das unmöglich, denn sonst würden deren Persönlichkeitsrechte verletzt. Außerdem seien die Verteidiger doch erfahrene Juristen und in die Materie eingearbeitet, sie könnten mitschreiben.“ nicht.

Wieso das Einverständnis der Bundesanwälte erforderlich sein soll, sehe ich nicht – das NSU-Verfahren ist doch keine „Privatveranstaltung“, oder, um im Bild zu bleiben“, ein „Stuhlkreis“. Auf das Argument ist m.E. bislang auch noch nicht in der Rechtsprechung abgestellt worden. Und der Vorhalt: „Könnt doch Mitschreiben„, nun ja. Wer kann schon 24 Stunden mitschreiben. Ich vermisse dann im Übrigen auch – jedenfalls in der Berichterstattung – vor allem ein Eingehen auf die Belange der Angeklagten, die das Plädoyer ja nun auch verstehen sollen/müssen. Können die so lange aufmerksam sein und mitschreiben? Muss man da nicht ggf. die Aufnahme zulassen, auch wenn es denn Vertretern des GBA nicht passt.

Das alles wird diskutiert. Ergebnis: Der Senat scheint seine Entscheidung überdenken zu wollen. Jedenfalls kann man so die Vertagung auf den kommenden Dienstag deuten. Vielleicht überlegt er sich ja auch „Bandaufnahmen unter Auflagen“, nämlich mit einem Weitergabeverbot der Mitschnitte. Das Argument: „Es könne zu Versprechern kommen, man werde dann in der Öffentlichkeit vorgeführt.“ sollte an der Stelle keine Rolle spielen. Die Gefahr besteht auch, wenn nicht aufgenommen wird. Im Übrigen: „Sie nehmen doch nicht an einem Stuhlkreis teil, Herr Diemer“.

Nachtrag: Zum Volltext des OLG München-Beschlusses geht es hier: „Wir machen hier keinen Stuhlkreis“ II, oder: Schutz der Persönlichkeit des Bundesanwalts, im Volltext.

NSU: Wohlleben „bleibt drin“, oder: Man hätte es besser gelassen

© cunaplus - Fotolia.com

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In den letzten Tagen gab es mal wieder einige Meldungen aus dem NSU-Verfahren. U.a. hatte LTO hier über (weiteren) Streit zwischen den Verteidgern von B. Zschäpe abr auch zwischen den Verteidigern und den Nebenklägervertretern berichtet. Wir hatten ja lange nichts mehr von dem Verfahren gehört, in meinen Augen ein (fast) vergessenes Verfahren, aber es lebt dann doch wohl noch.

Zu dem Verfahren gab es dann gestern eine Entscheidung des BGH, und zwar den BGH, Beschl. v.  14.07.2016 – StB 20/16. Es handelt sich um eine Haftfortdauerentscheidung betreffend den Angeklagten Wohlleben, der – wie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht anders zu erwarten „drin bleibt“. Der BGH hat seine (Haft)Beschwerde gegen eine Haftfortdauerentscheidung des OLG München aus Februar 2016 verworfen. Na ja, ganz schön lange hate man gebraucht. Lag ab er wohl nicht am BGH, das OLG hat erst im Juni die Nichtabhilfe beschlossen.

Der BGH nimmt in der Entscheidung noch einmal zur Frage der Beurteilung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung Stellung:

„a) Wie der Senat bereits im Beschluss vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3) dargelegt hat, unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise ist den Urteilsgründen vor-behalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfah-ren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.“

Und: Er meint, dass das OLG „hinreichend konkret dargelegt [hat], dass auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses der dringende Verdacht der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes fortbesteht.“  Das ist natürlich etwas, was man als Verteidiger gar nicht gerne liest, aber ein solches Präjudiz ist die große Gefahr bei solchen Rechtsmitteln. Man könnte auch sagen: Der BGH richtet es schon mal….

Und zur Strafzumessung – wenn es denn zur Verurteilung kommt – gibt es auch gleich einen Hinweis:

„Auch in Anbetracht der insgesamt zu erwartenden Verfahrensdauer steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartenden Strafe (vgl. hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 – Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, NJW 2015, 3773, 3775). Zwar wird sich der Angeklagte, soweit derzeit absehbar, zum Zeitpunkt des Urteils noch deutlich länger als die bislang vollzogenen vier Jahre und sieben Monate in Untersuchungshaft befinden. Das aufzuklärende Tatgeschehen stellt sich jedoch nicht nur nach der gesetzlichen Strafandrohung als eine er-hebliche Straftat dar, sondern wiegt auch unter den konkret gegebenen Um-ständen schwer. Die im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartende und zu verbüßende Strafe wird deshalb bis auf Weiteres die Untersuchungshaft nicht nur unwesentlich übersteigen. ….“

M.E. hätte man es besser gelassen.

Impressionen, oder: (M)ein Tag im NSU-Verfahren – nicht viel los

20160114_130909_001In der vergangenen Woche musste ich nach München. Freitag war Seminartag in einem FA-Kurs für Strafrecht. Also war die Gelegenheit günstig und ich bin einen Tag eher angereist, um dann am Donnerstag mal am NSU-Verfahren teilnehmen zu können. Allein schon, um später mal sagen zu können: Ich bin dabei gewesen, nun besser: Ich war auch mal da.

Und es hat geklappt. Auch am Donnerstag war „Verhandlungs-„ (?)/Sitzungstag. Keine plötzliche Absetzung dieses Hauptverhandlungstermins. Und ich bin hingegangen, obwohl der strahlend blaue Himmel und die klare Luft in München auch Lust auf andere Aktivitäten in der bayerischen Landeshauptstadt gemacht hätten.

Hier dann meine Eindrücke/Impressionen, oder eben: (M)ein Tag im NSU-Verfahren (vgl. im Übrigen auch u.a. den „Zeit-Online-Blog“ hier).

Der Einlass: Ohne Probleme. Nun ja, es war der 255. Hauptverhandlungstag. Die Wachtmeisterei hat also inzwischen Erfahrung mit dem Einlass von Zuhörern. Schön die Handys abgeben, offenbar u.a. damit nicht fotografiert werden kann. Nun ja: Die Pressevertreter haben Handys. Fotografieren die nicht oder ist die Gefahr da geringer?

Die Zuhörer: Viele waren außer mir auch nicht da. Nur noch ein Rentnerehepaar 🙂 und einige jüngere Zuhörer, die offenbar aus zeitgeschichtlichem Interesse dauerhaft/oft an der Hauptverhandlung teilnehmen. Und natürlich:

Die Presse: Ja, Presse war auch am 255. Hauptverhandlungstag reichlich da, mehr als Zuhörer. Sie hat eifrig in die Laptops gehämmert, wobei ich mich gefragt habe: Was eigentlich? Denn so spannend war der Tag nun wirklich nicht (dazu gleich mehr). Unter den Pressevertretern dann auch die „Grand Dame“ des Strafverfahrens (?) Gisela Friedrichsen vom Spiegel. Die aber ohne Laptop, sondern klassisch mit einem Block 🙂 .

Die Verteidigung: Ja, die Verteidigung war natürlich auch da. Und – in meinen Augen – deutlich zu sehen: Zwei Lager. Zuerst kommt der (neue) Verteidiger M. Grasel, der sich gleich auf seinen Platz setzt, dort aber, da sonst fast noch niemand im Sitzungssaal ist, ein wenig verloren wirkt. Das merkt er dann auch wohl selbst und geht dann doch lieber noch einmal raus. Dann kommen die „Altverteidiger“, die am anderen Ende der ersten Reihe der Reihen, in denen die Angeklagten und ihre Verteidiger sitzen, Platz nehmen. Eine deutliche Trennung zwischen „alt“ und „neu“ ist unverkennbar, denn es bleibt zwischen ihnen ein Platz frei. Man nimmt sich auch kaum zur Kenntnis. Und ein freier Platz bleibt auch noch, als dann die Angeklagte B. Zschäpe da ist. Nun der ist sicherlich für den nicht anwesenden Wahlverteidiger Borchert reserviert.

Die Angeklagte B. Zschäpe: Ja, die kommt und scherzt dann gleich mit ihrem neuen Verteidiger. „Abgeschirmt“ wie in der Vergangenheit wird sie nicht mehr, muss sie aber auch nicht, da ja keine Presse (mehr) im Saal ist, die fotografiert. Auffällig: Sie würdigt die „alten Verteidiger“ keines Blickes.

Die anderen Angeklagten: Ich kann/konnte sie von meinem Platz aus nicht sehen.

Die Nebenklägervertreter: Ja, sie sind auch da. M.E. nicht alle, aber doch eine ganze Menge, wie auch die Kameraeinstellung der im Saal gefertigten und auf zwei Leinwände überspielten Filmaufnahmen zeigt.

Die Bundesanwaltschaft: Die ist natürlich auch da. Drei Mann/Frau stark, in roten Roben. Hatte ich noch nie; war ja auch nicht in einem Staatsschutzsenat (Gott sei Dank!).

Das Gericht: Der Senat kommt – etwas verspätet. Geschickt gemacht „der Einzug. Denn man kommt durch zwei Türen: Durch die linke Tür die „ordentliche Besetzung des Senats“, durch die rechte die beiden Ergänzungsrichter. So vermeidet man einen Stau beim Eintritt. Nun ja. Und dann:

Die Verhandlung: Da gibt es nicht viel zu berichten – weshalb ich ja auch die anderen Dinge so breit dargestellt habe. Ich hatte allerdings auch nicht damit gerechnet, dass es ein spektakulärer Hauptverhandlungstag werden würde. Denn es ging – das war nach dem Vortag, an dem sich der Angeklagte R. Wohlleben zur Sache eingelassen hatte (vgl. den „Zeit-Online-Blog“ hier) – um dessen weitere Befragung.

Und der Vorsitzende war redlich bemüht, aus dem Angeklagten noch etwas mehr „heraus zu kitzeln“, als er am Vortag erklärt hatte. Da kam aber nicht viel. Die Wendungen: „Daran erinnere ich mich nicht“, oder: „Das weiß ich nicht mehr“, „Ich erinnere nicht“, sowie: „Wenn ich dazu etwas sagen würde, wäre es Spekulation“ und auch: „Ich habe keine eigene Erinnerung, sondern nur aufgrund der Akten.“, war vorherrschend. Dementsprechend mühsam war die Einvernahme des Angeklagten. Was mir auffiel. Immer, wenn es „ans Eingemachte ging“, nämlich um die Beziehungen zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wurde es „dünn“. Und gerade die Punkte – wann und wo hat man sich wie oft warum getroffen – interessierten aber den Vorsitzenden. Lassen wir hier dahin gestellt, wie das Gericht damit und mit der Einlassung vom Vortag umgeht/umgehen wird.

Das Ganze endete dann nach ca. 90 Minuten in einer Kaffeepause, die sich m.E. alle verdient hatten. Danach sollte es dann mit dem Vorhalt eines Vermerks der Ermittlungsbehörden aus Band 588 der Akten (?) weiter gehen. Den hatte die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben aber offenbar nicht in den ihr überlassenen Akten, so dass erst eine Kopie beschafft werden musste. Also nochmals Pause und dann nochmals rund 30 ermüdende Minuten mit „Das weiß ich nicht mehr“, „Ich erinnere nicht“, usw. Danach dann Mittagspause.

Und ich räume ein: Den Nachmittag habe ich mir dann nicht mehr angetan, da habe ich den blauen Himmel in München an anderer Stelle genossen. Ich hatte/habe mir aber einen Eindruck verschafft. Sicherlich nur eine Momentaufnahme eines ganz unspektakulären Tages – aber mehr hatte ich auch nicht erwartet. Wenn es spektakulär gewesen wäre oder die Möglichkeit bestanden hätte, dass es das würde, wäre auch sicherlich der Andrang größer gewesen und ich hätte um 08.45 Uhr wahrscheinlich keinen Platz mehr bekommen.

Was bleibt als Fazit: Nun wie in allen Großverfahren gibt es auch im NSU-Verfahren Höhepunkte – größere und kleinere – vielleicht heute mal wieder mit der Beantwortung der Fragen des Senats durch B. Zschäpe bzw. die Verlesung der Antworten durch ihren „neuen“ Verteidiger -, aber eben auch viel „Klein Klein“, das der StPO und ihrem Verfahren geschuldet ist. Das war vorauszusehen.

Ein Punkt hat mir dann allerdings doch zu denken gegeben, der aber an sich nicht konkret mit dem NSU-Verfahren zu tun, aber für mich besonders auffällig war. Da sitzen – mit den Ergänzungsrichtern – sieben Richter auf der Richterbank. Da wir am OLG sind einmal R 3 und sechsmal R 2, also R 15 (lassen wir die Bundesanwaltschaft mal außen vor). Und alle schreiben eifrig mit, was gefragt wird und wie der Angeklagte geantwortet hat. Das müssen übrigens dann auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft und die Verteidiger und Nebenklägervertreter. Also ein Gerichtssaal voller „Schreiber“ – ich wähle nicht „Schreiberlinge“, weil das abwertend wäre. Da fragt man sich dann doch, ob es da nicht bessere und wahrscheinlich auch billigere Methoden/Möglichkeiten gibt. Und ob in strafverfahrensrechtlichen Hauptverhandlungen nicht wirklich ein Wortprotokoll oder sogar ein „audiovisuelles Protokoll“ geführt werden sollte. Das würde vieles vereinfachen. Der „Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahren“ schlägt dazu unter Punkt D 13 ja auch eine Prüfung dieser Frage vor. Nun, für das NSU-Verfahren dürfte das zu spät kommen.

Der Ausblick: Alles in allem: Ein interessanter Tag in einem Verfahren, das nun erst mal bis September 2016 weiter terminiert ist. Ob es darüber hinaus weiter geht. Wer will das heute sagen (können)?