Schlagwort-Archive: Nebenkläger

Nebenklage I: Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Aussage-gegen-Aussage

Bild von Jürgen Sieber auf Pixabay

Heute stelle ich dann Entscheidungen rund um die Nebenklage vor. Die erste, der LG Köln, Beschl. v.29.01.2021 – 120 Qs 3-4/21 -, den mir die Kollegin Heindorf aus Köln Essen geschickt hat, ist m.E. vor allem aber auch für Verteidiger interessant.

Ergangen ist er in einem Verfahren, das eine Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand hat. In dem ist der Nebenklagevertreterin, die als Zeugenbeistand beigeordnet war, Akteneinsicht gewährt worden. Dagegen richte ich sich die Beschwerde der Verteidiger der beiden Angeklagten. Die hatte Erfolg:

„Die Beschwerden sind auch begründet. Der Antrag auf Akteneinsicht war abzulehnen.

Nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann dem Nebenkläger die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Über die Versagung der Akteneinsicht wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (Schmitt a.a.O., § 406e Rn. 11). Indes ist das Beschwerdegericht nicht darauf beschränkt, die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern trifft eine eigene Ermessensentscheidung (KG NStZ 2019, 110 (111); OLG Braunschweig NStZ 2016, 629 (630)). Dabei sind auch in Fällen, in denen die Angaben des Verletzten zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt, immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend (vgl. KG a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.; Schmitt a.a.O., § 406e Rn. 12). Allerdings dürfte bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation jedenfalls dann von einer Gefährdung des Untersuchungszwecks auszugehen sein, wenn — wie hier — die Aussage des Belastungszeugen das einzige oder nach dem Ermittlungsergebnis belastbarste Beweismittel ist (so auch LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2009, § 406e Rn. 13). Denn in diesen Fällen droht schon durch die Akteneinsicht als solche eine Gefährdung des Untersuchungszwecks, sodass dem Belastungszeugen jedenfalls in aller Regel die Akteneinsicht zu versagen ist (vgl. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (107); MüKoStPO/Grau, 2019, § 406e Rn. 14).

Ausweislich des Akteninhalts haben die Angeklagten die Tat abgestritten, wobei sie insbesondere die Einvernehmlichkeit der betreffenden sexuellen Handlungen vorgeben. In solchen Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen greifen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung, wobei es dem Tatrichter je nach Fallgestaltung auch obliegen kann, dem Belastungszeugen zum Zwecke der Glaubhaftigkeitsprüfung Inhalte früherer Vernehmungen oder sonstige Akteninhalte vorzuhalten. Gerade der inhaltlichen Konstanz aufeinander folgender Vernehmungen desselben Zeugen kommt als eines von zahlreichen Realitätskriterien wesentliche Bedeutung zu (OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (107)). Auch wenn die Tat tatsächlich begangen worden sein und der Zeuge in der Hauptverhandlung wahrheitsgemäß aussagen sollte, wird die Aussagekraft seiner Aussagekonstanz durch die Gewährung vorheriger Akteneinsicht zwangsläufig entwertet (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. April 2016 — 2 StR 435/15 —, juris Rn. 14). Selbiges gilt für die im Rahmen der Beweiswürdigung gebotene Überprüfung durch den Tatrichter, ob der Aussageinhalt mit den sonstigen Akteninhalten, insbesondere den übrigen Ermittlungsergebnissen, in Einklang zu bringen ist. Das Gericht könnte sich bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage dem Umstand der vorherigen Akteneinsicht nicht verschließen. Hierdurch wird die Erforschung des wahren Sachverhalts unabhängig davon gefährdet, ob der Zeuge die Kenntnisnahme von Akteninhalten offenlegt oder seine Aussage gar bewusst diesen Akteninhalten anpasst. Schon die Möglichkeit, dass der Tatrichter der Aussage des Belastungszeugen aus diesem Grund geringeres Gewicht beimisst, steht dem Untersuchungszweck entgegen.

Auch die Zusicherung der Nebenklagevertreterin, der Nebenklägerin im vorliegenden Fall keine Akteninhalte zur Verfügung zu stellen, schließt die Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht aus. Der Tatrichter kann nicht zuverlässig überprüfen, ob diese Zusicherung eingehalten wurde (vgl. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (108)). Hieran ändert sich nicht dadurch etwas, dass die Nebenklägerin auf Befragen des Tatrichters, welche Akteninhalte zu ihrer Kenntnis gelangt sind, als Zeugin zur Wahrheit verpflichtet wäre und für den Fall einer Lüge mit einer Strafe rechnen müsste (so aber KG NStZ 2019, 110 (112)). Denn gerade in Fällen, in denen der Angeklagte der Sache nach eine Falschbeschuldigung durch den Belastungszeugen behauptet, ist diese Erwägung nicht geeignet, eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen.

Ohne Bedeutung ist weiter die — auch von der Nebenklagevertreterin vorgebrachte —Erwägung, es dürfte sich im Ergebnis eher zu Gunsten als zu Lasten des Angeklagten auswirken, wenn eine festgestellte Konstanz in der Aussage der Nebenklägerin wegen einer vorherigen Akteneinsicht an Wert für die Beurteilung ihrer Angaben als richtig verliert (vgl. hierzu KG NStZ 2019, 110 (112)). Es geht bei dem Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO nicht um die Interessen des Angeklagten, sondern um das öffentliche Interesse, den Untersuchungszweck nicht zu gefährden. Auch wenn der Untersuchungszweck auch den Interessen des Angeklagten dient, steht er dennoch nicht zu dessen Disposition.

Der Gefährdung des Untersuchungszwecks stehen im vorliegenden Fall keine überwiegenden Interessen der Nebenklägerin gegenüber. Die Erwägung der Nebenklagevertreterin, nur durch Aktenkenntnis sei ihr eine Beurteilung möglich, ob die Nebenklägerin möglicherweise eine Falschaussage getätigt hat, ist nicht durchgreifend. Es obliegt dem Tatrichter, die Nebenklägerin vor ihrer Vernehmung umfassend zu den Folgen einer Falschaussage zu belehren. Es ist der Nebenklagevertreterin auch ohne genaue Aktenkenntnis unbenommen, die Nebenklägerin darüber aufzuklären, welche prozessualen Rechte ihr aus dem hypothetischen Fall unwahrer Angaben im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung erwachsen würden. Es ist nicht erkennbar, welchen Vorteil die genaue Kenntnis früherer Aussageinhalte für diese Aufklärung bieten sollte…..“

Nebenklage III: Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Rechtliches Gehör erforderlich

© rdnzl – Fotolia.com

Mit dem letzten Posting des Tages stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 02.04.20202 Ws 651/19 – vor. Mit ihm hat das OLG die Beschwerde gegen einen Beschluss des LG Aachen, über den ich auch berichtet hatte, verworfen. Es handelt sich um den LG Aachen, Beschl. v. 11.10.2019 – 60 KLs 12/19 über den ich hier Akteneinsicht für den Nebenkläger, oder: Vorherige Anhörung des Beschuldigten erforderlich  berichtet habe.

Es geht um das Verfahren bei der Akteneinsicht für den Nebenkläger. Die war in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung, Nötigung und Freiheitsberaubung der Nebenklägerin (zweimal) gewährt worden. Dagegen hatt der Verteidiger Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt, der beim LG Erfolg hatte. Dagegen hatte dann die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt, mit der sie beim OLG gescheitert ist:

„b) Darüber hinaus war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05.02.2018 auch begründet, weil die von der Staatsanwaltschaft Aachen an die Nebenklägervertreterin gewährte Akteneinsicht in beiden Fällen verfahrensfehlerhaft erfolgt und damit rechtswidrig war.

(1) Dies gilt zum einen für die der Nebenklägervertreterin mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht. Die Ausführungen des Landgerichts, wonach die Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren an Dritte regelmäßig der vorherigen Anhörung des Beschuldigten bedarf, weil damit regelmäßig ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbunden ist, teilt der Senat (vgl. auch: BVerfG, B. v. 31.01.2017, 1 BvR 1259/16, juris Rn. 17; BVerfG, B. v. 30.10.2016, 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5; BVerfG, B. v. 15.04.2005, 2 BvR 465/05, juris Rn. 12; OLG Rostock, B. v. 13.07.2017, 20 Ws 146/17, juris Rn. 38; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15, juris Rn. 6). Die Rechtsgrundlage dieser Anhörungspflicht ergibt sich bei einer Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft aus § 33 Abs. 3 StPO analog bzw. aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Gebot der Sachaufklärung (vgl. OLG Rostock, B. v. 13.07.2017, 20 Ws 146/17, juris Rn. 38; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15, juris Rn. 6; LG Wuppertal, B. v. 23.12.2008, 22 AR 2/08, juris Rn. 3; LG Krefeld, B. v. 01.08.2008, 21 AR 2/08, juris Rn. 10 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 406 e Rn. 18; MüKo-StPO/Grau, a.a.O., § 406 e Rn. 14, 20).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht jedoch nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil es die Staatsanwaltschaft unterlassen hat, dem ehemaligen Angeklagten unmittelbar nach Eingang des Akteneinsichtsgesuchs rechtliches Gehör zu gewähren. Denn eine Anhörung des ehemaligen Angeklagten war – entgegen den Ausführungen der Strafkammer – zu diesem Zeitpunkt wegen seines unbekannten Aufenthaltsortes faktisch nicht möglich bzw. durchführbar. Von einer Anhörung kann entsprechend § 33 Abs. 4 S. 1 StPO dann abgesehen werden, wenn sie den Zweck der Anordnung gefährden würde oder wenn der Anhörung tatsächliche Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 33 Rn. 15 ff.; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2014: § 33 Rn. 31 ff; KK-StPO/Maul, 8. Aufl. 2019, § 33 Rn. 12 ff.). Letzteres war hier der Fall, denn im Juli 2017 war der Aufenthaltsort des ehemaligen Angeklagten, für den sich zu diesem Zeitpunkt auch noch kein Verteidiger bestellt hatte, unbekannt und eine Anhörung daher letztlich nicht möglich. Nach Ansicht des Senats hätte die Staatsanwaltschaft mit Blick auf den damals bestehenden nationalen sowie europäischen Haftbefehl sowie die Festnahmeausschreibung auch keine Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung veranlassen müssen. Es ist nichts dafür erkennbar, dass dies zu einer zeitnahen Ermittlung des Aufenthaltes der ehemaligen Angeklagten geführt hätte. Auch bestand keine Verpflichtung zur Nutzung einer in den Akten notierten Mobilfunknummer des vormaligen Angeklagten, um hierdurch seinen genauen Aufenthaltsort zu ermitteln oder ihn mündlich zur Frage der Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklägerin anzuhören. Die Staatsanwaltschaft musste die aktenkundige Mobilfunknummer nicht nutzen, um mit dem vormaligen Angeklagten telefonisch in Kontakt zu treten. Denn es war zum einen nicht sichergestellt, ob es sich bei der betreffenden Mobilfunknummer noch immer um die aktuelle Rufnummer des vormaligen Angeklagten gehandelt hat. Darüber hinaus hätte die Staatsanwaltschaft wohl auch keine ausreichende Möglichkeit gehabt, um die Identität eines möglichen Gesprächspartners zu überprüfen. Zudem hätte eine telefonische Kontaktaufnahme ggf. auch die Anordnung der Untersuchungshaft und damit den Untersuchungszweck gefährden können. Es ist nicht auszuschließen, dass der ehemalige Angeklagte eine etwaige telefonische Erörterung, welche das laufende Ermittlungsverfahren zum Gegenstand gehabt hätte, zum Anlass für eine (weitere) Verschleierung seines Aufenthaltsortes genutzt hätte. Dass die Staatsanwaltschaft eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht riskieren musste, ergibt sich schließlich auch aus § 33 Abs. 4 S. 1 StPO, wonach das Interesse an der vorherigen Gewährung rechtlichen Gehörs zugunsten einer effektiven Strafverfolgung zurücktritt.

Die Gewährung der Akteneinsicht im Juli 2017 war jedoch gleichwohl rechtswidrig, weil die Staatsanwaltschaft die Entscheidung über den Antrag der Nebenklägervertreterin bis zu einer zu einem späteren Zeitpunkt möglichen Anhörung des vormaligen Angeklagten hätte zurückstellen können. Auf diese Weise hätte das Recht des ehemaligen Angeklagten auf rechtliches Gehör ohne weiteres gewahrt werden können, obwohl eine Anhörung zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht möglich war. Ein Zurückstellen der Entscheidung hätte vorliegend auch nicht das Recht der Nebenklägerin auf Akteneinsicht nach § 406 e Abs. 1 StPO unzumutbar beeinträchtigt. Ein entsprechendes Vorgehen hätte lediglich bedeutet, dass über ihren Antrag zu einem späteren Zeitpunkt, hier bis nach der Festnahme und Anhörung des vormaligen Angeklagten im November 2017, also binnen eines Zeitraums von rund 4 Monaten, entschieden worden wäre. Das Akteneinsichtsgesuch der Nebenklägerin hätte daher vorliegend nicht für eine als unzumutbar anzusehende Zeit hinausgeschoben werden müssen. Soweit eine abweichende Bewertung zwar bei einer besonderen Dringlichkeit der Akteneinsicht geboten sein könnte, war dies hier nicht entscheidungserheblich, da die Nebenklägervertreterin in ihrem Antrag vom 11.07.2017 weder eine besondere Eilbedürftigkeit dargelegt hatte noch eine solche für die Staatsanwaltschaft erkennbar gewesen wäre.

Da die mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht bereits aus formellen Gründen rechtswidrig war, kann dahinstehen, ob die Bewilligung einer unbeschränkten Akteneinsicht auch materiell rechtswidrig gewesen wäre, etwa gemäß § 406 e Abs. 2 S. 2 StPO wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks in der vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.

(2) Auch die mit Verfügung vom 27.11.2017 der Nebenklägervertreterin gewährte Akteneinsicht hinsichtlich der Zweitakte war rechtswidrig. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, folgt die Rechtswidrigkeit in diesem Fall unmittelbar daraus, dass eine Anhörung des vormaligen Angeklagten vor der Bewilligung der Akteneinsicht nicht erfolgt ist. Ende November 2017 war die Gewährung rechtlichen Gehörs an den ehemaligen Angeklagten ohne weiteres möglich, denn die Staatsanwaltschaft hatte seit Anfang November 2017 Kenntnis von seinem Wohnsitz und Aufenthaltsort in Essen. Zudem hatte sich für ihn bereits eine Verteidigerin (Rechtsanwältin pp.) bestellt. Dennoch ist weder dem vormaligen Angeklagten noch seiner Verteidigerin Gelegenheit gegeben worden, zu der beabsichtigten Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklagevertreterin Stellung zu nehmen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor bzw. sind von der Staatsanwaltschaft vorgetragen werden, dass die Anhörung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Dass der Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt bereits Rechtsanwältin Trogrlic als Nebenklagevertreterin beigeordnet worden war, ist für die Frage der Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber dem ehemaligen Angeklagten ohne rechtliche Relevanz. Im Hinblick auf den Inhalt des Beschwerdevorbringens teilt der Senat zudem die Ausführungen der Strafkammer in der Nichtabhilfentscheidung vom 31.10.2019, wonach die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Gewährung von Akteneinsicht von der vorliegend nicht entscheidungserheblichen Frage zu trennen ist, ob und in welchem Umfang Akteneinsicht ggf. zu bewilligen ist.

(3) Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anhörung des vormaligen Angeklagten ist auch weder aufgrund der Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung vor dem Landgericht Aachen geheilt worden noch kann eine entsprechende Heilung mit der Durchführung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens erreicht werden. Soweit die Frage einer Heilung für die hier gegebene Konstellation in der Rechtsprechung zunächst unterschiedlich beurteilt worden war (eine Heilung bejahend: BGH, B. v. 11.01.2015, 1 StR 498/04, juris Rn. 10; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15. juris Rn. 8; LG Stralsund, B. v. 10.01.2005, 22 Qs 475/04, juris Rn. 11; eine Heilung verneinend: LG Wuppertal, B. v. 23.12.2008, 22 AR 2/08, juris Rn. 4; AG Zwickau, B. v. 12.04.2013, 13 Gs 263/13, juris Rn. 3), dürfte mit Blick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG: B. v. 30.10.2016, 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5) eine Klärung eingetreten sein. Hiernach ist festzustellen, dass die unterlassene Anhörung des Beschuldigten vor der Gewährung von Akteneinsicht an einen Dritten einen schwerwiegenden Verfahrensfehler darstellt, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann. Da das Bundesverfassungsgericht in Kenntnis der zeitlich vorausgegangenen Entscheidung des KG Berlin vom 02.10.2015 (4 Ws 83/15) eine Heilung des Verfahrensfehlers aufgrund der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens nicht angenommen hat, gilt dies nach Ansicht des Senats in der vorliegenden Fallkonstellation im Ergebnis auch für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb in den vorliegenden Konstellationen eine Heilung im Beschwerdeverfahren, anders als im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung, möglich sein sollte. Das Unterlassen der gebotenen Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Außerdem kann eine vorherige Anhörung ihren Zweck nur dann erreichen, wenn der Beschuldigte vor der Gewährung der Akteneinsicht die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält, sodass diese bei der Entscheidung hierüber berücksichtigt werden kann.“

Notwendige Auslagen des Nebenklägers von fast 19.000 €, oder: Notwendig?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem KG, Beschl. v. 11.11.2019 – 1 Ws 2/19 – geht es um die notwendigen Auslagen des Nebenklägers in einem Verfahren wegen Totschlags.

Das LG hat gegen den früheren Angeklagten, der die Mutter des Nebenklägers getötet hatte, nach 26 Verhandlungstagen wegen Totschlags eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und erlegte ihm neben den Kosten des Verfahrens die notwendigen Auslagen des Nebenklägers auf. Der Nebenkläger hatte an 25 Verhandlungstagen teilgenommen, zu denen er jeweils von seinem Wohnort angereist war. Der ihm als Nebenklagevertreter beigeordnete Rechtsanwalt bzw. dessen Vertreter war an allen Verhandlungstagen anwesend gewesen. Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil, mit der er eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstrebte, hatte keinen Erfolg. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Nebenkläger hat beantragt, gegen den Verurteilten gemäß § 464b StPO die ihm als Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen in einer Gesamthöhe von 18.497, 65 EUR festzusetzen. wobei er im Einzelnen 12.968.65 EUR Reisekosten. 5.229,00 EUR Verdienstausfall und 300,00 EUR Verpflegungsmehraufwand geltend macht. Die Rechtspflegerin des LG hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner sofortigen Beschwerde. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Das KG meint dazu:

„1. Mit Recht hat die Rechtspflegerin es abgelehnt, die geltend gemachten Auslagen des Nebenklägers als notwendige Auslagen im Sinne des § 464a StPO festzusetzen.

a) Zwar können Reisekosten. Verdienstausfall und Verpflegungsmehraufwand grundsätzlich zu den erstattungsfähigen Auslagen eines Beteiligten gehören, da § 464a Abs. 2 StPO keine erschöpfende Aufzählung (möglicher) notwendiger Auslagen enthält (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 464a Rdn. 21). Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um notwendige Auslagen handelt. Darunter sind die einem Beteiligten erwachsenen, in Geld messbaren Aufwendungen zu verstehen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, zur Geltendmachung der prozessualen Rechte in der gebotenen Form notwendig waren (vgl. Hilger ebenda). Ob eine Aufwendung notwendig war, ist nicht im Nachhinein – etwa nach dem erreichten Ergebnis -, sondern danach zu beurteilen. wie sich ein vernünftiger Mensch in dieser Lage verhalten hätte (vgl. Hilger ebenda).

b) Nach diesen Maßstäben fallen die geltend gemachten Aufwendungen nicht unter den Begriff der notwendigen Auslagen.

aa) Der Beschwerdeführer meint, dass seine Aufwendung allein schon deshalb erstattet werden müssten, weil er zu allen Sitzungstagen geladen worden sei. Im Ergebnis ebenso wird dies offenbar auch von Hilger (a.a.O., § 472 Rdn. 14) gesehen, der die gegenteilige Auffassung (OLG Bamberg JurBüro 1985, 1047 m. zust. Anm. Mümmler) „im Hinblick auf § 397 StPO“ ablehnt (nicht einschlägig die von Hilger ebenda zitierte Entscheidung OLG Düsseldorf MDR 1993, 786, die sich in einem obiter dictum lediglich zur Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen des Nebenklägers für einen anwaltlichen Beistand äußert; fehlgehend daher auch der Hinweis auf Mümmler JurBüro 1990, 450).

Diese Begründung überzeugt jedoch nicht. § 397 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO schreibt vor, dass der Kläger zur Hauptverhandlung zu laden ist. Damit soll gewährleistet werden. dass er in die Lage versetzt wird, sein in § 397 Abs. 1 Satz 1 StPO normiertes Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung ausüben zu können. Der Nebenkläger ist berechtigt, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, er ist hierzu aber nicht verpflichtet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl.. § 397 Rdn. 3). Es bleibt ihm überlassen. ob er seine Rechte durch persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung ausüben will. Hier war es so, dass dem Beschwerdeführer ein Rechtsanwalt als Nebenklagevertreter beigeordnet war. Dieser hat ausweislich des Sitzungsprotokolls – zudem überaus engagiert – die Interessen des Nebenklägers vertreten. Der Senat lässt dahinstehen, ob die Vertretung eines Nebenklägers durch einen an der gesamten Hauptverhandlung teilnehmenden anwaltlichen Beistand schon für sich genommen die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für die persönliche Anwesenheit des Nebenklägers ausschließt (so wohl OLG Bamberg JurBüro 1985, 1047 m. zust. Anm. Mümmler). Es mag Fälle geben, in denen – ausnahmsweise – die Anwesenheit des Nebenklägers zusätzlich zur Vertretung durch den anwaltlichen Beistand notwendig ist. Dies muss er dann allerdings vortragen und gegebenenfalls nachweisen, da im Verfahren gemäß § 464b StPO die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit von Aufwendungen – anders als dies bei den Auslagen eines Rechtsanwalts der Fall wäre (vgl. den Wortlaut des § 46 Abs. 1 RVG) – bei demjenigen liegt, der die Erstattung verlangt. Der Beschwerdeführer hat insoweit nichts vorgebracht.

bb) Auch der Hinweis des Beschwerdeführers. er sei mehrfach spontan vom Gericht als präsenter Zeuge vernommen worden, verfängt nicht. Denn die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen. die ihm als Zeuge entstanden sind, richtet sich nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). Das diesbezügliche Verfahren ist, wie dem Senat bekannt ist, rechtskräftig abgeschlossen.“

EV III: (Keine) Akteneinsicht für Nebenklägerin, oder: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

© vegefox.com – Fotolia.com

Und die dritte Entscheidung, der OLG Celle, Beschl. v. 13.08.2019 – 3 Ws 243/19, den mir der Kollege Lorenzen aus Bremen gesandt hat, behandelt eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine (große) Rolle spielt, nämlich: Akteneinsicht für Nebenkläger und/oder deren Versagung, vor allem in den Fällen der Aussage-gegen-Aussage Konstellation..

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Hier hatte die Vertreterin der Nebenklägerin Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer, mit welcher ihr Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach Maßgabe von § 406e Abs. 2 StPO mit der Begründung versagt worden war, die Akteneinsicht gefährde vor dem Hintergrund der jedenfalls in einzelnen Fällen vorliegenden Aussagegegen-Aussage-Konstellation den Untersuchungszweck und sei zum Vermeiden einer Beeinflussung von Zeugen daher geboten.

Das OLG hat die Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer bestätigt:

„Die Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer, der Nebenklägerin Akteneinsicht zu versagen, ist nicht zu beanstanden. Nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Nach überwiegender Auffassung ist dies insbesondere der Fall, wenn durch die Aktenkenntnis eines resp. einer Verletzten etwa bei Vorliegen einer Aussagegegen-Aussage-Konstellation eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung zu besorgen ist (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Aufl., § 406e Rn. 12 m.w.N.). Die Entscheidung, ob Akteneinsicht verweigert wird, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint, erfolgt hierbei im pflichtgemäßen Ermessen, wobei der Gesetzgeber dem für die Entscheidung Zuständigen einen weiten Entscheidungsspielraum eröffnet hat (BGH HRRS 2005, Nr. 367) und es hierbei bereits genügen kann, dass nur schwache Anhaltspunkte für eine mögliche Gefährdung vorliegen (LR-Hilger, StPO 26. Aufl., § 406e Rn. 12 m.w.N.). Bei Vorliegen einer Aussagegegen-Aussage-Konstellation kann das Ermessen des Gerichts bereits auf Null reduziert sein (OLG Hamburg NStZ 2015,105 mit zust. Anmerkung von Radtke, NStZ 2015, 108; KK-StPO-Zabek, 8. Aufl., § 406e StPO Rn. 7). Die Gründe der angefochtenen Entscheidung zeigen, dass die Vorsitzende sich des anzulegenden Beurteilungsmaßstabs bewusst war und dass sie sich hierbei innerhalb des ihr zustehenden, weiten Ermessens- und Entscheidungsspielraums bewegt hat. Dass die Entscheidung der Vorsitzenden eher knapp begründet ist, könnte seine Rechtfertigung in der Regelung des § 406e Abs. 4 Satz 5 StPO finden.

Im Hinblick auf die Möglichkeit einer nur teilweisen Akteneinsicht hat die Vorsitzende im Rahmen ihrer Nichtabhilfeentscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass die vier mutmaßlich Geschädigten nach Aktenlage in Kontakt stehen und sich miteinander austauschen. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift ausgeführt, dass auch eine Einsicht nur in bestimmte teile der Akten, die den Untersuchungszweck nicht gefährden würde, wegen der fehlenden Bereitschaft der Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zur Abgabe einer Versicherung, mit der Beschwerdeführerin den Akteninhalt nicht zu erörtern, weder möglich noch in praktischer Hinsicht durchführbar sei. Dieser Einschätzung schließt der Senat sich an.“

StPO II: Die Nebenklägerrevision, oder: Verspätetes/kein Ziel der Revision

© MASP – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – 2 StR 381/19 – behandelt mal wieder einer der revisionsrechtlichen Dauerbrenner, nämlich die Frage der Zulässigkeit der Nebenklägerrevision, also eine Problematik des § 400 StPO. Ich habe dazu lange keine Entscheidung mehr vorgestellt, obwohl dazu fast jede Woche auf der Homepage des BGH etwas veröffentlicht wird.

Hier ist dann also mal wieder eine Beschluss:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Nebenklägers, die er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt hat.

Die Revision des Nebenklägers ist unzulässig. Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel einer anderen Rechtsfolge der Tat oder einer Verurteilung wegen einer Gesetzesverletzung, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt, anfechten. Er hat deshalb innerhalb der Revisionsbegründungsfrist darzulegen, inwieweit er in seiner Stellung als Nebenkläger durch das Urteil beschwert und welches seine Anschlussbefugnis stützende Strafgesetz verletzt ist. Die Erhebung einer unausgeführten Sachrüge genügt hierfür grundsätzlich nicht (st. Rspr.: vgl. etwa Senat, Beschluss vom 2. August 2016 – 2 StR 454/15, juris Rn. 2; BGH, Beschlüsse vom 22. März 2016 – 3 StR 56/16, juris Rn. 2; vom 8. Oktober 2002 – 4 StR 360/02, StraFo 2003, 15; jew. mwN; ebenso KK-StPO/Walther, 8. Aufl., § 400 Rn. 3; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 400 Rn. 6).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB und damit wegen eines zur Nebenklage berechtigenden Delikts verurteilt. Dass der Nebenkläger eine darüber hinausgehende Verurteilung wegen versuchten Mordes erstrebte, hat er erst mit Schriftsatz vom 10. Juli 2019 und damit nach Ablauf der am 27. Mai 2019 endenden Revisionsbegründungsfrist mitgeteilt. Die von ihm innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ohne Ausführungen zum Ziel des Rechtsmittels erhobene allgemeine Sachrüge entspricht nicht den sich aus § 400 Abs. 1 StPO ergebenden Anforderungen. Die Revision des Nebenklägers war daher als unzulässig zu verwerfen.“