Nebenklage I: Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Aussage-gegen-Aussage

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Heute stelle ich dann Entscheidungen rund um die Nebenklage vor. Die erste, der LG Köln, Beschl. v.29.01.2021 – 120 Qs 3-4/21 -, den mir die Kollegin Heindorf aus Köln Essen geschickt hat, ist m.E. vor allem aber auch für Verteidiger interessant.

Ergangen ist er in einem Verfahren, das eine Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand hat. In dem ist der Nebenklagevertreterin, die als Zeugenbeistand beigeordnet war, Akteneinsicht gewährt worden. Dagegen richte ich sich die Beschwerde der Verteidiger der beiden Angeklagten. Die hatte Erfolg:

„Die Beschwerden sind auch begründet. Der Antrag auf Akteneinsicht war abzulehnen.

Nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann dem Nebenkläger die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Über die Versagung der Akteneinsicht wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (Schmitt a.a.O., § 406e Rn. 11). Indes ist das Beschwerdegericht nicht darauf beschränkt, die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern trifft eine eigene Ermessensentscheidung (KG NStZ 2019, 110 (111); OLG Braunschweig NStZ 2016, 629 (630)). Dabei sind auch in Fällen, in denen die Angaben des Verletzten zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt, immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend (vgl. KG a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.; Schmitt a.a.O., § 406e Rn. 12). Allerdings dürfte bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation jedenfalls dann von einer Gefährdung des Untersuchungszwecks auszugehen sein, wenn — wie hier — die Aussage des Belastungszeugen das einzige oder nach dem Ermittlungsergebnis belastbarste Beweismittel ist (so auch LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2009, § 406e Rn. 13). Denn in diesen Fällen droht schon durch die Akteneinsicht als solche eine Gefährdung des Untersuchungszwecks, sodass dem Belastungszeugen jedenfalls in aller Regel die Akteneinsicht zu versagen ist (vgl. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (107); MüKoStPO/Grau, 2019, § 406e Rn. 14).

Ausweislich des Akteninhalts haben die Angeklagten die Tat abgestritten, wobei sie insbesondere die Einvernehmlichkeit der betreffenden sexuellen Handlungen vorgeben. In solchen Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen greifen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung, wobei es dem Tatrichter je nach Fallgestaltung auch obliegen kann, dem Belastungszeugen zum Zwecke der Glaubhaftigkeitsprüfung Inhalte früherer Vernehmungen oder sonstige Akteninhalte vorzuhalten. Gerade der inhaltlichen Konstanz aufeinander folgender Vernehmungen desselben Zeugen kommt als eines von zahlreichen Realitätskriterien wesentliche Bedeutung zu (OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (107)). Auch wenn die Tat tatsächlich begangen worden sein und der Zeuge in der Hauptverhandlung wahrheitsgemäß aussagen sollte, wird die Aussagekraft seiner Aussagekonstanz durch die Gewährung vorheriger Akteneinsicht zwangsläufig entwertet (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. April 2016 — 2 StR 435/15 —, juris Rn. 14). Selbiges gilt für die im Rahmen der Beweiswürdigung gebotene Überprüfung durch den Tatrichter, ob der Aussageinhalt mit den sonstigen Akteninhalten, insbesondere den übrigen Ermittlungsergebnissen, in Einklang zu bringen ist. Das Gericht könnte sich bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage dem Umstand der vorherigen Akteneinsicht nicht verschließen. Hierdurch wird die Erforschung des wahren Sachverhalts unabhängig davon gefährdet, ob der Zeuge die Kenntnisnahme von Akteninhalten offenlegt oder seine Aussage gar bewusst diesen Akteninhalten anpasst. Schon die Möglichkeit, dass der Tatrichter der Aussage des Belastungszeugen aus diesem Grund geringeres Gewicht beimisst, steht dem Untersuchungszweck entgegen.

Auch die Zusicherung der Nebenklagevertreterin, der Nebenklägerin im vorliegenden Fall keine Akteninhalte zur Verfügung zu stellen, schließt die Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht aus. Der Tatrichter kann nicht zuverlässig überprüfen, ob diese Zusicherung eingehalten wurde (vgl. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 (108)). Hieran ändert sich nicht dadurch etwas, dass die Nebenklägerin auf Befragen des Tatrichters, welche Akteninhalte zu ihrer Kenntnis gelangt sind, als Zeugin zur Wahrheit verpflichtet wäre und für den Fall einer Lüge mit einer Strafe rechnen müsste (so aber KG NStZ 2019, 110 (112)). Denn gerade in Fällen, in denen der Angeklagte der Sache nach eine Falschbeschuldigung durch den Belastungszeugen behauptet, ist diese Erwägung nicht geeignet, eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen.

Ohne Bedeutung ist weiter die — auch von der Nebenklagevertreterin vorgebrachte —Erwägung, es dürfte sich im Ergebnis eher zu Gunsten als zu Lasten des Angeklagten auswirken, wenn eine festgestellte Konstanz in der Aussage der Nebenklägerin wegen einer vorherigen Akteneinsicht an Wert für die Beurteilung ihrer Angaben als richtig verliert (vgl. hierzu KG NStZ 2019, 110 (112)). Es geht bei dem Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO nicht um die Interessen des Angeklagten, sondern um das öffentliche Interesse, den Untersuchungszweck nicht zu gefährden. Auch wenn der Untersuchungszweck auch den Interessen des Angeklagten dient, steht er dennoch nicht zu dessen Disposition.

Der Gefährdung des Untersuchungszwecks stehen im vorliegenden Fall keine überwiegenden Interessen der Nebenklägerin gegenüber. Die Erwägung der Nebenklagevertreterin, nur durch Aktenkenntnis sei ihr eine Beurteilung möglich, ob die Nebenklägerin möglicherweise eine Falschaussage getätigt hat, ist nicht durchgreifend. Es obliegt dem Tatrichter, die Nebenklägerin vor ihrer Vernehmung umfassend zu den Folgen einer Falschaussage zu belehren. Es ist der Nebenklagevertreterin auch ohne genaue Aktenkenntnis unbenommen, die Nebenklägerin darüber aufzuklären, welche prozessualen Rechte ihr aus dem hypothetischen Fall unwahrer Angaben im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung erwachsen würden. Es ist nicht erkennbar, welchen Vorteil die genaue Kenntnis früherer Aussageinhalte für diese Aufklärung bieten sollte…..“

5 Gedanken zu „Nebenklage I: Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Aussage-gegen-Aussage

  1. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Nun, Sie könnten versuchen eine BVV geltend zu machen, was allerdings wohl nicht gelingen wird. Jedenfalls muss die gewährte Akteneinsicht aber bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen.

  2. meine5cent

    @Bettinger:
    siehe zB BGH 5 StR 40/16

    Ceterum censeo:
    Natürlich ist es für Strafverteidiger erfreulich. Ich meine aber, dass – da ja auch sonst die anwaltliche Versicherung für die Glaubhaftmachung aller möglichen Dinge ausreicht, sei es für Terminsverlegung, Vollmachtserteilung u.a. und RAen zB auch die Angaben auf Empfangsbekenntnissen zu glauben sind – dieses explizit formulierte Misstrauen gegen die Zusagen von Nebenklagevertretern/Zeugenbeiständen nicht so ganz vereinbar ist mit dem sonst geforderten Vertrauen in anwaltliche Zusicherungen .

  3. Unbekannt

    Frage zu Akteneinsicht
    Sachverhalt:
    Person T bevollmächtig eine RA (1) in einem Familienverfahren (FamFB).
    Diese beantragt in einem Laufenden Strafermittlungsverfahren (StGB) Akteneinsicht, zur Klärung der Familinerechtlichen Verfahren(FamFB) …
    Diese wird von der StA genehmigt, ohne das der Beschuldigte informiert wurde (Datenschutz).
    Jedoch wurde diese kurz vorübersenden der Ermittlungsakte nicht mehr ausgeführt.
    Nun beauftragte Person T als (noch)Vormund mit Vollmacht vom 20.1.2000 einen weiteren RA (2) mit der Prüfung der Nebenklage (um sich so die für sie relevanten und nützlichen Information aus der Ermittlungsakte nun endlich zu besorgen). In einem Vormundschaftsverfahren am 21.1.2000 wurde der Person T nun die Vormundschaft entzogen und ein neuer Vormund bestellt. Der RA (2) stellt am 22.1.2000 den Antrag auf Akteneinsicht mit der nunmehr unwirksamen Vollmacht, bei der StA. Die StA genehmigt die Akteneinsicht. Am 9.2.2000 teilt der neue Vormund der StA die Bestellung zum Vormund unter vorlage des Beschluss vom 22.1.2000 mit und bitte um Mittelung, das wenn Ankalge erhoben wird, dieses mitzuteilen, da die Nebenklage in Erwähung gezogen wird. Am 12.2.2000 ruft die StA trotz Anzeige vom 9.2.2000, bei RA(2) an und informiert diesen, das die AE bis zum 28.2.2000 genehmgt ist. Trotz nunmehr Kenntnis der StA, holt RA (2) ohne nun mehr rechtswirksame Vollmacht die Ermittlungsakte am 16.2.2000 zur Mitnahme,als nunmehr Verfahrensfremder, bei der StA ab.Auf Beschwerde das Verfahrens fremde Akteneinsicht hatte, legte der RA (2) am 10.8.200 nach eien Telefnat mit der StA, nun eine neue Vollnacht des bestellten Vormund für die nun erneute Akteneinsicht vor. Die StA verweist nun auf diese und teilt mit, das eine Einsichtnahme am 16.2.2000 von Verfahrensfremde nicht vor liegt und beruft sich auf die Vollmacht aus August 2000.
    Am 9.2.2001 legte der RA (2) nun mehr Nebenklageanwalt eien Vollnacht im einem anderen Zivalverfahren von der Person A bei einem anderen Gericht, Beweisstücke, teile der Ermittlingsakte aus dem nun mehr Zwischenverfahren, vor.Wobei die Person A noch nicht ihre belastenden Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung (StGB) gemacht hatte.
    Laut Urteil gaben nun die Zeugen bei Ihrer Aussagen nicht die selbst gemachten Wahrnungen sondern die der Ermittlungsakte wieder.
    Ich hoffe sie konnten mir folgen.
    War die erste Genehmigung der RA (1) rechtens ?
    War die Genehmigung des RA (2) rechtens ?
    War die Herausgabe der Ermittlungsakte in Kopien in diesem Verfahren an die Zeugin für ein anderes Verfahren, vorallem vor der belastenen Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung, rechtens ?
    Das hier der fast genau Wortlaut der herausgegeben Anklageschrift wieder gegeben wurde ist im Urteil bewiesen.

    Puh, vielen Dank

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