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Strafe I: Doppelverwertungsverbot beim Missbrauch, oder: „Garantenstellung“, Sexualobjekt, Entwicklung

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Und heute dann noch einmal Entscheidungen zur Strafzumessung. Es ist manchmal wie verhext. Da tut sich zu einer Thematik lange nichts und dann auf einmal gibt es zahlreiche Entscheidungen. So ist es im Moment mit dem Thema „Strafzumessung“. Dazu hängen einige Entscheidungen in meinem Blogordner.

Ich eröffne den Reigen heute mit einigen Entscheidungen zum Doppelverwertungsverbot beim Missbrauch, und zwar zunächst mit dem BGH, Beschl. v. 26.04.2022 – 4 StR 34/22. Es geht um die Strafzumessung im „Münsteraner Missbrauchsfall“. Das LG hat die Angeklagte, die Mutter des Missbrauchsopfers, unter Freisprechung im Übrigen wegen Beihilfe durch Unterlassen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die Erfolg hatte:

„Nach den Feststellungen missbrauchte der gesondert verfolgte Lebensgefährte der Angeklagten den zur Tatzeit zwischen neun und elf Jahre alten Nebenkläger, indem er zweimal pro Woche u. a. an ihm den Oralverkehr ausübte oder an sich von dem Nebenkläger vornehmen ließ. Die Angeklagte, die als leibliche Mutter allein sorgeberechtigt für den Nebenkläger war, unternahm nichts, um diese Handlungen des gesondert Verfolgten zu beenden, zu erschweren oder zu minimieren. Vielmehr ließ sie zu, dass der gesondert Verfolgte mit dem Nebenkläger allein war und diesen zu einer Vielzahl von Tagesausflügen oder mehrtägigen Aufenthalten mit Übernachtungen mitnahm. Dabei rechnete sie zu Beginn des Tatzeitraums damit, dass der gesondert Verfolgte ihre Abwesenheit zum Missbrauch ausnutzte, und fand sich damit ab. Spätestens nach einem Jahr hatte sie positive Kenntnis von den fortlaufenden Missbrauchshandlungen. Durchgehend war sie sich ihrer Pflicht als Mutter und ihrer vielfältigen Handlungsmöglichkeiten bewusst.

….

3. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, weil die Strafkammer die Art der Garantenstellung der Angeklagten rechtsfehlerhaft strafschärfend berücksichtigt hat ( § 46 Abs. 3 StGB ).

a) Das Landgericht hat die Strafe dem nach § 27 Abs. 2 Satz 2 , § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB (in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung) entnommen; eine nochmalige Milderung des Strafrahmens gemäß § 13 Abs. 2 , § 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt. Bei der Prüfung eines minder schweren Falls gemäß § 176a Abs. 4 StGB aF und bei der konkreten Strafbemessung hat die Strafkammer dabei der Angeklagten die Qualität der Garantenstellung angelastet, die sich aus ihrer Eigenschaft als allein sorgeberechtigter leiblicher Mutter des Nebenklägers ergebe, und zur Begründung angeführt, dass diese Garantenstellung ein deutlich „anderes“ Gewicht habe als beispielsweise eine Garantenstellung aus Gefahrengemeinschaft.

b) Damit hat die Strafkammer gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.

aa) Danach dürfen die Merkmale des Tatbestands, welche die Strafbarkeit begründen und der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens zugrunde liegen, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Dies gilt in gleicher Weise für deliktsübergreifende strafbarkeitsbegründende Umstände aus dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – 3 StR 497/06 Rn. 10 [zum Unterlassen]; Beschluss vom 25. September 2002 – 1 StR 347/02 Rn. 6 [zum unterbliebenen Rücktritt] und Beschlüsse vom 18. März 2003 – 4 StR 83/03 Rn. 3, vom 13. September 2001 – 4 StR 322/01 Rn. 4 und vom 16. August 2000 – 3 StR 253/00 Rn. 5) und damit auch für die Gesichtspunkte, die eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB begründen (vgl. Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 45b mwN).

bb) Mit der strafschärfenden Berücksichtigung der Eigenschaft der Angeklagten, die alleinerziehende Mutter des Tatopfers zu sein, hat die Strafkammer einen Umstand zu Lasten der Angeklagten gewürdigt, der ihre Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB i. V. m. § 1626 Abs. 1 BGB und ihre sich daraus ergebende Handlungspflicht überhaupt erst begründet. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann dem Hinweis auf die „Qualität der Garantenstellung“ auch nicht entnommen werden, dass die Strafkammer damit aufzeigen wollte, dass die Angeklagte eine weit unter der Zumutbarkeitsschwelle liegende und von ihr deshalb „regelhaft“ zu erwartende Handlung nicht vorgenommen habe (vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT Bd. 2 § 31 Rn. 242; krit. dazu LK-StGB/Weigend, 13. Aufl., § 13 Rn. 101). Denn die Strafkammer hat sich an anderer Stelle mit der Zumutbarkeit eines Eingreifens gesondert auseinandergesetzt.

c) Der Senat kann trotz des erheblichen Gewichts des Untätigbleibens letztlich nicht ausschließen, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafbemessung ausgewirkt hat.“

Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot hat der BGH auch angenommen im BGH, Beschl. v. 17.06.2022 – 5 StR 110/22. Da hatte die Strafkammer Die Strafkammer  „straferschwerend gewertet, dass die Geschädigten für den Angeklagten „nur Sexualobjekte“ seien, „deren von ihm erkannte entgegenstehende Willen er rücksichtslos beiseiteschiebt“.“ Anders der BGH, Beschl. v. 06.09.2022 – 6 StR 274/22 Die Erwägung, der Angeklagte „habe „durch seine Taten eine unbefangene sexuelle Entwicklung der Geschädigten verhindert“, “ hat der BGH nicht als Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) beanstandet. Denn: “ Während der Tatbestand von §§ 176, 176a StGB der Gefahr von Entwicklungsschäden auf sexuellem Gebiet begegnen soll und diese damit keinen tauglichen Strafzumessungsumstand darstellt, können tatsächlich eingetretene Schäden strafschärfend berücksichtigt werden….“

OWi II: Kurzfristige Entbindung mit „offenem Visier“, oder: KG macht es „wohltuend richtig“.

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Der zweiten Entscheidung, dem KG, Beschl. v. 26.11.2021 – 3 Ws (B) 312/21 – 122 Ss 142/21 -, liegt dieselbe Ausgangslage zugrunde wie dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.06.2021 – 2 Ss-OWi 440/21. Es geht auch um einen am Hauptverhandlungstag gestellten Entbindungsantrag. Hier war es sogar noch knapper, denn: Hauptverhandlungstermin war auf 13.00 Uhr anberaumt, Der Verteidiger hatte mit am selben Tag zwischen 11.22 Uhr und 11.24 Uhr eingegangen Fax Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Präsenzpflicht gestellt. Es sind dann weder Verteidiger nocht Betroffener erschienen, das AG ist nach § 74 Abs. 2 OWiG vorgegangen.

Das KG sagt: Zu Unrecht:

„3. Die Rüge ist auch begründet, weil das Amtsgericht den Entbindungsantrag rechtsfehlerhaft übergangen hat.

a) Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG lagen hier vor.

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Der Betroffene hat vorliegend die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, keine weiteren Angaben zur Sache zu machen. Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ist somit verzichtbar gewesen.

Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes, vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (std. Rechtspr. des Senats, vgl. Beschlüsse vom 1. April 2019 – 3 Ws (B) 103/19 -, vom 11. Dezember 2017 – 3 Ws (B) 310/17 -, und vom 8. Oktober 2012 – 3 Ws (B) 574/12 -, alle juris).

b) Der Entbindungsantrag beruht auch nicht auf missbräuchlichem Verhalten des Verteidigers und ist damit zulässig.

Auch dann, wenn der Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht, darf der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid jedenfalls dann nicht ohne eine vorherige Entscheidung über den Antrag verworfen werden, wenn der Antrag – wie hier – mit „offenem Visier“, also nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt“ (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2015, 259) oder „verklausuliert“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2017 – IV-2 RBs 49/17 -, juris [Gehörsrügefalle-Rechtsprechung]; OLG Rostock NJW 2015, 1770) eingereicht und bei einer Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des Amtsgerichts und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle und nicht etwa nur an eine zentrale gerichtliche Faxeingangsstelle übersandt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Juli 2021 – 3 Ws (B) 194/21- -; BayObLG, Beschluss vom 15. April 2019 – 202 ObOWi 400/19 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 3 Ss OWi 654/17 -, alle juris).

Zwar ist vorliegend Entbindungsantrag erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingegangen, nämlich am 29. September 2021 zwischen 11.22 Uhr und 11.24 Uhr nur eineinhalb Stunden vor dem für 13.00 Uhr anberaumten Hauptverhandlungstermin. Jedoch ist die Eilbedürftigkeit dadurch hervorgehoben worden (vgl. Senat, Entscheidung vom 10. November 2011 – 3 Ws (B) 529/11 -, juris), dass dem Schriftsatz durch einen zentrierten Kasten grafisch hervorgehoben vorangestellt worden ist: „EILT SEHR! Gerichtstermin am 29.09.2021, 13:00 Uhr“.

Vor allem ist der Entbindungsantrag insofern „mit offenem Visier“ gestellt worden, als dass es sich bei dem dreiseitigen Fax um einen verhältnismäßig übersichtlichen zweiseitigen Schriftsatz mit angehängter Vertretungsvollmacht gehandelt hat. Nach dem Antrag, durch Beschluss zu entscheiden, befindet sich sogleich der Entbindungsantrag fett gedruckt hervorgehoben an zweiter Stelle.

Zudem ist zu bewerten, dass der Verteidiger den Schriftsatz an die auf der Ladung angegebene Faxnummer (bei der Bezugnahme auf die Ladung des „Amtsgerichts Stendal“ auf Seite 10 der Rechtsmittelbegründungsschrift vom 17. November 2021 handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler), mithin an das Telefaxgerät der Geschäftsstelle gesendet hat und nicht an eine andere Nummer des Amtsgerichts, bei der gegebenenfalls nicht mit einer sofortigen Weiterleitung an die Geschäftsstelle und den Abteilungsrichter zu rechnen gewesen wäre.

Diese Umstände sprechen entscheidend dagegen, vorliegend ein rechtsmissbräuchliches Handeln im Sinne „Gehörsrügefalle“-Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2017 a.a.O.; dem folgend: OLG Oldenburg NJW 2018, 641) anzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Juli 2021 a.a.O.).

c) Es kommt schließlich nicht darauf an, wann der vom Verteidiger des Betroffenen verfasste Entbindungsantrag dem Amtsgericht tatsächlich vorgelegen hat und ob dies gegebenenfalls erst nach Urteilserlass erfolgte, mithin der Einspruch des Betroffenen in Unkenntnis des Antrags auf Entbindung ohne Sachprüfung verworfen worden ist. Maßgeblich ist vielmehr allein, dass nach Aktenlage der Antrag das Tatgericht vor Beginn der anberaumten Hauptverhandlung tatsächlich erreicht hatte und deshalb bei gehöriger gerichtsinterner Organisation dem Bußgeldrichter rechtzeitig zugeleitet oder sonst zur Kenntnis hätte gebracht werden können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. April 2019 a.a.O.). Denn vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es die Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht, dass der Richter sich vor der Urteilsverkündung bei seiner Geschäftsstelle informiert, ob dort eine Entschuldigungsnachricht des Betroffenen vorliegt, zumal entsprechende schriftliche oder auch telefonische Mitteilungen bzw. Gesuche erfahrungsgemäß nicht selten noch am Terminstag bei Gericht eingehen (vgl. Senat, Entscheidung vom 10. November 2011 a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 15. April 2019 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 23.05.2017 a.a.O.).

Hier ist schon angesichts der auf dem Telefax befindlichen handschriftlichen Verfügung („Z.T.“ mit der Datumsangabe „29/9/21″, Rechtsmittelbegründungsschrift, S. 13) fraglich, ob der Entbindungsantrag dem Bußgeldrichter nicht bereits vor dem Termin vorgelegen hat.

Jedenfalls hätte sich der Abteilungsrichter zwischen Beginn der Hauptverhandlung um 13.00 Uhr und Ende der Hauptverhandlung um 13.14 Uhr auf der Geschäftsstelle erkundigen müssen, ob Mitteilungen von Verteidiger und Betroffenem vorliegen.“

Wohltuend richtig. Offenbar kann man in Berlin mit digitalen Eingaben umgehen 🙂 .

Strafzumessung II: Mehrere Missbrauchstaten, oder: Die seelischen Schäden des geschädigten Kindes

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 08.10.2020 – 6 StR 307/20 – ist dann schon etwas älter. Gegenstand der Entscheidung ist ein Urteil des LG Rostock, durch das der Angeklagte wegen Missbrauchstaten nach § 176a StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Strafausspruchs Erfolg hatte:

„1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar nimmt der Senat die Ausführungen der Strafkammer zum Nichtvorliegen des minder schweren Falls noch hin. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist aber, dass die Strafkammer strafschärfend gewertet hat, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass das geschädigte Kind infolge der sexuellen Übergriffe seelische Schäden erlitten hat“. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer den Zweifelssatz nicht beachtet hat, der uneingeschränkt auch für strafzumessungsrelevante Tatsachen gilt. Kann das Gericht keine sicheren Feststellungen über die Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zulasten des Angeklagten auswirken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2019 – 4 StR 194/19 , NStZ 2020, 345; vom 20. August 2003 – 2 StR 285/03 , NStZ-RR 2004, 41, 42).

2. Der Senat kann nicht völlig ausschließen, dass die ohnehin sehr milden Strafen von dem aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst worden sind. ….. „

StGB III: Die sexuelle Handlung bei der gynäkologischen Untersuchung, oder: Anvertrautsein

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch der BGH, Beschl. v. 02.02.2021 – 4 StR 364/19.

Das LG hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.  Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte.

Ausgegangen ist der BGH von folgenden Feststellungen des LG:

„Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte, ein Frauenarzt, in der Zeit zwischen dem 22. November 2011 und dem 22. Dezember 2011 im Behandlungsraum seiner Praxis in 25 Fällen an verschiedenen Patientinnen Untersuchungen des Genitals vor, wobei er bei vaginalen Tastuntersuchungen auch einen Finger in die Scheide der Patientinnen einführte. Dabei fertigte er ohne Kenntnis und Zustimmung der jeweiligen Patientinnen digitale Bilder und Videoaufnahmen an, die den entblößten Genitalbereich der auf einem gynäkologischen Stuhl mit gespreizten Beinen sitzenden Frauen während der Untersuchungshandlungen zeigten. Die Aufnahmen fertigte er mit einer Kamera, die er in der Auffangschale des gynäkologischen Stuhls platziert hatte, sowie mit einer als Kugelschreiber getarnten Kamera, die sich in der Brusttasche seines Arztkittels befand. Zudem stellte er den gynäkologischen Stuhl in einer Weise ein, die es den Patientinnen erschwerte, den Angeklagten während der Untersuchungen zu beobachten. Dies ermöglichte ihm zugleich, ungestört und aus seiner Sicht bessere Aufnahmen fertigen zu können. Die Erstellung der Bilder und Videoaufnahmen war allein sexuell motiviert.“

Die Strafkammer hat u.a. die Auffassung vertreten, dass der Tatbestand des § 174c Abs. 1 StGB auch in den Fällen verwirklicht sei, in denen der Angeklagte lediglich Vorsorgeuntersuchungen vorgenommen habe, weil auch in diesen Fällen ein schützenswertes Vertrauensverhältnis entstanden sei. Die konkreten Untersuchungshandlungen und die zu sexuellen Zwecken gefertigten Aufnahmen seien einheitlich als sexuelle Handlung zu bewerten.

Der BGH hat das „gehalten“. Hier der Leitsatz zu seinem Beschluss:

1. Auch Patienten, die einen Arzt zu Vorsorgeuntersuchungen aufsuchen, können diesem im Sinne von § 174c Abs. 1 StGB anvertraut sein.

2. Zum Vorliegen einer sexuellen Handlung bei gynäkologischen Untersuchungen, die heimlich zu sexuellen Zwecken aufgezeichnet werden.

Der „versteckte“ Entbindungsantrag ist „arglistig“

entnommen wikimedia.org Urheber Ulfbastel

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Urheber Ulfbastel

So, Urlaub ist zu Ende, die Themen in eigener Sache (vgl. u.a. hier In eigener Sache: Bezahlmodell bei Burhoff-Online? und Burhoff ist „feige“ und betreibt „öffentliche Zensur“ – wirklich ?) abgearbeitet, jetzt geht es normal weiter. Und dann dann gleich mit folgendem Obersatz: Eine „versteckter“ Entbindungsantrag ist nicht nur nicht rechtzeitig, sondern arglistig. Das ist jedenfalls das Fazit aus dem OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 – 21 Ss OWi 45/15 [Z]. Folge: Wenn der Antrag übersehen/nicht beschieden wird, ist eine keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG.

Entschieden hat das OLG Rostock das in einem Fall, in dem der Verteidiger einen folgendermaßen gestalteten Schriftsatz nur 53 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung vorgelegt hatte: „Er umfasst insgesamt 5 eng beschriebene (rund 50 Zeilen/Blatt) Seiten. Zwar enthält er eingangs unter „eilt“ die Bitte um sofortige Vorlage an den Abteilungsrichter und einen Hinweis auf die Terminsstunde um 11:30 Uhr desselben Tages; schon hier ist allerdings auffällig, dass – im Unterschied zu anderen Stellen des Schriftsatzes – kein Fettdruck, Vergrößerung o.ä. Verwendung findet. Sodann beginnt das Schreiben – in Fettdruck hervorgehoben – mit einer Beschwerdeeinlegung gegen die nicht erfolgte Terminsverlegung sowie dem Antrag auf umgehende Vorlage der Verfahrensakte an das Beschwerdegericht, und führt hierzu näher aus. In der zweiten Hälfte der 4. Seite münden die Ausführungen allmählich in die Besorgnis der Befangenheit des zuständigen Richters und einen entsprechenden, abgesetzten und durch Fettdruck hervorgehobenen Antrag. Im Zuge dieser Ausführungen, ohne dass dies an dieser Stelle notwendig oder zu erwarten gewesen wäre, ohne jedweden Absatz oder Hervorhebung im Text, wird erstmalig – in etwa 2 1/2 Zeilen – und eher beiläufig erwähnt, dass der Betroffene am Hauptverhandlungstermin berufsbedingt ortsabwesend sei, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wolle, einräume, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein (nachdem er zuvor seine Fahrereigenschaft vehement bestritten und sogar die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens beantragt hatte) und beantrage, ohne ihn in der Sache zu verhandeln.“

Nach Auffassung des OLG führt die Kombination „kurze Frist“ und „Aufmachung des Schriftsatzes“ zur Annahme „arglistigen Verteidigungsverhaltens“:

„Ein Entbindungsantrag ist so rechtzeitig und in einer solchen Aufmachung anzubringen, dass das Gericht – angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht – unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt ihn als solchen erkennen, von ihm Kenntnis nehmen kann und muss und ihn deshalb einer Bearbeitung zuzuführen hat.

bb) Das ist hier nicht geschehen. Vorliegend geht der Senat angesichts der Zusendung des Schriftsatzes am Terminstag per Fax erst 53 Minuten vor dem Termin, der optischen Hervorhebung sowohl der Beschwerdeeinlegung als auch der Richterablehnung, nicht aber des – zudem verklausulierten – Entbindungsantrages, der gewählten Formulierungen sowie des Aufbaus und des hierdurch erzielten optischen Eindrucks davon aus, dem Tatrichter habe die Kenntnisnahme vom Entbindungsantrag des Betroffenen gerade nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil – erfolgreich – gezielt erschwert bzw. unmöglich gemacht werden sollen. Der Entbindungsantrag wird in keinster Weise optisch hervorgehoben, gleichsam versteckt in rund 2 1/2 Zeilen eines fünfseitigen, eng beschriebenen Schriftsatzes und eingebettet in Ausführungen zur angeblichen Befangenheit des Vorsitzenden. Es fehlt auch an einer konkreten Antragstellung auf Entbindung; verwendet werden nur die eher schwammigen Formulierungen „ … der Betroffene … will an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen …, räumt ein, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein und beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln …Es war dem Tatrichter in vorliegender Sache kaum möglich, jedenfalls aber nicht zuzumuten, den verklausulierten und versteckten Antrag in dem umfangreichen Schriftsatz überhaupt zu finden, zumindest nicht in der kurzen Zeitspanne zwischen Eingang des Schriftsatzes bis zum anberaumten Termin, allzumal bei einer auf 11:30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung üblicherweise auch zuvor schon verhandelt wird und der Richter hiermit beschäftigt ist.

Nach alledem liegt für den Senat ein Fall arglistigen Verteidigungsverhaltens vor, bei dem ein Entbindungsantrag ohne ersichtlichen Anlass erst ganz kurz vor der Terminsstunde in unlauterer Art und Weise angebracht wird in der (begründeten) Erwartung, dieser werde deshalb dem Tatrichter nicht rechtzeitig vorgelegt werden oder ihm nicht auffallen, um dann auf diesem Versehen eine Verfahrensbeanstandung aufzubauen. Das kann hier nicht zum Erfolg führen. Insoweit unterscheidet sich diese Sache einerseits von der von der Verteidigung vorgelegten Entscheidung im Verfahren 2 Ss (OWi) 50/11I 63/11 (Senatsbeschluss vom 27.04.2011), in dem immerhin frühzeitig und mehrfach eine als Entpflichtungsantrag auszulegende Erklärung abgegeben worden ist, andererseits ist hier wie dort ein verklausuliertes, auf Irreführung der Gerichte angelegtes Verteidigungsverhalten zu konstatieren.“

Na ja, überzeugt mich nicht so ganz. Warum es dem Amtsrichter nicht möglich sein soll, den Antrag zu finden, erschließt sich mir nicht. Erst recht nicht, warum es ihm nicht „zuzumuten“ sein soll, zumal der Amtsrichter nach Aufruf ja eh mindestens 15 Minuten warten muss, bis er den Einspruch verwerfen kann. In der Zeit wird er den Antrag dann doch wohl lesen können. Zudem besteht ein gewisser Widerspruch zur h.M., wonach ein Entbindungsantrag auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden kann. Dann ist er allerdings „offen“.