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„Objektiv verfahrensfehlerhafte Vereidigung“ führt zum minder schweren Fall

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Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des LG hat sich der wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland untergetauchte Angeklagte in dem gegen  einen L. wegen eines Tötungsdeliktes geführten Ermittlungsverfahren am 16.01. 2007 als Entlastungszeuge gemeldet und sich vom sachbearbeitenden Staatsanwalt die Zusage geben lassen, nach seiner Vernehmung trotz angedeuteter Probleme mit der Ausländerbehörde das Gerichtsgebäude wieder verlassen zu können. In der noch am selben Tag durchgeführten richterlichen Zeugenvernehmung hat der Angeklagte dann bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht und den Tatverdacht des Tötungsdelikts auf einen Alternativtäter gelenkt. Da der bei der Vernehmung ebenfalls anwesende sachbearbeitende Staatsanwalt den Ermittlungsrichter nicht über die Probleme des Angeklagten mit der Ausländerbehörde informiert hatte, fand eine Belehrung des Angeklagten über ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO nicht statt. Im Anschluss an seine Vernehmung wurde der Angeklagte gemäß § 62 Nr. 2, § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO vereidigt. Die Falschaussage des Angeklagten hinderte eine alsbaldige Mordanklage gegen L. nicht, der trotz wiederholter Falschaussage des Angeklagten in der Hauptverhandlung – unter erneuter Vereidigung in Verkennung des § 60 Nr. 2 StPO – auch anklagegemäß verurteilt wurde.

Das LG verhängt für die Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Sie wird dem Regelstrafrahmen des § 154 Abs. 1 StGB entnommen und das Vorliegen eines minder schweren Falls wird abgelehnt.

Das beanstandet der BGH, Beschl. v. 04.07.2012 – 5 StR 219/12 – wie folgt:

Zwar hat es bei der Strafrahmenwahl zutreffend eine Strafmilderung wegen der unterbliebenen – jedoch objektiv gebotenen – Belehrung gemäß § 55 StPO verneint, weil der zur Aussage entschlossene Angeklagte sich auch durch den Hinweis auf sein Aussageverweigerungsrecht nicht von der Falschaus-sage hätte abhalten lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1991 – 3 StR 342/90, BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 4). Es hat zudem rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines Eidesverbots nach § 60 Nr. 2 StPO verneint. Gleichwohl hätte das Landgericht bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall des Meineids nach § 154 Abs. 2 StGB vorliegt, straf-mildernd berücksichtigen müssen, dass bereits die Voraussetzungen für eine Vereidigung des als Zeugen vernommenen Angeklagten nach der seit 1. September 2004 geltenden Neuregelung des § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach die Nichtvereidigung eines Zeugen der Regelfall und die Vereidigung die Ausnahme ist, bei zutreffendem Rechtsverständnis nicht vorlagen. Denn die Aussage des Angeklagten war für das Ermittlungsverfahren, das anschließend ohne Verzögerung gegen L. weiterbetrieben wurde, schon damals absehbar nicht von ausschlaggebender Bedeutung; auch lassen die Feststellungen nicht erkennen, dass eine Vereidigung zur Herbeiführung einer wahren Aussage notwendig gewesen wäre (vgl. Ignor/Bertheau in LR, 26. Aufl., § 59 Rn. 6 ff.). Angesichts einer aus Rechtsgründen nicht an-gezeigten, mithin objektiv verfahrensfehlerhaften Vereidigung lag für das Landgericht die Annahme eines minder schweren Falls auf der Hand (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 1960 – 1 StR 609/59, BGHSt 17, 128, 136, Fi-scher, StGB, 59. Aufl., § 154 Rn. 19 mwN). Zwar hatte die Bestrafung strenger auszufallen als die im Fall III.1 c – bei Annahme eines minder schweren Falls und unter Zubilligung eines Aussagenotstands (§ 157 StGB) – zuge-messene Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Der Senat kann jedoch angesichts des anzuwendenden beträchtlich milderen Strafrahmens des § 154 Abs. 2 StGB nicht ausschließen, dass das Landgericht auf eine geringere Einzelfreiheitsstrafe als die verhängte erkannt hätte.

 

Wollte sich der Angeklagte selber stechen?

Die Frage stellt man sich beim ersten Lesen des BGH, Beschl. v. 22.06.2011 -2 StR 135/11, in dem es um einen bewaffneten Raubüberfall auf eine Spielhalle geht. In dem Zusammenhang spielte ein Messer, das der Angeklagte beim Raub in der Hand hielt, eine Rolle, und zwar  hielt „er das Messer in der linken Hand, wobei die Messerklinge nach hinten herausragte„. Dieses etwas „unbeholfene“ 🙂 Halten des Messers hat dem Angeklagten dann aber geholfen und zur Annahme eines minder schweren Falles des Raube beigetragen. Dazu schreibt der BGH:

„Dafür ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des jeweiligen Täters in Betracht kommen, gleich, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Das Landgericht hat dabei nicht übersehen, dass der Tatbegehung durch drei Mittäter, dem Einsatz von zwei Drohmitteln, der nicht unerheblichen Beute und den Folgen der Tat für die Zeugin N. erhebliches Gewicht zukommt. Dem hat es aber erhebliche Milderungsgründe entgegengesetzt und insgesamt angenommen, dass die Tat vom Normalfall erheblich abweiche. Hiergegen ist nichts zu erinnern.

Erhebliche Bedeutung kam dem Nachtatverhalten zu. Der Angeklagte A. A. hatte sich selbst der Polizei gestellt, dort auch sogleich die Tat ein-geräumt und zudem den Angeklagten Ad. als Mittäter bezeichnet; insoweit hat er wichtige Aufklärungshilfe geleistet. Der Angeklagte A. A. hat sich ferner in der Hauptverhandlung gegenüber der psychisch nachhaltig beeinträchtigten Zeugin N. entschuldigt, nachdem er auch dort die Tat eingeräumt hatte. Aus allem konnte das Landgericht auf das Vorliegen eines minderschweren Falles des besonders schweren Raubes durch den jungen Täter schließen.

Die Annahme der Jugendkammer, dem Einsatz des Messers im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB komme im Rahmen des Gesamtgeschehens nur untergeordnete Bedeutung zu, unterliegt gleichfalls keinen rechtlichen Bedenken. Der Angeklagte S. A. hielt das Messer in der linken Hand, wobei die Messerklinge nach hinten herausragte; eine unmittelbare Drohung gegen eine der Personen in der Spielhalle wurde damit – im Gegensatz zum Einsatz der ungeladenen Schreckschusspistole als Scheinwaffe, der für sich genommen nur den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfüllt (vgl. BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1b [i.d.F. d. 6. StrRG] Werkzeug/Mittel 1) – nicht bewirkt. Die Tatsache, dass der Zeuge H. das Messer erkannte, führt zwar dazu, dass der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt ist (vgl. BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 6). Dies ist jedoch innerhalb des so eröffneten Rahmens nicht in besonders schwerwiegender Weise geschehen.“

Schöne Abwägung des LG.

 

 

Schnittstelle „Besondere Schwere der Schuld“ und „minder schwerer Fall“

Eigentlich m.E. keine Besonderheit, auf die das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 08.06.2010 – III 3 RVs 6/10 zur Strafzumessung hingewiesen hat bzw. hat hinweisen müssen. Nämlich, dass im JGG-Verfahren die besondere Schwere der Schuld i.S. des § 17 Abs. 2 JGG vor allem dann näherer Prüfung bedarf, wenn ein minder schwerer Fall (des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln) in Betracht zu ziehen ist. Denn bei Bewertung der Tat als minder schwerer Fall stellt sich die Frage, ob angesichts dessen die von dem Angeklagten begangene Tat objektiv noch ein ausreichendes Gewicht aufweist, um eine besondere Schuldschwere begründen zu können.

Sollte man in „passenden“ Fällen dran denken.

Minder schwerer Fall der besonders schweren Brandstiftung – BVerfG als Gesetzgeber?

Die Kieler Nachrichten melden: Ein Prozess um die Brandstiftung in einem Kinderheim im Kreis Dithmarschen bleibt trotz der Geständnisse der Angeklagten vorerst ohne Urteil. Das Landgericht Itzehoe hat entschieden, den Fall dem BVerfG vorzulegen.  Das soll prüfen, ob § 306b StGB (besonders schwere Brandstiftung) verfassungsgemäß ist. Das LG Kiel hat da Bedenken, weil das StGB dort eine rechtliche Einordnung als «minderschweren Fall» nicht vorsieht.