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Zeuge I: Misslungene „Täteridentifizierung“, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

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Der heutige Tag ist dann mal Entscheidungen gewidmet, die alle – zumindest entfernt – mit Zeugen und deren (Nicht)Vernehmung und/oder auch Beweiswürdigung zu tun haben.

Den Opener mache ich mit dem KG, Beschl. v. 02.09.2019 – (2) 121 Ss 87/19 (26/19) -, in dem das KG eine lückenhafte Beweiswürdigung des LG gerügt hat. Der Angeklagte ist u.a. auch wegen Raubes verurteilt worden. Insoweit hatte er Berufung eingelegt, die vom LG verworfen worden ist. Das KG hebt diese Verurteilung auf.

Es legt noch einmal die Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung dar. Diesen Anforderungen genügt das landgerichtliche Urteil nach seiner Auffassung nicht. Denn:

„Hinsichtlich Täterschaft des Angeklagten geht die Kammer ausweislich der Urteilsgründe zunächst durchaus nachvollziehbar davon aus, dass sich der Täter in der Laube des Geschädigten ausgekannt haben müsse und nur die Verwandtschaft des Geschädigten sowie die Mitarbeiter des Pflegedienstes „K.“ Zugang zu der Laube gehabt hätten. Mithin gehöre der Angeklagte zu dem engen Kreis von Personen, die als Täter grundsätzlich in Betracht kämen (neben ihm mindestens noch der Enkel des Opfers, der auch für den Pflegedienst arbeitet, und der frühere Pflegedienstmitarbeiter „J.“). Sodann heißt es wörtlich (UA S. 13): „Die Kammer hält es für fernliegend, dass ein Verwandter des Geschädigten angesichts des brutalen Vorgehens die Tat begangen hat. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass der Geschädigte einen nahen Verwandten an der Stimme oder der Statur wiedererkannt hätte.“

Danach bleibt offen und wird im Urteil auch nicht thematisiert, warum der Geschädigte den Angeklagten, den er nach den Urteilsfeststellungen vergleichs­weise gut kannte, weil er von ihm regelmäßig gepflegt wurde, nicht erkannt und als Täter direkt identifiziert hat. Vielmehr heißt es dazu im Urteil (UA S. 13): „In seiner polizeilichen Vernehmung vom 3. März 2015 gab der Geschädigte nämlich an, dass es sich bei dem Täter um einen circa 1,70 bis 1,75 Meter großen, schlanken und dunkel gekleideten Mann gehandelt habe, dessen Alter er auf 30 Jahre schätze.“

Zu einer Sehschwäche des Geschädigten, einer Maskierung des Täters oder schlechten Sichtverhältnissen am Tatort finden sich im Urteil keine Feststellungen. Insoweit weist die Beweiswürdigung einen revisionsrechtlich beachtlichen Mangel auf, weil sie in einem zentralen Punkt unklar und lückenhaft ist. Dies hat sich auch zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt, denn dass der Geschädigte den Angeklagten nicht als Täter (wieder-)erkannt hat, ist unter den gegebenen Umständen ein erheblich entlastender Aspekt, mit dem sich die Kammer hätte auseinandersetzen müssen.

Die von der Strafkammer ausführlich erörterten Aspekte, die gegen die Glaub­haftigkeit des von dem Angeklagten vorgebrachten Alibis sprechen, führen nicht zu einer tragfähigen Tatsachengrundlage für eine Verurteilung. Der Angeklagte ist nicht gehalten, sein Alibi zu beweisen; er hat das Recht, einen Alibibeweis anzutreten. Misslingt dieser Beweis, so fällt damit eine ihm zustehende Verteidigungsmöglichkeit weg. Dies bedeutet, dass gegebenenfalls eine schon anderweit gewonnene Überzeugung des Tatrichters nicht erschüttert wird. Der Fehlschlag kann jedoch für sich allein, das heißt ohne Rücksicht auf seine Gründe und Begleitumstände, noch kein Beweisanzeichen dafür sein, dass der Angeklagte der Täter ist. Dabei handelt es sich um die Anwendung eines allgemeinen, über die Fälle des Alibivorbringens hinausreichenden Grundsatzes, der besagt, dass eine für widerlegt erachtete Behauptung des Angeklagten nicht ohne weiteres ein Täterschaftsindiz abgibt (st. Rspr., vgl. BGHSt 41, 153 mwN; BGH StV 1985, 356; 1986, 286; 1986, 369; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 5 und Beweiskraft 3).“