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OWi I: Nicht ausreichende Beweiswürdigung, oder: Schlechtes Lichtbild

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Am heutigen Donnerstag dann mal wieder drei Entscheidungen zum Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 – zu der Dauerbrennerthematik: Anforderungen an die Urteilsgründe und Täteridentifizierung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. In der Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt habe und die Feststellungen auf den glaubhaften Bekundugen des Zeugen PHK pp. sowie dem Inhalt der verlesenen Urkunden und der Inaugenscheinnahme der zu den Akten gelangten Lichtbildern beruhen würden. Der Betroffene sei bei Inaugenscheinnahme der in Bezug genommenen Lichtbilder eindeutig als Fahrer zu identifizieren.

Das OLG hat aufgehoben:

„Das Urteil ist —auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind- bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 27. September 2019 -2 Ss Owi 260/19-; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 -3 Ss OWi 290/09- juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich aus dem Urteil nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Aus der Beweiswürdigung lässt sich lediglich erkennen, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt hat. Ob der Betroffene, und wenn ja in welcher Weise, sich zum Vorwurf eingelassen hat, bleibt letztlich offen. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Das Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, §§ 353 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG und die Sache zur neuen Entscheidung —auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens- an das Amtsgericht zurückzuverweisen, § 79 Abs. 6 OWiG.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach Auffassung des Senats ist das vom Verkehrsverstoß vom 5. Juli 2018 gefertigte Frontfoto nicht uneingeschränkt zur Identifizierung der Betroffenen geeignet. Die Kinnpartie wird durch das Lenkrad verdeckt, die Augenpartie einschließlich der Augenbrauen durch eine große Sonnenbrille. Das linke Ohr ist gar nicht, das rechte aufgrund der Verpixelung nur teilweise indivi¬dualisierbar erkennbar. Der Haaransatz ist durch die aufgeklappte Sonnenblende nur zu erahnen.

Angesichts dessen wird der Tatrichter näher darlegen müssen, warum er, unabhängig von einer Bezugnahme, trotz der eingeschränkten Bildqualität den Betroffenen als Fahrer identifizieren kann (vgl. OLG Hamm NZV 2006, 162). Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale der Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind in einem solchen Fall zu benennen und zu beschreiben (BGH NJW 1996, 142). Dies fehlt im angefochtenen Urteil.“

M.E. vom OLG „großzügig“. Denn: „Nicht in Abrede gestellt“ hätte sicherlich manch anderem OLG „gereicht“.

OWi I: Täteridentifizierung, oder: Urteilsgründe, wenn der Haaransatz nicht erkennbar ist

Heute dann der „OWi-Tag“ der Woche, also drei Entscheidungen zum/aus dem Bußgeldverfahren.

Und den Starter macht der KG, Beschl. v.  26.11.2019 – 3 Ws (B) 350/19 , der noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilgründe im Fall der Identifizierung des Betroffenen als Fahrer anhand eines „schlechten“, zumindest nicht so guten Lichtbildes nimmt. Der Betroffene hatte die Verfahrensrüge und die Sachrüge erhoben. Beide hatten keinen Erfolg.

Lassen wir mal die Aufklärungsrüge außen vor. Zur Sachrüge und zu mit der hinischtlich der Beweiswürigung geltend gemachten Rechtsfehler führt das KG aus:

„b) Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 3 Ws (B) 67/14 – m.w.N.). Diesen Maßstäben wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht.

Ob ein Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat dem folgend allein der Tatrichter zu entscheiden (BGH NJW 1979, 2318). Der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter sind indessen auch bezüglich der Identifizierung eines Betroffenen Grenzen gesetzt. So kann sich die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Identifizierung durch Vergleich mit dem Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen anhand eines unscharfen oder das Gesicht des Fahrers nur zu einem geringen Teil abbildenden Fotos als willkürlich erweisen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Die Urteilsgründe müssen vor diesem Hintergrund so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Insoweit reicht die deutlich und zweifelsfrei (BGH NStZ-RR 2016, 178) zum Ausdruck gebrachte Bezugnahme auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in den Urteilsgründen aus, um dem Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen.

Das Amtsgericht hat diesen Maßstäben entsprechend durch genaue Bezeichnung der Seitenzahl in der Akte das in Bezug genommene Lichtbild zum Inhalt des Urteils gemacht. Ferner hat es sich hinreichend mit der Ergiebigkeit des Fotos auseinandergesetzt und kommt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung, dass das Lichtbild den Betroffenen zeigt, was es unter Darlegung und Beschreibung verschiedener Identifikationsmerkmale (wie Gesichtsform, Erscheinungsbild von Nase, Ohren sowie Stirnpartie) begründet. Der Umstand, dass der Haaransatz der auf dem Messfoto abgebildeten Person verdeckt ist, führt nicht zur generellen Ungeeignetheit des Bildes zur Fahreridentifizierung (vgl. Senat, Beschluss vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 -, juris m.w.N.). Das zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachte Lichtbild erweist sich auf dieser Grundlage als zur Identifizierung geeignet, sodass Zweifel dahingehend, dass das Tatgericht anhand dessen einen Vergleich auf Übereinstimmung der darauf abgebildeten Person mit dem äußeren Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen vorzunehmen vermochte, nicht bestehen.“

Also nichts Neues, sondern nur Bestätigung der „Haaransatzentscheidung“ aus 2018, dem KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18.

OWi II: Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes, oder: Protokollierungspflicht?

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Als zweite OWi-Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 06.04.2018 – III -5 RBs 51/18 -betreffend eine Protokollierungsfrage. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist, hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 09.03.2018 u.a. Folgendes ausgeführt:

„Mit der erhobenen Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe sich bei der Urteilsfindung auf Lichtbilder gestützt, die nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, macht der Betroffene geltend, das Amtsgericht habe seine Überzeugung nicht allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft und rügt damit einen Verstoß gegen § 261 StPO i.V.m. §§ 249 ff. StPO, 77, 77a, 78 OWiG.

Die in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Form erhobene Rüge ist auch begründet.

Die entsprechenden Rügetatsachen (Nichtinaugenscheinnahme der Lichtbilder) sind durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Bei der Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung (zu vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 23.02.2015 – 2 OLG 6 Ss 5/15 0, so dass der Nachweis hierüber – bzw. über ihr Fehlen – durch das Hauptverhandlungsprotokoll geführt werden kann, Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Inaugenscheinnahme – wie vorliegend – so gilt diese als nicht erfolgt. Zwar entfällt die Beweiskraft, wenn eine Urkundsperson oder beide den Inhalt des Protokolls nachträglich für unrichtig erklären, so dass es von ihrer Unterschrift nicht mehr gedeckt ist. Lediglich die einseitige Erklärung einer der Urkundspersonen beseitigt die Beweiskraft des Protokolls aber nicht, wenn damit die tatsächliche Grundlage für eine Verfahrensrüge des Betroffenen entfällt (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 274 Rn. 16). So verhält es sich vorliegend. Zwar hat die Vorsitzende in einer dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2017 angegeben, entgegen dem Vorbringen des Betroffenen seien sowohl das Messbild als auch die Vergleichsbilder im Hauptverhandlungstermin in Augenschein genommen worden. Allerdings konnte dies durch die Protokollführerin, die angegeben hat, sich hieran konkret nicht mehr erinnern zu können, nicht bestätigt werden.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil auch. Denn das Amtsgericht hatte das Messfoto und die Vergleichsbilder zum Beweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen zum Tatzeitpunkt erhoben. Das Amtsgericht hat sich seine Überzeugung daher nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet, so dass das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegt.“

Das anthropologische Identitätsgutachten, oder: Der „schwierige“ Sachverständige „Dr. CS“

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Und als zweite Lichtbildentscheidung dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 92/17. Der nimmt noch einmal Stellung zu den an die Urteilsgründe bei anthropologischen Identitätsgutachten im Bußgeldverfahren. Das AG hatte schon einiges geschreiben – im Vergleich zu anderen Urteilen, die man so liest, m.E. eine ganze Menge. Dem OLG hat das aber immer noch nicht gereicht:

„cc) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Tatrichter – wie hier – ein anthropologisches Identitätsgutachten eingeholt und verwertet hat (Gübner aaO., Rn. 1774 und 2543 mwN.). Misst das Tatgericht einem solchen Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, der der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, ab (BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106). Weil es sich bei einem anthropologischen Identitätsgutachten nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt (vgl. Rösin/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NStZ 1993, 592; Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458; KG, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 59), muss den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen sowie der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung zu entnehmen sein. Dies erfordert insbesondere eine Benennung der vom Sachverständigen aus dem Messbild herausgearbeiteten morphologischen Merkmale. Sind diese Merkmale der bei der Bußgeldakte befindlichen Aufnahme nicht ohne weiteres zu entnehmen, ist zur Verständlichkeit des Gutachtens zudem in den Urteilsgründen die Methodik nachvollziehbar zu machen, mit der der Sachverständige gleichwohl die von ihm zugrunde gelegten Merkmale extrahiert und mit dem Betroffenen abgeglichen hat (OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48). Fehlt es an entsprechenden Ausführungen, kann dies die Besorgnis begründen, dass für maßgeblich gehaltene Merkmale nicht an dem Lichtbild und dem darauf abgebildeten Fahrer ausgerichtet worden sind, sondern anhand der Physionomie des Betroffenen ermittelt wurden. Ein solches Vorgehen wäre fehlerhaft. Denn es beinhaltet die Gefahr, dass das Tatgericht von ihm für maßgeblich gehaltenen Merkmale des in Augenschein genommenen Betroffenen in die vorhandene Aufnahme „hineininterpretiert“, obgleich diese wegen ihrer schlechten Qualität auch anderen Deutungen zugänglich ist. Neben der Mitteilung der anhand des Lichtbilds ermittelten Kriterien ist anzugeben, in welchem Maße der Sachverständige diesbezügliche Übereinstimmungen mit dem Betroffenen festgestellt hat. Ferner sind Angaben erforderlich, welche Aussagekraft er diesen einzelnen Merkmalen jeweils zugemessen und mit welchem Gewicht er sie jeweils in seine Gesamtbewertung eingestellt hat (BGH, Urteil vom 20.03.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596, 597; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der herangezogenen einzelnen Merkmalsausprägungen in Bezug auf ihre Häufigkeit in der jeweiligen ethnischen Gruppe (Gübner aaO. Rn. 2545), die sinnvollerweise durch eine Einteilung in Wichtungsklassen transparent zu machen ist. Konkreter Angaben zum statistischen Verbreitungsgrad einzelner Merkmale in der Gesamtbevölkerung bedarf es dagegen allenfalls dann, wenn der Sachverständige seine Bewertung auf eine Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11 (109), juris Rn. 16 [unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten zum Stand der anthropologischen Wissenschaft bei Aufgabe früherer Rechtsprechung]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, zfs 2010, 469; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7 [jew. zur Wahrscheinlichkeitsberechnung]; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48; KG Berlin, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 60; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NJW 2000, 1350, 1351; Gabriel/Huckenbeck/Kürpiers, Über die Fragwürdigkeit der Berechnung einer Identitätswahrscheinlichkeit in anthropologischen Gutachten, NZV 2014, 346). In den übrigen Fällen unterliegen die Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmalsausprägungen und damit die Einschätzung der Wichtigkeit der Merkmalsausprägung der Schätzung eines erfahrenen, morphologisch geschulten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458, 549; Thüringer OLG aaO. Rn. 17 f.). Auch diese Einschätzung ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung ihrer Schlüssigkeit zu ermöglichen, in den Urteilsgründen wiederzugeben um erkennbar zu machen, inwieweit die Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt. (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652, 653).“

Aber vielleicht hat es ja auch daran gelegen, dass es ein „umstrittener“ Sachverständiger war:

Eine besonders kritische und in den Urteilsgründen auch nachvollziehbar gemachte Würdigung der Einschätzung des Sachverständigen durch den Tatrichter ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann veranlasst, wenn – wie hier, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02.10.2007 – 19 U 8/07, juris sowie https://www.merkur.de/bayern/…html und https://www.waz.de/staedte/bochum/…html – belastbare Hinweise darauf vorliegen, dass sich gutachterliche Äußerungen des gewählten Sachverständigen in früheren Verfahren als nicht nachvollziehbar oder gar unrichtig erwiesen haben (OLG Braunschweig aaO. zum Sachverständigen „Dr. CS“). Es kann sich aus diesem Grund auch die Heranziehung eines weiteren Sachverständigen anbieten.“

Ich frage mich: Warum nimmt man den Sachverständigen eigentlich?

Anfängerurteil, oder: Wenn bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung aber auch gar nichts stimmt

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Heute dann ein Tag des (Licht)Bildes. Den Opener macht der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2018 – IV-3 RBs 54/18, den mir der Kollege P.Lauterbach aus Solingen übersandt hat. Es handelt sich bei dem dem Beschluss zugrunde liegenden Urteil des AG Wuppertal mal wieder um ein AG-Urteil, bei dem aber auch gar nichts stimmt:

„1. Den Urteilsgründen ist bereits nicht zu entnehmen, worauf die Feststellungen zu der vorwerfbaren Geschwindigkeit beruhen. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich der Betroffene nicht zur Sache eingelassen. Im Übrigen befassen sich die Ausführungen zur Beweiswürdigung des Amtsgerichts allein mit der Fahreridentifizierung und der Ordnungsgemäßheit der Messung. Angaben zur Grundlage der Feststellungen zum Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung fehlen hingegen. Insbesondere der— im Zusammenhang mit der Fahreridentifizierung erörterte — Umstand, dass das „Messfoto in Augenschein genommen“ (UA § . 3) wurde, trägt die Feststellungen zur Geschwindigkeit nicht. Bei etwaig eingeblendeten Daten des Messfotos handelt es sich um urkundliche Angaben, die von der allein mitgeteilten Einnahme des Augenscheins nicht erfasst werden.

2. Die Urteilsgründe genügen auch den sachlichrechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht. Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein solches Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen — wenn auch nur gedrängten — zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmitteigericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. die Nachweise bei Huckenbeck/Krumm, NZV 2017, 453, 456). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil, das lediglich die vom Sachverständigen „festgestellten“ Übereinstimmungen und das vergebene Wahrscheinlichkeitsprädikat mitteilt, nicht gerecht. Eine Darlegung der Ausführungen des Sachverständigen war vorliegend auch nicht deswegen entbehrlich, weil die Fahreridentifizierung nicht ausschließlich aufgrund eines anthropologischen Sachverständgengutachtens erfolgt ist. Verschafft sich der Tatrichter — wie hier (UA § . 3) — auch aufgrund eigener Wahrnehmung von der Person des Betroffenen und einem Abgleich mit dem Radarfoto die notwendige Überzeugung von der Fahrereigenschaft, gelten die erhöhten Darlegungsanforderungen zwar nicht uneingeschränkt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 20171 4 RBs 216/17 <beck-online>). Vielmehr kann in diesem Fall von näheren Ausführungen zum Inhalt des Gutachtens abgesehen werden, wenn die Urteilsgründe im Übrigen so gefasst sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das jeweilige Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter bereits dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Verfahrensakte befindliche Messbild gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 § . 3 StPO Bezug nimmt. Durch die Bezugnahme wird das Lichtbild Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsbeschwerdegericht hat insoweit die Möglichkeit, aus eigener Anschauung zu würdigen und zu beurteilen, ob das Lichtbild als Grundlage einer Identifizierung generell tauglich ist (vgl. BGH, NJW 1996, 1420, 1421 m. w. N.). Macht der Tatrichter von der Möglichkeit der Bezugnahme Gebrauch und ist das Lichtbild zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Begründung der Überzeugung von der Identität der abgebildeten Person mit dem Betroffenen insgesamt entbehrlich, zumal die Überprüfung dieser tatrichterlichen Wertung dem Rechtsbeschwerdegericht weder zusteht noch möglich ist (BGH, a.a.O.). Auch nach diesen Maßgaben hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung indes nicht Stand. Denn es fehlt an einer ordnungsgemäßen Bezugnahme auf das Beweisfoto. Eine solche ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die genaue Fundstelle des konkreten Lichtbildes in den Akten mitgeteilt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. September 2011, 322 SsBs 328/1 1 <beck-online>). Diese Mitteilung ist hier unterblieben.

3. Überdies sind die amtsgerichtlichen Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung lückenhaft und bieten damit auch keine hinreichende Grundlage für die Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs. Zwar teilt der Amtsrichter das angewandte Messverfahren mit, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt. Es fehlen jedoch vollständige Angaben zu dem vorgenommenen Toleranzabzug. Dem Urteil ist lediglich zu entnehmen, dass ein solcher vorgenommen worden sein soll. Angaben zur Höhe fehlen hingegen. Aufgrund der ebenfalls fehlenden Angabe zur gemessenen tatsächlichen Geschwindigkeit lassen sich die Vornahme und die Höhe des Abzugs auch nicht mittelbar nachvollziehen. Dem Senat ist es somit insgesamt nicht möglich zu überprüfen, ob etwaige Fehlerquellen in ausreichendem Maße berücksichtigt worden sind. Insofern kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Ausmaß der vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung unterhalb der vom Amtsgericht angenommenen Geschwindigkeit liegt. In Anbetracht der Höhe des vorzunehmenden Toleranzabzuges und der vom Amtsgericht angenommenen Geschwindigkeit „nahe der Grenze“ zum nächstgeringeren Regeltatbestand ist daher auch nicht zu erkennen, ob die hinsichtlich der Bußgeldhöhe und insbesondere des Fahrverbots zugrunde gelegten Regelanordnungen rechtsfehlerfrei gewählt worden sind.“

Tja, – selbst auf die Gefahr böser Kommentare: Anfängerurteil.