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Erstattung II: Privates Unfallrekonstruktionsgutachten, oder: „Warum hast du keinen Beweisantrag gestellt?“

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Bei der zweiten „Erstattungsentscheidung“ handelt es sich um den LG Potsdam, Beschl. v. 05.06.2020 – 24 Qs 28/20. Er hat die Frage der Erstattung der Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten zum Gegenstand.

Der ehemalige Angeklagte war auf der Grundlage eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens eines Sachverständigen Dr.-Ing. S. wegen einer fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr angeklagt. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten dann wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen das Urteil legten die Nebenkläger fristgerecht Berufung ein. In der Berufungsbegründung führten sie aus, der Angeklagte habe es entgegen dem AG-Urteil durch grob rücksichtsloses Fahrverhalten billigend in Kauf genommen, andere Verkehrsteilnehmer an Körper, Gesundheit und Leben zu schädigen. Jedenfalls aber habe er zumindest grob fahrlässig gehandelt.

Der Vorsitzende der Berufungskammer wies die Nebenkläger auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hin und regte die Rücknahme an. Nachdem die Nebenkläger mitgeteilt hatten, dass die Berufung durchgeführt werden solle, beraumte das Berufungsgericht Hauptverhandlungstermin am 09.05.2019 an. Mit Schriftsatz vom 06.05.2019 überreichte der Verteidiger ein vom Angeklagten eingeholtes Unfallrekonstruktionsgutachten des Unfallsachverständigen Dr. W., welches zu dem Ergebnis kam, dass die Kollisionsgeschwindigkeit im Gutachten des Sachverständigen S. falsch eingegrenzt worden sei und dass der Unfall für den Beschwerdeführer ein unabwendbares Ereignis dargestellt haben könne. Die Nebenkläger nahmen die Berufung daraufhin mit Schriftsatz vom 08.05.2019 zurück. Ihnen wurden auch die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Der ehemalige Angeklagte hat mit seinem Festsetzungsantrag auch die Kosten des Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. in Höhe von 3.637,59 EUR sowie der Kosten von dessen Ladung gemäß § 220 StPO in Höhe von 17,75 EUR begehrt hatte. Die hat das AG nicht festgesetzt. Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des ehemaligen Angeklagten hatte keinen Erfolg. Das LG meint, die Kosten seien nicht „erforderlich“ gewesen:

„1. Die Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten sind — ausgenommen im Privatklageverfahren — in der Regel nach ständiger Rechtsprechung der Kammer grundsätzlich nicht erstattungsfähig (LG Potsdam, Beschluss vom 2. November 2012 , Az.: 24 Qs 109/11; Beschluss vom 14. Januar 2013, Az.: 24 Qs 190/12; so auch Meyer-Goßner, StPO, 62. Auflage, § 464a Rn. 16 m.w.N.). Es handelt sich nicht um notwendige Auslagen im Sinne von § 464a Abs. 2 StPO. Dem Beschuldigten bzw. Angeklagten bleibt es nämlich unbenommen, im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu stellen und damit die prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen (vgl. OLG Hamburg in MDR 1975, 74; NStZ 1983, 284; OLG Schleswig, Sch1HA 86, 114 (E/L)). Das hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht getan. Er hat vielmehr von sich aus ein schriftliches Gutachten des Privatsachverständigen Dr. W. in Auftrag gegeben und vorgelegt, ohne dass es Anlass gab anzunehmen, dass eine Zurückweisung der nebenklägerischen Berufung mittels der Ausschöpfung seiner prozessualen Rechte im Strafverfahren nicht zu erreichen gewesen wäre. Nur in einem solchen, hier nicht vorliegenden Fall, wenn sich nämlich etwa aufgrund bis dahin unzureichend geführter oder mangelhafter Ermittlungen die Notwendigkeit zur Einholung eines Gutachtens aufdrängt und einem entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung nicht nachgekommen wird, kann ein Privatgutachten ausnahmsweise erstattungsfähig sein. Angesichts des außerordentlich ausführlichen und klaren Hinweises des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 01.08.2018 durfte der Beschwerdeführer dagegen nicht nur davon ausgehen, dass das Berufungsgericht notwendigen Beweisanträgen nachkommen würde, sondern war sich darüber hinausgehend sogar bewusst, dass es — wenn auch nach vorläufiger Würdigung — der von den Nebenklägern gewünschten rechtlichen Bewertung des erstinstanzlich festgestellten Geschehens nicht näherzutreten gedachte. Auch wenn es menschlich verständlich sein mag, dass der Beschwerdeführer die in der Berufung gegen ihn erhobenen weitergehenden Schuldvorwürfe zum Anlass genommen hat, das zuvor von ihm — jedenfalls nach außen — akzeptierte Gutachten des Sachverständigen S. nunmehr mit einem Gegengutachten anzugreifen, so war es angesichts dieser prozessualen Sachlage für die Verteidigung gegen die Berufung nicht notwendig.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass vorliegend allein die Nebenkläger die Berufung eingelegt und sodann zurückgenommen haben. § 473 Abs. 1 S. 3 StPO legt ihnen ausdrücklich (nur) die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auf. Für eine Billigkeitsentscheidung ist angesichts des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift kein Raum.“

Dazu: Ich habe erhebliche Zweifel, ob die Entscheidung zutreffend ist. Denn immerhin hat das von dem ehemaligen Angeklagten eingeholte Gutachten dazu geführt, dass die Nebenkläger ihre Berufung sofort nach Vorlage des Sachverständigengutachtens zurückgenommen haben. Den Erfolg hatte der „außerordentlich ausführliche und klare Hinweis des Vorsitzenden“ hingegen aber nicht. Man hätte sich daher schon eine Auseinandersetzung mit diesem Umstand und auch mit vorliegender aktuellerer Rechtsprechung als sie vom LG angeführt wird, gewünscht (vgl. dazu die Zusammenstellung bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 4554 f.). So kann man jedenfalls die Richtigkeit der Entscheidung nicht abschließend beurteilen. Unzutreffend ist es m.E. aber jedenfalls, wenn das LG ausführt, dass nur nach einem nicht erfolgreichen Beweisantrag ein Privatgutachten eingeholt werden dürfe. Das lässt sich der vorliegenden (ober)gerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen. Sie ist zwar eng, aber so eng, wie das LG Potsdam meint, nun doch nicht. Zumindest nicht in den aktuelleren Fällen. Aber die hat das LG ja nicht geprüft. Es zitiert nur die alte Rechtsprechung, die so auch bei Meyer-Goßner/Schmitt zitiert ist. Ein Schlem, wer Böses dabei denkt?

Pflichti III: Bestellung bei einem „schwierigen Jugendlichen“, oder: Ankündigung eines Amoklaufs

Und die dritte Pflichtverteidigerentscheidung kommt mit LG Postdam, Beschl. v. 18.09.2019 – 22 Qs 21/19 – vom LG Potsdam. Den Beschluss hat mir der Kollege Streifler aus Berlin geschickt.

Es geht um die Beiordnung des Kollegen bei einem Jugendlichen in einem Verfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Das LG hat auf die Beschwerde des Kollegen beigeordnet:

„Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 04.06.2019 wird dem zum Tatzeitpunkt 17-jährigen Angeklagten vorgeworfen, am 21.01.2019 um 11.30 Uhr, in einer Weise, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, einen Mord (§ 211), Totschlag (§ 212) angedroht zuhaben, in dem er am Ende des Chemieunterrichts im Oberstufenzentrum I in Potsdam, für andere Mitschüler vernehmlich, sinngemäß geäußert haben soll, dass er einen Amoklauf durchführen werde, wenn die Warteschlange in der Mensa wieder so lang sei.

Die Anklage wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 11.07.2019 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Jugendlichen vor dem Amtsgericht Potsdam eröfffnet.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15.07.2019 beantragte der Angeklagte, ihm (seinen damaligen Verteidiger) Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 30.07.2019 lehnte das Gericht die Pflichtverteidigerbeiordnung ab. Zur Begründung wird ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen könne, der Tatvorwurf – auch wenn mehrere Zeugen zu hören seien – überschaubar sei und auch die zu erwartende Maßnahme die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht rechtfertige, weil im Falle einer  Verurteilung allenfalls mit einer Auflage oder einer Weisung zu rechnen sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten mit Schriftsatz seines neuen Verteidigers vom 07.08.2019 unter Hinweis auf eine EU-Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates.

Die statthafte und zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Nach der Ermittlungsakte scheint der Angeklagte in seiner Schule vor allem im Klassenverband und bei seinen Mitschülem — einen gesonderten, eher problematischen und unbeliebten Stand zu haben. Bereits vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass der Angeklagte sich bei der Klärung des vorgeworfenen Sachvershalts in der Hauptverhandlung, bei der es auch auf seine Persönlichkeit und auf seinen psychischen Zustand ankommen wird und bei der die Mitschüler als Zeugen zu hören sein werden, subjektiv einer Vielzahl von Gegnern gegenüber sieht, was ihn im Anbetracht seines Alters, ohne Rechtsbeistand in seiner Verteidigung erheblich beeinträchtigen könnte.“

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Pflichti III. Keine Bestellung im Bußgeldverfahren, oder/aber: Eigentor der Kammer

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Und die dritte Entscheidung stammt mit dem LG Potsdam, Beschl. v. 28.09.2019 – 24 Qs 11/19 – aus dem Osten. Übersandt hat ihn mir der Kollege Kroll aus Berlin.

Der hatte in einemBußgeldverfahren wegen des Verdachts der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit einen Beiordnungsantrag gestellt. Das AG hat den abgelehnt, das LG die Beschwerde verworfen:

„Gründe für eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen im vorliegenden Verfahren nach § 46 OWiG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO nicht vor. Der Umstand, dass die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr mithilfe eines technischen Messverfahrens festgestellt worden sein soll, führt nicht zu einer schwierigen Rechtslage im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO, die eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Betroffenen erforderlich machte.

Dies wird bereits daran deutlich, dass der Tatvorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung den Schwerpunkt aller Bußgeldverfahren ausmacht und der Gesetzgeber gleichwohl von einer ausdrücklichen Regelung, wonach in diesen Fällen stets ein Pflichtverteidiger beizuordnen sei, abgesehen hat. Stattdessen hat er in § 46 Abs. 1 OWiG die entsprechende Anwendung der strafprozessualen Voraussetzung des § 140 StPO vorgesehen und damit dessen strengen, für den Strafprozess geltenden Maßstab für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers als ausreichend angesehen. Wie das Amtsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, liegen dessen engen Voraussetzungen hier nicht vor.2

Wenn man sich die Praxis der Pflichtverteidigerbestellung im Bußgeldverfahren ansieht, überrascht der Beschluss nicht. Aber der Kollege weist zu Recht in seiner Übersendung darauf hin.

„…. eine Pflichti-Beiordnung beantragt und natürlich nicht bekommen. Interessant ist, was das LG dazu schreibt, was wir natürlich alle wissen, was uns aber in Gebührenfragen bei der Frage der Durchschnittlichkeit der Angelegenheiten stets genau entgegengesetzt vorgehalten wird:

Wie heißt es immer so schön bei den Beschlüssen, meistens derselben Kammern, bei den Erstattungsansprüchen gegen die Landeskasse?

„Da der Gebührenrahmen bis 5000 Euro geht und auch Bußgeldverfahren gegen Atomkraftwerksbetreiber die gleiche Gebühr betreffen, sind Verkehrsowis mit ihren mickrigen Gebühren ja immer eher unterdurchschnittlich“ blabla.

Mein Hinweis, dass wohl 99 % aller vor Gerichten verhandelten OWi-Verfahren solche des Verkehrsrechts sind und daher das der Maßstab für den typischen, durchschnittlichen Fall sei, wird dann gerne geflissentlich ignoriert.

Jetzt hat das LG Potsdam mal dankenswerterweise klargestellt, was die übliche, typische, durchschnittliche OWi-Sache bei einem Gericht ist: Die Verkehrs-Owi wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen!“

Was schreibt man da jetzt? „Eigentor“ oder „widersprüchliche Argumentation“ immer passend zum jeweiligen Rechtsgebiet. Ich habe mich für „Eigentor“ entschieden, denn ich bin sicher, dass der Kollege der Kammer die Argumentation gern demnächt entgegenhalten wird. Mal sehen, wass sie dann dazu schreibt.

 

Ein „Tag“ ist eine Unterschrift; oder: Wie „unterschreibe“ ich ein Graffiti?

entnommen obenclipart.org

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Für die „Graffiti-Szene“ von Bedeutung kann der LG Potsdam, Beschl. v. 02.06. 2015 – 24 Qs 110/14 – sein. In dem ihm zugrunde liegenden Verfahren hat die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten eine gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe (§§ 303, 316b StGB) vorgeworfen. Die Angeschuldigten sollen in der Nacht vom 09. auf den 10.11 2011 einem gemeinsam gefassten Tatplan folgend jeweils vier Wagen von Regionalzüge der Deutschen Bahn AG mit Graffitizeichnungen besprüht haben; durch das Eindringen von Sprühfarbe in die Türschlösser der beiden Wagenparks hätten die Führerstände der betroffenen Züge nicht betreten werden können, so dass sie abgeschleppt werden mussten. Insgesamt sei – so die Anklage – ein Schaden in Höhe von 3.302,49 € entstanden.

Das AG hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, da nach seiner Auffassung nach dem Ergebnis der Ermittlungen und den gegebenen Beweismöglichkeiten eine Verurteilung nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der StA hatte weitegehend Erfolg. In seinem Beschluss nimmt das LG zur „Unterschriftseigenschaft“ eines „Tag“ Stellung:

„….Die Ermittlungen haben ergeben, dass durch die hier gegenständliche Tat auf die abgestellten Bahnzüge die Tag-Schriftzüge der Angeschuldigten L. (SOUR), S. (TUES), M. (MISTA), R. (RÜBE, LOZR), W. (YUSK) und B. (BECKER) aufgebracht worden sind. In der Graffiti-Szene gilt die Regel, dass ein Tag-Schriftzug nur von einem Graffiti-Sprüher benutzt wird und daher individuell zugeordnet werden kann (LG Berlin, Urteil vom 11.8.2005, (524) 21 Ju Js 783/03 (35/05), in Juris). Im Graffiti-Jargon ist das „Tag“ ein Signaturkürzel des Graffiti-Sprühers und stellt sein Pseudonym dar; es wird häufig als Unterschrift verwendet, aber auch als territoriale Markierung mit dem Ziel, den eigenen Style zu präsentieren und in einem bestimmten Gebiet besonders präsent zu sein und so Bekanntheit (Fame) zu erreichen (vgl. Wikipedia-Eintrag zum Graffiti-Jargon http://de.wikipedia.org/wiki/Graffiti-Jargon). Einen guten, möglichst einzigartigen Style zu erreichen gilt in Graffiti-Kreisen als erstrebenswert. So erläutert Graffiti-Websites: „[…] Tags weisen auf die Individualität von Menschen hin. Es ist ein Ausdruck von Selbstwertgefühl und Urheberschaft, wie auch eine Art Gütezeichen.“ Weiterhin: „Tags […] werden ständig wiederholt und daher von ihren Urhebern ,blind‘ beherrscht. Sie dienen dazu, ein Territorium zu markieren und anderen Taggern zu signalisieren: hier war ich.“ (http://graffitiportal.com/abc2.html). Es ist in Graffiti-Kreisen verpönt, den Tag einer anderen Person zu verwenden. So wird angehenden Graffiti-Sprühern empfohlen, vor der Auswahl des Tag sicherzustellen, dass dieser nicht schon von jemand anderem genutzt wird und sich gegebenenfalls einen anderen Tag zu überlegen, da es „großen Ärger“ nach sich ziehen kann, wenn man mit einem Tag malt, der schon vergeben ist (http://graffitilernen.info/tutorialteil-1-dertag, vgl. auch http://de.wikihow.com/Graffititaggen). Lässt sich ein Tag – etwa aus früheren Verfahren – einem bestimmten Sprayer zuordnen, so kann er ihm auch in weiteren Fällen zugeordnet werden, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieses Tag auch von einem anderen Sprayer verwendet wird oder dass der Tag verkauft worden ist (LG Berlin, Urteil vom 11.8.2005, (524) 21 Ju Js 783/03 (35/05), in Juris). Die Kammer teilt ausdrücklich nicht den Standpunkt, den das Landgericht Offenburg in seiner – oft zitierten – Entscheidung vom 15. Januar 2002 vertreten hat, wonach dem Tag für die Frage der Täterschaft lediglich eine Indizwirkung zukommen soll (LG Offenburg, StV 2002, 359, vollständig in Juris). Angesichts der oben geschilderten Gepflogenheiten in Graffiti-Kreisen, die jedenfalls heute im Internet leicht nachzulesen sind, und angesichts der Bedeutung, die dabei dem Tag als individuelle Signatur zukommt, ist sein Beweiswert mit derjenigen einer individuellen Unterschrift vergleichbar. Zwar mag es in Einzelfällen vorkommen, dass Tags nachgeahmt und insbesondere die Tags von bekannten Sprayern in Einzelfällen „unberechtigt“ kopiert worden sein können (sogenanntes biten; siehe den Wikipedia-Eintrag zum Graffiti-Jargon) (vgl. neben der oben genannten Entscheidung des LG Offenburg auch die eingereichten Entscheidungen des AG Berlin-Tiergarten vom 1.9.2008, Gz.: (279 Ds) 3023 PLs 7352/08 (107/08) und des AG Nürnberg vom 10.3.2011, Gz.: 17 C 10279/10, das sich allerdings auf Takes bezieht). Die bisherigen Ermittlungen haben allerdings keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die oben genannten Individual-Tags der Angeschuldigten L., S., H., M., R., W. und B. im vorliegenden Fall von anderen Personen nicht nur „unberechtigt“ gebraucht, sondern auch in ihrer individuellen optischen Gestaltung (dem Style) nachgeahmt worden sein könnten.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Terminsgebühr trotz Rücknahme der Berufung?

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Die Antwort aus dem RVG-Rätsel des vergangenen Freitags: Ich habe da mal eine Frage: Terminsgebühr trotz Rücknahme der Berufung?, ergibt sich ganz locker aus dem LG Potsdam, Beschl. v. 30.04.2015 – 24 Qs 7/15. Das LG hat in dem Beschluss in einem vergleichbaren Fall eine Terminsgebühr gewährt. Das LG sieht einen Fall der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG als gegeben an, was zutreffend ist. Ebenso zutreffend ist es, ein „Vesrchulden“ des Verrteidigers zu verneinen:

„Die Rücknahme eines Rechtsmittels durch den Rechtsanwalt erfolgt nach Absprache mit dem Mandanten und erfordert gemäß § 302 Abs. 2 StPO eine ausdrückliche Ermächtigung. Dabei ist es unerheblich, welche Vorgehensweise der Verteidiger bei der anwaltlichen Beratung empfohlen hat. Entscheidend ist letztlich der Wille des Angeklagten, den der Verteidiger im Rahmen der prozessualen Möglichkeiten pflichtgemäß umzusetzen hat. Daher kann eine im Auftrag des Angeklagten abgegebene prozessrechtliche Erklärung wie die Rücknahme eines Rechtsmittels, die einem bereits anberaumten Termin nachträglich den Rechtsgrund entzieht und die Aufhebung dieses Termins zur Folge hat, nicht als eine dem Verteidiger im gebührenrechtlichen Sinne anzulastende Handlung angesehen werden. Der Verteidiger muss für eine auf dem Willen seines Mandanten beruhende verfahrensrechtliche Erklärung (finanziell) nicht gerade stehen.

Ebenso wenig hat es der Verteidiger zu vertreten, wenn er – wie im vorliegenden Fall – die Rücknahme des Rechtsmittels erst im Gerichtsgebäude erklärt, nachdem er dort von seinem Mandanten einen entsprechenden Auftrag erhalten hat. Wann sich der Angeklagte für diese Vorgehensweise entscheidet, mag zwar von einer vorangegangenen anwaltlichen Beratung abhängen, ist aber in erster Linie eine Frage der zwischen Verteidiger und Mandanten abgestimmten Verteidigungsstrategie. Könnte man dem Verteidiger vorwerfen, dem Mandanten zu spät zu einer Rücknahme des Rechtsmittels geraten zu haben, liefe dies darauf hinaus, nachträglich die Verteidigungsstrategie ggf. gebührenrechtlich zu sanktionieren (vgl. Burhoff, RVGreport 2011, 64).“

Nicht zutreffend sind m.E. die Ausführungen des LG zum Begriff des „Erscheinens“. Sie sind/waren zudem bei dem zu entscheidenden Fall auch überflüssig, da es auf die Frage vom Standpunkt des LG gar nicht (mehr) ankam. Aber so sind sie manchmal die LG 🙂 .