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Sterben ist kein prozessual vorwerfbares Verhalten

© frogarts - Fotolia.com

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Ich habe ja schon häufiger darauf hingewiesen, dass ich von vielen Kollegen immer wieder Beschlüsse übersandt bekomme, zu denen ich bloggen kann oder die sonst Verwendung, vor allem auch in meinen Handbüchern finden. Manche Emails kommen da ganz „normal“, also mit Gerichtsbezeichnung und Aktenzeichnung, manche aber auch mit „Eyecatcherüberschriften“, die dann sofort mein Interesse wecken. So auch der LG Oldenburg, Beschl. v. 21.10.2013 – 5 Qs 362/13 -, den mir der Kollege mit dem Betreff gesandt hat, den ich dann auch hier zur Überschrift für das Posting verwendet habe.

Im Beschluss geht es um die  Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf diesen bei Einstellung des Verfahrens nach dem Tode des Angeklagten:

„Die notwendigen Auslagen des Angeklagten durften der Staatskasse auferlegt werden. Unter partieller Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung der Kammer wurde hierbei folgender Maßstab angelegt:

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten richtet sich nach § 467 StPO und erfolgt zweistufig. Gemäß § 467 Abs. 1 StPO sind diese grundsätzlich der Staatskasse aufzuerlegen, wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Die Überbürdung auf den Angeklagten stellt eine Ausnahme dar, die nur unter den Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 StPO überhaupt erst einen diesbezüglichen Ermessensspielraum eröffnet. Der hier relevante Fall der Nr. 2 setzt voraus, dass der Angeklagte nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Hierzu ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer erforderlich, dass ein hinreichender Tatverdacht fortbesteht, der Angeklagte also ohne das Verfahrenshindernis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verurteilt worden wäre. Dabei ist darauf zu achten, dass in der Kostenentscheidung keine strafrechtliche Schuldzuweisung erfolgt.

Liegt diese Voraussetzungen vor, steht es auf zweiter Stufe im Ermessen des Gerichts, von der Auferlegung der notwenigen Auslagen auf die Staatskasse ausnahmsweise abzusehen. Bei der Ermessensentscheidung kommt es maßgeblich darauf an, ob es die Auferlegung der notwenigen Auslagen auf die Staatskasse als unbillig ansieht (vgl. Meyer-Goßner § 467 Rn. 18). Grundlage dieses Unbilligkeitsurteils kann nur ein prozessual vorwerfbares Verhalten des Angeklagten sein. Dieser ist im Rahmen des Verständigen dazu gehalten, die Schäden durch das Straf- oder Bußgeldverfahren möglichst gering zu halten (BVerfG NJW-RR 1996, 45). Unbillig wäre eine Überbürdung auf die Staatskasse z.B., wenn er schon einmal wegen derselben Tat verurteilt worden wäre und dies weder mitteilt noch von dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft erkannt wurde. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Entscheidung ist sie stets sachlich zu begründen (vgl. Gieg in: Karlsruher Kommentar § 467 Rn. 1 ob).

Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des Amtsgerichts Nordenham nicht zu beanstanden. Das Gericht hat sein Ermessen in zulässiger Weise ausgeübt. Denn auch wenn ein hinreichender Tatverdacht gegen den Angeklagten vorlag, so ist die Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse nicht schon allein deshalb unbillig. Ein prozessual vorwerfbares Verhalten, das die Annahme einer Unbilligkeit rechtfertigen könnte, ist hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte ist verstorben.“

Akten zurück an die Verwaltungsbehörde –> Verjährung –> Einstellung –> Befriedungsgebühr +

In einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren kommt es zu folgendem Ablauf: Der Verteidiger moniert,  dass er ihm überlassen Unterlagen nicht ausdrucken kann. Der Hauptverhandlungstermin wird aufgehoben, die Akten werden gem. § 69 Abs. 5 OWiG zurück an die Verwaltungsbehörde geschickt. Bis die Akten wieder beim AG ankommen, ist Verjährung eingetreten, das Verfahren wird eingestellt. Der Verteidiger macht dann auch die Befriedungsgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend. Der LG Oldenburg, Beschl. v. 22.05.2013 – 5 Qs 149/13 – sagt: Zu Recht:

„Jedoch war die Entscheidung in Bezug auf die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu ändern. Diese ist angefallen, weil es hierfür lediglich einer Tätigkeit des Verteidigers bedarf, welche die Verfahrenserledigung fördert und dabei keine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 20.01.2011, Az. IX ZR 123/10, juris). Dabei ist auch eine Förderung der Sachaufklärung nicht erforderlich (BGH, ebenda), es genügt ein ursächlicher Beitrag zur Erledigung des Verfahrens (LG Baden-Baden, Beschluss vom 09.08.2000, Az. 1 Qs 111/00, juris), welcher auch in einer Aktivität zwecks Verjährung bestehen kann (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, Nr. 4141 VV RVG Rn. 9). So liegt der Fall hier. Denn das Amtsgericht hat die zuvor einmal terminierte Sache nicht wieder terminiert, nachdem der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.07.2012 mitgeteilt hat, die ihm von dem Landkreis per E-Mail übersandte Bedienungsanleitung für das Messgerät sei lediglich zu öffnen, nicht aber auszudrucken. Auf dieses Schreiben hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.07.2012 gem. § 69 Abs. 5 OWiG mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung im Sinne des § 69 Abs. 5 OWiG an den Landkreis Cloppenburg zurückverwiesen. Nachdem der Landkreis sodann die Bedienungsanleitung an den Verteidiger übersandt und die Akten im Januar 2013 an die Staatsanwaltschaft geleitet hat, ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 11.02.2013 das Verfahren wegen der zwischenzeitig eingetretenen Verjährung eingestellt worden. Die Mitteilung des Verteidigers, die Bedienungsanleitung nicht ausdrucken zu können, ist folglich ursächlich für den Eintritt der Verjährung geworden. Ohne die Mitteilung wäre durch das Amtsgericht nicht gem. § 69 Abs. 5 OWiG verfahren worden. Es ist auch keinesfalls offenkundig, dass unabhängig von der Tätigkeit des Verteidigers das Verfahren sowieso eingestellt worden wäre (dazu: BGH a.a.O.). Schließlich sind keine Gründe für eine Verfahrenseinstellung aus einem anderen Grund erkennbar.“

Insoweit zutreffend. Über die m.E. unzutreffenden Ausführungen des LG betreffend Auslagenpauschale und Festgebühr decken wir das Mäntelchen des Schweigens. Die Frage, ob die Auslagenpauschale doppelt anfällt, wird sich hoffentlich bald erledigt haben. Das 2. KostRMoG trifft in § 17 Nr. 11 RVG eine ausdrückliche Regelung: Ja.

Durchsuchung: nicht nur Vermutungen, sondern „Butter bei die Fische“…

Eine Durchsuchungsanordnung setzt einen Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO voraus. Dieser muss aber – so die Rechtsprechung des BVerfG – über bloße Vermutungen hinausreichen und auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützt werden. Das wird häufig übersehen, wenn von AG ohne ausreichende konkrete Anhaltspunkte für einen Tatverdacht Durchsuchungen angeordnet werden. Wenn die dann im „Morgengrauen“ vor versammelter Nachbarschaft durchgeführt werden: Ein „schönes“ Erlebnis…

Auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Tatverdachts weist dann jetzt auch das LG Oldenburg, Beschl. v. 11.01.2012 – am 11.01.2012 noch einmal hin. Vorgeworfen wurde der Beschuldigten – offenbar eine Wohnungsverwalterin – Untreue (§ 266 StGB) durch nicht Weiterleitung von Mieteinnahmen. Das LG führt aus:

„…Ein konkreter Tatverdacht lässt sich auch nicht aus dem Verhalten der Beschuldigten in den Zivilverfahren ersehen. Die Beschuldigte hat dort die Auskunftserteilung hinsichtlich der von ihr abgeschlossenen Vermietungen verweigert, nachdem sie über Jahre – von den Anzeigeerstattern unbeanstandet – die Abrechnungen ohne. konkrete Benennung und Nachweis der Mieterdaten erstellt hat. Erstinstanzlich hat ihr das Landgericht Oldenburg Recht gegeben und die gegen sie gerichteten Klagen abgewiesen, da der Anspruch der  Kläger auf Rechnungslegung durch Geheimhaltungsinteressen der Beschuldig eingeschränkt gewesen sei. Dieser sei die Offenbarung des von ihr erarbeiteten Kundenstammes unzumutbar. Erst in der Berufungsinstanz hat das Oberlandesgericht zwar zugunsten der Kläger die Beschuldigte zur Auskunftserteilung verurteilt, zugleich aber z.T. die Revision zugelassen. Die Beschuldigte hat insoweit sodann Revision eingelegt. Dass die Beschuldigte die Auskunftsverteilung verweigert, solange eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes nicht vorliegt, kann schon keinen Tatverdacht begründen. Dass dies mit widersprüchlichem Vortrag geschehen sei, lässt ebenfalls nicht indiziell auf die Veruntreuung von Mieteinnahmen oder eine Betrugshandlung schließen, sondern kann ebenso gut durch die (begründete oder unbegründete) Zurückhaltung der von ihr erwirtschafteten Kundendaten motiviert sein, die die Beschuldigte den Anzeigeerstattern nach Beendigung des Vermittlungsvertrages nicht preisgeben möchte. Diese – vom Landgericht erstinstanzlich gestützte – Motivation ist auch plausibel, so dass sich der Schluss, die Beschuldigte wolle hierdurch nicht abgeführte Mieteinahmen vertuschen, auch nicht aufdrängt…“

Ein lachendes – zwei weinende (gebührenrechtliche) Augen

Ein lachendes, und zumindest ein weinendes Auge hat man, wenn man LG Oldenburg, Beschl. v. 17.05.2011 – 5 Qs 109/11 liest, der eine gebührenrechtliche Problematik behandelt. Nun ja, wenn man die Frage der Gebührenbemessung insgesamt sieht, dann doch schon eher zwei weinende Augen. Im Einzelnen:

  1. Man freut sich, dass sich das LG der in Rechtsprechung und Literatur h.M. anschließt, wonach die zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG auch anfällt, wenn nach einem bereits stattgefundenen Hauptverhandlungstermin der Einspruch noch zurückgenommen wird. Insoweit ist die Argumentation des LG zutreffend. Schon der Sinn und Zweck der Regelung der Nr. 5115 VV RVG – Entsprechendes gilt für die Nr. 4114 VV RVG – gebietet hier die Ansatz der Gebühr Nr. 5115 VV RVG. Die RSV sehen das derzeit leider wohl teilweise anders.

    In dem Zusammenhang erstaunlich dann die gegenüber dem AG abgegebene Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse zu der Gebührenfestsetzung. Der Vertreter der Staatskasse hat gegen den Ansatz der Nr. 5115 VV RVG votiert, sich aber mit keinem Wort mit der entgegenstehenden h.M., zu der immerhin auch zwei OLG gehören, auseinandergesetzt. Verwiesen wird nur auf Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke und auf zwei amtsgerichtliche Entscheidungen (!) aus den Jahren 2006 und 2007. Das ist der erste Wermutstropfen, da man sich schon fragt, ob es eigentlich den Aufgaben eines Bezirksrevisors gerecht wird, wenn er sich offenbar blind einer Mindermeinung anschließt – zumindest entgegenstehende Rechtsprechung und Literatur nicht erwähnt – oder ob es nicht auch zu seinen Aufgaben gehört, sich mit seiner Auffassung entgegenstehender Rechtsprechung auseinanderzusetzen?

  2. Die zweite Träne dann, wenn man sieht, in welcher Höhe die Gebühr Nr. 5115 VV RVG angesetzt worden ist. Das LG sieht 100 € als angemessen an. Festzusetzen wären aber nach Nr. 5115 VV RVG i.V.m. Nr. 5109 VV RVG 135 € gewesen., nämlich die Mittelgebühr der Nr. 5109 VV RVG, da die zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG– ebenso wie die Nr. 4114 VV RVG – nach Anm. 3 Satz 2 „nach der Rahmenmitte“ entsteht. Daraus wird von der zutreffenden h.M. in Rechtsprechung und Literatur der Schluss gezogen,. dass die Gebühr eine Festgebühr in Höhe der Mittelgebühr ist. Nicht verschwiegen werden soll, dass es dazu abweichende Stimmen in der Rechtsprechung gibt, obwohl man an sich angesichts des eindeutigen Wortlauts der Nr. 5115 Anm. 3 Satz 2 VV RVG nicht ernsthaft anderer Auffassung sein kann. Das LG äußert sich jedoch – ebenso wie die übrigen Stimmen in der Rechtsprechung mit keinem Wort dazu, warum man anderer Auffassung ist. Das spricht dafür, dass man dieses Problem gar nicht gesehen hat, was dann zu der Frage führt, ob denn eigentlich bei einer mit drei Berufsrichtern besetzten Strafkammer niemand mal in einen gebührenrechtlichen Kommentar schaut.