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Corona I: Vorlage eines gefälschten Impfpasses, oder: Strafbarkeit nach altem Recht?

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Und heute dann mal wieder ein paar Entscheidungen zu Corona und drum herum.

Zunächst noch einmal etwas zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefäschlten Impfpasses in einer Apotheke (nach altem Recht). Das ist hinzuweisen auf:

    1. Der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB wird bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung verdrängt (Anschluss an Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 ; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31. März 2022 – 1 Ws 19/22; entgegen OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21).
    2. Bei § 75a Abs. 2 Nr. 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein Allgemeindelikt, wonach sich derjenige strafbar machen kann, der in der Apotheke einen Impfausweis vorlegt, in welchem die Impfung durch einen Arzt unrichtig eingetragen worden ist (obiter dictum).

Zwar handel es sich bei einem Impfbuch um eine Urkunde i.S.d. § 267 StGB und darüber hinaus um ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F., bei Vorlage eines gefälschten Impfbuches zur Erlangung eines Impfpasses ist jedoch ein Rückgriff auf § 267 StGB durch die Privilegierungswirkung der §§ 277, 279 StGB a.F. gesperrt.

Die Sperrwirkung der §§ 271 ff StGB besteht in sog. Altfällen nur dann, wenn von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis zum Zweck Gebrauch gemacht wurde, eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen (Anschluss an OLG Stuttgart 1 Ws 33/22 und OLG Hamburg 1 Ws 114/21).

„Ich will mein Honorar von dir.“, oder: Wer muss was im Fall der Honorarklage beweisen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages – der letzten in dieser Woche – geht es um das Honorar nach einem arbeitsrechtlichen Mandat. Die Parteien streiten um das Honorar der klagenden Rechtsanwältin, insbesondere auch um den Umfang der erteilten Auftrags. Das AG hat die Beklagte verurteilt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Hier zunächst die Leitsätze zum LG Offenburg, Urt. v. 15.06.2021 – 2 S 7/20:

  1. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass zwischen den Parteien ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist, trägt im Falle der Honorarklage nach allgemeinen Grundsätzen der klagende Rechtsanwalt. Das gleiche gilt für den Umfang des erteilten Mandats.

  2. Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Hinweispflicht aus § 12a Abs. 1 S. 2 ArbGG scheiden aus, wenn der Mandant vor Abschluss der Vertretungsvereinbarung bereits Kenntnis von dessen Regelungsgehalt hatte.

Und zu den Schadensersatzansprüchen:

„b) Schadensersatzansprüche der Beklagten folgen auch bereits deshalb nicht aus § 628 Abs. 2 BGB, weil die Kündigung der Beklagten nicht durch ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin veranlasst wurde.

Das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners muss das Gewicht eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB haben. Nur derjenige kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (BGH, Urt. v. 16.07.2020 – IX ZR 298/19, NJW 2020, 2538 Rn. 13; BeckOGK/Günther, Stand: 1.5.2021, BGB § 628 Rn. 139).

Ein derart wichtiger Grund ist vorliegend nicht ersichtlich. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Klägerin Absprachen gröblich missachtet, insbesondere vorsätzlich „Anträge ohne Sinn“ gestellt hat. Die klägerseits gestellten Anträgen in den Schriftsätzen vom 28.11.2018 knüpften vielmehr an die von der Beklagten erhobenen Kündigungsschutzklagen an, die Anträge wurden de lege artis und rechtzeitig vor der anberaumten Güteverhandlung gestellt und waren im Übrigen taugliche Grundlage für Vergleichsgespräche mit dem seinerzeitigen Arbeitgeber der Beklagten. Die Einlassung der Beklagten, dass die klägerseits für sie gestellten Feststellungsanträge sinnlos seien, da sie im Hinblick auf ihren Strafantrag vom 02.05.2018 gegen Vorgesetzte ihres seinerzeitigen Arbeitgebers kein Interesse mehr am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gehabt habe, passt auch nicht zu der von ihr mehrere Wochen nach ihrer Strafantragsstellung erhobenen Kündigungsschutzklage.“

Regelentziehung nach Unfallflucht, oder: 1.500 EUR Schaden müssen es sein

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Und als dritte Entscheidung dann der LG Offenburg, Beschl. v. 19.06.2017 – 3 Qs 31/17 – über den der Vollege Gratz vor ein paar Tagen ja auch schon berichtet hat. Von ihm habe ich mir den Beschluss „geliehen“ 🙂 .

Das LG nimmt im Beschluss zum bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB Stellung. Der beschuldigte hatte bei einem Unfall einen Schaden in Höhe von 1.321,84 € angerichtet und hatt sich dann unerlaubt entfernt. Das LG sagt: Reicht nicht für die  Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Grenze liege bei mindestens 1.500 €:

„Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142) ist und der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. Ob ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien. Die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden wird in der herrschenden Kommentarliteratur und auch in der obergerichtflehen Rechtsprechung auf 1.300 Euro festgesetzt (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 69 StGB Rdnr. 29; Geppert in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Auflage 2007, § 69, Rn. 85 „Schäden ab 1.300 Euro (tendenziell wachsend)“; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 69 Rdnr. 39; OLG Hamm. Beschluss vom 06.11.2014 – 5 RVs 98/14 -, Rdnr 23, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2013-3 Ws 225/13 -. juris, Rdnr. 6; OLG Hamburg, Beschluss vom 08. März 2007-2 Ws 43/07 -, Rdnr. 19, juris). Andererseits befindet sich in der aktuellen untergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung im Vordringen, die Wertgrenze auf 1.500 Euro festzusetzen (vgl. LG Braunschwelg, Beschluss vom 03. Juni 2016-8 Qs 113/16-. juris, Rdnr. 15; LG Lübeck, Beschluss vom 14. März 2014- 4 Qs 60/14 -, juris, Rdnr. 2; AG Tiergarten, Beschluss vom 15. Mai 2015-288 Gs 48/15-. Rdnr. 5, juris).

Dieser Ansicht schließt sich die Kammer mit Blick darauf, dass die allgemein anerkannte Wertgrenze von 1.300 Euro seit dem Jahr 2002 allgemein gelten dürfte (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 29), an. In der Kommentarliteratur ist anerkannt, dass der „bedeutende Schaden“ von der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. der allgemeinen Geldentwicklung abhängt (vgl. Fischer, a.a.O ., Rdnr. 28; Stree/Kinzig, a.a.O; Geppert, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerungsrate für sämtliche Verbrauchsgüter ist es sachgerecht, die Wertgrenze nach nunmehr 15 Jahren ohne Veränderung anzuheben. Denn auch in der Vergangenheit wurden die Wertgrenzen in der Rechtsprechung der Obergerichte regelmäßig angehoben. So sah das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 1977 einen Schaden in Höhe von 600 DM noch nicht als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB an (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Junl1977- 2 Ss 162/77-, juris), setzten das Oberlandesgericht Frankfurt im Jahr 1982 die Wertgrenze für seinen Bezirk auf 1.300 DM (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01. Februar 1982-2 Ss 555/81 -, juris) und das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 1991 für seinen Bezirk auf 1.800 DM (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 1991-2 Ss 1/91 -3/91 III-, juris ), während Stimmen in der Literatur bis ins Jahr 2002 von einer Wertgrenze von 2.000 DM ausgingen (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 69 Rdnr. 29, m. w. N.). Auch das Oberlandesgericht Köln etwa erhöhte die Wertgrenze für seinen Bezirk zwischen den Jahren 1991 und 2002 von 1.225 DM auf 2.000 DM (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 05. November 1991 – Ss 495/91 – 257 -. juris: 1.225 DM; OLG Köln, Beschluss vom 12. März 2002- Ss 54/02-. juris: 2.000 Dm). Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, die Wertgrenze im Landgerichtsbezirk Offenburg nach nunmehr 15 Jahren zu erhöhen.
Um die Höhe des neuen Grenzwertes zu bestimmen, ist die prozentuale Erhöhung des durchschnittlichen Verbraucherpreisindex vom Jahr 2002 (88,6) bis zum Jahr 2016 (107,4) zu ermitteln (vgl. zu den Durchschnittswerten der Verbraucherpreisindizes die Internetseite des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/PreiseVerbraucherpreisindizes/Tabellen_/VerbraucherpreiseKategorien.html). Der Verbraucherpreisindex hat sich vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2016 um 21,22 % ((107,4- 88,6) : 88,6) erhöht. Unter Berücksichtigung dieser Teuerungsrate errechnet sich ein Wert von exakt 1.575,85 Euro für das Jahr 2016. Es ist daher angemessen, den für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB maßgeblichen Grenzwert ab dem Jahr 2017 auf zumindest 1.500 Euro festzusetzen (vgl. zum Ganzen auch: LG Braunschweig, a.a.O.).

Bei der Bestimmung der konkreten Schadenshöhe ist der Betrag maßgeblich, um den das Vermögen des Geschädigten unmittelbar infolge des Unfalls gemindert ist. Unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts (Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtliehen Ansprüche bzw. Schutz vor unberechtigten Ansprüchen) dürfen im Rahmen des zugrundeliegenden wirtschaftlichen Schadensbegriffes nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm, a.a.O}. Zu berücksichtigen sind daher die Reparaturkosten, Bergungs- und Abschleppkosten sowie der merkantile Minderwert (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 28; Stree/Kinzig a.a.O.). Die Mehrwertsteuer bezüglich der Reparaturkosten ist hingegen nur dann berücksichtigungsfähig, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, vgl. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugberechtigt ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Umstände beläuft sich der für die Frage eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähige Schaden daher nach dem Haftpflichtschadengutachten der Generali Versicherung AG vom 20.03.2017 auf insgesamt 1.321,84 Euro. Dies entspricht den Reparaturkosten ohne Berücksichtigung der Mehrwertsteuer zuzüglich des merkantilen Minderwerts in Höhe von 200 Euro. Die Reparaturkosten und der merkantile Minderwert waren zu berücksichtigen, da der Angeklagte anhand der objektiven Umstände hätte erkennen können, dass diese Schadenspositionen entstanden sind. Die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % war hingegen nicht zu berücksichtigen, da angesichts der Unternehmereigenschaft und damit Vorsteuerabzugsberechtigung der Fahrzeughallerin nahe liegt, dass bei einer etwaigen (im Übrigen auch nach derzeitigem Stand der Ermittlungen nicht feststellbaren) Reparatur die Mehrwertsteuer in Höhe von 19% nicht anfällt. Angesichts der für den Landgerichtsbezirk Offenburg geltenden Wertgrenze von 1.500 Euro liegt daher noch kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor.“