Schlagwort-Archive: LG Nürnberg-Fürth

Die bedingte Berufungsrücknahme, oder: Hinschauen

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Der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 21.02.2018 – 18 Qs 4/18 – zeigt, dass es sich immer wieder lohnt, genau hinzuschauen. Es geht um einen Sicherungshaftbefehl . Der Angeklagte ist durch Urteil des AG wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Erschleichen von Leistungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zru Bewährung ausgesetzt worden sind, verurteilt worden. Unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft zu Protokoll Berufung ein. In der Berufungshauptverhandlung waren weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erschienen waren. Im Protokoll heißt es:

„Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragt, die Berufung des Angeklagten zu verwerfen und erklärt, dass sie ihre Berufung zurücknimmt, falls das Verwerfungsurteil rechtskräftig wird“.

Daraufhin hat das LG die Berufung des Angeklagten verworfen. Zur Berufung der Staatsanwaltschaft traf es keine Sach-, sondern lediglich eine Kostenentscheidung, der zufolge die durch dieses Rechtsmittel veranlassten ausscheidbaren Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last fallen.

Später ist dann auf der Urteilsurkunde der erstinstanzlichen Entscheidung ein Rechtskraftvermerk angebracht worden. Die StA hat das Vollstreckungsverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet. In dem ist dann gem. § 453c StPO Sicherungshaftbefehl ergangen. In dem stellt das LG fest:

Das gegen den Angeklagten ergangene Urteil vom 20.04.2017 ist ungeachtet des (fehlerhaft) angebrachten Rechtskraftvermerks bis dato nicht rechtskräftig geworden. Zwar hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten am 01.08.2017 aufgrund dessen (unentschuldigten) Ausbleibens bei Beginn der Berufungshauptverhandlung zu Recht gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Die zu Protokoll des Landgerichts erklärte Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft war jedoch unwirksam, was den Eintritt der Rechtskraft des auch von ihr angegriffenen erstinstanzlichen Urteils gemäß § 316 Abs. 1 StPO nach wie vor hemmt.

Denn – so die zutreffenden Leitsätze:

  1. Bei der Erklärung über die Zurücknahme eines Rechtsmittels handelt es sich um eine Prozesshandlung, die eindeutig und zweifelsfrei zu erfolgen hat und – insbesondere – bedingungsfeindlich ist.
  2. Eine in der Berufungshauptverhandlung im Anschluss an den Antrag, die Berufung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten zu verwerfen (§ 329 Abs. 1 Satz 1 StPO), protokollierte Erklärung der Staatsanwaltschaft, wonach sie „ihre Berufung zurücknimmt, falls das Verwerfungsurteil rechtskräftig wird“, ist unwirksam.

Die Frage, ob überhaupt die besonderen sachlich-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen für den Erlass und die Aufrechterhaltung des angegriffenen Sicherungshaftbefehls bestehen, hat die Kammer nicht weiter zu vertieft. Sie hat aber wohl, wie man m.E. ihre Ausführungen entnehmen kann, erhebliche Zweifel. Ich auch.

Alos: Hinschauen, wobei ich mir nicht sicher bin, wer hier – außer der Strafkammer – hingeschaut hat.

Beschlagnahme, oder: Was keine Beweisbedeutung hat, darf nicht beschlagnahmt werden

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Heute dann mal ein „Mixed-Day“ – sowohl von den Gerichtsszügen her als auch von der Themati. Fangen wir „unten“ an , also mit einer LG-Enscheidung. Es ist der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.12.2017 – 18 Qs 49/17. Es geht um die Komplettspiegelung von Datenträgern, also der „Datensicherung “ der internen Festplatte eines Notebooks und einer weiteren externen Festplatte, beim ehemals Beschuldigten in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Der Beschuldigte hatte u.a. Notebook und Festplatte freiwillig herausgegeben und zudem weitere Unterlagen.  Nach „Durchsicht der Papiere“ (§ 110 StPO) und Beendigung der Durchsuchung wird (teilweise) die Beschlagnahme angeordnet. Der Beschuldigte legt „Rechtsmittel“ ein. Und sein „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ hat Erfolg, auch noch nach „Abschluss“ des Verfahrens, denn: „Angesichts der mit der Sicherung sämtlicher – also auch überschießender – Daten einhergehenden besonderen Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 18a m.w.N.) steht die Erledigung der Maßnahme ihrer Überprüfung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 98 Rn. 23 a.E.).

Zur Sache führt das LG dann aus:

„Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob die Beschlagnahmeanordnung vom 04.10.2017 formellen Anforderungen noch genügt, obwohl sie keine Darstellung des dem Beschuldigten (seinerzeit) zur Last liegenden Lebenssachverhalts (Tatverdacht) enthält. Dies dürfte in versehentlicher Verkennung des Umstands geschehen sein, dass für die Wohnung, in der die in Rede stehenden Überführungsstücke sichergestellt wurden, gerade kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, dessen Tatverdachtsschilderung die angegriffene Anordnung – eine ausdrückliche Bezugnahme einmal unterstellt – als bekannt hätte „voraussetzen“ oder an die sie hätte „anknüpfen“ können. Einer weiteren Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams an den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 steht entgegen, dass es ihnen auf Basis des zwischenzeitlich erreichten Ermittlungsstands an der einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigenden potentiellen Beweisbedeutung fehlt.

a) Die Beschlagnahme eines Gegenstands setzt gemäß § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO voraus, dass er „als Beweismittel“ für die Untersuchung von Bedeutung sein kann. Damit ist in erster Linie gemeint, dass der betreffende Gegenstand – bei bereits bestehendem oder durch ihn erst ausgelöstem Anfangsverdacht – im späteren gerichtlichen Verfahren den Tatnachweis (mit-)begründen soll. Folglich fehlt es an der erforderlichen Beweisbedeutung, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird (vgl. BGH, BGHSt 9, 351, unter II.4.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 7).

Vorliegend haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass es sich bei der S.à.r.l. entgegen ursprünglicher Verdachtslage nicht um eine Domizilgesellschaft, sondern um ein im Tatzeitraum werbend tätiges Unternehmen handelte. Davon ausgehend ist sie zu dem – nach dem Inhalt des Aktenvermerks vom 13.11.2017 voraussichtlich endgültigen – Ergebnis gelangt, weder das Verhalten des Beschuldigten noch dasjenige der Mitbeschuldigten habe zu Steuerverkürzungen i.S.v. § 370 AO geführt. Damit entfällt die tatnachweisbegründende Beweisbedeutung der in Rede stehenden Überführungsstücke in Gänze. Die Fragen des ursprünglichen Tatverdachts und der ursprünglichen Beweisbedeutung der Überführungsstücke – bezogen auf den Zeitpunkt der Sicherstellung – sind unter den gegebenen Umständen nicht mehr von Belang. Auch kommt es nicht mehr darauf an, dass die Steuerfahndung im Zuge der Aktenvorlage an den Ermittlungsrichter eine Beweisbedeutung nur in Bezug auf die Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3, IIIa/4 und IIIa/8 dargelegt hatte.

b) Dem läuft nicht zuwider, dass § 160 Abs. 2 StPO die Ermittlungsbehörden dazu verpflichtet, in gleichem Maße be- wie entlastende Umstände aufzuklären. Allein auf diesen sich zugunsten des Beschuldigten auswirkenden Ermittlungsauftrag können Grundrechtseingriffe wie die Beschlagnahme von Unterlagen nicht gestützt werden, weil es dem Beschuldigten jederzeit möglich ist, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbst vorzulegen (vgl. BVerfG, NJW 2008, 2422, unter III.3.a). Da die Strafverfolgungstätigkeit vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) aber auch nachvollziehbar und überprüfbar sein muss, spricht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts dagegen, einzelne rechtmäßig erlangte entlastende Beweismittel zur Vorbereitung einer Verfahrenseinstellung vor Rückgabe der Originale in Kopie zur Akte zu nehmen.“

Bewährung, oder: Die Alkoholabstinenzweisung beim alkoholkranken Verurteilten

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Und als zweites Posting heute noch eine Entscheidung mit vollstreckungsrechtlichem Einschlag. Im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 12.07.201716 Qs 15/17 – geht es mal wieder um die Zulässigkeit einer Alkoholabstinenzweisung bei einem alkoholkranken Verurteilten. Dazu meint das LG: Die Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, ist grundsätzlich zulässig. Bei einer alkoholkranken Person ist für eine Alkoholabstinenzweisung aber erforderlich, dass zuvor eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen wurde:

„Der Widerruf nach § 56f StGB setzt voraus, dass der Verurteilte gegen eine zulässig angeordnete Auflage oder Weisung gröblich und beharrlich verstößt. Die Voraussetzungen eines Bewährungswiderrufs sind nicht erfüllt. Die Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, wurde nicht zulässig angeordnet. Zwar ist eine Weisung nach § 56 c Abs. 1 Nr. 1 StGB, den Alkoholkonsum zu unterlassen, grundsätzlich zulässig (OLG Düsseldorf, NStZ 1984, 332). Eine solche Weisung (im Rahmen der Führungsaufsicht) verstößt jedoch bei einer alkoholkranken Person gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist nicht mit § 68b Abs. 3 StGB zu vereinbaren OLG Dresden, Beschluss vom 13.07.2009; NJW 2009, 3314). Gemäß § 68 Abs. 3 StGB dürfen bei den Weisungen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Eine entsprechende Regelung sieht das Gesetz in § 56 e Abs. 1 S. 2 StGB auch für die Erteilung von Weisungen im Rahmen der Bewährung vor.

Eine Alkoholabstinenzweisung bei einer alkoholkranken Person ist regelmäßig erst zulässig, wenn zuvor eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen wurde (OLG Dresden, NJW 2009, 3314)

Laut dem Arztbericht des Bezirksklinikums pp. vom 08.06.2015 wurde nach einem stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Zeit von 05.06.2015 bis 06.06.2015 die Diagnose eines Abhängigkeitssyndrom bezüglich Alkohols (ICD F 10.2) gestellt.

In der Bescheinigung der psychologischen Psychotherapeutin … vom 14.10.2016 ist vermerkt, dass sich die Beschwerdeführerin bei ihr in ambulanter Verhaltenstherapie u.a. wegen einer Alkoholabhängigkeit nach F 10.2 befand.

Die Beschwerdeführerin hat, wie sich der Beschwerdebegründung vom 08.06.2017 entnehmen lässt, im Jahr 2013 eine Alkoholtherapie absolviert, diese jedoch vor einem erfolgreichen Abschluss abgebrochen. Andere Erkenntnisse diesbezüglich liegen nicht vor.

Aufgrund der Feststellungen aus dem Arztbericht des BKH A. vom 08.06.2015, den Feststellungen im Urteil vom 25.04.2016 (Feststellung zur Blutalkoholkonzentration in der Tatnacht: 1,90 Promille), sowie der zeitnah nach dem Urteil am 14.10.2016 ausgestellten Bescheinigung der behandelnden Psychotherapeutin ist von einer Alkoholabhängigkeit der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewährungsbeschlusses auszugehen. Da die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen hatte, zwar die Auferlegung der Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, für die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Erkrankung unzumutbar gem. § 56 c Abs. 1 S. 2 StGB. Die Abstinenzweisung war insoweit nicht zulässig angeordnet.

Nachdem sich die Beschwerdeführerin im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch vom 20.04.2017 jedoch bereit erklärt hat eine stationäre Therapie zu machen, kommt derzeit aus Sicht der Kammer nach einer erneuten Anhörung der Beschwerdeführerin gegebenenfalls die Abänderung des Bewährungsbeschlusses unter Auferlegung einer Weisung nach § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB in Betracht.“

Und nochmals Dashcam, oder: Auch in Nürnberg gehts

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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In der letzten Zeit ist ja vermehrt über die Verwendung von Dashcam-Aufzeichnungen berichtet worden. Dabei geht/ging es meist um Zivilverfahren, in denen die Aufzeichnungen eine Rolle gespielt haben, es gibt aber auch schon – zumindest – eine Entscheidung zum Bußgeldverfahren (vgl. hier den OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 und dazu OLG Stuttgart: (Private) Dashcam-Aufzeichnungen sind auch im OWi-Verfahren verwertbar). Ich berichte dann heute noch mal über eine Entscheidung zum Zivilverfahren, und zwar über das LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 08.02.2016 – 2 0 4549/15. Da haben die vorliegenden Aufzeichnungen bei der Schadensersatzklage nach einem „Parkplatzunfall“ eine Rolle gespielt. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten auf die Aufnahmen zurückgegriffen. Das LG hat es abgesegnet:

„Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision im Stillstand war: Dies ergibt sich aus den dahingehenden, glaubhaften der Zeugin ppp., sowie aus den insoweit übereinstimmenden Ausführungen. des Sachverständigen ppp., die dieser aufgrund der Auswertung der Dash-Cam-Aufnahmen aus dem klägerischen Fahrzeug machte.

Die vorgenannten Dash-Cam Aufnahmen, deren Authentizität zwischen den Parteien nicht streitig ist und durch den ,Sachverständigen bestätigt wurde, sind als Beweismittel im vorliegenden Verfahren verwertbar.

Eine Unverwertbarkeit ergibt sich vorliegend nicht aus-§ 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG. Zunächst ist diese Regelung nicht auf Aufzeichnungen aus einem Fahrzeug heraus, sondern auf die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume. mit stationären optisch-elektronischen Einrichtungen zugeschnitten. Dies wird an § 6b Abs. 2 BDSG erkennbar, der vorschreib, den Umstand der Überwachung durch geeignete: Maßnahmen kenntlich zu machen. Dies ist nur bei stationärer, nicht aber bei mobiler Videoaufzeichnung vorstellbar (vgl. Amtsgericht Nürnberg, Urteil vorn 08.05.2015, 18 G 8938/14). Zudem ergibt sich aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG gerade, dass eine Aufzeichnung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen zulässig ist, soweit schutzwürdige Interessen Dritter nicht überwiegen.

Weiter ergibt sich eine. Unverwertbarkeit auch nicht aus § 22 KunstUrhG. Es ist bereits fraglich. ob die Anfertigung einer Dash-Cam-Aufnahme und deren nachfolgende Verwertung im Zivilprozess eine Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung im Sinne von § 22 Satz 1 KunstUrhG darstellt. Zudem ergibt sich aus § 24 KunstUrhG gerade, dass die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung für Zwecke der Rechtspflege zulässig ist, soweit sie durch Behörden erfolgt. Jedenfalls folgt aus einem möglichen Verstoß gegen § 22 KunstUrhG kein Verwertungsverbot für den Zivilprozess (Vgl. AG Nürnberg, a.a.O.).

Die Frage der Verwertbarkeit von Bildaufzeichnungen im Zivilprozess unterliegt vielmehr, gerade in Hinblick auf den hiermit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, einer umfassenden Güterabwägung, wobei der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege erhebliches, aber nicht allein ausschlaggebendes schlaggebendes Gewicht zukommt (vgl. Zöller-Greger; Zivilprozessordnung, 30. Auflage 2014, Rdnr. 15a, 15b zu § 286 ZPO mit weiteren Nachweisen).

Vorliegend ist hierbei insbesondere das Grundrecht des Beklagten zu 1). auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst das Recht am eigenen Bild und stellt die Befugnis des Grundrechtsträgers dar, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Vorliegend zeichnete die Dash-Cam, soweit sich die Klägerin zum Beweis des von ihr geschilderten Unfallhergangs auf die Aufnähmen berufen hat, jedoch ausschließlich das Blickfeld und das Fahrverhalten der Führerin des klägerischen Fahrzeugs auf. Selbst im Kollisionsmoment sind weder das Beklagten-Fahrzeug noch gar der Beklagte zu 1) als Fahrzeugführer erkennbar.

Dem Interesse des Beklagten zu 1) steht das Interesse der Klägerin an einer Verwertbarkeit gegenüber: Da der Unfallhergang zwischen den Parteien streitig ist, hat die Klägerin ein erhebliches Interesse an der Zulassung des Beweismittels, um ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

Weiter ist bei der Abwägung das Interesse der Allgemeinheit darin, dem Gericht durch die Verwertung der Aufzeichnung eine materiell richtige, mit der Wirklichkeit übereinstimmende Entscheidung zu ermöglichen, zu beachten.

Die. Güterabwägung ergibt somit im vorliegenden Fall, dass die Dash-Cam-Aufzeichnungen, auf die sich die Klägerin zum Beweis des von ihr behaupteten Unfallhergangs berufen hat, verwertbar sind. Dies folgt daraus, dass der Eingriff in das Grundrecht des Beklagten zu 1) auf informationelle le Selbstbestimmung lediglich geringfügig ist, während die Klägerin ein erhebliches Interesse an der Verwertung geltend machen kann, das mit dem Interesse der Allgemeinheit insoweit übereinstimmt.

Die Einzelrichterin vermag daher im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des LG Heilbronn (Urteil vom 03.02. 2015 – 3 S 19/14) und des AG München (Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14) nicht zu teilen. Die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dann Bedenken gegen eine Verwertbarkeit bestünden, wenn die Aufzeichnung das Fahrzeug, das Fahrverhalten oder gar die Person des Beklagten im Einzelnen erfasst hätte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.“

Ich vermute mal, dass es so ganz lange nicht mehr dauern wird, bis sich auch der BGH zu der Frage äußern wird/muss.

Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren? Geht doch

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

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M.E. wird den Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren viel zu wenig – analog – § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt. Meist wird das unter Hinweis darauf, dass § 140 Abs. 2 StPo eben nur analog anwendbar ist und deshalb eng ausgelegt werden müsse, abgelehnt. Deshalb haben Entscheidungen, mit denen ein Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren bestellt worden ist, Bedeutung und sei es nur, um „Argumentationsmasse“ zu haben. Daher hier dann der Hinweis auf den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.10.2014 – 16 Qs 35/14, mit folgender Begründung:

Mit Antrag vom 1.8.2014 hatte der Verurteilte beantragt, ihm Rechtsanwalt Loyens als Pflichtverteidiger im Beschwerdeverfahren BwR 403 Ds 304 Js 6812/ 10 gegen den Bewährungswiderruf durch das Amtsgericht Nürnberg vom 25.07.2014 beizuordnen.

„Das Amtsgericht Nürnberg wies durch Richter am Amtsgericht pp. mit Beschluss vom 4.8.2014 den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurück, da kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege.

Mit Beschluss vom 14.8.2014 hob das Landgericht Nürnberg-Fürth auf die Beschwerde des Verurteilten den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.7.2014, mit dem der Bewährungswiderruf erfolgt war, auf, und verlängerte die Bewährungszeit um sechs Monate.

Der Verurteilte wendet sich nunmehr mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwalt Loyens als Pflichtverteidiger, sowie mit einer sofortigen Beschwerde vom 29. September 2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.9.2014, mit dem sein Antrag vom 19.8.2014 auf Ablehnung des Richters am Amtsgericht‘- wegen Befangenheit für das Abhilfeverfahren zurückgewiesen wurde.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO sind gegeben, wobei auf die Schwierigkeit der Sach – und Rechtslage nicht des Erkenntnisverfahrens, sondern des Vollstreckungsverfahrens abzustellen ist. Für die Frage, ob eine schwierige Sach- und Rechtslage gegeben ist, ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Pflichtverteidigerbestellung abzustellen. Zum Zeitpunkt der Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss am 1.8.2014 war die Sach- und Rechtslage schwierig. Dies zeigt sich schon daran, dass letztlich der Widerrufsgrund in zwei Instanzen unterschiedlich bewertet wurde. Auch die vom Verteidiger im Einzelnen dargelegten Umstände in der Persönlichkeit des Verurteilten rechtfertigten die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch im Beschwerdeverfahren.

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.9.2014, mit dem der Antrag auf Ablehnung des Richters am Amtsgerichtes wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, ist damit erledigt. (vgl. auch Meyer-Goßner/ Schmitt StPO 57 . Aufl. 2014 § 28 Rn. 9).“

Ach so: Wer sich fragt, welche Bewandtnis es mit der Ablehnung hatte. Es handelt sich um das Verfahren, über das ich vor einigen Tagen in dem Posting: Wie werde ich einen “missliebigen Richter los”? berichtet hatte. Da hat der Verteidiger übrigens noch einmal Stellung genommen und die Hintergründe erläutert