Beschlagnahme, oder: Was keine Beweisbedeutung hat, darf nicht beschlagnahmt werden

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Heute dann mal ein „Mixed-Day“ – sowohl von den Gerichtsszügen her als auch von der Themati. Fangen wir „unten“ an , also mit einer LG-Enscheidung. Es ist der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.12.2017 – 18 Qs 49/17. Es geht um die Komplettspiegelung von Datenträgern, also der „Datensicherung “ der internen Festplatte eines Notebooks und einer weiteren externen Festplatte, beim ehemals Beschuldigten in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Der Beschuldigte hatte u.a. Notebook und Festplatte freiwillig herausgegeben und zudem weitere Unterlagen.  Nach „Durchsicht der Papiere“ (§ 110 StPO) und Beendigung der Durchsuchung wird (teilweise) die Beschlagnahme angeordnet. Der Beschuldigte legt „Rechtsmittel“ ein. Und sein „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ hat Erfolg, auch noch nach „Abschluss“ des Verfahrens, denn: „Angesichts der mit der Sicherung sämtlicher – also auch überschießender – Daten einhergehenden besonderen Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 18a m.w.N.) steht die Erledigung der Maßnahme ihrer Überprüfung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 98 Rn. 23 a.E.).

Zur Sache führt das LG dann aus:

„Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob die Beschlagnahmeanordnung vom 04.10.2017 formellen Anforderungen noch genügt, obwohl sie keine Darstellung des dem Beschuldigten (seinerzeit) zur Last liegenden Lebenssachverhalts (Tatverdacht) enthält. Dies dürfte in versehentlicher Verkennung des Umstands geschehen sein, dass für die Wohnung, in der die in Rede stehenden Überführungsstücke sichergestellt wurden, gerade kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, dessen Tatverdachtsschilderung die angegriffene Anordnung – eine ausdrückliche Bezugnahme einmal unterstellt – als bekannt hätte „voraussetzen“ oder an die sie hätte „anknüpfen“ können. Einer weiteren Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams an den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 steht entgegen, dass es ihnen auf Basis des zwischenzeitlich erreichten Ermittlungsstands an der einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigenden potentiellen Beweisbedeutung fehlt.

a) Die Beschlagnahme eines Gegenstands setzt gemäß § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO voraus, dass er „als Beweismittel“ für die Untersuchung von Bedeutung sein kann. Damit ist in erster Linie gemeint, dass der betreffende Gegenstand – bei bereits bestehendem oder durch ihn erst ausgelöstem Anfangsverdacht – im späteren gerichtlichen Verfahren den Tatnachweis (mit-)begründen soll. Folglich fehlt es an der erforderlichen Beweisbedeutung, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird (vgl. BGH, BGHSt 9, 351, unter II.4.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 7).

Vorliegend haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass es sich bei der S.à.r.l. entgegen ursprünglicher Verdachtslage nicht um eine Domizilgesellschaft, sondern um ein im Tatzeitraum werbend tätiges Unternehmen handelte. Davon ausgehend ist sie zu dem – nach dem Inhalt des Aktenvermerks vom 13.11.2017 voraussichtlich endgültigen – Ergebnis gelangt, weder das Verhalten des Beschuldigten noch dasjenige der Mitbeschuldigten habe zu Steuerverkürzungen i.S.v. § 370 AO geführt. Damit entfällt die tatnachweisbegründende Beweisbedeutung der in Rede stehenden Überführungsstücke in Gänze. Die Fragen des ursprünglichen Tatverdachts und der ursprünglichen Beweisbedeutung der Überführungsstücke – bezogen auf den Zeitpunkt der Sicherstellung – sind unter den gegebenen Umständen nicht mehr von Belang. Auch kommt es nicht mehr darauf an, dass die Steuerfahndung im Zuge der Aktenvorlage an den Ermittlungsrichter eine Beweisbedeutung nur in Bezug auf die Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3, IIIa/4 und IIIa/8 dargelegt hatte.

b) Dem läuft nicht zuwider, dass § 160 Abs. 2 StPO die Ermittlungsbehörden dazu verpflichtet, in gleichem Maße be- wie entlastende Umstände aufzuklären. Allein auf diesen sich zugunsten des Beschuldigten auswirkenden Ermittlungsauftrag können Grundrechtseingriffe wie die Beschlagnahme von Unterlagen nicht gestützt werden, weil es dem Beschuldigten jederzeit möglich ist, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbst vorzulegen (vgl. BVerfG, NJW 2008, 2422, unter III.3.a). Da die Strafverfolgungstätigkeit vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) aber auch nachvollziehbar und überprüfbar sein muss, spricht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts dagegen, einzelne rechtmäßig erlangte entlastende Beweismittel zur Vorbereitung einer Verfahrenseinstellung vor Rückgabe der Originale in Kopie zur Akte zu nehmen.“

Ein Gedanke zu „Beschlagnahme, oder: Was keine Beweisbedeutung hat, darf nicht beschlagnahmt werden

  1. meine5cent

    Im konkreten Fall ist der Entscheidung sicher zuzustimmen. Etwas problematisch erscheint mir aber:
    „Allein auf diesen sich zugunsten des Beschuldigten auswirkenden Ermittlungsauftrag können Grundrechtseingriffe wie die Beschlagnahme von Unterlagen nicht gestützt werden, weil es dem Beschuldigten jederzeit möglich ist, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbst vorzulegen“
    Das klingt etwas zweischneidig. Wenn bei einer TKÜ etwa nur die „belastenden“ Gespräche gespeichert/verschriftet werden und der Rest gelöscht mit der Begründung, die weitere Speicherung sei ein fortdauernder Grundrechtseingriff und der Beschuldigte könne ja selbst irgendwann vorbringen und Zeugen dafür benennen, wann er mit wem worüber mit entlastenden Inhalten telefoniert oder SMS ausgetauscht hat, würde sich der eine oder andere herzlich für diese Umsicht der Ermittler bedanken.

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