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Arbeitsverweigerung beim AG, oder: „Setzen Herr Amtsrichter. Ungenügend/Sechs….“

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Der eine oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das Posting: Da „springt mir der Draht aus der Mütze“, oder: Arbeitsverweigerung zum OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.08.2016 – 2 (4) Ss 356/16 – AK 124/16 erinnern. Dazu passt ganz gut bzw. in die Kategorie gehört das LG Köln, Urt. v. 28.07.2016 – 152 Ns 59/15, über das der Kollege Siebers in seinem Blog ja auch schon berichtet hat. Der Kollege meint: Kein Urteil sondern eine Frechheit. Ich habe mir daraufhin den Volltext beim LG Köln besorgt – das geht in NRW über NRWE recht fix. Und in der Tat. Schon außergewöhnlich, was für das AG-Urteil noch eine gelinde Umschreibung ist. Der Kollege Siebers liegt mit „Frechtheit“ im Grund genommen gar nicht so verkehrt. Jedenfalls aber auch „Arbeitsverweigerung“, für die der Vorsitzende der Strafberufungskammer beim LG Köln mehr als deutliche Worte gefunden hat, die man „sich auf der Zunge zergehen lassen“ muss.

Allein schon der erste Satz des landgerichtlichen Urteils ist „bemerkenswert“:

Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits Berufung eingelegt hatte, erschöpfte sich das Urteil in einem ordnungsgemäßen Tenor.

Und dann geht es weiter:

„Anstatt einer auch nur ansatzweise an der Vorschrift des § 267 StPO ausgerichteten Begründung ließ der Erstrichter lediglich die Anklageschrift und das vollständige Sitzungsprotokoll einschließlich sämtlicher Streichungen ablichten und die Kopien nach dem Tenor in das Urteil einfügen. Der Sinn seines Vorgehens erschließt sich der Kammer nicht. Die bloße Wiedergabe von Zeugenaussagen ersetzt keine Beweiswürdigung. Erst recht entbindet das rein mechanische Kopieren des Sitzungsprotokolls – noch dazu mit sämtlichen Streichungen – den Richter nicht davon, die von ihm erhobenen Beweise in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

Dieses Vorgehen setzte der Erstrichter in der Folge fort. Als angebliche Einlassung des Angeklagten ließ er den vom Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Akte gebrachten Schriftsatz vom 20. Dezember 2013 vollständig in das Urteil hineinkopieren. Abgesehen davon, dass der Schriftsatz überhaupt nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden war, handelte es sich bei der vom Angeklagten nicht übernommenen Erklärung des Verteidigers gerade nicht um die Einlassung des Angeklagten. Diese erschöpfte sich vielmehr nicht nur in der Berufungsverhandlung in seiner Erklärung, sich aufgrund seines Rauschs an überhaupt nichts mehr erinnern zu können. Er habe lediglich eine „emotionale“ Erinnerung dahingehend, sich damals in irgendeiner Form bedroht gefühlt zu haben.

Schließlich hielt der Erstrichter ohne nähere Ausführungen oder eine Würdigung unter Verweis auf ein inhaltlich ebenfalls nicht mitgeteiltes rechtsmedizinisches Gutachten fest, die „Einlassung“ des Angeklagten lasse sich nicht widerlegen.

Die Kammer unterstreicht vor diesem Hintergrund ihre in der Hauptverhandlung bekannt gegebene Wertung, bei dem von einem Richter unterschriebenen Dokument handele es sich nicht um ein auch nur ansatzweise nach Maßgabe des § 267 StPO begründetes Urteil, sondern schlicht um eine Frechheit. Das Vorgehen des Erstrichters, völlig sinnfrei zu großen Teilen überhaupt nicht in die Hauptverhandlung eingeführte Aktenteile in sein Urteil hineinkopieren zu lassen, wird nicht nur dem Angeklagten und dem Geschädigten sowie den Besonderheiten der abzuurteilenden Taten, sondern auch und gerade dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit in keiner Weise mehr gerecht. Die Fassung eines solchen „Scheinurteils“ bleibt auch vor dem Hintergrund der hohen Arbeitsbelastung der Amtsgerichte unerklärlich. Sie ist schon mit Blick auf §§ 258a, 339 StGB höchst bedenklich.

Schon vor diesem Hintergrund war die Kammer aufgefordert, das auch noch in der Sache (zugunsten des Angeklagten) grob fehlerhafte Urteil aufzuheben und – insofern zu Gunsten des Angeklagten – die beim Amtsgericht angefallenen Verfahrenskosten gemäß § 23 GKG niederzuschlagen.“

Heftig – so der Kollege Siebers -, oder: Da ist der Strafkammer und dem ihr Urteil begründenden Vorsitzenden aber „der Draht aus der Mütze gesprungen“. Ich habe während meiner richterlichen Tätigkeit – und die hat immerhin 1978 begonnen – und auch danach noch nie ein Berufungsurteil gelesen, in dem die Strafkammer dem AG eine solche Abfuhr erteilt. Der amtsrichterliche Kollege scheint bar jeder Kenntnis zu sein, wie man ein Urteil begründet, gegen das Berufung eingelegt ist. Oder ist es besser, zu seinen Gunsten anzunehmen, dass er keine Lust zur ordnungsgemäßen Begründung hat? Ich weiß nicht, was besser/schlimmer ist. Mit „Arbeitsbeslastung“ kann man übrigens nicht alöles gesund beten, da hat die Kammer Recht.

Die Hinweise der Kammer auf die „§§ 258a, 339 StGB“ sind mehr als deutlich – Frage: Anfangsverdacht, der die StA zum Tätigwerden verpflichten würde? Wahrscheinlich nicht. Und dass eine Berufungskammer von § 23 GKG Gebrauch macht und die Kosten der 1. Instanz niederschlägt -. Formulierung der Kammer: sie war „aufgefordert“ (!!) das zu tun – habe ich, wenn ich micht recht erinnere auch noch nicht gelesen.

Fazit: Setzen Herr Amtsrichter. Ungenügend/Sechs. Die „Versetzung“ ist gefährdet.

Und wenn ich dann das LG Freiburg, Urt. v. 25.02.2016 – 2 KLs 270 Js 21058/12 (dazu: Die Rechtsbeugung des Staatsanwaltes, oder: Scheinerledigung) dazu nehme: Kein gute Bild für die Justiz……

Pflichti I: Schwierig ist das Verfahren, wenn es um ein Beweisverwertungsverbot geht

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Heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag, den ich mit dem LG Köln, Beschl. v. 19.07.2016 – 108 Qs 31/16 – eröffne. Ergangen ist er in einem Verfahren, in der der Angeklagten unerlaubter Besitz von BtM vorgeworfen worden ist. Hintergrund des Vorwurfs ist, dass die Betäubungsmittel, deren Besitz der Angeklagten vorgeworfen wird, im Rahmen einer Polizeikontrolle und einer anschließenden Durchsuchung der Angeklagten sichergestellt werden konnten. Die Verwertbarkeit der Ergebnisse der Durchsuchung der Angeklagten ist im Streit. Das AG hat die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Das LG hat auf die Beschwerde dann beigeordnet:

Vorliegend liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 II StPO vor, da die Rechtslage sich im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Durchsuchungsergebnisse als schwierig im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Maßgeblich ist insoweit nicht, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszugehen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Beweisverwertungsverbot unterliegt (vergl. Meyer-Goßner/Schmitt Strafprozessordnung, 59. Aufl. 2016, § 140 StPO Rn 27a, m.w.Nachw.). Insoweit erscheint die Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann geboten, wenn die Annahme eines Verwertungsverbotes ernsthaft in Betracht kommt. Zunächst  wird ein Angeklagter, der über keine juristische Vorbildung verfügt, die sich insoweit stellenden Rechtsfragen nicht beantworten können. Er bedarf daher insbesondere für die Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot Aussicht auf Erfolg hat, die für die Wahl der Verteidigungsstrategie maßgeblich sein kann, der Verteidigung durch einen Rechtsanwalt. Hinzu kommt, dass die Frage, ob von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist, regelmäßig ohne vollständige Aktenkenntnis nicht zu beantworten ist. Gemessen daran, liegt vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil die Annahme eines Beweisverwertungsverbots jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.

Insoweit erscheint bereits die Annahme eines Anfangsverdachts nicht zwingend. Zwar vermag der Umstand, dass die Angeklagte auf die Polizeibeamten den Eindruck einer Drogenkonsumentin machte, den Verdacht begründen, dass diese in der Vergangenheit Betäubungsmittel konsumiert und – was die Strafbarkeit begründen würde – auch besessen hat. Ob sich allein hieraus und aus der nervösen Reaktion auf die Polizeibeamten – eine nähere Beschreibung dazu, weshalb die Polizeibeamten das Verhalten der Beschwerdeführerin als nervös bezeichneten, ist in den Akten nicht enthalten – bereits ein Anfangsverdacht darauf herleiten lässt, dass sich die Beschwerdeführerin im Moment der polizeilichen Kontrolle im Besitz von Betäubungsmitteln befand, die im Rahmen der Durchsuchung aufgefunden werden könnten, erscheint fraglich. Angehörige der sogenannten Drogenszene reagieren im Allgemeinen unabhängig davon, ob sie sich gerade im Besitz von Betäubungsmitteln befinden, auf Polizeibeamte eher zurückhaltend und nervös. Insoweit bleibt der Beweisaufnahme vorbehalten, welche konkreten Umstände die Polizeibeamten zu der Kontrolle veranlassten. Zwar würde die Verneinung eines Anfangsverdachts nicht zwingend zu der Annahme eines Verwertungsverbotes führen, die insoweit erforderliche Abwägung führt angesichts des eher geringfügigen Tatvorwurfs indes nicht zwingend zu einer Verwertbarkeit des Beweismittels.

Hinzu kommt, dass vorliegend die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Durchsuchungsmaßnahme unter Missachtung des Richtervorbehaltes erfolgte. Insoweit bleibt nämlich zunächst der Beweisaufnahme vorbehalten, ob die die Durchsuchung vornehmenden Polizeibeamten überhaupt erkannt haben, dass die vorliegende Maßnahme grundsätzlich nur durch das Gericht angeordnet werden darf und eine polizeiliche Anordnungskompetenz nur bei der Annahme von Gefahr im Verzug besteht. Diese Zweifel sind hier deshalb begründet, weil die Durchsuchung – um eine solche handelt es sich bei der „Inaugenscheinnahme“ des Inhalts der von der Beschwerdeführerin mitgeführten Tasche zweifelsfrei – in der Akte nicht als solche bezeichnet wird und es an jeglicher Dokumentation in der Akte fehlt, auf welcher Grundlage die Durchsuchung vorgenommen wurde. Auch die Annahme von Gefahr im Verzug ist vorliegend nicht eindeutig. Zwar ist das Amtsgericht in den angefochtenen Beschluss zu Recht davon ausgegangen, dass die Durchsuchungsmaßnahme nur dann Aussicht auf Erfolg haben konnte, wenn sie durchgeführt wurde, ohne dass die Beschwerdeführerin vorher Gelegenheit hatte etwaige Beweismittel verschwinden zu lassen. Die Polizeibeamten hätten aber jedenfalls die Möglichkeit gehabt, die Beschwerdeführerin zu fragen, ob sie bereit wäre, bis zur Einholung einer Entscheidung durch den zuständigen Ermittlungsrichter zu warten.

Das Vorliegen der Voraussetzungen von § 140 II StPO kann vorliegend auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Beschwerdeführerin nach Aktenlage die Tat eingeräumt hat, nachdem sie mit den in ihrer Tasche aufgefundenen Betäubungsmitteln konfrontiert wurde. Denn insoweit steht in Rede, dass die Beschwerdeführerin sich nur deshalb zur Sache eingelassen hat, weil sie angenommen hat, dass die Beweismittel aus der Durchsuchung gegen sie verwendet werden könnten. Dann aber steht auch insoweit die Annahme eines Verwertungsverbotes in Rede.“

Dazu passt ganz gut der Hinweis auf den der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2016 – III-3 RVs 46/16 und dazu Die „planvolle“ Herbeiführung von „Gefahr im Verzug“, oder: Dafür gibt es ein Beweisverwertungsverbot und auf den AG Kehl, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15 und dazu: Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung, oder: Schöne AG-Entscheidung. Nicht wegen der Pflichtverteidigung, sondern wegen des Beweisverwertungsverbotes.

Dolmetscherkosten gibt es auch für TOA-Gespräche

© mpanch - Fotolia.com

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Heute ist Freitag und der Wochentag schließt ja „traditionsgemäß“ immer mit dem RVG-Rätsel. Und daher gibt es vorher noch zwei RVG-Entscheidungen bzw. zwei Postings mit gebührenrechtlichemn Einschlag. Und das ist zunächst der LG Köln, Beschl. v. 05.07.2016 – 113 Qs 47/16. In ihm geht es um die Erstattung von Dolmetscherkosten, die einem Angeklagten in Zusammenhang mit einem Täter-Opfer-Ausgleichsgespräch entstanden sind. Es war bei einem, „TOA_Ausgleichs-Verein“ zur Einleitung eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46a StGB) ein Erstgespräch geführt worden, an dem neben dem Angeklagten und seinem Verteidiger eben auch ein Dolmetscher teilgenommen hatte, da der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Kosten: Rund 260 €, die der Angeklagte ersetzt verlangt hat. Der Bezirksrevisor hat zur Erstattung ablehnend Stellung genommen mit der Begründung, „dass diese Kosten nicht erstattungsfähig seien, da es sich um solche Dolmetscherkosten gehandelt habe, „die in geführten Gesprächen mit Dritten entstanden“ seien. Aus Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK ergebe sich zudem „kein Recht des Angeklagten, von jeglichen Dolmetscherkosten freigestellt zu werden“.“ Das Ag war auf diesen Zug aufgesprungen und hat die Erstattung abgelehnt. Das LG setzt fest:

Es ist anerkannt (EGMR, Urt. v. 23.10.1978, Fundstelle: NJW 1979, 1091 f. nach beck-online; BGH, Beschl. v. 26.10.2000, -3 StR 6/00-, nach juris; Schmitt in: Meyer/Goßner, StPO, 59. Auflage 2016, Anh. 4 zu Art. 6 MRK Rn. 25 mit weiteren Nachweisen), dass über die gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK dem Wortlaut nach garantierte unentgeltliche Zur-Verfügung-Stellung eines Dolmetschers im gerichtlichen Verfahren hinaus dem ausländischen Angeklagten, der der Landessprache nicht ausreichend mächtig ist, auch ein Anspruch darauf zusteht, dass ihm für das gesamte Strafverfahren und damit auch für vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger ein Anspruch auf unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers zusteht. Hintergrund dieser weiten Auslegung des Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK ist, dass nach den Maßstäben der EMRK der Anspruch des der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren es gebietet, ihm nicht nur alle ihm gegenüber vorgenommenen, maßgeblichen schriftlichen und mündlichen Verfahrensakten kostenlos in einer ihm verständlichen Sprache bekannt zu geben, sondern es ihm auch zu ermöglichen, alle von ihm in Ausübung seiner strafprozessualen Rechte abgegebenen mündlichen und schriftlichen Erklärungen unentgeltlich in die Gerichtssprache übertragen zu lassen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich ist (so ausdrücklich BGH, a.a.O. Rn. 20 bei juris).

Zur Wahrnehmung seiner Rechte in diesem Sinne war es in Person des Betroffenen auch erforderlich, auf entsprechenden Rat seines Verteidigers hin, mit diesem einen Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a StGB anzustreben und hierfür ein durch einen Dolmetscher begleitetes Erstgespräch bei dem für die Anbahnung einer derartigen strafprozessual anerkannten Verständigung von Täter und Opfer in den Räumlichkeiten des Vereins die Waage Köln zu führen. Dabei ist nämlich zu bedenken, dass die Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB bzw. das Absehen von Strafe, das ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB ermöglicht, anerkanntermaßen stets einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraussetzt (Fischer, StGB, 63. Auflage 2016, § 46a Rn. 10a mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung), regelmäßig in Form eines Geständnisses des Täters (BGH, Urt. v. 19.12.2002, -1 StR 405/02-, nach juris). Dieser kommunikative Prozess ist vorliegend damit in Gang gesetzt worden, dass der Betroffene (mit seinem Verteidiger) die Tat und seinen Verantwortungsbeitrag aus seiner Sicht gegenüber der Mitarbeiterin der Waage Köln geschildert hat. Dieses Gespräch, für das der Betroffene aufgrund seiner nicht ausreichenden Deutschkenntnisse einen Dolmetscher benötigt hat, hat daher das Ziel verfolgt, eine günstigere strafrechtliche Beurteilung durch das erkennende Gericht zu erfahren, war daher also die Inanspruchnahme eines ihm durch die Strafprozessordnung in § 46a StGB zur Verfügung gestellten Rechts. Da dieses Gespräch demnach Teil des (vorbereitenden) Strafverfahrens, mithin einer wirksamen Verteidigung – was auch darin zum Ausdruck kommt, dass das Verfahren aufgrund dieses Ausgleichversuchs schließlich eingestellt worden ist, wie sich aus der Verfügung des Abteilungsrichters vom 11.02.2015 ergibt –, gewesen ist, hatte der Betroffene auch einen aus Art. 6 Abs. 3 lit. e MRK resultierenden Anspruch auf Erstattung der hierbei angefallenen Dolmetscherkosten.

Soweit der Bezirksrevisor und ihm folgend das Amtsgericht in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss ausgeführt haben, dass diese Kosten nicht erstattungsfähig seien, da es sich um solche Dolmetscherkosten gehandelt habe, „die in geführten Gesprächen mit Dritten entstanden“ seien, greift das zu kurz. Richtig ist daran lediglich, dass – wie bereits dargelegt – nicht sämtliche Dolmetscherkosten, die im Rahmen von Gesprächen anfallen, die ein Angeklagter unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers vor einem Strafverfahren führt, erstattungsfähig sind. Nicht erstattungsfähig sind jedenfalls solche Gespräche, die – wie z.B. Besuchsgespräche des Angeklagten in Untersuchungshaft (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 20.06.2002, -1 Ws 102/02-; nach juris) – in keinem Zusammenhang mit der Ausübung prozessualer Rechte bzw. einer wirksamen Verteidigung des Angeklagten stehen. Um ein solches Gespräch mit einem „Dritten“ hat es sich aber vorliegend – wie im Einzelnen dargelegt – gerade nicht gehandelt.“

M.E. richtig und alles gut. Allerdings bis auf den letzten Absatz. Die dort zitierte Entscheidung des OLG Schleswig und die darauf gestützte Auffassung des LG – wenn ich es denn richtig verstehe – dürfte druch die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. NJW 2004, 1095) inzwischen überholt sein.

Der ungeliebte Sicherungspflichtverteidiger, oder: Den will ich nicht

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Schon etwas älter ist der LG Köln, Beschl. v. 13.08.2015 – 105 Qs 177/15. Er behandelt die ermessensfehlerhafte Beiordnung eines sog. Sicherungspflichtverteidigers. Gegen den Angeklagten ist – zusammen mit einem Mitangeklagten – ein Verfahren wegen Betruges anhängig. In dem ist der Angeklagte von Anfang an durch einen Rechtsanwalt H aus Bonn als Wahlverteidiger verteidigt worden. Im ersten wurde zunächst der Vorsitzende erfolglos wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt; sodann wurden weitere Verfahrensanträge gestellt, die das AG beschieden hat. Anschließend gab der Vorsitzende des Schöffengerichts bekannt, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt werde und zu einem späteren Zeitpunkt neu begonnen werden sollte. Dazu müssten mehrere Hauptverhandlungstermine anberaumt werden; den Angeklagten sollten zur Sicherung des Verfahrens Pflichtverteidiger beigeordnet werden; die Angeklagten sollten binnen einer Woche Anwälte benennen, die auch für mehrere Verhandlungstage zur Verfügung stünden. Der Angeklagte hat dann beantragt, ihm Rechtsanwalt H aus Bonn als Pflichtverteidiger und Rechtsanwalt Q2 aus Bonn als (weiteren) Verteidiger beizuordnen. Letzterer habe auch sein Vertrauen. Das AG hat dann dem Angeklagten B Rechtsanwalt H als Pflichtverteidiger bestellt und zusätzlich einen anderen Rechtsanwalt als weiteren Pflichtverteidiger – zur Sicherung des Verfahrens – bestellt. Die Entscheidung gegen Rechtsanwalt Q2 hat das AG damit begründet, dass gerichtsbekannt sei, dass dieser wegen seiner starken Auslastung keine hinreichende Gewähr dafür biete, flexibel auch für mehrere Verhandlungstage zur Verfügung zu stehen. Dagegen die Beschwerde des Angeklagten. Das LG gibt ihm Recht:

„Vorliegend ist nach Aktenlage und bisherigem Verfahrensablauf nicht ersichtlich, dass überhaupt die Voraussetzungen für die Beiordnung von zusätzlichen Pflichtverteidigern gegeben sind.

Konkrete Termine zur Hauptverhandlung sind noch nicht bestimmt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der bestellten (Erst-) Pflichtverteidiger für auch mehrere Hauptverhandlungstage nicht zur Verfügung steht. Schließlich hat er dies im Rahmen des Beiordnungsantrags vom 16.04.2015 ausdrücklich versichert. Nimmt man weiter in den Blick, dass sowohl nach der (ersten) Terminierung des Amtsgerichts als auch nach dem Inhalt der Eröffnungsentscheidung des Landgerichts es sich nicht um eine Strafsache besonderen Umfangs handelt, erscheint es derzeit nicht gerechtfertigt, schon jetzt einen weiteren Pflichtverteidiger als Sicherungsverteidiger zu bestellen, ohne dass bezüglich des ersten Pflichtverteidigers konkret Terminverhinderungen feststehen oder zu erwarten sind.

Zwar steht bei der Beurteilung der Frage, ob einem Angeklagten ausnahmsweise ein weiterer Pflichtverteidiger beizuordnen ist, ein weites Ermessen zu. Die Beiordnung kann insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang und die Schwierigkeit der Sache, zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptverhandlung oder aus sonstigen Gründen prozessualer Sorge geboten sein. (OLG Celle StV 1988, 379; OLG Düsseldorf NStZ, 47). Insofern ist die Entscheidung durch die Beschwerdekammer nur in eingeschränktem Umfang überprüfbar.

Die Entscheidung war jedoch vorliegend aufzuheben, weil sie von ermessensfehlerhaften Erwägungen ausgeht (vgl. OLG Köln StraFo 2007 aaO.), sie erweist sich insoweit jedenfalls aus den Gründen ihrer Anordnung als ermessensfehlerhaft.

Die Gründe, die (bisher) für die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angeführt werden, sind nämlich nicht geeignet, ein ausnahmsweises sachliches Bedürfnis für die angeordnete prozessuale Maßnahme zu begründen. Denn die Anordnung erwähnt mit keinem Wort, weswegen die Durchführung des Verfahrens bei alleiniger Vertretung durch Rechtsanwalt S nicht gesichert sein soll. Dass Rechtsanwalt H terminlich stark ausgelastet sei – wie dies für den als zweiten Pflichtverteidiger benannten Rechtsanwalt ausgeführt wird – ist bezüglich Rechtsanwalt H weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal dieser ausdrücklich angegeben hat, auch für mehrere Tage zur Verfügung zu stehen.

Dass der zeitliche Rahmen für das Verfahren derart ausgeweitet wird, dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers schon allein aus diesem Grund geboten erscheint, ist ebenfalls nach der Aktenlage bislang nicht ersichtlich.

Ebenso wenig kann die Tatsache, dass der Angeklagte B über seinen Verteidiger einen Befangenheitsantrag gestellt hatte, hinreichenden Anlass für die Bestellung eines Sicherungsverteidigers bieten.“

Fahrradabstellen ohne Befestigung: Wie wird gehaftet?

entnommen wikimedia.org Urheber Rüdiger Wölk

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Urheber Rüdiger Wölk

Schon etwas älter ist die Entscheidung einer Berufungskammer, die sich mit der Frage befasst, wie sicher eigentlich ein Fahrrad abgestellt werden muss und ob den Besitzer des Fahrrades insoweit eine Verkehrssicherungspflicht trifft. Nein, es handelt sich nicht etwa um eine Entscheidung des LG Münster 🙂 , sondern es ist das LG Köln, Urt. v. 25.08.2015 – 11 S 387/14. Nach den Entscheidungsgründen hatte der Besitzer eines Fahrrades sein Fahrrad auf der der Straße zugewandten Seite an einen bogenförmigen Fahrradständer abgestellt, ohne es daran zu befestigen. Das Fahrrad stürzt um und beschädigt einen Pkw. Frage: Haftet der Fahrradbesitzer? Das LG Köln sagt ja:

„1. Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte, indem sie das Fahrrad auf der der Straße zugewandten Seite an den bogenförmigen Fahrradständer abstellte, ohne es daran zu befestigen, gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstieß.

a) Wer ein Fahrrad abstellt, hat grundsätzlich dafür Sorge zu tragen, dass hiervon keine Gefahr für das Eigentum anderer ausgeht (LG Hannover, Urteil vom 08.10.1998, Az.: 3 S 158/98). Dies folgt aus den allgemeinen Grundsätzen über das Bestehen von Verkehrssicherungspflichten, wonach derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle gleich welcher Art für Dritte schafft oder andauern lässt, diejenigen Vorkehrungen zu treffen hat, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um eine Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (Sprau in Palandt, Kommentar zum BGB, 74. Auflage 2015, § 823 Rn.46). Ein umstürzendes Fahrrad kann Schäden am Eigentum Dritter verursachen; dies zeigt der vorliegende Fall eindrücklich. Soweit das AG Lichtenberg (Urteil vom 28.06.2006, Az.: 14 C 120/06) dies anders sieht, folgt die Kammer dem nicht. Auch insofern schließt sich die Kammer den Feststellungen des Amtsgerichts an. Das Amtsgericht Lichtenberg argumentiert in erster Linie damit, dass von abgestellten Fahrrädern keine große Gefahr ausgehe. Die bloße Möglichkeit, dass ein Dritter mit einem abgestellten Fahrrad fremdes Eigentum verletze, liege nicht so nahe, dass es jedem Fahrradfahrer zuzumuten sei, sich jeweils eine Möglichkeit zu suchen, sein Fahrrad anzuschließen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall ein Schaden von über 1.000,00 EUR entstanden ist, nicht überzeugend. 1.000,00 EUR sind entgegen der von der Beklagten in der Berufungsbegründung vertretenen Ansicht kein kleiner Betrag; es handelt sich vielmehr um einen Schaden, der deutlich über die Bagatellgrenze hinausgeht. Die Sicherungsmaßnahmen, die seitens desjenigen, der das Fahrrad abstellen möchte, zu ergreifen sind, sind auf der anderen Seite nicht hoch und daher im Verhältnis zu dem drohenden Schaden an Rechtsgütern Dritter nicht unverhältnismäßig.

b) Die Beklagte hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht auch verletzt, als sie ihr Fahrrad neben den Fahrradständer stellte, ohne es auch daran anzuketten. Direkt neben dem Fahrradständer ist die Straße, an der Autos parken dürfen; dies ist auf den zur Akte gereichten Lichtbildern gut erkennbar. Die Gefahr, dass das Fahrrad auf ein ordnungsgemäß parkendes Fahrzeug fallen könnte, war ohne Weiteres ersichtlich. Die Beklagte hätte dies berücksichtigen und entweder ihr Fahrrad an den Fahrradständer anketten oder es auf die andere – den Häusern zugewandte – Seite stellen müssen.

Soweit sie in der Berufungsbegründung behauptet, sie habe in der Vergangenheit mehrfach ihr Fahrrad so wie im vorliegenden Fall erfolgt abgestellt, ohne dass etwas passiert sei, viele Kölner täten dies, entlastet sie das nicht. Dass ungesichert abgestellte Fahrräder umfallen können, ist allgemein bekannt. Allein die Tatsache, dass – ihren Vortrag unterstellt – das Fahrrad in der Vergangenheit nicht umgefallen ist, führt nicht dazu, dass sie davon ausgehen durfte, dass das Fahrrad nicht umfallen könnte. Es muss hierbei beachtet werden, dass der von der Beklagten zu verlangende Sorgfaltsmaßstab weder besonders hoch noch mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist (s.o.).

Die Behauptung, in Köln stellten viele Fahrradfahrer ihr Fahrrad neben einem fest installierten Fahrradständer auf der zur Fahrbahn gewandten Seite ab, ist bereits zu pauschal und unsubstantiiert, um zu einer Entlastung führen zu können. Das Argument überzeugt aber auch deswegen nicht, weil die Tatsache, dass möglicherweise eine Vielzahl von Fahrradfahrern ihre Verkehrssicherungspflichten nicht beachtet, nicht dazu führen kann, dass dann das Bestehen oder die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht an sich verneint wird.“