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Pflichti I: Pflichtverteidiger wegen Inhaftierung, oder: Keine (Vorab)Beschränkung auf die Dauer der Haft

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Heute dann ein „Pflichti-Tag“. Die Entscheidungen, die mir dazu übersandt werden, will ich wegen der Änderungen im Recht der Pflichtverteidigung im Dezember 2019 immer recht schnell vorstellen. Das bietet sich in diesem Fall an.

Ich starte mit dem LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 7.4.2020 – 6 Qs 40/20 –; schon etwas älter, habe wichtig. Der Kollege Funck hat ihn mir leider jetzt erst geschickt.

Behandelt wird die Beiordnung des Kollegen nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO. Der Kollege wird vom AG beigeordnet, allerdings wird sein Beiordnung von vornherein auf die Dauer des Freiheitsentzuges beschränkt. Das geht so nicht – sagt das LG:

„Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Angeklagte befindet sich bereits seit dem 11.01.2020 und noch voraussichtlich bis zum 31.05.2020 in Haft in der JVA Halle.

Der Grundgedanke des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist, Nachteile zu kompensieren, die der Angeklagte auf Grund eingeschränkter Freiheit in der damit einhergehenden eingeschränkten Möglichkeit, seine Verteidigung vorzubereiten, erleidet (Vgl. Krawczyk, in: BeckOK StPO, 36, Edition, Stand 01.01.2020, § 140 Rn. 10 — zitiert nach beck-online). Dabei wird nicht differenziert, in welchem Verfahren die Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, sodass notwendige Verteidigung bei jeder Inhaftierung zu bejahen ist.

Dabei besteht keine Ermächtigung des Gerichts, die Pflichtverteidigerbestellung beschränkt auf die Dauer der Inhaftierung auszusprechen (Vgl. Krawczyk, a.a.O., Rn. 13 — zitiert nach beck-online). Vielmehr wäre die Pflichtverteidigerbestellung durch ausdrücklichen Aufhebungsbeschluss zu beenden, wenn die Voraussetzungen des § 143 Abs. 2 S. 2 StPO vorliegen, das heißt, wenn der Angeklagte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird und die für den Angeklagten verbleidende Zeit ausreicht, sich angemessen auf seine Verteidigung vorzubereiten, wobei es sich bei der Aufhebung stets um eine Ermessensentscheidung des Gerichts handelt (Vgl, Krawczyk, in: BeckOK StPO, 36. Edition, Stand 01.01.2020, § 143 Rn. 9 — zitiert nach beck-online, ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. 11. 2010 – 4 Ws 615/10; LG Magdeburg, Beschluss vom — 21 Qs 785 Js 36889/13 (44/14)).

Aus diesem Grund war der Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 21.02.2020 (Az.: 2 Ds 242/19 (594 Js 20426/19) aufzuheben und dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger ohne Beschränkung beizuordnen.“

Pflichti III: Beabsichtigte Einstellung des Verfahrens, oder: Absehen von der Pflichtverteidigerbestellung zulässig?

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Die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt dann auch vom LG Dessau-Roßlau. Es geht um das Absehen von der Pflichtverteidigerbestellung wegen beabsichtigter Einstellung. Dazu folgender Sachverhalt:

Gegen den Angeschuldigten wird mit dem Vorwurf des Diebstahls gem. §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB ermittelt. Nachdem dem Angeschuldigten der Tatvorwurf in Form eines schriftlichen Anhörungsbogens vom 19.06.2019 eröffnet wurde, zeigte sich der Kollege Funck, der mit den Beschluss geschickt hat, unter dem 03.07.2019 als Wahlverteidiger an. Am 05.07.2019 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage in dieser Sache und beantragte u.a., dem Angeschuldigten einen Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen. Die Anklage wurde bislang weder dem Angeschuldigten noch dessen Verteidiger zugestellt.

Mit Verfügung vom 10.9.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft, das Verfahren im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil in anderer Sache gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen. Der Angeschuldigte beantragte die Beiordnung seines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. In diesem Falle lege der das Wahlmandat nieder. Zur Begründung führt er aus, dass er bereits im Ermittlungsverfahren als Verteidiger tätig gewesen sei und weder er noch der Angeschuldigte von der mittlerweile erhobenen Anklage benachrichtigt worden seien. Es liege ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor.

Die Staatsanwaltschaft beantragte den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung abzulehnen, da die Anklageschrift dem Angeschuldigten nicht zugestellt worden sei, er mithin auch nicht zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden sei. Das AG hat die Bestellung des Kollegen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen und eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO erfolgen solle, überdies dem Angeschuldigten die Anklageschrift noch nicht zugestellt worden und somit ein Pflichtverteidiger nach § 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO nicht zu bestellen sei. Inzwischen ist das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg.

Das LG Dessau-Roßlau meint im LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 27.08.2020 – 3 Qs 121/20:

„Die gem. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Angeschuldigten ist begründet.

Dem Angeschuldigten ist Rechtsanwalt pp. gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO beizuordnen, die Voraussetzungen liegen vor.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung lag entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge vor, da der Angeschuldigte bereits mit Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 15.11.2018, rechtskräftig seit dem 14.05.2019, in anderer Sache zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt wurde, welche bei einer weiteren Verurteilung im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung hätte berücksichtigt werden müssen, weil die angeklagte Tat vor der Verurteilung liegt.

Der Tatvorwurf wurde dem Angeschuldigten am 19.06.2019 in Form des schriftlichen Anhörungsbogens eröffnet.

Zwar hatte sich Rechtsanwalt pp. bereits am 03.07.2019 als Wahlverteidiger des Angeschuldigten angezeigt, mit Antrag auf Beiordnung zum Pflichtverteidiger vorn 27.09.2019 hat er aber in Aussicht gestellt, das Wahlmandat im Falle der Beiordnung niederzulegen, was dem Fall gleichsteht, dass der Angeschuldigte noch keinen Verteidiger hat i. S. v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 2020, § 141 Rn. 4).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Amtsgericht zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits beabsichtigt hat, das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen. Die Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt wird, das Verfahren alsbald einzustellen, betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Fälle der antragsunabhängigen Beiordnung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO, nicht aber die Beiordnung auf Antrag gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO.

Es kommt damit auch nicht darauf an, dass der Angeschuldigte vor Einstellung des Verfahrens nicht zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist.“

Pflichti II: Pflichtverteidiger im beschleunigten Verfahren, oder: Vorherige Anhörung des Beschuldigten erforderlich

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann wieder von einem LG. Und zwar hat das LG Dessau-Roßlau im LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 21.08.2020 – 3 Qs 117/20 – zur jetzt auf jeden Fall auch im beschleunigten Verfahren erforderlichen Anhörung des Beschuldigten vor einer Pflichtverteidigerbestellung Stellung genommen. Folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde zuletzt am 16.08.2017 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 15.05.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft beim AG die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gegen den Angeklagten. Mit Beschluss des AG wurde dem Angeklagten gemäß § 140 Abs. 2 StPO aufgrund der Schwere der Tat und weil Bewährungswiderruf droht, Rechtsanwalt R. als notwendiger Verteidiger bestellt. Zugleich wurde Hauptverhandlungstermin auf den 30.09.2020 bestimmt und der Angeklagte zu diesem Termin geladen. Eine Frist zur Benennung eines Verteidigers wurde ihm nicht gesetzt.

Mit Schriftsatz vom 09.06.2020, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tage, zeigte sich Rechtsanwalt F. als Wahlverteidiger an und beantragte für den Angeklagten, Rechtsanwalt R: zu entpflichten und ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Im Falle der Beiordnung lege er das Wahlmandat nieder. Zur Begründung führt er aus, dass dem Angeklagten kein rechtliches Gehör zur Person des Verteidigers gewährt worden sei.

Das AG hat den Antrag zurückgewiesen, da dem Angeklagten bereits ein Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Eine vorige Anhörung des Angeklagten sei aufgrund der Eilbedürftigkeit des beschleunigten Verfahrens nicht erfolgt, da andernfalls die Bestellung nicht wie gesetzlich gefordert „bei Antragzustellung“ hätte erfolgen können. Insofern sei eine Ausnahme vom Soll-Tatbestand des § 142 StPO gerechtfertigt gewesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg:

„Die gem. §§ 143a Abs. 4, 311 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung des Pflichtverteidigerwechsels des Angeklagten ist begründet.

Dem Angeklagten war gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 1. Alt. 2 StPO Rechtsanwalt F., unter Entpflichtung von Rechtsanwalt R., als neuer Pflichtverteidiger beizuordnen.

Durch das Amtsgericht Zerbst wurde dem Angeklagten mit Zustellung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens Rechtsanwalt R. beigeordnet, ohne dass ihm hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, wie es § 142 Abs. 5 StPO verlangt. Zweckmäßiger Weise wird diese Frist in den Fällen des § 141 II Nr. 4 StPO mit der Zustellung des Antrags verbunden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 2020, § 142, Rn. 34).

Bei § 142 StPO handelt es sich nach Gesetzesänderung auch nicht mehr um eine Soll-Vorschrift, von der wegen des beschleunigten Verfahrens eine Ausnahme möglich gewesen wäre. Vielmehr hat die Anhörung ausnahmslos zu erfolgen und ist allenfalls dann entbehrlich, wenn ein Beschuldigter bereits einen bestimmten Verteidiger benannt hat, was hier nicht zutrifft. Dem Angeklagten wurde schlicht gar keine Frist zur Benennung eines Verteidigers eingeräumt. In diesem Falle, muss ein Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StPO erst Recht anwendbar sein.

Der Antrag auf Auswechslung wurde auch innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO gestellt.

Auch ein wichtiger Grund steht dem Wechsel weiter nicht entgegen. Die Tatsache, dass Rechtsanwalt F. am anberaumten Termin nicht zur Verfügung steht, lässt hier keine andere Beurteilung zu, wobei die Kammer die Regelung des § 142 Abs. 5 S. 3 StPO nicht übersehen hat. Dass die Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte des Angeklagten hinsichtlich seines Pflichtverteidigers unberücksichtigt blieben, wiegt vorliegend schwerer als die Terminkollision des Amtsgerichts und des Verteidigers. Hätte das Amtsgericht dem Angeklagten sogleich Rechtsanwalt F. benennen fassen, wären dahingehende Terminsabsprachen möglich gewesen.“

Die Frage war zum alten Recht nicht unbestritten, u.a. Meyer-Goßner/Schmitt sah eine vorherige Anhörung als nicht erforderlich an. Der Streit hat sich dann wohl erledigt.

Pflichti I: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: Wenn noch 1 Jahr und 3 Monate zu vollstrecken sind

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Am zweiten Tag der Woche dann mal wieder einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigerbestellung.

Und die Berichterstattung starte ich mit dem LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 17.06.2019 – 6 Qs 615 Js 26541/14 (47/19) -, den mit der Kollege Funck aus Braunschweig geschickt hat. Ergangen ist er im Strafvollstreckungsverfahren. Der Verurteilte hatte einen Beiordnungsantrag gestellt, über den das AG nicht entschieden hat. Das AG hat die Bewährung widerrufen. Dagegen die Beschwerde des Verurteilten und wegen des Beiordnungsantrags die Untätigkeitsbeschwerde. Dazu – ganz am Ende des Aufhebungsbeschlusses das LG:

„3. Die Untätigkeitsbeschwerde hinsichtlich der Nichtbescheidung des Beiordnungsantrages durch das Amtsgericht war zurückzuweisen, da nicht ersichtlich ist, welche Tätigkeit ein Pflichtverteidiger, nachdem das vor dem Amtsgericht anhängige Widerrufsverfahren durch den Erlass eines Widerrufsbeschlusses an für sich sein Ende gefunden hat, in diesem Verfahrensstadium noch hätte entfalten können.

Die Einlegung der sofortigen Beschwerde eröffnete vielmehr das Beschwerdeverfahren und damit eine dortige Pflichtverteidigerbestellung, die für das Beschwerdeverfahren im vorliegenden Fall gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog vor dem Hintergrund, dass hier der Widerruf einer Gesamtfreiheitstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten drohte und sich die Sachlage differenziert gestaltete, vorzunehmen war.“

Pflichti III: Bestellung des Wahlanwalts als Pflichtverteidiger, oder: Beschleunigung und Ortsferne

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Im dritten „Pflichtverteidigungsbeschluss“ geht es dann mal wieder um die Auswahl des Pflichtverteidigers bzw. um eine Umbeiordnung. Das AG hat ersichtlich den Wahlverteidiger, der seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt hatte, nicht als Pflichtverteidiger gewollt. Als Begründung sind vorgegeben worden das Beschleunigungsgebot und die „weite“ Entfernung des Kanzleisitzes zum Gerichtsort. Das LG Dessau-Roßlau sieht das im LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 07.03.2019 – 6 Qs 294 Js 7232/18 (36/19) – doch ein wenig anders:

„Am 13.11.2018 wurde gegen die Angeklagten Anklage wegen Meineids erhoben. Der Angeklagten S. wurde vom Amtsgericht mit der Anklagezustellung die Möglichkeit gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO gegeben, binnen einer Woche einen bestimmten Rechtsanwalt zu benennen, da das Amtsgericht die Bestellung eines Pflichtverteidigers gern. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO beabsichtigte. Die Zustellung erfolgte am 24.11.2018. Mit Schriftsatz vom 12.12.2018 meldete sich Rechtsanwalt J.R. Funck aus Braunschweig und beantragte seine Bestellung. Das Amtsgericht verwies darauf, dass eine Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts nur dann in Betracht käme, wenn dargelegt werde, warum diesen ein besonderes Vertrauensverhältnis mit einem Angeklagten verbindet. Sodann fragte es am 14.01.2019 nach Terminen im Zeitraum Februar – April 2019 an. Rechtsanwalt J.R. Funck berief sich darauf, dass keine besondere Eilbedürftigkeit bestehe und bot freie Termine im Juli 2019 an. Das Amtsgericht gab der Angeklagten die Möglichkeit einen anderen Verteidiger zu benennen, da es eine Hauptverhandlung am 12., 19. und 26.03 2019 beabsichtigte. Unter Aufrechterhaltung seines Antrags auf Bestellung gab Rechtsanwalt J.R. Funck 5 weitere Rechtsanwälte an. Das Amtsgericht terminierte am 11.02.2019 wie angekündigt, ließ die Anklage zu und bestellte der Angeklagten Rechtsanwalt R. Dessau, als Pflichtverteidiger und wies den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt J.R. Funck zurück. …..

Die Beschwerde ist begründet. Der Angeklagten ist gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO Rechtsanwalt J.R. Funck als Pflichtverteidiger zu bestellen.

Ein Angeklagter hat keinen allgemeinen Anspruch auf Beiordnung eines gewünschten Anwalts. Ein von einem Angeklagten gewünschter Verteidiger kann jedoch nur dann nicht als Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn ein wichtiger Grund entgegensteht. § 142 Abs. 1 S. 2 StPO. Dadurch wird das grundsätzlich insoweit dem Richter eröffnete Ermessen stark eingeschränkt. Ein derartiger Grund kann das Beschleunigungsgebot sein, das grundsätzlich bei allen Verfahren gilt. Bei Haftsachen ist es jedoch von erheblich stärkerer Bedeutung, Art. 5 III S. 2 MRK. Das Gebot muss regelmäßig mit dem Wunsch des Angeklagten nach einem Verteidiger seines Vertrauens abgewogen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 142, Rn. 9a m.w.N.). Vorliegend handelt es sich um keine Haftsache. Das Beschleunigungsgebot ist daher nicht in dem Maße gewichtig wie bei einem oder mehreren inhaftierten Angeklagten.

Die Bestellung eines Wahlverteidigers setzt auch keine Ortsnähe mehr voraus. Dem Amtsgericht ist jedoch im Grundsatz insoweit recht zu geben, dass bei einer Ortsferne darzulegen ist, warum ihn mit dem Wahlverteidiger ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet (Meyer-Goßner / Schmitt, a.a.O., § 142, Rn. 12 m.w.N.). Dies hat die Angeklagte vorliegend nicht getan. Das vom Amtsgericht herangezogene Erfordernis gilt jedoch nur bei einer gewissen Entfernung zwischen Gericht und Kanzleisitz. Diese ist bei den ca. 150 km zwischen Braunschweig und Dessau nicht erreicht (vgl. OLG Zweibrücken StV 02, 238).

Bei der damit gebotenen Abwägung der zitierten ggf. gegenläufigen Interessen hat das Interesse eines Gerichts an der Beibehaltung der dort üblichen Terminierungspraxis keinen unmittelbaren Vorrang vor den anderen Interessen. Die hier gebotene Abwägung hat das Amtsgericht vorlegend nicht in dem gebotenen Maße vorgenommen. Sie wird nicht durch eine einseitige Berücksichtigung der Terminslage und -interessen des erkennenden Gerichts und Außerachtlassung der Interessen der Angeklagten erreicht, von dem gewünschten Rechtsanwalt verteidigt zu werden. Dies gilt insbesondere bei einem schweren Schuldvorwurf wie hier (vgl. BGHSt 43, 153, 156).“