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Die positiven Folgen einer Meldung bei der Polizei…

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Ich hatte gerade erst bei der Recherche für einen Aufsatz zu den Fragen des Regelbesipiels i.S. des § 69 Abs. 2 StGB festgestellt, dass man bei genauer Suche und genauem Hinsehen doch eine ganze Menge Entscheidungen findet, in denen von der „Regelentziehung“ nach § 69 StGB absieht. Das passte es ganz gut, dass mit gestern – quasi als Beweis für diese „These“ der LG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 12 Qs 81/12 – auf den Schreibtisch – na ja, ins Email-Postfach – flatterte.

Das LG hat darin die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Beschuldigten, der sich zwar zunächst von der Unfallstelle entfernt hatte, dann aber 40 Minuten später den Unfall persönlich bei der Polizei meldete, abgesehen:

„Gleichwohl fällt die vorliegende Tat selbst trotz Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale so sehr aus dem Rahmen der typischen Begehungsweises heraus, dass sie nicht mehr als der Regelfall anzusehen ist, dem der Gesetzgeber durch Vorwegnahme der Prognose eine den Eignungsmangel indizierende Wirkung im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB beilegen wollte (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42). Der einzige, dem Beschuldigten im vorliegenden Verfahren zu machende Vorwurf ist – wie schon die vorstehenden Ausführungen zeigen – lediglich darin begründet, dass er sich nicht unverzüglich, sondern erst mit 40 minütiger Verzögerung bei der Polizei gemeldet hat. Mit anderen Worten: Das Verhalten des Beschuldigten erfüllt „gerade noch“ den Tatbestand der Verkehrsunfallflucht; sein Verhalten bewegt sich am untersten Rand der Strafwürdigkeit. Dem Feststellungsinteresse der geschädigten Deutschen Bahn AG ist nicht zuletzt auch durch seine nachträglichen Aufklärungsbemühungen hinreichend Rechnung getragen worden, sodass der Schutzzweck, um dessentwillen § 142 StGB normiert worden ist, hinreichend Rechnung getragen wurde. So lässt der Umstand, dass der Täter entschlossen war, sich beim Geschädigten zu melden und den Schaden zu ersetzen, regelmäßig die Indizwirkung im Rahmen des § 69 StGB entfallen (ausdrücklich Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42 m.w.N.). Auch in der Person des Beschuldigten selbst – sein Verkehrszentralregisterauszug weist keine Eintragungen auf – ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, den Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als erfüllt anzusehen. Vor dem Hintergrund der geringen Strafwürdigkeit des Verhaltens des Beschuldigten mag nach derzeitigem Erkenntnis- und Verfahrensstand allenfalls ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in Betracht kommen.“

Es kann sich also lohnen, mal genauer hinzusehen und die Umstände, die den eigenen Fall vom „Normalfall“ unterscheiden, herauszustellen.

 

Anwaltsfreundlich, aber falsch (?)

Ich habe ja gerade unter der Überschrift „Nicht anwaltsfreundlich, aber richtig“ über den Beschl. des LG Osnabrück. v. 17.08.2011 – 18 Kls 20/10 berichtet. Um das Gleichgewicht herzustellen :-), hier dann das LG Aurich, Beschl. v. 11.08.2011 – 12 Qs 113/11, das zwar „anwaltsfreundlich“ aber leider „falsch“ ist bzw. zumindest nicht der Rechtsprechung des BGH entspricht. Das LG Aurich gewährt nämlich bei der Einstellung des Strafverfahrens und Abgabe des Verfahrens an die Verwaltungsbehörde eine Nr. 4141 VV RVG. Das sieht der BGH anders (vgl. hier), obwohl die h.M. in der Rechtsprechung die Frage – m.E. zutreffend – anders – so wie das LG Aurich – gelöst hat.

So weit, so gut: Der BGH-Beschl. hat ja keine Bindungswirkung, so dass das LG Aurich anders entscheiden konnte/durfte. Was man allerdings vermisst, sind Ausfühungen dazu, warum man anders entscheidet als der BGH. Es freut mich ja der Hinweis auf meine Kommentierung bei Nr. 4141 VV RVG im Gerold/Schmidt, nur liegt die (lange) vor der BGH-Entscheidung. So bleibt der Eindruck, dass das LG die BGH-Entscheidung schlicht übersehen hat. 😉

Also: Als Verteidiger sollte man sich über den Beschluss des LG Aurich nicht zu früh freuen.

Die Ausführungen des LG Aurich zur Grundgebühr usw. sind im Übrigen zutreffend.

Nicht immer hilft „Burhoff“ :-)

Ein Kollege vom LG Aurich hat mir den LG Aurich, Beschl. v. 06.04.2011 -12 Qs 45/11 – zugesandt. Inhaltlich nichts Besonderes, aber sicherlich etwas zum Schmunzeln. Da hatte der Verteidiger nach einem Freispruch im OWi-Verfahren bei der Kostenerstattung höhere Wahlanwaltsgebühren mit der Begründung verlangt, dass das Verfahren besondere Probleme rechtlicher und tatsächlicher Art aufgewiesen habe. Dazu heißt es dann im LG-Beschluss:

Ausweislich des Protokolls hat der Verteidiger im zweiten Hauptverhandlungstermin lediglich die Ordnungsgemäßheit der Messung gerügt und hierzu eine Ablichtung aus dem von Burhoff verfassten und gerichtsbekannten Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Owi-Verfahren vorgelegt, in welchem bereits nach den jeweiligen Messverfahren aufgeschlüsselt, die technischen wie verfahrensrechtlichen Besonderheiten bzw. Probleme eingehend dargestellt werden. Hierzu bedurfte es jedoch keiner besonderer straßenverkehrsrechtlicher Spezialkenntnisse, so dass die festgesetzte Vergütung angemessen und die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Freut den Autor, sicherlich, und es ist in diesem Fall auch nicht schlimm, dass man „gerichtsbekannt“ ist :-). Daraus ableiten kann man zudem: Nicht immer hilft Burhoff 🙂 🙂

Sozialgeheimnis oder Strafverfolgungsinteresse – was hat Vorrang?

Eine nicht alltägliche Konstellation behandelt LG Aurich, Beschl. v. 15.04.2011 – 12 Qs 43/11. Es geht um ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung, zu dem es wie folgt gekommen ist. Eine (bislang) unbekannte Person hatte gegenüber dem beschwerdeführenden Jugendamt einer Stadt E. telefonisch Mutmaßungen bezüglich einer Kindeswohlgefährdung angestellt. Aufgrund dessen ist das Jugendamt tätig geworden und hat die Lebensgefährtin des Anzeigeerstatters und zugleich Kindesmutter diesbezüglich zu einem Gespräch geladen. Im Zusammenhang mit diesem Gespräch soll – so die Bekundung des Anzeigeerstatters gegenüber der Polizei – ihm von Seiten eines Mitarbeiters des Jugendamtes mitgeteilt worden sein, dass er die Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht habe. Es wurde ferner eine ärztliche Untersuchung durchgeführt, in der allerdings keine Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch festgestellt wurden.

Angesichts dessen hat die StA ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung und der Verleumdung eingeleitet und beim Amtsgericht – Ermittlungsrichter – einen Antrag gestellt, das Jugendamt dazu zu verpflichten, die Personalien des unbekannten Informanten mitzuteilen. Gegen eine entsprechende, auf § 73 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützte Anordnung hat sich dann das Jugendamt gewendet. Das LG Aurich hat die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Die Gründe sind m.E. Recht interessant zu lesen:Das LG verweist darauf, dass bei solchen Sachverhalten ein Auskunftsverlangen nicht lediglich auf § 73 SGB X gestützt werden darf, sondern dass dieses zugleich den Anforderungen des § 65 SGB VIII genügen muss. Denn die Mitteilung der unbekannten Person über den angeblichen Kindesmissbrauch unterliegen dem besonderen Vertrauensschutz und stellen im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Sozialdaten dar, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind. Diese dürfen u.a von diesem nur unter den Voraussetzungen, unter denen eine der in § 203 Abs. 1 oder  3 StGB genannten Personen dazu befugt wäre, weitergegeben werden (§ 65 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII). Nach Auffassung des LG soll sich diese Befugnis wiederum aus den dem rechtfertigenden Notstand angelehnten Grundsätzen über die Güterabwägung widerstreitender Interessen und Pflichten ergeben. Ob ein solcher Rechtfertigungsgrund bzw. eine derartige Abwägung neben § 34 StGB greift, ist zwar umstritten (vgl. nur Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 203 Rn. 45 m.w.N.). Auch lässt sich über das Abwägungsergebnis trefflich streiten. Doch im Ergebnis stellt diese Entscheidung die beiden folgenden, für die Praxis bedeutsamen Grundsätze auf. Sie verdeutlicht nämlich, dass

  1. ein Auskunftsverlangen u.U. nicht nur auf § 73 SGB X zu stützen ist, sondern zugleich auch den Anforderungen des § 65 SGB VIII genügen muss und
  2. die Entscheidung über ein solches Auskunftsverlangen nicht pauschal, sondern erst nach eingehender Güterabwägung (oder Berücksichtigung sonstiger Rechtfertigungsgründe) im Einzelfall zu ergehen hat.

Entscheidung demnächst im StRR.

Unterhaltspflichtverletzung – keine Ausforschungsanordnung für Sozialdaten

In Verfahren wegen einer Unterhaltspflichtverletzung werden Anträge der StA, die gem. § 73 SGB X darauf gerichtet sind, dass die AOK und Agentur für Arbeit/ARGE Auskünfte über Sozialdaten des Beschuldigten zu erteilen hat, von den AG häufig nur durchgewunken.

Das LG Aurich, Beschl. v. 18.03.2011 – 12 Qs 17/11 nimmt dazu jetzt Stellung und betont, dass in dem Bereich wegen der Eingriffsqualität der Anordnung anders als sonst keine bindende Einschätzungsprärogative der Staatsanwaltschaft besteht.  Vielmehr habe der Ermittlungsrichter das Vorliegen eines Anfangsverdacht eigenständig zu prüfen. Hierfür sei das Vorliegen konkreter Tatsachen erforderlich, die es als möglich erscheinen liessen, dass ein verfolgbare Straftat vorliege, bloße Vermutungen genügen hierfür nicht (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl. 2010, Rn. 191). Der Amtsrichter muss sich auch mit der ungeschriebenen Voraussetzung der strafbaren Unterhaltspflichtverletzung, d.h. die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, im Rahmen des § 170 StGB auseinandersetzen und diese aufgrund der bereits vorliegenden Umstände begründen. Eine Ausforschungsanordnung gibt es also nicht.