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Die FE wird entzogen, der Führerschein “eingezogen”, oder: (Keine) zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142?

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Ich habe neulich über den AG Amberg, Beschl. v. 04.12.2021 – 7 Cs 114 Js 5614/18 (2) – berichtet (vgl. hier: Die FE wird entzogen, der Führerschein “eingezogen”, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG?).

Das AG hatte in den Fällen der Einziehung des Führerschein(dokuments) bei der Entziehung der Fahrerlaubnis den Anfall der Nr. 4142 VV RVG bejaht und war von einem Gegenstandswert von 300 EUR ausgegangen. Der Kollege Jendricke, der die Entscheidung erstritten hatte, war wegen des Gegenstandswertes in die Beschwerde gegangen. Nun hat sich das LG Amberg im LG Amberg, Beschl. v. 18.05.2022 – 11 Qs 9/22 – geäußert. Es hat das Rechtsmittel verworfen und nimmt dabei auch zum Anfall der Nr. 4142 VV RVG Stellung genommen:

2. Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Amtsgericht hat den Gegenstandswert für die Rechtsanwaltsgebühren zu Recht auf 300 € festgesetzt.

a) Zunächst ist festzustellen, dass nach Auffassung der Kammer für die Einziehung des Führerscheindokuments – entgegen der Entscheidung des Ausgangsgerichts – mangels gesetzlichen Gebührentatbestands keine Gebühr anfällt. VV 4142 RVG ist nicht einschlägig, da er den Entzug der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nicht umfasst (OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Februar 2006 – 2 Ws 98/06). Die Einziehung des Führerscheindokuments ist aber lediglich zwingende Folge des Entzugs der Fahrerlaubnis. Damit fällt auch diese nicht unter den Gebührentatbestand VV 4142 RVG.

Jedoch ist die Entscheidung des Amtsgerichts insoweit nicht durch die Staatskasse angefochten worden. Die Kammer hat daher nicht über den Anfall der Gebühr VV 4142 RVG zu befinden, sondern dieser steht im vorliegenden Verfahren fest.

b) Da aber über den Anfall der Gebühr in vorliegender Sache rechtskräftig entschieden ist, ist über einen Gegenstandswert zu befinden. Die Gebühr ist auf Grundlage eines Gegenstandswerts von 300 € zu berechnen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich auf den Beschluss des Ausgangsgerichts Bezug genommen, dem sich die Kammer anschließt.

Der Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der für Führerscheinsachen Klasse B, BE den Auffangwert von 5.000 € vorschlägt, ist einerseits nicht verbindlich und andererseits im vorliegenden strafgerichtlichen Verfahren nicht maßgeblich. Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, den Auffangwert von 5.000 € für die Wertfestsetzung der Anwaltsgebühren heranzuziehen. Der Auffangwert ist grundsätzlich nur maßgeblich, wenn eine Schätzung in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht möglich ist. Vorliegend ist jedoch eine Schätzung möglich.

Die Kosten für die Wiedererlangung des Führerscheindokuments, das eingezogen wurde, hat das Amtsgericht auf 300 € geschätzt. Diese Schätzung ist nicht zu beanstanden und folgt dem Vorschlag des Bezirksrevisors in seiner Stellungnahme vom 26.05.2021.

Maßgeblich waren insoweit die Verwaltungsgebühren, die für die Wiedererteilung eines Führerscheindokuments selbst anfallen – wie auch das Amtsgericht in seiner Entscheidung ausführt. Kosten, beispielsweise für eine MPU, sind bei der Wertfestsetzung insoweit nicht zu berücksichtigen. Letztlich sind diese erforderlich, weil die Fahrerlaubnis entzogen wurde, wofür aber nach allen Ansichten und auch nach Ansicht des Verteidigers keine Gebühr nach VV 4142 RVG anfällt. Dann können diese Kosten aber auch nicht für die Wertfestsetzung betreffend die Einziehung berücksichtigt werden. Die Einziehung des Führerscheindokuments ist lediglich sekundäre Folge des Entzugs der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB. Kosten für eine MPU beispielsweise fallen deshalb an, weil in erster Linie eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden muss, die in gewissen Fällen lediglich bei Vorlage einer MPU-Bescheinigung erteilt wird.

Damit ist es nicht zu beanstanden, dass lediglich die Verwaltungskosten, die sich auch auf die Erstellung eines neuen Führerscheindokuments beziehen, für die Bemessung der Anwaltsgebühren herangezogen wurden.“

Damit liegt die erste landgerichtliche Entscheidung zur Höhe des Gegenstandswertes in diesen Fällen vor. Andere Gerichte und die Vertreter der Staatskasse werden die Entscheidung mit Freude lesen, scheint damit doch der Ansatz über den Streitwertkatalog vom Tisch zu sein. Aber immerhin: 300 EUR sind besser als nichts.

Im Übrigen: Nichts hätte es aber gegeben, wenn der Bezirksrevisor seine im Verfahren vertretene Auffassung, dass die Gebühr Nr. 4142 VV RVG in diesen Fällen, nicht anfällt, weiter verfolgt hätte. Man merkt dem Beschluss des LG an, wie traurig der entscheidende Einzelrichter ist, dass die Frage wegen fehlenden Rechtsmittels der Staatskasse nicht zur Entscheidung anstand. Damit hätte man es dann als Einzelrichter aber auch bewenden lassen sollen.

Denn warum „hängt man sich so weit aus dem Fenster“ und entscheidet eine Frage, die man gar nicht entscheiden muss?. Und es ist die Übertragung der Entscheidung auf die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung gerade damit abgelehnt worden, dass die Frage des Anfalls der Gebühr nicht entschieden werden musste. Was soll dann also das obiter dictum? Und wenn schon ein obiter dictum in der Frage für erforderlich gehalten wird, dann darf man aber doch wohl eine vernünftige Begründung für die mitgeteilte Auffassung erwarten und nicht nur, dass die Einziehung des Führerscheindokuments lediglich zwingende Folge des Entzugs der Fahrerlaubnis sei und damit die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht anfalle. Basta! Zudem setzt sich der Einzelrichter auch nicht mit entgegenstehender Rechtsprechung und Literatur auseinander. Auch das hätte man erwarten dürfen, wenn man schon meint, sich ungefragt äußern zu müssen. So überzeugt der Beschluss nicht, jedenfalls mich nicht.

Pflichti I: Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Prüfung der Prognose und Therapiemaßnahmen

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Und heute dann mal wieder ein „Pflichti“-Tag, den ich mit einer Entscheidung des LG Amberg zur Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren beginne. Das LG hat mit dem LG Amberg, Beschl. v. 09.11.2021 – StVK 916/21 – einen Pflichtverteidiger bestellt:

„Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO entsprechend vor. Im Vollstreckungsverfahren ist ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.

Vorliegend gebietet die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers.

Der Verurteilte beantragte mit Schreiben vom 01.06.2021 die Strafaussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

Mit Stellungnahme vom 25.06.2021 befürwortete die Justizvollzugsanstalt Amberg eine Aussetzung unter der Voraussetzung einer stationären Spielsuchttherapie, um die Sozialprognose langfristig zu verbessern.

Die Staatsanwaltschaft Hof beantragte die Aussetzung des Strafrestes, wobei die Weisung einer Sozialtherapie beantragt wurde. Sollte eine solche nicht gesichert sein, werde einer Bewährung entgegengetreten.

Auf Nachfrage der Kammer, ob eine Sozialtherapie gesichert sei, nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 28.07.2021 Stellung. Auf diesen wird Bezug genommen.

Schließlich regte die Staatsanwaltschaft die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage an, ob eine Sozialtherapie oder Verhaltenstherapie sinnvoll sei und wie eine solche Therapie ausgestaltet werden solle, insbesondere ob sie ambulant oder stationär stattfinden solle.

Die Kammer kam diesem Vorschlag mit Beschluss vom 01.09.2021, auf den Bezug genommen wird, nach.

Schließlich nahmen der Verteidiger und der Verurteilte den Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zurück. Zu einer Erstattung eines Gutachtens kam es deshalb nicht mehr.

Vorliegend war im Verfahren gemäß § 57 StGB nicht nur zu beurteilen, ob beim Verurteilten eine günstige Prognose vorliegt oder nicht, vielmehr war (vorab) die Frage zu klären, ob zur Verbesserung der Sozialprognose eine Therapiemaßnahme angezeigt ist oder nicht, welche Therapiemaßnahme – Sozialtherapie, Verhaltenstherapie oder Spielsuchttherapie – sinnvoll ist, und ob eine entsprechende Therapiemaßnahme ambulant oder stationär durchzuführen ist.

Aus Sicht der Kammer ist deshalb eine besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage zu bejahen. Die Mitwirkung eines Verteidigers war im Einzelfall geboten.“

Pflichti I: Schwierige Sachlage?, oder: Auswertung eines DNA-Gutachtens im JGG-Verfahren

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Heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag.

In den starte ich mit dem LG Amberg, Beschl. v. 04.02.2021 – 51 Qs 1/21 jug – zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im JGG-Verfahren, wenn es um die Auswertung eines DNA-Gutachtens geht. Das LG hat – anders als das AG – einen Pflichtverteidiger bestellt:

„Es liegt eine notwendige Verteidigung nach § 68 Nr. 1 JGG. § 140 Abs. 2 StPO vor. Es ist eine Schwierigkeit der Sachlage gegeben. Diese folgt daraus, dass dem Beschuldigten die Tat nur mittels eines molekulargenetischen Sachbeweises nachgewiesen werden kann. Der Beschuldigte hat sich bisher zur Sache nicht eingelassen. Zeugenaussagen, aus denen sich die Identität des Täters ergeben könnten, liegen nicht vor bzw. sind zumindest nicht aktenkundig. Es wurde lediglich eine DNA-Spur an einem Stein gefunden, bei der es sich um eine Mischspur von mindestens 3 Personen handelt. Das molekulargenetische Gutachten vom 22.07.2020 kam insofern zu dem Ergebnis. dass zwar u.a. sämtliche Allele detektiebar waren, die der Beschuldigte aufweist. Er kommt daher grundsätzlich als Spurenmitverursacher in Frage. Es wird aber auch ausgeführt. dass die Voraussetzungen für eine biostatistische Befundinterpretation nicht gegeben mittels eines molekulargenetischen Sachbeweises nachgewiesen werden kann. Der Beschuldigte hat sich bisher zur Sache nicht eingelassen. Zeugenaussagen, aus denen sich die Identität des Täters ergeben könnten, liegen nicht vor bzw. sind zumindest nicht aktenkundig. Es wurde lediglich eine DNA-Spur an einem Stein gefunden, bei der es sich um eine Mischspur von mindestens 3 Personen handelt. Das molekulargenetische Gutachten vom 22.07.2020 kam insofern zu dem Ergebnis, dass zwar u.a. sämtliche Allele detektierbar waren, die der Beschuldigte aufweist. Er kommt daher grundsätzlich als Spurenmitverursacher in Frage. Es wird aber auch ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine biostatistische Befundinterpretation nicht gegeben seien, da erzielte Ergebnisse zum Teil schwache Signalintensitäten aufweisen würden, sodass grundsätzlich die Möglichkeit einer Fehlapplikation während der PCR bestehe. Darüber hinaus seien unter Einbeziehung nicht reproduzierbarer Zusatzmerkmale unter anderem auch vielfach Merkmale darstellbar gewesen, die Bastian J. aufweise; dieser komme daher grundsätzlich als Mitverursacher infrage. Aus dem erwähnten Gutachten ergibt sich aber auch weiter, dass es offensichtlich 7 Tatverdächtige als Verursacher gibt. Zwar wurden Hinweise auf signifikante DNA-Mengen von den anderen Tatverdächtigen nicht festgestellt. Ob daraus jedoch ohne weitere Anhaltspunkte geschlossen werden kann, dass diese als Täter grundsätzlich ausgeschlossen werden können, erscheint fraglich.

Zwar erfordert das Vorliegen eines Sachverständigengutachten nicht in jedem Fall die Beiordnung eines Verteidigers. Grundsätzlich ist aber im Jugendstrafverfahren eine extensive und großzügige Auslegung der Generalklausel in § 140 Abs. 2 S. 1 StPO geboten. Dies gilt v.a. auch deshalb, weil junge Beschuldigte zur eigenen Verteidigung nur begrenzt in der Lage sind. Auch enthält das JGG u.a. im Bereich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 3 S. 1 JGG), der Rechtsfolgenspanne sowie speziell der Rechtsmittelbeschränkung (§ 55) durchaus komplizierte Sonderregelungen. Prinzipiell ist ein Verteidiger daher umso eher notwendig, je jünger der Beschuldigte ist (zum Ganzen: Eisenberg/Kölbel, 21. Aufl. 2020, JGG § 68 Rn. 23 m.w.N.). Aufgrund der aufgezeigten Problematik hinsichtlich des Tatnachweises, wobei ein derartiges Gutachten für einen juristischen Laien nicht leicht verständlich ist, und des noch jungen Alters des Beschuldigten ist daher bezogen auf den vorliegenden Einzelfall die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich (vgl. Auch LG Aachen Beschl. v. 8.7.2020 — 62 Qs-111 Js 146/20-41/20, BeckRS 2020, 33074).“

Nochmals: Verhältnis Verfahrensgebühr/Grundgebühr, oder. Verfahrensgebühr für die Revision

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Zuerst wünsche ich allen Lesern einen schönen 1. Mai, sicherlich ein ungewöhnlicher Maifeiertag. Aber hoffentlich der erste und letzte mit „Kontaktsperre“.

Und da man ja heute richtige Maifahrten eh nicht machen kann, gibt es hier das normale Programm, also gebührenrechtliche Entscheidungen.

Ich starte mit dem LG Amberg, Beschl. v. 21.01.2020 – 11 Qs 55/19, den mir der Kollege Jendricke aus Amberg geschickt hat. Gestritten worden ist um das Entstehen von Verfahrensgebühren Nr. 4106 VV RVG und der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren Nr. 4130, 4131 VV RVG.

Grundlage war folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kollege war Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem beim AG anhängigen Verfahren 8 Ds 102 Ja 6172117. In diesem erhielt er einen Anruf vom zuständigen Richter. Dieser teilte mit, dass unter den Aktenzeichen 8 Ds 102 Ja 5902/17 und 8 Ds 108 Js 8132/17 je eine weitere Anklage gegen den Angeklagten vorliege. Der Anklagevorwurf wurde mitgeteilt. Es wurde die weitere Verfahrensbehandlung dahingehend besprochen, dass der Kollege auch in diesen beiden Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt werde. Hierüber wurde der Mandant informiert. Der Kollege wurde beigeordnet. Er nahm Akteneinsicht und informierte den Angeklagten über den Gegenstand der und die Beweissituation aufgeklärt. Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat der Kollege dann Berufung eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht. Die Berufung wurde nach § 329 StPO verworfen. Der Kollege legte innerhalb der Wochenfrist fristwahrend Revision ein. Nach Ablauf der Wochenfrist stellte sich heraus, dass der Mandant in Strafhaft einsaß, und zwar auch bereits zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht. Der Kollege  hat daher den Angeklagten in der Haftanstalt aufgesucht und ihn auf seine Bitte hin beraten, ob die Revision weiter durchgeführt werden soll, oder ob die Revision zurückgenommen wird und stattdessen ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt werden soll. Da ein Wiedereinsetzungsgesuch (§ 329 Abs. 7 StPO) als der erfolgversprechende Weg erschien, hat der Kollege auftragsgemäß die Revision zurückgenommen und ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt, dem stattgegeben worden ist.

Das LG hat für die beiden zusätzlichen Verfahren jeweils eine Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 für das Revisionsverfahren ist nicht festgesetzt worden.

Die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Mandanten entsteht in jedem (gerichtlichen) Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr und daneben auch eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, die den für die erstmalige Einarbeitung anfallenden zusätzlichen Aufwand honoriert.

2. Das Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG setzt voraus, dass der Verteidiger einen Auftrag für das Revisionsverfahren hat.

Meine Anmerkung dazu:

1. Die Nichtgewährung der Nr. 4130, 4131 VV RVG ist m.E. unzutreffend. Das LG macht mal wieder den bei vergleichbaren Konstellationen häufigen Fehler, dass die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren mit der Frage der Erstattung der Gebühr verwechselt/vermischt wird (vgl. dazu auch eingehend Burhoff RVGreport 2014, 410). Hier ist die Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG nicht nur entstanden, sondern wäre auch – entgegen der Ansicht des LG – zu erstatten/festzusetzen gewesen. Soweit das LG das Entstehen der Gebühr Nr. 4130 VV RVG davon abhängig macht, übersieht es m.E. zunächst § 297 StPO, der dem Verteidiger ein eigenes Recht zur Rechtsmitteleinlegung einräumt. Und dieses Recht musste der Rechtsanwalt hier aus anwaltlicher Vorsorge auch ausüben, da der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht anwesend gewesen und damit völlig offen war, wie mit der Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO umgegangen werden sollte. Dass der Angeklagte sich dann entschieden hat, die eingelegte Revision wieder zurückzunehmen, führt nicht zum Wegfall der durch das Gespräch mit dem Mandanten bereits entstanden Gebühr (vgl. auch LG Osnabrück RVGreport 2019, 339). Aus Vorstehendem folgt zugleich auch, dass die Tätigkeiten des Pflichtverteidigers auch notwendig war und die Gebühr daher hätte festgesetzt werden müssen. Auf den seit dem 13.12.2019 geltenden § 143 Abs. 1 StP= ist zudem hinzuweisen.

2. Die Festsetzung der beiden Verfahrensgebühren Nr. 4106 VV RVG ist hingegen zutreffend. Sie entspricht der h.M. zum Verhältnis von Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr nach den 2013 erfolgten Änderungen durch das 2. KostRMoG. Nach h.M. entstehen die Gebühren immer nebeneinander. A.A. ist – soweit ersichtlich nur noch, nachdem das LG Saarbrücken sich inzwischen auch der h.M. angeschlossen hat, nur noch – ohne nähere Begründung – das OLG Nürnberg (RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118). Von daher wäre es vielleicht angebracht gewesen, das LG hätte die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen und hätte das nicht mit: „Das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr ergibt sich ausdrücklich aus dem Gesetz und der Gesetzesbegründung.“ abgelehnt. Das wird man bei den dem LG „übergeordneten“ OLG Nürnberg nicht gern lesen.

Einziehung II: Fehlinformation des Mandanten, oder: Keine Auswirkungen?

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Die zweite Entscheidung kommt ebenfalls vom LG Amberg und sie ist ebenso falsch wie die heute morgen vorgestellte (vgl. den LG Amberg, Beschl. v. 31.05.2019 – 11 KLs 106 Js 7350/18 und dazu: Einziehung I: Obersatz richtig, Entscheidung falsch, oder: Nicht Halter des Pkw).

In dem dem LG Amberg, Beschl. v. 29.05.2019 – 12 KLs 107 Js 2871/18 – zugrunde liegenden Verfahren hat der Kollege Jendricke, der mir den LG-Beschluss geschickt hat, den Angeklagten als Pflichtverteidiger gegen den Vorwurf der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verteidigt. Nach Abschluss des Verfahrens hat der Kollege auch hier die Festsetzung des Gegenstandswertes für eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG beantragt. Der sei nach seiner Ansicht auf insgesamt 30.991,60 € festzusetzen. Dieser Betrag setzte sich aus dem Wert von Bargeld in Höhe von 1.810,82 €, dem Wert eines Smartphones in Höhe von 900 € und dem Wert für einen PKW Mercedes E 300 von 28.280,78 € zusammen.

Der Bezirksrevisor hat der Festsetzung des Gegenstandswertes auch bezüglich des PKW Mercedes widersprochen. Das LG hat den Wert des Pkws bei der Festsetzung des Gegenstandswertes dann außer Acht gelassen und hat den Gegenstandswert auf nur auf 2.710,82 € festgesetzt:

„Der Gegenstandswert war auf 2.710,82 Euro festzusetzen. Dieser Betrag setzt sich aus dem Wert des Bargeldes in Höhe von 1.810, 82 Euro und dem Wert des Smartphones in Höhe von 900,00 Euro zusammen. Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde die Einziehung des Bargeldes .und des Smartphones erörtert. Diese Gegenstände standen jeweils im Eigentum des Verurteilten B. Insoweit war der Gegenstandswert daher wie geschehen festzusetzen.

Nicht zu berücksichtigen war jedoch der Wert des sichergestellten PKW Mercedes E 300. Zwar bezieht sich die Vorschrift Nr. 4142 VV RVG auf eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Einziehung oder verwandte Maßnahmen. Nr. 4142 VV RVG ist daher insbesondere anzuwenden bei einer Einziehung nach den §§ 74 ff. StGB und ausnahmsweise bei einer Beschlagnahme nach den §§ 94, 98 StPO, wenn die Sache – zumindest auch – als etwaiger Einziehungsgegenstand von Bedeutung ist. Die Vorschrift setzt zudem keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus, insbesondere muss die Einziehung nicht im Verfahren beantragt worden sein. Ausreichend ist es, wenn sie in Betracht kommt. Die Gebühr wird grundsätzlich auch für eine außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts verdient. Es genügt insbesondere, wenn der Anwalt den Angeklagten nur über die außergerichtliche Einziehung berät (vgl. Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Auflage 2017, Rdnrn: 6,7,12 aus Beck Online).

Vorliegend jedoch kam eine Einziehung des PKW Mercedes E 300 von vorneherein nicht in Betracht. Das Fahrzeug stand nicht im Eigentum des Verurteilten B. Die Tatsache, dass der Verteidiger fälschlicherweise aufgrund von unvollständigen oder fehlerhaften Informationen seines Mandanten davon ausging, der PKW sei lediglich finanziert und stehe im Eigentum des Verurteilten B., ändert hieran nichts. Hätte der Verurteilte die tatsächlichen Verhältnisse von vornherein wahrheitsgemäß und korrekt dargelegt, wäre eine Einziehung zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise in Betracht gekommen. Deshalb wurde der PKW nach Bekanntgabe des Umstandes, dass es sich um ein Leasing Fahrzeug handelt, durch die Staatsanwaltschaft bereits vor der Hauptverhandlung herausgegeben. Im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgten insoweit keine Erörterungen mehr. Der Wert des PKW Mercedes E 300 spielt daher für die Festsetzung des Gegenstandswertes nach Nr. 4142 VV RVG keine Rolle.“

Diese Entscheidung ist ebenso falsch wie der Beschluss des LG Amberg vom 31.5.2019 im Verfahren 11 KLs 106 Js 7350/18 (vgl. dazu LG Amberg, Beschl. v. 31.05.2019 – 11 KLs 106 Js 7350/18 und dazu: Einziehung I: Obersatz richtig, Entscheidung falsch, oder: Nicht Halter des Pkw). Auf die dortige Anmerkung kann daher verwiesen werden. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Kollege offenbar von seinem Mandanten zunächst falsch informiert worden ist. Denn entscheidend sind die Informationen, die (zunächst) erteilt werden und die den Beratungsbedarf, der die Nr. 4142 VV RVG entstehen lässt, hervorrufen. Dass sich die später als falsch herausstellen, lässt die einmal entstandene Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht entfallen (§ 15 Abs. 4 RVG). Auch wenn das LG und/oder die Staatskasse das gerne möchten.