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Wird eine höhere als die RVG-Vergütung erstattet, oder: Nein, sagt der BGH

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Heute ist Karfreitag, also Feiertag. Aber der ein oder andere Kollege wird vielleicht doch (auch) arbeiten. Daher fahre ich hier das ganz normale Programm, also, da Freitag ist, gebührenrechtliche Entscheidungen.

Und ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2018 – VII ZB 60/17, der seit einigen Tagen auf der Homepage des BGH veröffentlicht ist. Entschieden hat der BGH über die Frage der Erstattung einer in einer Vergütungsvereinbarung vereinbarten höheren Vergütung als die sog. gesetzliche Vergütung. Ergangen ist die Entscheidung nach einem Zivilrechtsstreit, in dem die Beklagten von der Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3,2 Mio € nebst Zinsen in Anspruch genommen worden waren. Die Klage ist abgewiesen worden. In dem rechtskräftig gewordenen Urteil hat das LG der Klägerin die Kosten auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren haben die Beklagten dann Kosten i.H.v. 4.819 € für eine Anschlussdeckung der Beklagtenvertreter bezüglich deren Vermögensschadenshaftpflichtversicherung geltend gemacht. Hintergrund dafür ist/war: Die Beklagtenvertreter hatten einen „Versicherungsstammvertrag mit einer Deckungssumme in Höhe von 2 Mio. EUR abgeschlossen. Aufgrund des hohen Streitwerts hatten die Beklagtenvertreter mit den Beklagten vereinbart, dass vorsorglich eine Einzelfallabsicherung über weitere 1,5 Mio. EUR abgeschlossen wird und dass die hierauf entfallende Prämie Bestandteil der geschuldeten Vergütung sein sollte. Diese Kosten sind weder vom LG noch vom OLG festgesetzt worden. Die Beklagten hatten mit ihrem Antrag dann schließlich auch beim BGH keinen Erfolg. Aus der Begründung:

„Hinsichtlich des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehen die Rechtsprechung und die Literatur fast einhellig davon aus, dass als erstattungsfähige „gesetzliche Gebühren und Auslagen“ lediglich die Regelsätze des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu erstatten sind und nicht ein aufgrund einer Honorarvereinbarung mit dem Rechtsanwalt übersteigendes Honorar (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447 Rn. 56; offengelassen von BGH, Beschluss vom 13. November 2014 – VII ZB 46/12, NJW 2015, 633 Rn. 18 f. mit Nachweisen des Streitstands; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 49) und dass die unterliegende Partei Mehrkosten aufgrund eines vereinbarten Honorars auch nicht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erstatten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2004 – VI ZB 22/04, NJW-RR 2005, 499, juris Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 85 Rn. 14; BVerfGE 118, 1, 18 f., juris Rn. 75 ff., zur Anbindung der Erstattungspflicht an die gesetzliche Vergütung; Hau, JZ 2011, 1047, 1050; a.M. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 23. Aufl., § 3a Rn. 75)….“

Der BGH argumentiert dann „historisch“ mit „der Gebührenordnung für Rechtsanwälte in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 1927 (RGBl. I S. 162, 170″ und mit der Ergänzung des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Einfügung des Wortes „gesetzlichen“ im Jahr 1957.  Danach – so der BGH – sollte es dabei bleiben, dass die unterliegende Partei bezüglich einer vereinbarten Vergütung, soweit diese die gesetzliche Vergütung übersteigt, keine prozessuale Kostenerstattungspflicht trifft. Und dann:

„Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hiervon abrücken wollte, als im Jahr 2004 das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz an die Stelle der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte getreten ist (vgl. Hau, JZ 2011, 1047, 1050). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Jahr 2008 in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügten Vorschrift des § 3a Abs. 1 Satz 3 RVG. Danach hat eine Vereinbarung über die Vergütung einen Hinweis unter anderem darauf zu enthalten, dass die gegnerische Partei im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss. Die Gesetzesbegründung zu § 3a RVG geht insoweit davon aus, dass die rechtsuchende Person die vereinbarte Vergütung, soweit diese die gesetzliche Vergütung übersteigt, grundsätzlich selbst tragen muss (vgl. BT-Drucks. 16/8384, S. 10). Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der bloßen Statuierung einer Hinweispflicht in § 3a Abs. 1 Satz 3 RVG die Regeln der prozessualen Kostenerstattung gemäß § 91 ZPO abändern wollte. Der Hinweis darauf, dass die gegnerische Partei im Falle der Kostenerstattung „regelmäßig“ nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss, ist auch dann sinnvoll, wenn die unterliegende gegnerische Partei keine prozessuale Kostenerstattungspflicht bezüglich einer vereinbarten Vergütung, soweit diese die gesetzliche Vergütung übersteigt, trifft. Denn nach der Rechtsprechung kann derjenige, der sich schadensersatzpflichtig gemacht hat, in bestimmten Fällen materiellrechtlich verpflichtet sein, höhere Aufwendungen aus einer anwaltlichen Honorarvereinbarung zu erstatten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447 Rn. 58; Urteil vom 23. Oktober 2003 – III ZR 9/03, NJW 2003, 3693, 3697, juris Rn. 49; Urteil vom 14. Mai 1962 – III ZR 39/61, LM § 839 (D) BGB Nr. 18 Bl. 2, juris Rn. 11).“

Eine auch für Verteidiger „unschöne“ Entscheidung. Denn sie schreibt letztlich – auch die im Strafrecht – h.M. fest, wonach eine die gesetzliche Vergütung übersteigende vereinbarte Vergütung nicht erstattungsfähig ist. Hoffnung, dass sich das mal ändert, kann man m.E. jetzt kaum noch haben.

LG Schweinfurt: Keine Verfahrensgebühr bei Berufungsrücknahme der StA, oder: Verteidigung zum Nulltarif

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung hängt in meinem Ordner: „Geärgert“. Es handelt sich um den den LG Schweinfurt, Beschl. v. 18.01.2018 – 1 Qs 13/18. Es geht mal wieder um die Frage, ob dem Angeklagten die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG zu erstatten ist, wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Berufung vor der Begründung zurücknimmt. Ein weites Feld, auf dem die OLG und die LG zur Hochform auflaufen, um zu begründen, warum der Verteidiger die Gebühr nicht verdient hat und sie nicht erstattet wird. Das natürlich auch im LG Schweinfurt-Beschluss, das sich m.E. durch eine besonders bemerkenswerte Begründung auszeichnet. In meinen Augen dem Verteidiger gegenüber einfach nur frech und unverschämt:

Eine nach Nr. 4224 VV RVG zu erstattende Gebühr ist vorliegend nicht entstanden.

Entscheidungserheblich ist dabei zunächst einmal nicht die Frage, ob überhaupt eine (beratende) Tätigkeit des Verteidigers geboten war, bevor feststand, ob die Berufung der Staatsanwaltschaft tatsächlich durchgeführt werden würde und ob deshalb von der Entstehung notwendiger und demzufolge auch erstattungsfähiger Auslagen der Verurteilten ausgegangen werden kann. Vielmehr steht außer Zweifel, dass die Verurteilte ein berechtigtes Interesse daran hatte, durch ihren Verteidiger nicht nur allgemeine Informationen über den Fortgang des Verfahrens nach Rechtsmitteleinlegung durch die Staatsanwaltschaft zu erhalten, sondern auch darüber informiert zu werden, welche Auswirkungen die Rechtsmitteleinlegung auf ihre aus dem Bewährungsbeschluss resultierenden Verpflichtungen hatte. Gleichwohl erfordern derartige Beratungs- und Belehrungsleistungen keine Verteidigertätigkeit, die über den – gemäß § 19 Abs. l Satz 2 Nr. 10 RVG sogar eine eigene Rechtsmitteleinlegung umfassenden – Umfang dessen hinausgeht, was bereits durch die in der Vorinstanz angefallenen Gebühren abgegolten ist. Da von keiner Seite auf Rechtsmittel verzichtet worden war, war der Verteidiger schließlich gehalten, der Verurteilten pp. im Anschluss an .die Urteilsverkündung und völlig unabhängig von der späteren Berufungseinlegung durch die Staatsanwaltschaft – und damit auch unabhängig davon, ob der Anfall einer Berufungsverfahrensgebühr überhaupt jemals zur Debatte stehen würde – darüber zu belehren, dass Bewährungsauflagen und -weisungen erst zu befolgen sind, wenn das Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt rechtskräftig geworden sein würde. Derartige Hinweise verstehen sich unproblematisch als Teil der bereits in erster Instanz entfalteten Verteidigertätigkeit und diese Zuordnung wird nicht schon dadurch aufgelöst, dass der Verteidiger erst die Berufungseinlegung durch die Staatsanwaltschaft zum Anlass genommen haben mag, entsprechende Belehrungen zu erteilen.

Eine über allgemein gehaltene Informationen hinausgehende Beratung über ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und dessen Erfolgsaussichten ist vor dessen Begründung hingegen nicht sinnvoll und erforderlich, weil ohne eine solche Umfang und Zielrichtung des Rechtsmittels für den Verteidiger nicht erkennbar sind (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2015, 294; OLG Koblenz, NSZ-RR 2014, 327; LG Detmold, Beschluss vom 10.05.2017, Az. 21 Qs 41/17, zitiert nach Juris; KG Berlin, JurBüro 2012, 471, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Kammer verkennt nicht, dass auch in der Rechtsprechung (etwa LG Dortmund, Beschluss vom 25.11,2015, Az. 31 Qs 83/15,  zitiert nach Juris, wo allerdings die Besonderheit bestand, dass die Staatsanwaltschaft In erster Instanz selbst den dann ausgeurteilten Freispruch beantragt hatte) – vertreten wird, dass eine Beratung und Information des Angeklagten grundsätzlich auch schon vor Begründung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft bzw. vor Ablauf der Frist zu der – in § 320 Abs. 2 StPO und Nr. 156 Abs. 1 RiStBV vorgesehenen Begründung der Berufung die Gebühr nach Nr. 4224 VV RVG auslöst. Die Kammer folgt dem aus den vorgenannten Erwägungen heraus jedoch nicht.

Eine die Berufungsverfahrensgebühr gemäß Nr. 4224 VV RVG auslösende Tätigkeit des Verteidigers kann aus denselben Gründen auch nicht in der Beantragung von Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 29.06.2017 gesehen werden.“

Wenn man es liest, „schwillt der Kamm“, jedenfalls mir, denn: Die Entscheidung ist falsch und man fragt sich, wie oft man eigentlich noch darauf hinweisen soll, dass in diesen Fällen die Gebühr Nr. 4124 VV RVG entstanden und auch zu erstatten ist. Man hat den Eindruck, dass die LG und OLG das bewusst aus rein fiskalischen Gründen übersehen und letztlich die (Fehl)Entscheidung der Staatsanwaltschaft, Berufung einzulegen, die man dann kurz darauf wieder zurücknimmt bzw. nehmen muss, zumindest gebührenrechtlich „reparieren“. An der Entscheidung des LG Schweinfurt ist besonders ärgerlich, dass mal wieder die Fragen des Entstehens der Gebühr mit der Frage der Erstattungsfähigkeit vermengt werden (so auch schon KG ind er vom LG zitierten Entscheidung) und zudem im Grunde eine Verteidigung zum (teilweisen) Nulltarif eingeführt wird. Daher nochmals:

  1. Die Gebühr Nr. 4124 VV RVG ist entstanden. Durch die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft ist die Angelegenheit „erster Rechtszug“ beendet und hat die Angelegenheit „Berufung“ begonnen. Die erste hier vom Verteidiger erbrachte Tätigkeit führt zum Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG und wird nicht etwa – wie das LG meint – noch mit der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG abgegolten. Mir ist unerklärlich, wie man als Beschwerdekammer auf die Idee kommen kann, da hätte sich ein Blick in einen Kommentar empfohlen (vgl. z.B. nur Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG, 23. Aufl., VV 4124 Rn 2 ff.). Da hilft auch nicht der Hinweis auf § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG. Denn der betrifft/regelt nur den Fall, was zur „Angelegenheit“ gehört. Das ist/wäre die Berufungseinlegung durch den Verteidiger der Instanz und vielleicht noch die Beratung über deren Erfolgsaussicht, das sind mit Sicherheit aber keine Tätigkeiten, die nach Einlegung der Berufung der Staatsanwaltschaft vom Verteidiger erbracht werden. Dies zu erkennen kann doch sehr schwer sein, ist es aber offenbar.
  2. Geht man davon aus, dass die Gebühr Nr. 4124 VV RVG entstanden ist – und nur das ist richtig – dann ist die Gebühr auch zu erstatten. Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, dass der Angeklagte einen Anspruch darauf hat, dass ihn der Verteidiger über das Berufungsverfahren, dessen Ablauf und auch die Erfolgsaussichten der Berufung der Staatsanwaltschaft informiert. Und das unabhängig davon, ob das Rechtsmittel nun durchgeführt wird, wovon nach Nr. 148 RiStBV grundsätzlich auszugehen ist, und/oder ob es begründet wird. Die Staatsanwaltschaft „bestellt die Musik“ = leitet das Berufungsverfahren ein, dann mag die Staatskasse, wenn der Verteidiger tätig wird und tätig werden muss, das auch bezahlen. Es besteht Handlungs- und Beratungsbedarf und es handelt sich nicht um eine offensichtlich sinnlose Tätigkeit (vgl. dazu eingehend auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 5. Aufl. 2017, Nr. 4124 VV Rn 28 ff. m.w.N.). Und die insoweit erforderlichen – und vom LG Schweinfurt ja offensichtlich auch erwünschten/erwarteten Tätigkeiten – gibt es eben nicht zum Nulltarif. Das wäre ungefähr so, als ob man von Richtern verlangen würde, einige Tage im Monat kostenlos zu arbeiten. Das „Theater“ möchte ich ob dieser „Zumutung“ erleben. Verteidigern mutet man so etwas aber zu.

Reisekosten des auswärtigen Wahlverteidigers, wann werden sie erstattet?

Und bei der zweiten gebührenrechtlichen Entscheidung handelt es sich auch um einen Dauerbrenner, nämlich um die Problematik der Erstattung der Reisekosten für den auswärtigen Wahlverteidiger. In dem vom OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2017 – 1 Ws 140/17 – entschiedenen Fall waren das immerhin rund 20.000 €. Der Angeklagte war vom Vorwurf der Marktmanipulation feri gesprochen worden. Kosten und Auslagen also bei der Staatskasse. Er verlangt dann auch die Erstattung von Mehrkosten (Fahrtkosten, Abwesenheitsgeld und sonstige Auslagen), die durch die Beauftragung seiner nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigerin entstanden sind. Das LG lehnt ab. Das OLG setzt fest:

„Zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der – wie vorliegend – nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht wohnt, sind nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 S. 1 ZPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 464a Rn. 12).

Grundsätzlich macht allein weder das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu einem auswärtigen Rechtsanwalt noch die ständige Zusammenarbeit mit diesem dessen Hinzuziehung notwendig (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007, VII ZB 93/06, juris Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Allerdings sind in einem Strafverfahren die Mehrkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers jedenfalls dann zu erstatten, wenn sich der frühere Angeklagte einem schwerwiegenden Tatvorwurf gegenüber sah, der auch massiv beruflich und wirtschaftlich in seine Existenz eingreifen konnte (OLG Naumburg, Beschluss vom 17. Oktober 2008, 1 Ws 307/08, juris Rn. 4). Dies ist vorliegend der Fall. Dem früheren Angeklagten war in seiner Funktion als Vorstand Finanzen und Betriebswirtschaft der … ein Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation vorgeworfen worden. Ungeachtet der Aufmerksamkeit, die diesem Verfahren und dem früheren Angeklagten durch die Medien entgegengebracht wurde, hätte eine Verurteilung auch erhebliche Folgen für den Beschwerdeführer mit sich gebracht. Darüber hinaus war seine Verteidigerin, Frau pp., bereits im Jahr 2009 während des Ermittlungsverfahrens für ihn tätig und daher bei Eröffnung des Hauptverfahrens im August 2014 bereits lange mit dem Fall vertraut.

Für die Erstattung der Kosten des auswärtigen Verteidigers spricht im Übrigen auch § 142 StPO, der die Auswahl des zu bestellenden Pflichtverteidigers regelt. Wäre die Wahlverteidigerin gemäß § 142 StPO als Pflichtverteidigerin bestellt worden, hätte sie ihre notwendigen Auslagen – einschließlich der Mehrkosten, die dadurch entstanden, dass sie weder Wohnsitz noch Kanzlei am Gerichtsort hatte – ersetzt bekommen (BVerfG, Beschluss vom 24.1.2000, 2 BvR 813/99, juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. Januar 2014, 1 Ws 770/13, juris Rn. 10). Das Gleiche muss aber dann gelten, wenn eine Bestellung als Pflichtverteidiger zwar nicht erfolgt ist, die Voraussetzungen hierfür aber vorgelegen hätten, denn der Beschuldigte soll mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Dezember 2010, 2 Ws 567/10, juris Rn. 13; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Oktober 2014, 1 Ws 162/14, juris Rn. 13).

Hiervon ist vorliegend auszugehen: Während die alte Fassung des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO vorsah, dass das Gericht als Pflichtverteidiger möglichst einen Rechtsanwalt auswählt, der im Bezirk des ihn bestellenden Gerichts niedergelassen ist, hat man diese Beschränkung auf im Gerichtsbezirk ansässige Rechtsanwälte mit der Neufassung von § 142 Abs. 1 StPO aufgegeben, da sie „aus verschiedenen Gründen [für] nicht mehr sachgerecht“ erachtet wurde (so BT-Drucks. 16/12098, S. 20). Dies heißt zwar nicht, dass jeder vom Beschuldigten benannte, auswärtige Rechtsanwalt vom Gericht als Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Vielmehr sind neben der Entfernung weitere Faktoren zu berücksichtigen, „die dem Kriterium der Gerichtsnähe mindestens gleichwertig erscheinen“ (BT-Drucks. a.a.O). In diesem Zusammenhang ist – neben der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts Mehrkosten entstehen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 8. Juli 2013, 2 Ws 349/13, juris Rn. 7; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2014, 1 Ws 453/14, juris Rn. 13), beispielsweise auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Rechtsanwalt zu berücksichtigen (so bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2006, 2 Ws 5/06, juris Rn. 8; Lüderssen/Jahn in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 142 Rn. 6 und 7). Dabei tritt das Kriterium der Ortsnähe im Bestellungsverfahren im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung grundsätzlich hinter dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigen zu seinem Verteidiger zurück (Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Nach diesen Kriterien hätte eine Bestellung von Frau pp. als Pflichtverteidigerin erfolgen können.“

Habe ich doch immer schon gesagt 🙂 .

Verwirkung bei der Kostenerstattung, oder: Warum so lange warten?

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Heute am Freitag dann zwei Gebührenentscheidungen bzw. Entscheidungen mit gebührenrechtlichem Einschlag. Das ist zunächst der LG Düsseldorf, Beschl. v. 12.05.2017 – 61 Qs 5/17. Der behandelt u.a. eine Verwirkungsproblematik. Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren. Das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen ist durch Beschluss des AG vom 02.07.2013 eingestellt worden. Kosten und Auslagen wurden der Landeskasse auferlegt. Der Kostenfestsetzungantrag wird erst am 17.09.2016 gestellt. Das LG diskutiert die Frage der Verwirkung und verneint sie:

„8. Keine Verwirkung des Auslagenerstattungsanspruchs

Der Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen ist auch trotz des verhältnismäßig langen Zeitraums zwischen der Rechtskraft des Urteils (11. Juli 2013) und dem Kostenfestsetzungsantrag (17. September 2016) nicht verwirkt.

a) Die Verwirkung stellt einen auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung dar, dem auch prozessuale Befugnisse wie Ansprüche auf Kostenerstattung unterliegen können. Die Rechtsfigur der Verwirkung stellt einen Ausnahmetatbestand dar. Der Verstoß gegen Treu und Glauben, der den Verwirkungstatbestand begründet, besteht in der Illoyalität der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs (OLG Düsseldorf, ZFSch 2011, 527 m.w.N.). Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es lange Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat („Zeitmoment“) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte („Umstandsmoment“), dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (OLG Oldenburg, NStZ 2006, 411 m.w.N.).

b) Der rechtskräftig festgestellte Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen gegen die Staatskasse, der der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), ist noch nicht verjährt. Eine Verwirkung kann indes grundsätzlich schon vor der Verjährung eintreten; darin liegt gerade die besondere Bedeutung der Verwirkung in der Praxis (OLG Oldenburg, NStZ 2006, 411).

c) Der Betroffene hat seinen Anspruch über mehr als drei Jahre – und damit über einen längeren Zeitraum hinweg – nicht geltend gemacht. Das Zeitmoment als Voraussetzung einer Verwirkung liegt vor diesem Hintergrund vor.

d) Es liegt jedoch das darüber hinaus erforderliche Umstandsmoment nicht vor. Die Landeskasse durfte sich nach den Umständen und dem Verhalten des Betroffenen (noch) nicht darauf einrichten, dass dieser sein Recht nicht geltend machen werde.

Auch wenn der Betroffene seinen Anspruch über mehr als drei Jahre hinweg nicht geltend gemacht hat und – wie bereits gezeigt – damit das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment bereits vorliegt, ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass die Verjährungsfrist für seinen Anspruch gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB 30 Jahre beträgt. Das Gesetz geht daher grundsätzlich davon aus dass eine Geltendmachung des Anspruchs binnen dieser 30 Jahre möglich ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene dementgegen seinen Anspruch nicht mehr geltend machen würde und aufgrund derer die Landeskasse hätte darauf vertrauen dürfen, liegen nicht vor. Zum Zeitpunkt der Stellung des Kostenfestsetzungsantrages war erst etwas mehr als ein Zehntel der Verjährungsfrist verstrichen. Ein konkretes Verhalten des Betroffenen, aus dem geschlossen werden könnte, dass dieser seinen Anspruch nicht mehr geltend machen würde, ist nicht festzustellen. Festzustellen ist lediglich eine bloße Untätigkeit des Betroffenen über etwas mehr als drei Jahre. Jedenfalls unter Berücksichtigung der Tatsache, dass – im Verhältnis zur Verjährungsfrist – seit der Rechtskraft des Urteils bis zur Stellung des Kostenfestsetzungsantrages ein eher kurzer Zeitraum verstrichen ist, vermag die bloße Untätigkeit des Betroffenen nicht das erforderliche Umstandsmoment zu begründen (vgl. auch OLG Düsseldorf, ZFSch 2011, 527 für den Fall des Zuwartens für über 6 ½ Jahre). Aus der Tatsache, dass die Akte durch die (am Kostenfestsetzungsverfahren unbeteiligte) Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2013 weggelegt wurde, könnte allenfalls der Rückschluss gezogen werden, dass seitens der Staatsanwaltschaft nicht mehr mit einem Kostenfestsetzungsantrag gerechnet wurde, was allerdings Zweifeln begegnet, da das Weglegen die Bearbeitung eines später gestellten Kostenfestsetzungsantrages nicht hindert. Jedenfalls kann aus dem Weglegen aber nicht geschlossen werden, dass seitens der Landeskasse auch davon ausgegangen werden durfte, dass der Auslagenerstattungsanspruch nicht mehr geltend gemacht würde.“

Für mich unverständlich, warum man mehr als drei Jahre verstreichen lässt, bevor man den Kostenerstattungsanspruch des Mandanten geltend macht. Die Gefahr, dass Verwirkung angenommen wird, ist groß.

Das LG hat im Übrigen auch zur Bemessung der Gebühren Stellung genommen. Dazu nur die Leitsätze:

  1. Der Umfang der Akte zum Zeitpunkt der ersten Akteneinsicht ist ein wesentliches Indiz für den Aufwand bei der erstmaligen Einarbeitung in den Rechtsfall. Ein Aktenumfang von zwölf Seiten ist als sehr gering einzustufen und führt zu einer die Mittelgebühr unterschreitenden Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG.
  2. Die Terminsdauer ist ein objektiver Maßstab für die Bemessung der Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG. Ein nur wenige Minuten dauernder Hauptverhandlungstermin ist als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen.

In meinen Augen leider ein bisschen knapp.

Schweigen des Betroffenen, oder: „Nutz- oder zwecklose“ Verteidigung?

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Heute dann mal wieder drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. Den Auftakt macht der LG Düsseldorf, Beschl. v. 17.05.2017 – 61 Qs 17/17. Man kann m.E. nur sagen: Zum Glück gibt es diesen Beschluss. Denn die vorangegangene Entscheidung des AG Ratingen war schon – sagen wir mal „bemerkenswert“. Ergangen ist sie in einem Bußgeldverfahren. Betroffene ist frei gesprochen worden. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Der Betroffene hat dann im Rahmen der Kostenfestsetzung auch die bei seinem Verteidiger entstandenen Gebühren für das gerichtliche Verfahren (Nrn. 5109, 5110 VV RVG) geltend gemacht. Das AG hat deren Festsetzung mit der Begründung abgelehnt, dass die Verteidigung des Betroffenen „nutz- oder zwecklos“ gewesen sei.

Das LG Düsseldorf sieht das – zum Glück – anders:

„b) Die Verfahrens- und Terminsgebühren sind dem Betroffenen auch in der zur Vorziffer bezeichneten Höhe aus der Staatskasse zu erstatten und somit festzusetzen, da es sich dabei um notwendige Auslagen im Sinne des § 464a StPO handelt.

Zwar wird in der Rechtsprechung vertreten, dass Gebühren für eine „zwecklose“ oder „offensichtlich nutzlose und völlig überflüssige“ Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht erstattungsfähig sind (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 22.11.1990, Az. 2 Ws 58/90; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.04.2012, Az. III-2 Ws 67/12). Vorliegend war jedoch die Vorbereitung des Termins vom 11. August 2016 und die Teilnahme an diesem durch die Verteidigerin nicht nutz- oder zwecklos. Sie war vielmehr zur sachgerechten Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen geeignet. Auch die Tatsache, dass seitens des Betroffenen erst im Hauptverhandlungstermin vorgebracht und belegt wurde, dass dieser zur Tatzeit krankgeschrieben und daher nicht verantwortlich war, rechtfertigt keine andere Bewertung. Die Entscheidung, ob und ggf. wann ein Betroffener sich einlässt, obliegt diesem – ggf. beraten durch seinen Verteidiger – selbst. Dass sich der Betroffene vorliegend zunächst dazu entschied, sich schweigend zu verteidigen – möglicherweise um durch eine wahrheitsgemäße Aussage nicht seinen Sohn zu belasten und in der Hoffnung, dass einer Verfahrenseinstellung nach § 47 OWiG erfolgen würde – und dass die Behörde das gegen ihn anhängige Bußgeldverfahren anderenfalls möglicherweise bereits gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hätte, macht die Tätigkeit der Verteidigerin im gerichtlichen Verfahren nicht nutz- oder zwecklos. Auch unter dem Gesichtspunkt der Kostenminderungspflicht war der Betroffene vorliegend nicht gehalten, sich so frühzeitig wie möglich wahrheitsgemäß – und unter Belastung seines Sohnes – einzulassen.“

Zum Glück also ein untauglicher Versuch, den das AG Ratingen hier unternommen hat. Nämlich nachträglich die Verteidigungsstrategie des Betroffenen dadurch zu sanktionieren, dass sein Schweigen vor der Hauptverhandlung mit einer Reduzierung seines Kostenerstattungsanspruchs bestraft wird bzw. werden sollte. Wehret den Anfängen, kann man da nur sagen und sich beim LG Düsseldorf dafür bedanken, dass es diesen amtsgerichtlichen Sanktionsbestrebungen Einhalt geboten hat. Das folgt m.E. alles zwanglos aus § 136 StPO und dem nemo-tenetur-Satz, auch wenn das AG Ratingen und mit ihm sicherlich auch andere AG gerne diese „Kostenkeule“ schwingen würden. Es muss aus rechtsstaatlichen Gründen dabei bleiben, dass der Betroffene – und natürlich im Strafverfahren auch der Angeklagte – frei in der Entscheidung sein müssen, wie sie sich verteidigen wollen, ob sie sich also zur Sache einlassen oder nicht und sich schweigend verteidigen. Dazu gehört auch die Entscheidung über den Zeitpunkt einer dann doch abgegebenen Einlassung. Es kann und darf nicht sein, dass diese Entscheidung dann nachträglich darauf geprüft wird, ob sie „nutz- oder zwecklos“ war – für wen eigentlich? – und dass darüber dann das Gericht entscheidet. Denn das würde den Betroffenen/Angeklagten in seiner Entscheidung, wie er sich verteidigt, ggf. behindern. Eine solche Behinderung sieht unsere Rechtsordnung aber nicht vor. Zum Glück.