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Schockschaden nach tödlichem Unfall des Sohnes, oder: Hinterbliebenengeld und dessen Bemessung

Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay

So, im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zu Unfallfolgen.

Ich starte mit dem OLG Celle, Urt. v. 24.08.2022 – 14 U 22/22. Geltend gemacht worden sind vom Kläger Schmerzens- bzw. Hinterbliebenengeld nebst Zinsen aus einem Verkehrsunfall am sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. Der 2006 geborene Sohn des Klägers ist von einer von dem Beklagten versicherten Sattelzugmaschine während eines Abbiegevorgangs tödlich verletzt worden. Während die Ehefrau des Klägers den Unfall aus unmittelbarer Nähe mit ansehen musste, traf der Kläger selbst kurz nach dem Unfall an der Unfallstelle ein. Dabei sah er auch den Körper seines verstorbenen Sohnes. Der Kläger bedurfte vor Ort angebotener Hilfe der Notfallseelsorge. Er begab sich zusammen mit seiner unfallbedingt psychisch schwer erkrankten Frau in psychologische Behandlung. Der Beklagte zahlte dem Kläger insgesamt Vorschüsse in Höhe von 15.000 €.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch aufgrund eines sogenannten Schockschadens. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. Dr. W. sei bei dem Kläger von einer leichten depressiven Episode sowie einem normalpsychologischen Trauerzustand auszugehen. Die Beeinträchtigungen gingen daher nicht deutlich über das hinaus, was Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß erleiden würden. Der Kläger habe allerdings dem Grunde nach einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, jedoch lediglich in Höhe der bereits gezahlten 15.000 €. Dieser Betrag orientiere sich sowohl an den Vorstellungen des Gesetzgebers als auch der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen. Das Feststellungsbegehren sei unzulässig, weil für zukünftige Schäden nichts ersichtlich sei.

Dagegen die Berufung, die nur hinsichtlich des Feststellungsantrages Erfolg hatte.

Das OLG hat seine Entscheidung umfangreich begründet. Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze, und zwar:

  1. Für die Annahme eines sog. „Schockschadens“ sind ohne eine pathologisch fassbare Auswirkung auch Depressionen, Schlafstörungen, Alpträume, Seelenschmerzen, Weinkrämpfe, Gefühle des „Aus-der-Bahn-geworfen-seins“ und vorübergehende Kreislaufstörungen bis hin zu Kollaps-Belastungen, in denen sich nach der Wertung des Gesetzes lediglich das „normale“ Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt verwirklicht, nicht ausreichend.
  2. Alleine die von ärztlicher Seite für notwendig erachtete Behandlung, weil der Tod eines nahen Angehörigen nicht verarbeitet werden kann, belegt noch keine nach der allgemeinen Verkehrsauffassung bestehende Gesundheitsverletzung.
  3. Von wesentlicher Bedeutung bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes sind die gesundheitlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Anspruchstellers. Zu berücksichtigen sind auch die familiären Belastungen, insbesondere ggf. im Verhältnis zu einer Ehefrau sowie die grobe Fahrlässigkeit des Unfallverursachers.
  4. Es erscheint  angemessen, auch das Hinterbliebenengeld im Bereich des Durchschnitts von 10.000,00 EUR anzusetzen und diesen Durchschnittsbetrag wegen des besonders schmerzlichen Verlustes eines minderjährigen Kindes mit messbaren Krankheitsfolgen (Anpassungsstörung und leichte Depression) auf 15.000,00 EUR zu erhöhen.
  5.  Auch wenn ein Anspruch nach Schockschadensgrundsätzen nicht besteht, liegt trotzdem bereits ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis vor.