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StPO III: Volksverhetzung in Form der „Holocaustlüge, oder: „Bedeutungslose (Hilfs)Tatsache“

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Die dritte Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Hamm, und zwar mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 01.06.2021 – 3 RVs 19/21.

Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Nach den Feststellungen der kleinen Strafkammer nahm der Angeklagte am 00.00.0000 in C an einer von Mitgliedern der Partei „Die Rechte“ aus E angemeldeten Veranstaltung teil, die zum 00. Geburtstag der bekannten und mehrfach verurteilten Holocaust-Leugnerin V, mit der der Angeklagte befreundet ist, stattfand. Auf der Veranstaltung trat er als Redner auf und hielt eine etwa neunminütige Rede, die noch heute bei „youtube“ abrufbar ist. In dieser – in dem angefochtenen Urteil im vollständigen Wortlaut mitgeteilten – Rede äußerte er u. a.: „Die Juden haben Christus verworfen, haben ihn kreuzigen lassen, sie haben sein Opfer für sich in Anspruch genommen und brauchten einen anderen Mythos. Den haben sie geschaffen und der findet auch seinen Niederschlag in § 130 Strafgesetzbuch.“ Durch diese Passage, so das Landgericht, habe der Angeklagte bewusst und gewollt den Holocaust als Erfindung der Juden dargestellt, wobei ihm bewusst gewesen sei, dass dies von Dritten, insbesondere Teilnehmern der Veranstaltung, auch entsprechend verstanden werden würde.“

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte. Zur erhobenen Verfahrensrüge führt das OLG aus:

„1. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Zu Unrecht beanstandet der Angeklagte die Ablehnung seines Antrags auf Erhebung des Sachverständigenbeweises „zum Beweis der Tatsache, dass von verschiedenen Strömungen der jüdischen Religion die im christlichen Glauben als Voraussage des Erscheinens Jesu Christi verstandenen Texte im Kapitel 53 des Buches Jesaja dahingehend interpretiert werden, dass ein erheblicher Teil des jüdischen Volkes als Opfer sterben müsse und diese Lehre bereits vor 1933 vertreten wurde“. Das Landgericht hat die beantragte Beweiserhebung zutreffend gem. § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO als bedeutungslos abgelehnt.

Bei der unter Beweis gestellten Behauptung handelt es sich um eine Hilfstatsache. Der Antrag betrifft nicht die dem Angeklagten als strafbar vorgeworfene Äußerung als solche, sondern hat angebliche religiöse Ansichten zum Gegenstand, aus deren Existenz aus Sicht des Angeklagten der Schluss zu ziehen sei, dass es sich bei der ihm vorgeworfenen Äußerung nicht um ein Leugnen von Tatsachen, sondern um eine theologische Meinungsäußerung handele.

Diese Hilfstatsache war aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos. Denn sie hätte auch im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die tatrichterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt gehabt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1999 – 1 StR 122/99 -; Beschluss vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 154/13 -, beide juris; Julius in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 244, Rn. 30; Trüg/Habetha, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 244, Rn. 240; Meyer-Goßner, StPO, 63. Auflage 2020, § 244, Rn. 56). Zutreffend ist das Landgericht in seinem die Beweiserhebung ablehnenden Beschluss davon ausgegangen, dass die Bewertung der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung als strafbar nicht davon abhängt, ob es die unter Beweis gestellten Strömungen in der jüdischen Religion tatsächlich gibt.

Denn „Leugnen“ im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB ist u. a. das Bestreiten des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden. Ob es sich bei einer Äußerung um ein solches Bestreiten handelt, hat das Tatgericht durch Auslegung der Äußerung auf ihren tatsächlichen Gehalt hin zu ermitteln. Als Kriterien dieser Auslegung sind der Wortlaut der Äußerung, ihr sprachlicher Kontext, die nach außen hervortretenden Begleitumstände sowie die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden heranzuziehen (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016 – 3 StR 449/15 -, juris). Darauf hat auch das Landgericht zutreffend abgestellt.

Es lag auf der Hand, dass die beantragte Beweiserhebung für die Aufklärung dieser entscheidenden Gesichtspunkte nicht von Belang war. Denn auch, wenn die behaupteten theologischen Ansichten tatsächlich wissenschaftlich vertreten würden, wäre die Äußerung des Angeklagten nicht als Beitrag zu einem theologischen Diskurs zu verstehen gewesen. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zu Recht ausgeführt hat, ist die fragliche Äußerung nicht bei einem Symposium von Religionswissenschaftlern, sondern auf einer Sympathiekundgebung für eine Holocaustleugnerin gefallen. Vor diesem Hintergrund war auch eine weitergehende Würdigung der Beweislage in dem die Beweiserhebung ablehnenden Beschluss ausnahmsweise entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 5. Januar 1982 – 5 StR 567/81 -; Beschluss vom 24. August 1999 – 1 StR 672/98 -; beide juris).“