Entschieden hat das LG über einen Verkehrsunfall in einem Parkhaus. Der Kläger befuhr mit seinem Pkw auf dem 5. Parkdeck die zur Ausfahrt führende Parkgasse. Die Zeugin pp. fuhr mit ihrem Mercedes B 180, auf einer von rechts in die Fahrbahn des Klägers einmündenden Parkgasse. Über der Zufahrt dieser Gasse ist ein Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angebracht. Als der Kläger die Einmündung passierte und die Zeugin nach rechts in die Fahrbahn des Klägers einbog, kam es zur Kollision. Dabei berührten sich das klägerische Fahrzeug am Kotflügel vorne rechts und das von der Zeugin geführte Fahrzeug am Kotflügel vorne links. Dem Kläger entstand ein Schaden von insgesamt 3.135,59 €, den der Beklagte zu 50 % regulierte.
Der Kläger ist von der vollen Haftung der Beklagten ausgegangen, die Beklagten nur von einem Anteil von 50 %. Sie haben nur in der Höhe reguliert. Der Kläger hat den Rest eingeklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg:
„1. Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG, § 6 Abs. 1 AusPflVG – der beklagte Verein ist nach § 2 Abs. 1 b AuslPflVG an die Stelle des zuständigen Versicherers getreten – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.
a) Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren.
b) Dem hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kläger ist es nicht gelungen, den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls zu erbringen. Ein umsichtiger und vorausschauender Idealfahrer hätte in der konkreten Verkehrssituation in seine Überlegung mit einbezogen, dass die Zeugin … ihn übersehen oder sich ihm gegenüber vorfahrtberechtigt glauben könnte. Er hätte den Einmündungsbereich daher erst dann passiert, wenn durch Verständigung eindeutig festgestanden hätte, dass die Zeugin ihm die Vorfahrt gewähren würde.
2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass beide Fahrer den Unfall durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verursacht haben. Hiergegen wendet sich die Berufung mit Erfolg.
a) Noch zutreffend hat das Erstgericht die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, NZV 2012, 394; Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19 mwN). Bei der Eröffnung eines der Allgemeinheit zugänglichen Parkhauses sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1985 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835; BGH, Urteil vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 21. November 2014 – 13 S 132/14, Zfs 2015, 201).
b) Auch die Annahme der Erstrichterin, § 8 Abs. 1 StVO käme unter den gegebenen Umständen nicht zur Anwendung, begegnet keinen Bedenken. Nach vorherrschender Auffassung, der sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen (bzw. in Parkhäusern) grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben (vgl. Nachweise im Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19). Zu bejahen ist ein solcher, wenn durch die bauliche Ausgestaltung oder durch die Fahrbahnmarkierung eine gekennzeichnete Straßen- oder Wegeführung gegeben ist, die der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge dient. Erforderlich ist eine hinreichende Abgrenzung von den Parkboxen. Merkmale für die Abgrenzung sind neben der Markierung auch die Fahrbahnbreite und die Verkehrsführung. Dienen die Fahrspuren nicht dem „fließenden Verkehr“, sondern dem Suchverkehr, ist das Merkmal zu verneinen (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 71). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Erstrichterin den (eindeutigen) Straßencharakter der hier in Rede stehenden Fahrgassen zu Recht verneint. Denn die streitgegenständlichen, zwar durch Markierung von den Parkboxen abgegrenzten Fahrgassen dienen ausweislich der in der Akte befindlichen Lichtbilder in erster Linie der Zufahrt zu weiteren Parkboxen. Dass die Beschilderung und auf der Fahrbahn befindliche Fahrtrichtungspfeile auch auf die Ausfahrt des Parkhauses hinweisen, ändert hieran nichts.
c) Hiervon ausgehend hatten beide Beteiligten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten, die sich nach den konkreten Anforderungen der Verkehrslage und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen richten. Diese wurden vorliegend durch die eindeutige Beschilderung („Vorfahrt-gewähren“) aus Fahrtrichtung der Zeugin … seitens des Parkhausbetreibers besonders ausgestaltet bzw. konkretisiert. Die Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs z.B. zur Verkehrsregelung auf privaten Grundstücken ist nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 – I ZB 15/03 -, BPatGE 47, 297). Zwar geht von Ihnen keine bindende Wirkung i.S. einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung aus. Zivilrechtlich können sie allerdings eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots entsprechend zu beachten ist (vgl. z.B. LG Düsseldorf, Urteil vom 21. August 2014 – 16 O 126/13, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2007 – 35 C 6864/07, Schaden-Praxis 2007, 424; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Dezember 2015 – 2 U 326/15; OLG Köln, Urteil vom 23. Juni 1993 – 13 U 59/93, Schaden-Praxis 1994, 178; Freymann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Einleitung – Grundlagen des Straßenverkehrsrechts, Rn. 30; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 39 StVO, Rn. 24). Dementsprechend trifft die Zeugin … vorliegend ein erheblicher Sorgfaltsverstoß, weil sie das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem auf der bevorrechtigten Fahrgasse fahrenden Klägerfahrzeug verursacht hat.
d) Ein Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO ist demgegenüber nicht feststellbar. Zwar ist es zutreffend, dass der Kläger mit von rechts kommendem Fahrzeugverkehr jederzeit rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen musste. Dies gilt umso mehr als er die Zeugin … unstreitig schon vor ihrer Einfahrt in seine Fahrgasse wahrgenommen hatte. Vorliegend ist allerdings nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Zeugin ihr Fahrzeug an der Einmündung zunächst angehalten und so ein Vertrauen des in Kenntnis der örtlichen Verkehrsreglung heranfahrenden Klägers darauf begründet hatte, sie werde sein Vorfahrtsrecht achten. Dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ist die Zeugin nicht entgegengetreten, sondern ging selbst davon aus, angehalten zu haben (Bl. 102 d.A.). Da vorliegend auch nicht ersichtlich ist, dass die Missachtung der Vorfahrt durch die Zeugin … bereits zu einem Zeitpunkt für den Kläger erkennbar wurde, in dem er die Kollision noch durch ein Ausweichmanöver oder ein Abbremsen hätte vermeiden können, kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht als erwiesen angesehen werden. So lässt sich auch die Vermutung des Beklagten, der Kläger könne schon deshalb nicht mit angepasster Geschwindigkeit bzw. jederzeit bremsbereit gefahren sein, da es zur Kollision gekommen sei, nicht beweiswürdig nachvollziehen. Der Einholung eines von der Beklagtenseite angebotenen Unfallrekonstruktionsgutachtens bedarf es insoweit nicht, da greifbare Anhaltspunkte dafür fehlen, wann eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Kläger erging.
3. Vor diesem Hintergrund steht im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge dem Sorgfaltsverstoß der Zeugin … lediglich die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gegenüber, die hier nicht zurücktritt. Dies käme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert wäre. Solche Umstände, die das Verschulden der Zeugin … als besonders schwerwiegend erscheinen lassen könnten, liegen hier allerdings nicht vor, zumal die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten auf Parkflächen einander angenähert sind (vgl. z.B. Kammer, Urteil vom 3. Juli 2020 – 13 S 41/20 und vom 19. Juli 2013 – 13 S 61/13, zfs 2013, 564, jeweils m.w.N.) und der Kläger die Einmündung ohne eine Rückversicherung, dass die Zeugin … ihn gesehen hatte, passierte. Vor diesem Hintergrund trägt eine Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten des Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.“