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Raub I: Gewahrsamsbruch/Gewahrsamsbegründung, oder: Wenn der „Beraubte“ die Wohnung verlassen hat

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Ich stelle – wie man aus der Überschrift ersehen kann – heute dann StGB-Entscheidungen vor. Da aber alle drei mit dem Raubtatbestand (§§ 249 ff. StGB) zu tun haben, heute mal nicht unter „StGB“, sondern unter „Raub“. Ist mal etwas anderes :-). Und: Alle drei stammen vom BGH.

Den Opener macht das BGH, Urt. v. 04.05.2022 – 6 StR 628/21. Die Angeklagten waren vom LG jeweils des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beihilfe zum versuchten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden.

Grundlage waren folgende Feststellungen des LG:

„Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen berichtete eine unbekannte männliche Person den Angeklagten, dass der Geschädigte H. Betäubungsmittel verkaufe und diese sowie Bargeld fertig verpackt in einem Rucksack in seiner Wohnung vorrätig halte. Die Angeklagten kamen mit dem Unbekannten überein, in dessen Auftrag den Rucksack zu erbeuten und ihm auszuhändigen. Sie wussten, dass H. den Rucksack nicht widerstandslos herausgeben würde. Deshalb verabredeten sie mit dem Unbekannten, H. durch Schläge gefügig zu machen. Den Angeklagten war gleichgültig, wieviel Betäubungsmittel und Bargeld sie erbeuten würden. Ihre Vorstellung richtete sich allerdings auf eine erhebliche Menge an Betäubungsmitteln. Für die Durchführung der Tat erwarteten sie von dem Unbekannten eine Entlohnung.

Der Unbekannte fuhr die Angeklagten zu dem Mehrfamilienhaus, in dem H. wohnte, und beschrieb ihnen die Lage der Wohnung im zweiten Obergeschoss. Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend sollte er im Auto warten und die Beute nach der Tat entgegennehmen. Die Angeklagten betraten das Haus und gingen zu der Wohnung des Geschädigten. G. trug schwarze Handschuhe, die auf der Oberseite mit Quarzsandeinlagen verstärkt waren, um die Wucht der Schläge zu verstärken. R. wusste dies und billigte deren Einsatz. Er selbst trug Lederhandschuhe und hatte unter anderem ein Klappmesser eingesteckt, was G. jedoch nicht bekannt war. Einer der Angeklagten hatte außerdem ein Bündel Kabelbinder dabei, um H. gegebenenfalls zu fesseln.

H. öffnete arglos seine Wohnungstür. G. drängte ihn in die Wohnung und schlug ihm zweimal mit der Faust ins Gesicht, wodurch er ins Taumeln geriet, aber nicht zu Boden ging. Währenddessen schloss R. die Tür mit dem innen im Schloss steckenden Schlüssel ab. Als H. um Hilfe rief, hielt ihm R. den Mund zu. Es kam zu einer Rangelei, in deren Verlauf H. zu Boden ging. R. versuchte, ihn dort zu fixieren. Währenddessen durchsuchte G. die Wohnung. In der Küche fand er zwei Rucksäcke der Marken Omexon und Adidas. Im OmexonRucksack befanden sich 2.218,50 Euro, 22 MDMA-Tabletten und 57,7 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10 Gramm THC. G. nahm die Rucksäcke an sich und steckte den Omexon-Rucksack in den Adidas-Rucksack.

Währenddessen wurden die in der darunterliegenden Wohnung wohnende Schwester des Geschädigten S. und deren Freund C. auf H. s Hilferufe aufmerksam. Sie eilten zu dessen Wohnung und versuchten, die Tür mit einem Zweitschlüssel zu öffnen, was aber wegen des innen im Schloss steckenden Schlüssels nicht gelang. C. und S. begaben sich auf den Balkon der Wohnung des Geschädigten, von wo aus sie einen Teil des Geschehens in der Wohnung beobachten konnten. Als die Angeklagten bemerkten, dass C. auf den Balkon geklettert war, um H. zu Hilfe zu kommen, gelang es diesem, sich von R. loszureißen und die Balkontür zu öffnen. Daraufhin wollten die Angeklagten fliehen. G. lief aus der Wohnung nach unten. Er konnte das Gebäude aber nicht verlassen, weil die Mutter des Geschädigten die Hauseingangstür abgeschlossen hatte. Es kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen G. und dem Bruder des Geschädigten, der G. bis zum Eintreffen der Polizei festhielt. R. war noch in der Wohnung von C. ergriffen und zur Hauseingangstür gebracht worden.“

Die StA hatte dagegen Revision eingelegt und geltend gemacht, dass die Angeklagten aufgrund dieser Feststellungen nicht des vollendeten besonders schweren Raubes ( § 249 Abs. 1 , § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ) und des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ( § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ) schuldig gesprochen worden sind.

Dem ist der BGH gefolgt:

„a) Die zur Vollendung eines Raubes führende Wegnahme ist vollzogen, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Das ist der Fall, wenn der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Maßgeblich sind insoweit die Anschauungen des täglichen Lebens. Danach genügt bei leicht beweglichen Sachen regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten bzw. das offene Wegtragen als Wegnahmehandlung. Hat der Täter einen solchen Gegenstand an sich gebracht, erlangt er jedenfalls dann die ausschließliche Sachherrschaft darüber, wenn er den umschlossenen Herrschaftsbereich des bisherigen Gewahrsamsinhabers verlassen hat. Die Beobachtung des Tathergangs bzw. alsbaldige Entdeckung des Täters und seine Festnahme stehen der Tatvollendung nicht entgegen. Dadurch wird lediglich die Rückgabe der Sache an den bisherigen Gewahrsamsinhaber ermöglicht; bereits gesicherter Gewahrsam des Täters ist für die Vollendung der Wegnahme nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08 , BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 12 ; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09 , NStZ 2011, 158).

Danach hatten die als Mittäter handelnden Angeklagten den Gewahrsam des Geschädigten H. an den beiden Rucksäcken sowie den darin befindlichen Betäubungsmitteln und dem Bargeld spätestens zu dem Zeitpunkt gebrochen und neuen Gewahrsam begründet, als der Angeklagte G. die Wohnung H. s verlassen hatte und zur Hauseingangstür hinuntergelaufen war. Dass die Angeklagten auf frischer Tat betroffen wurden und G. das Haus wegen der verschlossenen Haustür nicht verlassen konnte, hinderte nicht die Vollendung der Tat, sondern lediglich deren Beendigung durch die Sicherung der Beute.

b) Aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen erlangten die Angeklagten durch die Tat zugleich die Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel in nicht geringer Menge, wobei sie mit den Quarzhandschuhen, der Angeklagte R. darüber hinaus mit dem Klappmesser, bewusst Gegenstände mit sich führten, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt waren ( § 30a 2 Nr. 2 BtMG ).“

Der BGH hat deshalb die Schuldsprüche geändert und die Strafaussprüche aufgehoben. Insoweit: Auf ein Neues.

Versuch I: Kurzzeitiges Entreißen der Geldbörse, oder: Nur Versuch oder Vollendung der Wegnahme?

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Heute dann ein „Versuchstag“. Gemeint sind damit StGB-Entscheidungen zum Versuch (§§ 22, 23 StGB).

Und ich starte mit einem schon etwas älteren Beschluss des BGH, dem BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 2 StR 187/19. Den hier vorzustellen, habe ich immer wieder übersehen. Jetzt ist es so weit.

Das LG hat den Angeklagten ausweislich des Urteilstenors wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt  angeordnet. Ausweislich der Urteilsgründe hat das LG hingegen angenommen, der Angeklagte habe sich statt wegen besonders schweren Raubes wegen versuchten besonders schweren Raubes schuldig gemacht. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wegen des Widerspruchs im Schuldspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen in vollem Umfang Erfolg.

1. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil der in der Urteilsformel zum Ausdruck kommende Schuldspruch – Verurteilung wegen besonders schweren Raubes – von den in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung – versuchter besonders schwerer Raub – nicht getragen wird. Es liegt kein für alle Beteiligten klar zu Tage tretendes Fassungs- oder Schreibversehen vor (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 5 StR 154/19, juris Rn. 7 mwN), das eine Tenorberichtigung ermöglichen würde. Es handelt sich auch nicht um eine Fallgestaltung, bei der ohne Weiteres ersichtlich wird, dass der Tatrichter seine Erwägungen in Wirklichkeit nicht auf den in den Urteilsgründen, sondern auf den in der Urteilsformel zum Ausdruck gebrachten Schuldspruch bezogen hat und dass dies trotz der anderslautenden Entscheidungsgründe dem Beratungsergebnis entspricht. Vielmehr wird die Urteilsformel von den Feststellungen nicht zweifelsfrei getragen.

a) Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der kokain- und alkoholabhängige Angeklagte am 4. August 2018 in einen Lebensmitteldiscounter begab, um Alkohol zu stehlen. Er sah in der Tüte einer an der Kasse wartenden Zeugin eine Geldbörse und wollte diese an sich bringen. Er folgte der Zeugin aus dem Gebäude und sprühte ihr, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Passanten in der Nähe waren, Pfefferspray in Richtung des Gesichts, um die nunmehr in der Hand der Geschädigten befindliche Geldbörse und andere stehlenswerte Gegenstände zu entwenden. Er versuchte, die Einkaufstüten zu ergreifen und entriss der Zeugin außerdem kurzzeitig die Geldbörse. Die Zeugin wehrte sich heftig und hielt den Angeklagten an seinem T-Shirt fest. Im weiteren Verlauf des Gerangels verlor der Angeklagte die Geldbörse wieder. Nachdem einige Passanten aufgrund der Hilferufe der Zeugin herbeigeeilt waren, gab sich der Angeklagte geschlagen und wartete auf das Eintreffen der Polizei.

b) Diese Feststellungen ermöglichen keine zweifelsfreie Beurteilung, ob die Raubtat bereits vollendet war.

aa) Eine Sache ist weggenommen und ihr Raub ist vollendet, wenn der Gewahrsam des bisherigen Inhabers aufgehoben und die Sache in die tatsächliche Verfügungsmacht des Räubers gelangt ist. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens; die Erlangung gesicherten oder gefestigten Gewahrsams ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271, 273; BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08, NStZ 2008, 624, 625; vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18, juris Rn. 4 f.).

bb) Hiervon ausgehend erweisen sich die getroffenen Feststellungen als ambivalent. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (BGH, Urteil vom 21. April 1970 – 1 StR 45/70, BGHSt 23, 254, 255; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158), weshalb in Betracht kommt, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten, im Entreißen der Geldbörse eine zur Vollendung des Raubdelikts führende Gewahrsamserlangung zu sehen. Konnte allerdings der Angeklagte den Geldbeutel nur kurzzeitig der Geschädigten entreißen, während diese ihn durchgehend am T-Shirt festhielt und mit ihm rang, liegt die Annahme nahe, dass der Angeklagte die Sachherrschaft am Geldbeutel noch nicht ohne Behinderung durch die Geschädigte ausüben konnte, mithin die Raubtat noch nicht vollendet war. Wie sich die Sache hier verhalten hat, lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.“

Der BGh hatte im Übrigen auch noch andere Bedenken. Die insoweit ganz interessanten Ausführungen zu § 21 StGB bitte selbst lesen.

StGB I: Diebstahl/Raub, oder: Gewahrsamsbruch erforderlich

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Heute ist 1. Mai, also „Tag der Arbeit“, und deshalb gibt es hier heute wie immer drei Beiträge.

Bei dem ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 09.01.2019 – 2 StR 288/18 -, ein Klassiker zum Raubtatbestand (§ 249 StGB). Der Beschluss führt noch einmal das aus, was jeder Jurastudent imersten Semester lernen dürfte:  Eine Wegnahme im Sinne der §§ 242, 249 BGB setzt voraus, dass fremder Gewahrsam gebrochen und neuer, eigener begründet wird. Und das muss sich dann bei einer Veruretilung wegen Raubes auch aus den Feststellungen ergeben, was bei einer Strafkammer des LG Hanau nicht der Fall war:

„I. Nach den Feststellungen des Landgerichts täuschten die Angeklagten einen Überfall auf die Filiale der Firma S. in H. vor, bei der der Angeklagte B. als stellvertretender Filialleiter arbeitete. Der maskierte Angeklagte C. erschien entsprechend der zwischen den Angeklagten getroffenen Absprache am Morgen des 7. August 2017 um 7.10 Uhr auf dem Hof des Baumarktes, auf dem der Angeklagte B. zusammen mit dem Angestellten Ca. Waren aufstellte, bedrohte sie unter Vorhalt der mitgeführten, geladenen Schreckschusspistole und forderte beide zur Herausgabe von Bargeld auf. B. ließ nicht erkennen, dass er eingeweiht war, und ging zusammen mit Ca., der zwischenzeitlich vergeblich zu fliehen versucht hatte, und dem Mitangeklagten C. in das Büro des nicht anwesenden Filialleiters. Dort öffnete der Angeklagte B. den Tresor und übergab an C. das darin befindliche Bargeld in Höhe von 6.459,47 €. Daraufhin verließ dieser mit der Beute den Baumarkt; sie wurde am Abend hälftig aufgeteilt.

II. Der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Angeklagten das entwendete Bargeld mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben weggenommen haben, um es sich rechtswidrig zuzueignen. Zwar diente – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift – der Einsatz der Waffe und die damit konkludent verbundene Drohung auch der Ansichnahme des Geldes aus dem Tresor und war nicht „bloße Requisite für den inszenierten Raub“. Denn damit bewirkten die Angeklagten es ihrem Tatplan entsprechend zumindest auch, dass der Angestellte Ca. mögliche Maßnahmen zur Vereitelung einer Entwendung des Geldes unterließ. Eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels und einer (möglichen) Wegnahme wäre deshalb gegeben.

Allerdings lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, dass die Angeklagten das Geld auch im Sinne von § 249 Abs. 1 StGB weggenommen haben. Das setzte voraus, dass sie fremden Gewahrsam gebrochen und neuen eigenen begründet haben. Wer Gewahrsam an dem im Tresor befindlichen Geld gehabt hat, wird im Urteil nicht näher erläutert. Es versteht sich nach den getroffenen Feststellungen auch nicht von selbst, dass ein anderer als der Angeklagte B., der offensichtlich als stellvertretender Filialleiter unmittelbaren Zugriff auf den Tresor und das dort befindliche Geld hatte, (Mit-)Gewahrsam hatte, den die Angeklagten gebrochen haben könnten. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob und wer Gewahrsam an einer Sache hat, beurteilt sich nach den Umständen des einzelnen Falles und den Anschauungen des täglichen Lebens (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271, 273; BGH, Urteil vom 21. April 1970 – 1 StR 45/70, BGHSt 23, 254, 255). Danach ist es zwar nahe liegend, dass ein Filialleiter eines Baumarktes Gewahrsam an dem Geld hat, das sich in einem Tresor in seinem Büro befindet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er vor Ort anwesend ist und über einen Schlüssel für den Tresor oder eine Zugriffskennung für diesen verfügt.

Ob dies aber auch der Fall ist, wenn er sich – wie hier – nicht in seinem Büro bzw. im Baumarkt aufhält und von seinem Stellvertreter vertreten wird, hängt von Umständen ab, zu denen sich das Urteil nicht verhält. Maßgeblich dafür ist, ob der Filialleiter trotz der Vertretung weiter unmittelbaren Zugriff auf den Tresor und seinen Inhalt hat (etwa weil er einen eigenen Schlüssel besitzt und eine Sachherrschaft auch in überschaubarer Zeit realisieren kann), der Stellvertreter also lediglich neben dem Filialleiter Sachherrschaft über den Tresor besitzt, oder ob die Verantwortung unter anderem auch für den Inhalt des Tresors auf den Stellvertreter vollständig übergegangen ist. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn dem Stellvertreter eine Stellung zukommt, die nach Aufgaben und Verantwortung der eines alleinverantwortlichen Kassiers vergleichbar ist, ohne dass es insoweit darauf ankommt, dass er der Kontrolle und Weisung des Filialleiters unterliegt (vgl. im Zusammenhang mit einer bei der Öffnung eines Tresors mitwirkenden Aufsichtsperson in einer Spielhalle (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1988 – 3 StR 115/88, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Gewahrsam 4).

Da sich anhand der Urteilsgründe nicht feststellen lässt, ob der Filialleiter zumindest Mitgewahrsam an dem im Tresor befindlichen Geld hatte, fehlt es an einem tragfähigen Beleg für den gemäß § 249 Abs. 1 StGB erforderlichen Gewahrsamsbruch.“

Ware in die Tüte = schon vollendeter Diebstahl, auch bei der „tätereigenen“ Tüte

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Wer erinnert sich nicht: Im Studium waren die Lehrbücher und Skripten voll von den Fallkonstellationen, in denen der Täter die Ware, die er entwenden wollte, noch im Geschäft in eine Tüte oder Tasche steckte. Dann stellte sich die Frage: Gewahrsamsbruch und vollendeter § 242 StGB oder doch noch nicht, mit allen sich daraus ggf. ergebenden Folgen wie die (Nicht)Möglichkeit eines Rücktritts. Mit einer solchen Fallgestaltung befasste sich jetzt das AG Lübeck, Urt. v. 27.06.2012, 61 Ds 750 Js 13529/12 (70/12).

Zum Sachverhalt:…. Die Socken/Strumpfhosen hatte die Angeklagte zwischenzeitlich aus den Händen gelegt, hingegen nunmehr einen Gürtel, eine Mütze, Parfüm, Schmuck und eine Fusselrolle den Warenauslagen entnommen. Mit diesen Waren in den Händen ging sie sodann hinter einen Warenständer, weiterhin im Eingangsbereich, und steckte diese in eine Tüte, wobei für das Gericht letztlich nicht sicher feststellbar war, ob es sich um eine von der Angeklagten mitgeführte eigene Tasche – ggf. mit H-Aufdruck – oder eine von der Firma H zum Verkauf angebotene Tasche/Geschenktüte handelte.

Anschließend ging die Angeklagte weiter in das Ladenlokal hinein, nahm wahllos ohne nähere Betrachtung einen Herrenpullover im Vorbeigehen von einem Ständer und stellte sich zunächst in eine Schlange an den Kassen im hinteren Bereich des Ladenlokals, in welche sich dahinter auch der die Angeklagte beobachtende Zeuge P. einreihte. Die Angeklagte, die ihre Beobachtung bemerkt zu haben schien, stellte daraufhin die Tüte mit den vorgenannten Waren sowie den Pullover im Kassenbereich auf einen Warenauslagenständer und verließ das Ladengeschäft, wobei sie von dem Zeugen P verfolgt und im weiteren Fortgang durch von diesem benachrichtigte Polizeibeamte in der Fußgängerzone gestellt wurde. In der im Ladenlokal zurückgelassenen Tüte befanden sich Waren im Gesamtwert von 51,60 EUR, welche die Angeklagte sich rechtswidrig zueignen wollte.“

Zum Tatbestand/zur rechtlichen Würdigung bezieht sich das AG dann auf die h.M..M in der Rechtsprechung  –  grundlegend BGH NJW 1961, 2266 f. [BGH 06.10.1961 – 2 StR 289/61]; 1975, 320; Fischer, StGB, 59. A. 2012, § 242 Rdnr. 18, 20 f. m.w.N.“.

Und: Es ändert sich nichts, wenn die Angeklagte eine „tätereigene“ Tüte verwendet hat:

Wollte man die Beurteilung entgegen der hier vertretenen Ansicht davon abhängig machen, ob eine vom Täter mitgeführte, mithin tätereigene Tasche benutzt wird oder eine im Ladengeschäft dem dortigen Warenbestand entnommene, wäre nach der maßgeblichen Verkehrsanschauung auch zu beachten, dass nach den Bekundungen des Zeugen P in dem hier betroffenen Ladengeschäft für den Transport von Waren durch Kunden zur Kasse oder im Laden Einkaufskörbe zur Verfügung stehen, es deshalb keine Notwendigkeit gab – so die Einlassung der Angeklagten in ihrer polizeilichen Vernehmung – , die Waren mangels anderer Transportmöglichkeiten in der Tasche bis zur Kasse zu transportieren. Der Fall ist insoweit auch anders gelagert als derjenige, in dem – wie etwa in Geschäftslokalen von Möbelhäusern (Ikea) – Taschen für den Transport von Waren innerhalb der Ladenlokale bis hin zum Kassenbereich, wo diese Taschen dann freilich wieder abgegeben werden müssen, zur Verfügung gestellt werden, der Gewahrsamsinhaber (Geschäftsinhaber) damit gerade mit einem Einstecken von kleineren Waren in solche Taschen einverstanden ist. In einem solchen Fall liegt nach der Verkehrsanschauung kein Gewahrsamsbruch vor. Der hier zur Aburteilung stehende Sachverhalt stellt sich wie dargelegt anders dar.

Allenfalls hinsichtlich der dem Warenbestand entnommenen (Geschenk-)Tüte selbst – so man denn diesen Sachverhalt gleichsam zu ihren Gunsten unterstellt -, in welche die Angeklagte die übrigen Waren gesteckt hat, erscheint zweifelhaft, ob sie mit dem bloßen „in die Hand nehmen“ eigenen Gewahrsam begründet, mithin den Tatbestand insoweit verwirklicht oder jedenfalls dazu unmittelbar angesetzt hat (was indes erst beim Ansetzen zum Verlassen des Ladenlokals anzunehmen sein dürfte). Im Hinblick auf deren Wert von 1,95 EUR und den vollendeten Diebstahl der übrigen Waren ist dies aber zu vernachlässigen.

Prüfungsrelevant? Na ja, vielleicht im 1. Examen.


 

Schnell ist ein Mobiltelefon geklaut… und das kann günstig sein

Der BGH hat in seinem Beschl. v. 06.07.2010 – 3 StR 180/10 zu einer in der Praxis sicherlich häufiger anzutreffenden Frage Stellung genommen, nämlich dazu, wann bei „handlichen Gegenständen“, wie z.B. einem Mobiltelfon der Gewahrsam des Eigentümers gebrochen und eigener Gewahrsam begründet ist.

Der BGH sagt:

Bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen genügt hierfür ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte (BGH NStZ 2008, 624, 625 mwN). Nach diesen Maßstäben war die Wegnahme bereits vollendet, als der Angeklagte dem Zeugen das Mobiltelefon aus der Hand nahm, denn um die ungehinderte eigene Verfügungsgewalt wiederzuerlangen hätte der Zeuge es ihm gegen dessen Widerstand entwinden müssen. Der Wille des Angeklagten, den Zugriff des Zeugen hierauf auszuschließen, ergibt sich schon daraus, dass ihm der Sachentzug als Mittel zur Durchsetzung seiner unberechtigten Geldforderung dienen sollte.“

Im entschiedenen Fall hat das dem Angeklagten geholfen, denn damit schied eine Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls aus, da die Zueignungsabsicht erst gefasst wurde, nachdem bereits Gewahrsam begründet war. Damit blieb dann nur Unterschlagung und Nötigung. Das macht bei der Strafe dann sicherlich/hoffentlich einen Unterschied.