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Durchsuchung II: Gibt es ein Beweisverwertungsverbot, oder: Gefahr im Verzug, wenn die Tat aufgedeckt ist

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Und als zweite Entscheidung dann etwas vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 22.11.2022 – 5 StR 377/22 -, der noch einmal in einem Zusatz zu einem Beweisverwertungsverbot Stellung nimmt, und zwar im Hinblick auf „Gefahr im Verzug“:

„Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Entgegen der Ansicht der Revision unterliegen die anlässlich der beim Angeklagten durchgeführten Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen Speichermedien keinem Beweisverwertungsverbot. Zwar war diese Maßnahme nicht nach § 105 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO von einem Richter angeordnet worden. Es lagen hier aber die Voraussetzungen für eine Eilanordnung der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr in Verzug vor (§ 105 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StPO). Denn aus dem mit der Revision vorgelegten Durchsuchungsbericht folgt – worauf der Vertreter der Nebenklägerin in seiner Stellungnahme zutreffend hingewiesen hat –, dass infolge eines Telefonats zwischen der Mutter der Geschädigten und dem Angeklagten die Tat aufgedeckt war. Daher drohte durch die zeitliche Verzögerung, die mit der Befassung des Ermittlungsrichters verbunden gewesen wäre, unmittelbar der Verlust von Beweismitteln. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Annahme des Vorliegens der Eilkompetenz keine rechtlichen Bedenken (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245).“

StPO III: Polizei vor Ort ==> Gefahr im Verzug?, oder: OStAin sieht das anders ==> Beweisverwertungsverbot

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Ich hatte im Frühsommer über das AG Hamburg- St. Georg, Urt. v. 19.04.2022 – 942 Ls 209/21 berichtet (vgl. Durchsuchung II: OStAin sollte zur Fortbildung, oder: Wenn Polizei vor Ort keine “Gefahr im Verzug”). Dem Verfahren lag u.a. das Ergebnis einer Durchsuchung bei dem Angeklagten zugrunde, die wegen Gefahr im Verzug von der (zuständigen) OStAin angeordnet worden war, nachdem sich eine Polizeibeamtin bei ihr gemeldet hatte, die morgens um gegen 10.00 Uhr eine Durchsuchung durchführte, die sich gegen andere Beschuldigte richtete. Dabei war man auch bei dem in der Wohnugn anwesenden Angeklagten auf BtM gestoßen. Die Polizei war und blieb vor Ort. Eine richterliche Anordnung der Durchsuchung der Räume des Angeklagten wurde nicht eingeholt.

Wegen des genauen Sachverhalts verweise ich auf das o.a. AG-Urteil und auf das LG Hamburg, Urt. v. 02.11.2022 – 711 Ns 45/22, das nun vorliegt. Denn: Die Staatsanwaltschaft ist gegen den Freispruch durch das AG natürlich in Berufung gegangen und hat sich jetzt auch beim LG eine Abfuhr geholt. Denn auch das LG geht von der Unverwertbarkeit der gefundenen „Beweismittel“ aus:

„Die im Rahmen der Zimmerdurchsuchung aufgefundenen Gegenstände konnten auf Grund eines Beweisverwertungsverbotes nicht zu Lasten des Angeklagten bei den Fest-stellungen berücksichtigt werden, so dass er aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

Die erfolgte Durchsuchung war rechtswidrig. Eine Durchsuchung darf nur mit Zustimmung des Betroffenen oder nach §§ 102, 105 StPO nach richterlichem Beschluss oder bei Gefahr im Verzuge durchsucht werden. Eine gemäß § 105 Abs. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die handelnden Beamten haben auch keine Zustimmung des Angeklagten im Vorwege eingeholt. Das bloße Dulden einer Durchsuchung stellt keine konkludente Zustimmung zur Durchsuchung dar (vgl. Urteil des OLG Köln vom 27.10.2009, 81 Ds 65/09, juris).

Die Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwältin beruhte auch nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der Eilkompetenz.

Es lag keine Gefahr im Verzug vor, da ein Beweismittelverlust nicht zu befürchten war. Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142 ff., BGHSt 51, 285ff). Die Ermittlungsbehörden haben dabei grundsätzlich ein eigenes Prüfungsrecht, ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht oder nicht, dürfen aber Gefahr im Verzug nicht vor-schnell annehmen, damit bei Wohnungsdurchsuchungen nicht die grundgesetzlich verankerte Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen wird. Aus diesem Grund reichen Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen. Regelmäßig ist daher der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Gemessen hieran ist die Annahme von Gefahr im Verzug nicht tragfähig begründet. Das Zimmer war gesichert, der Angeklagte machte keinerlei Anstalten, sein Zimmer betreten zu wollen. Auf die Frage, ob der Angeklagte mit Zwangsmitteln an einem Betreten seines Zimmers hätte gehindert werden dürfen oder nicht kommt es daher nicht an. Es handelt sich hierbei um eine nicht durch Tatsachen belegte hypothetische Erwägung, die im Widerspruch zum tatsächlichen Geschehen stand. Es drohte kein Beweismittelverlust, was die Beamtin vor Ort auch so eingeschätzt hat. Die zuständige Ermittlungsrichterin oder ein Vertreter im Amt wäre an einem Donnerstag um 10.30 Uhr unfraglich unverzüglich erreichbar gewesen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass hier keine zügige Entscheidung hätte ergehen können.

Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt im vorliegenden Fall auch zu einem Beweisverwertungsverbot.

Grundsätzlich muss im Einzelfall auf Grund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit nach einer wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden, ob eine rechtswidrige Durchsuchung auch eine Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel zur Folge hat. Bei der Abwägung bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall angenommen werden kann. Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis durch das Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes. Dabei ist ein Beweisverwertungsverbot zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden (vgl. Urteil des BGH vom 6.10.2016 mwN, NStZ 2017, S. 367ff.).

Ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß lag zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall vor.

In der vorgenannten Entscheidung vom 6. Oktober 2016 hat der BGH es für einen schwerwiegenden Verstoß ausreichen lassen, dass die Staatsanwältin nach einem Kontakt mit dem Eildienstrichter, der eine Papierlage verlangte, um zu entscheiden, Eilbedürftigkeit angenommen hat. Der BGH hat in einem anderen Fall, in dem ein Angeklagter nachmittags wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgenommen wurde, eine Durchsuchung aber erst um 20 Uhr auf Gefahr im Verzuge von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, einen vergleichbar schwerwiegenden Verstoß angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007, BGHSt 51, 285ff.). Danach habe der Staatsanwalt eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit nicht einmal erwogen, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren und auch nicht die ihm obliegende Pflicht erfüllt, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehaltes durch die Polizei Sorge zu tragen, nämlich möglichst frühzeitig auf den Erlass eines Beschlusses hinzuwirken.

Das hier vorliegende Geschehen ist mit dem Verhalten der Staatsanwaltschaft in den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, zur Überzeugung der Kammer sogar schwerwiegender. Vorliegend hatte die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal versucht, ei-nen Ermittlungsrichter zu erreichen, sondern hatte die Gefahr im Verzug auf eine hypothetische Annahme gestützt. Die Beamtin Noack war nach ihren Angaben in der Hauptverhandlung davon ausgegangen, dass die StAin versucht habe, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, dafür sei genügend Zeit gewesen. Die Annahme wegen Gefahr im Verzug wurde im vorliegenden Fall zumindest ohne Nachfrage zur konkreten Situation einfach aus allgemeinen kriminalistischen Überlegungen dahingehend, dass bei einer geplanten Durchsuchung eines bei der Durchsuchung anwesenden Beschuldigten stets ein Beweismittelverlust drohe, getroffen. Würde man dies zulassen, könnte in der Folge in allen Fällen der An-wesenheit des Beschuldigten Gefahr in Verzug angenommen werden. Eine solche generelle Regel wäre aber grob grundrechtswidrig und würde den Richtervorbehalt erheblich aushöhlen.

Im vorliegenden Fall hat die Polizeibeamtin entweder unvollständige oder unklare Angaben gemacht zur Situation, so dass hierin ein erheblicher Verstoß zu liegen wäre oder die Staatsanwältin hat es versäumt, zur konkreten Situation und einem drohenden Beweismittelverlust nachzufragen, was ihr als „Herrin des Verfahrens“ oblegen hätte. Bereits bei Nachfrage zur aktuellen Situation wäre der Staatsanwältin von der Beamtin erklärt worden, dass keine Gefahr im Verzug vorlag, so dass die Annahme von Gefahr in Verzug nicht erfolgt wäre. Damit wurde die konkrete Situation nicht ausreichend aufgeklärt, was ein erheblicher Verstoß gegen die notwendige Aufklärungspflicht darstellt.

Soweit der BGH in dem Urteil vom 17. Februar 2016 (2 StR 25/15, juris) angenommen hat, dass trotz Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei einer Durchsuchung kein Verwertungsverbot vorliege, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass es hier nicht um die grundgesetzlich geschützte Durchsuchung einer Wohnung ging, sondern um die Durchsuchung eines in einem sichergestellten und zuvor entwendeten Autos befindlichen Rucksackes und einer darin befindlichen Geldkassette zur Identitätsfeststellung.

In dem Beschluss des BGH vom 21. April 2016 (2 StR 394/15, juris) wurde wiederum vom BGH ein Beweisverwertungsverbot angenommen: Die Polizei hatte den dortigen An-geklagten wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen und ihm Fahrzeugschlüssel abgenommen und 10 Tage später das passende Fahrzeug auf der Straße abgeparkt entdeckt. Der Staatsanwalt, der nicht wusste, dass die Tat 10 Tage zuvor begangen worden war, ordnete eine Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug an ohne auch nur versucht zu haben, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren. Der BGH hat in diesem Verfahren deutlich gemacht, dass es auf die Frage einer etwaigen Fehlvorstellung des Staatsanwaltes nicht ankomme, da diese Fehlvorstellung – wie im vorliegenden Fall – auf nicht nachzuvollziehender unvollständiger Information beruht und diese auch nicht rechtfertige, dass es an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten nicht einmal versucht wurde, eine richterliche Entscheidung zu erlangen. Zwar war im dortigen Fall der An-geklagte in Untersuchungshaft und nicht wie im vorliegenden Fall vor Ort, jedoch bestand dennoch eine damit vergleichbare stabile Situation ohne drohender Gefahr eines Beweismittelverlustes und eine Entscheidung auf unvollständiger Datenbasis.

Insoweit kommt es auch auf die Tatsache, ob bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden wäre und ob es sich bei der Durchsicht des Zimmers des Angeklagten um tatsächlich eine solche handelte, da man bereits von der Tür aus erkennen konnte, ob jemand im Zimmer ist oder nicht, nicht an.

Dem Aspekt des möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufes kommt bei -wie hier – grober Verkennung des Richtervorbehaltes nämlich keine Bedeutung zu. Würde man in solchen Fällen stets anerkennen, dass der hypothetische rechtmäßige Ersatzeingriff eine Rolle spielen dürfte, würde dadurch der Richtervorbehalt unterlaufen werden und auf eine nachträgliche Überprüfung beschränkt werden, was vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war. Es würde sogar ein Ansporn entstehen, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde aber das wesentliche Erfordernis eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.

Angemerkt sei darüber hinaus, dass die Staatsanwältin vorliegend auch nur von dem Verdacht des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ausgegangen ist und nicht von einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und eine Wohnungsdurchsuchung regelmäßig dann nicht rechtmäßig ist, wenn konkrete Hinweise auf größere Mengen von Betäubungsmitteln nicht vorliegen (vgl. Urteil des OLG Hamburg vom 23. März 2007, 3-4/07 (REV) 1 Ss 5/07, juris).“

Durchsuchung II: OStAin sollte zur Fortbildung, oder: Wenn Polizei vor Ort keine „Gefahr im Verzug“

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Und dann als zweite Entscheidung heute das AG Hamburg- St. Georg, Urt. v. 19.04.2022 – 942 Ls 209/21-, das mit der College C. Diedrich aus Hamburg geschickt hat. Das Urteil behandelt einen Klassiker, nämlich die Frage des Beweisverwertungsverbotes betreffend die bei einen Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.

Dem Angeklagten ist ein Verstoß gegen das BtMG zur Last gelegt worden. Dieser Vorwurf war u.a. gestützt auf Betäubungsmittel, die man bei einer Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten gefunden hatte. Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei gesprochen. Es ist hinsichtlich der Betäubungsmittel von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen und hat dazu folgende Sachverhaltsfeststellungen getroffen:

„Am 30. März 2020 erließ das Amtsgericht Hamburg, Abt. 167, unter dem Az. 167 Gs 2/20 in dem Ermittlungsverfahren gegen die beiden damaligen Beschuldigten pp. und pp. auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hamburg einen Durchsuchungsbeschluss betreffend der Wohn- und Nebenräume, der Geschäfts-, Büro- und sonstigen Betriebsräume in der pp. in Hamburg. Im Wesentlichen führte die diesen Beschluss erlassende Amtsrichterin aus, dass die beiden damaligen Beschuldigten pp. und pp. aufgrund der auf der Ladefläche des von ihnen gefahrenen Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen pp. sichergestellten Filteranlage und der zehn beschrifteten Glasbehältnisse mit Marihuanaanhaftungen sowie der Ergebnisse der kurzfristigen Observation des Polizeibeamten pp. verdächtig seien, in Hamburg in nicht rechtsverjährter Zeit vor dem 29. Dezember 2019 und fortlaufend gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben.

Dieser Durchsuchungsbeschluss wurde sodann am 30. Juni 2020 durch insgesamt elf Kriminalbeamte — u.a. der Kriminalbeamtin pp. — durchgeführt, welche zudem durch zwei Angestellte im Polizeidienst unterstützt wurden. Bereits vor der tatsächlichen Umsetzung des Durchsuchungsbeschlusses vom 30. März 2020 war den Ermittlungsbehörden bekannt, dass neben den im verfahrensgegenständlichen Durchsuchungsbeschluss benannten beiden damaligen Beschuldigten auch der nunmehr Angeklagte wohnt. Zu diesem Zeitpunkt bestand jedoch kein entsprechende Tatverdacht gegen den Angeklagten. Auf Klingeln öffnete der damalige Beschuldigte pp. die Wohnungstür. Nach Ausweisung sowie Nennung des Grundes ihres Erscheinens betraten die Kriminalbeamten sowie die beiden Angestellten im Polizeidienst die Wohnung. In der Wohnung selbst wurde der weitere damalige Beschuldigte pp. nicht, jedoch der Angeklagte angetroffenen. Der Angeklagte saß arbeitend an einem kleineren Tisch im Wohnzimmer, auf welchem ein Vorratsglas mit Marihuana, eine Schale mit Marihuana standen sowie ein Brocken Haschisch und Grinder offen lagen. Eine erste grobe Durchsicht sämtlicher Zimmer der Wohnung noch vor dem Beginn der eigentlichen Durchsuchung zwecks Überprüfung der Wohnung auf weitere Personen, brachte die Erkenntnis, dass im Zimmer des Angeklagten zwei Grinder offen und sofort sichtbar auf einem Nachttisch und einem Sideboard lagen. Aufgrund dieser Erkenntnis in Zusammenschau mit der Antreffsituation des Angeklagten am kleinen Tisch im Wohnzimmer, auf welchem sich u.a. Marihuana befand, entschied sich die Kriminalbeamtin pp. dazu, die Staatsanwaltschaft Hamburg telefonisch zu kontaktieren, um dort über die neue Sachlage zu informieren und ggfls. eine Erweiterung des Durchsuchungsbeschlusses auf das Zimmer sowie die Person des Angeklagten zu erwirken. Da die Kriminalbeamtin pp. die in diesem Verfahren zuständige Dezernentin nicht erreichen konnte, rief sie die ebenfalls in der zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft tätige Oberstaatsanwältin pp. an und berichtete von den neuen Erkenntnissen. Ohne den Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, ordnete Frau Oberstaatsanwältin pp. in diesem Telefonat mit der Kriminalbeamtin pp. dieser gegenüber gegen 10:39 Uhr die Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten wegen Gefahr in Verzug an. Nach Belehrung als Beschuldigter und dem Hinweis, dass nun auch sein Zimmer durchsucht werde, bat der Angeklagte darum, bei der Durchsuchung zusehen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde. Im Rahmen der Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten, welche sich unmittelbar nach dem Telefonat zwischen der Kriminalbeamtin pp. und der Oberstaatsanwältin pp. um 10:41 Uhr begann, wurde dort Folgendes sichergestellt: ein schwarzer Grinde ohne Deckel im Sideboard, ein Grip-beutel mit Anhaftungen im Sideboard, diverses Verpackungsmaterial mit Anhaftungen in einem blauen Kulturbeutel beim Bett, acht Tabletten Ectasy in der oberen Schublade des schwarzen Sideboards, 65,- € Bargeld auf der Kommode, ein Schlagring in der obersten Schublade des Sideboards, ein blauer Grinder auf dem schwarzen Nachttisch sowie eine Dose mit MDMA in der oberen Schublade der Kommode. Der Angeklagte äußerte sich hinsichtlich der Dose mit MDMA dahingehend, dass er die Dose zuvor nie gesehen habe und nicht wisse, was sie enthalte oder wem sie gehöre. Er wisse auch nicht, wie diese Dose in sein Zimmer gelangt sei.

Frau Oberstaatsanwältin pp. verfasste noch am 30. Juni 2020 einen schriftlichen Vermerk über das Telefonat mit der Kriminalbeamtin pp. mit folgendem Inhalt: „Das LKA 68 (KB’in pp.) teilte gegen 10:40 Uhr telefonisch mit, dass derzeit aufgrund des vorliegenden Durchsuchungsbeschlusses im Verfahren 6004 Js 231/20 in der Wohnung der beiden Beschuldigten pp. und pp. in der pp. durchsucht werde. Nachdem die eingesetzten Beamten die Wohnung betreten und zur Personensicherung einmal alle Zimmer in Augenschein genommen hatten, konnte der nunmehr ebenfalls als Beschuldigter dieses Verfahrens zu führende pp. im Wohnzimmer sitzend mit einem Grinder direkt vor sich und einem offenen Vorratsglas mit Marihuana in unmittelbarer Nähe wahrgenommen werden. Bei der ersten Durchsicht der Räumlichkeiten zur Sicherung konnte in dem vom Beschuldigkeiten pp. genutzten Zimmer bereits ein Grinder auf den ersten Blick wahrgenommen werden. Gemeldet ist in der Wohnung keiner der nunmehr drei Beschuldigten dieses Verfahrens; am Klingelschild fanden sich aber alle drei Namen. Die Unterzeichnerin ordnete die Durchsuchung des Zimmers des Beschuldigten pp. in der oben bezeichneten Wohnung wegen Gefahr in Verzug an und teilte dies dem LKA 68 fernmüdlich mit, weil bereits die mit dem Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte. Der Beschuldigte pp. war anwesend, die Maßnahme damit offen — ein Warten auf einen weiteren Durchsuchungsbeschluss hätte unmittelbare Gefahr eines Beweismittelverlustes bedeutet.“

Noch Fragen? Nein, denn – wie gesagt: Das AG hat den Angeklagten, der sich zur Sache nicht eingelassen hat, frei gesprochen:

„….Die Zeugin pp. hat neben der Schilderung des Hintergrundes der Durchsuchung und der Durchführung der Durchsuchung auf konkrete Nachfrage des Gerichts zur Situation vor Ort, insbesondere zu der von Frau Oberstaatsanwältin pp. in deren schriftlichen Vermerk behaupteten unmittelbaren Gefahr eines Beweismittelverlustes im Zusammenhang mit dem Versuch einen richterlichen Beschluss zu erwirken ganz deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ein Beweismittelverlust überhaupt nicht gedroht hatte, da aus polizeitaktischer Sicht die Situation in der Wohnung gesichert war. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin pp. insbesondere ausgeführt, dass der Angeklagte für die Zeit des Wartens auf einen richterlichen Beschluss aus seinem Zimmer gesprochen und ihm untersagt worden wäre, mit Dritten zu kommunizieren (insbesondere mittels technischer Geräte wie Handy oder Laptop). Ein Zugriff des Angeklagten auf die in seinem Zimmer zu vermutenden Beweismittel, so die Zeugin pp. weiter, wäre auf diese Weise verhindert worden.

Vl.

Es besteht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der im Zimmer des Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel sowie des sichergestellten Schlagringes, da die durchgeführte Durchsuchung wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig war. Eine gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Anordnung von Frau Oberstaatsanwältin pp. beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme ihrer sich aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO ergebenden Eilkompetenz, da Gefahr in Verzug, wie es die Zeugin pp. in der Hauptverhandlung auf Nachfrage des Gerichts erklärt hat, objektiv nicht vorlag.

Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG Beschl. v. 20. Mai 2011 — 2 BvR 2072/10 — in: NJW 2011, 2783, 2784). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der vom Gericht festgestellten Umstände vor. Soweit man wohlwollend unterstellen würde, dass Frau Oberstaatsanwältin pp. in ihrer Vorstellung aufgrund der telefonischen Schilderung der Kriminalbeamtin pp. von einer Situation der Gefahr in Verzug ausgegangen ist, kann dieser Umstand, unbeschadet dessen, dass eine solche Fehlvorstellung auf – nicht nachzuvollziehender — möglicherweise nicht vollständiger Information beruht hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, es nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich, wie die Zeugin pp. geschildert hat, unter polizeilicher Aufsicht befand und er keine Möglichkeit gehabt hätte, Beweismittel zu verstecken oder zu vernichten (vgl. BGH, Beschl. v. 21. April 2016 — 2 StR 394/15 — in: juris Rdnr. 15.).

Der Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18. November 2003 — 1 StR 455/03 — in: BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) kann bei — wie hier — solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (BGH, Beschl. v. 21. April 2016 — 2 StR 394/15 — in: juris Rdnr. 16; dort auch zum Nachfolgenden). Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.“

Mehr als zutreffend. Man versteht die Welt nicht. Da ist die Polizei vor Ort und kann „sichern“ und die Oberstaatsanwältin bejaht „Gefahr im Verzug“. Wenn nicht in diesem Fall „Gefahr im Verzug“ nicht vorgelegen hat, wann denn sonst nicht. Das hatte übrigens die Durchsuchungsbeamtin richtig erkannt. Die OStAìn geht m.E. besser noch einmal auf eine Fortbildung.

EV II: Durchsuchungsanordnung durch den StA, oder: Die Strafe folgt, nämlich Beweisverwertungsverbot

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Die zweite Entscheidung, der OLG Koblenz, Beschl. v. 04.03.2021 – 1 Ws 53/21 – ist im Haftverfahren ergangen. Das OLG hat auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln den Haftbefehl gegen den Betroffenen aufgehoben. Dem Vorwurf lag das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten zugrunde liegt. Polizeibeamte hatten die Wohnung des Beschuldigten zunächst gegen 9.52 Uhr – nach vergeblichem Klopfen und Rufen – durch die unverschlossene Wohnungstür betreten, um den Beschuldigten aufgrund eines in einem andern Verfahren bestehenden Vollstreckungshaftbefehls festzunehmen, die Wohnung nach ihm durchsucht, ihn jedoch nicht angetroffen und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer eine weiße Substanz nebst typischen Betäubungsmittel-Utensilien sowie in einer Papiertüte auf dem Sofa eine Plastikbox mit transparentem Deckel, die eine grünliche Substanz beinhaltete, vorgefunden. Der daraufhin gegen 10 Uhr von den Beamten zwecks (weiterer) Durchsuchung der Wohnung kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt vertrat ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme die Auffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine hinreichende Grundlage für eine Durchsuchung der Wohnung dar, zumal etwa durch das Auffinden von Unterlagen eventuell auch Rückschlüsse auf den aktuellen Aufenthaltsort des Beschuldigten möglich seien. Rein vorsorglich – da er nicht ausschließen könne, dass die Rechtsfrage streitig sei – würde er dennoch – nachdem er Dezernenten der Betäubungsmittelabteilung nicht erreicht hatte – versuchen, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, damit sie Bescheid wisse und „notfalls (deklaratorisch)“ die Durchsuchung legitimiere. Er traf sodann die Ermittlungsrichterin sowie deren Vertreterin nicht in ihren Büros an, die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle befand sich in einem Telefonat und die Mitarbeiterin einer weiteren Geschäftsstelle teilte ihm mit, dass sich die Ermittlungsrichterin grundsätzlich im Hause befinde, die Vertreterin nicht. Der Staatsanwalt schilderte nunmehr einer weiteren Richterin kurz den Sachverhalt, die die Vermutung äußerte, der zweite Vertreter sei wohl der dienstjüngste Richter, ohne angeben zu können, wer dies sei. Daraufhin teilte der Staatsanwalt den Polizeibeamten gegen 10.30 Uhr mit, er habe die Ermittlungsrichterin und ihre Vertreterin nicht erreichen können, sehe die Voraussetzungen für eine weitere Durchsuchung als gegeben und „trage insoweit die Verantwortung“ . Aufgrund dieser – von den Polizeibeamten als solche verstandenen – Durchsuchungsanordnung erfolgte die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, im Rahmen derer insbesondere größere Mengen an Betäubungsmitteln, ein Baseballschläger, Feinwaagen, Verpackungsmaterial und ein Handy aufgefunden und sichergestellt wurden. Der Verwertung dieser Beweismittel hat der Beschuldigte widersprochen.

Das AG hat den Haftbefehl gegen den Beschuldigten dann aufgehoben, da die bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Das LG hat ihn dann neu erlassen. Das OLG hat ihn dann wieder aufgehoben:

„Die weitere Haftbeschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten sichergestellten Beweismittel unterliegen – mit Ausnahme derer, die bereits bei der ersten Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des Beschuldigten festgestellt wurden – einem Beweisverwertungs-verbot, so dass kein dringender Tatverdacht hinsichtlich des dem Beschuldigten zur Last gelegten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht. Bezüglich des verbleibenden Tat-verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erweist sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig.

1. Das Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten nach vergeblichem Klopfen und Rufen sowie deren anschließende Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten erfolgten rechtmäßig.

Zwar stellt der durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 457 Abs. 2 StPO erlassene Vollstreckungs-haftbefehl für sich genommen keine hinreichende Ermächtigung hierfür dar. Jedoch umfasst die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung alle Maß-nahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Düsseldorf, 2 Ws 289/81 v. 27.07.1981 – NJW 1981, 2133; OLG Frankfurt, 3 Ws 62/63 v. 26.11.1963 – NJW 1964, 785; KK-StPO/Bruns, 8. Auflage 2019, § 105 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 457 Rn. 11; a.A. KK-StPO/Appl, 8. Auflage 2019, § 457 Rn. 11; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 457 Rn. 22 ff.). Dem steht entgegen der Auffassung des Verteidigers insbesondere auch nicht der Wortlaut des zwischen-zeitlich eingefügten § 457 Abs. 3 S. 3 StPO entgegen (so allerdings KK-StPO/Appl, a.a.O.), wo-nach die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen das Gericht des ersten Rechtszuges trifft. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Regelung der Zuständigkeit, die in dieser Weise bereits vor der Gesetzesänderung angenommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die im Rahmen dieser ersten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel sind damit als Zufalls-funde gemäß § 108 Abs. 1 StPO verwertbar. Der Verweis des Verteidigers auf § 108 Abs. 1 S. 3 StPO verfängt nicht, da sich diese Vorschrift nur auf eine Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke der Ergreifung des Beschuldigten gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO bezieht. Verwertbar sind damit jedenfalls die in der auf dem Sofa befindlichen Papiertüte (BI. 31 d.A., bei dem Fundort „Safe“ – BI. 33 d.A. – handelt es sich offenbar um einen Übertragungsfehler) aufgefundenen – verkaufsfertig abgepackten – 8,7 g Marihuana (vgl. BI. 33, 35, 86 f., 89 f. d.A.). Inwieweit den Polizeibeamten – entsprechend der Auffassung der Staatsanwaltschaft (BI. 215 d.A.) und des Landgerichts (BI. 241 d.A.) – bereits bei der ersten Durchsuchung möglicherweise noch weitere der im Wohnzimmer aufgefundenen Beweismittel auffielen, ist angesichts der Formulierung „unter anderem“ in dem polizeilichen Vermerk (BI. 86 f. d.A.) unklar und bedarf der Abklärung.

2. Die sodann nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt durchgeführte (weitere) Durchsuchung der Wohnung war demgegenüber wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig, weil eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft nicht bestand.

Die dem vorliegenden Vollstreckungshaftbefehl vorausgehende gerichtliche Entscheidung stellte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Grundlage für die erfolgte Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln hinsichtlich des neuen Tatverdachts dar.

Nach Art. 13 Abs. 2 Hs. 2 GG i.V.m. § 105 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen Durchsuchungen zwar ausnahmsweise auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) an-geordnet werden, wenn Gefahr im Verzug besteht. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme -regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln – gefährdet würde (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285). Diese Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft – auf die sich der Staatsanwalt infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung auch gar nicht ausdrücklich beruft – lag jedoch ersichtlich nicht vor. Angesichts der vor Ort befindlichen Polizeibeamten, die sich davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand, drohte bereits keinerlei Beweismittelverlust. Hinzu kommt, dass ein Ermittlungsrichter an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war. Nach den seitens des Staatsanwalts eingeholten Informationen befand sich sogar die originär zuständige Ermittlungsrichterin im Haus, die sich zu dem Zeitpunkt lediglich nicht in ihrem Büro aufhielt.

3. Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten (weiteren) Wohnungs-durchsuchung hat vorliegend auch ein Verwertungsverbot hinsichtlich der dabei aufgefundenen Beweismittel zur Folge.

Zwar führt die Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 21). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist aber zumindest bei schwerwiegenden. bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 21.0/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; OLG Zweibrücken, 1 OLG 2 Ss 3/18 v. 18.06.2018 – NStZ 2019, 301; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Auflage 2020, § 105 Rn. 19) bzw. einer bewussten Missachtung des Richtervorbehalts oder der Verkennung seiner Voraussetzungen in gleichwertig grober Weise (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22) geboten.

Von einem willkürlichen oder bewussten Verstoß ist vorliegend in der Gesamtschau nicht auszugehen, ein schwerwiegender Fehler liegt jedoch aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass dem Beschuldigten mit dem Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein schweres Verbrechen zur Last liegt (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes BGH, 2 StR 25/15 v. 17.02.2016 – NStZ 2016, 551; OLG Köln, 81 Ss 65/09 v. 27.10.2009 – StV 2010, 14) und es sich angesichts der Fortsetzung einer zunächst -auf der Grundlage der dem Vollstreckungshaftbefehl vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung – zulässigen Durchsuchung um einen Verstoß minderen Gewichts handelt (vgl. für eine zu-nächst gefahrenabwehrrechtlich zulässige Wohnungsdurchsuchung BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94, wobei aber – an-ders als hier – die meisten Beweismittel schon gesichtet wurden). Der Verfahrensverstoß wiegt jedoch so schwer – das Landgericht geht insofern in im Ausgangspunkt ähnlicher Einschätzung von einem „gerade noch als leichtfertig einzustufenden Verstoß“ aus -, dass trotz dieser Umstände ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist.

Die sich aus der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwalts ergebende Rechtsauffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine Grundlage für die weitere Wohnungsdurchsuchung dar, entbehrt jeglicher Grundlage. Selbst wenn die Annahme noch vertretbar erscheinen könnte, die dem Haftbefehl vorangegangene Gerichtsentscheidung berechtige auch zu einer Durchsuchung zwecks Auffindens von Anhaltspunkten für den aktuellen Aufenthalt des Festzunehmenden, ist es jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar, von einer Berechtigung zum Suchen nach Beweismitteln hinsichtlich eines neuen Tatverdachts – hier eines Verstoßes gegen das BtMG – aus-zugehen. Dies war aber sowohl ausweislich der polizeilichen Vermerke als auch der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwaltes zweifellos das einzige angestrebte Ziel der Maßnahme. Angesichts dieses ins Auge springenden Umstandes musste es dem Staatsanwalt bewusst sein, dass eine richterliche Anordnung erforderlich war, so dass sein Rechtsirrtum nicht geeignet ist, sein unzureichendes Bemühen um einen richterlichen Beschluss zu rechtfertigen. Insoweit hatte der Staatsanwalt offenbar auch selbst zumindest gewisse Zweifel, da sich ansonsten das Aufsuchen eines Ermittlungsrichters zwecks Erlangung einer „deklaratorischen“ Anordnung erübrigt hätte.

In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dringlichkeit der Durchsuchung ist es auch für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt neben den vorgenommenen, oben geschilderten Erkundigungen nicht weitere naheliegende Maßnahmen ergriffen hat, um einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Abgesehen davon, dass er ohne Weiteres auf die Rückkehr der zuständigen Ermittlungsrichterin hätte warten bzw. eine Rückrufbitte bei der Geschäftsstelle hinterlassen können, war die Richterin auch jederzeit – mittels Rufumleitung auf ihr Mobiltelefon – telefonisch erreichbar (BI. 203 d.A.), was der Staatsanwaltschaft zudem per Rundmail bekannt gegeben worden war (BI. 212 d.A.). Dennoch hat der Staatsanwalt nicht einmal einen Anrufversuch unternommen. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass am Vormittag eines Werktages kein sonstiger vertretungsberechtigter und -bereiter Richter erreichbar gewesen sein könnte, die Zuständigkeiten hätten sich problemlos durch eine Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan oder weiteres Nachfragen ergeben. Die seitens des Staatsanwaltes sodann getroffene Durchsuchungsanordnung – nur als solche ist auch die ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme erfolgte Mitteilung der „Verantwortungsübernahme“ zu verstehen – entbehrte daher jeder nachvollziehbaren Grundlage.

Bei einer derart schwerwiegenden Verkennung des Richtervorbehalts kommt dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs, d.h. dem Umstand, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre, keine Bedeutung mehr zu (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22; Meyer-Goßner/ Schmitt/Köhler, a.a.O., § 105 Rn. 19)…….“

Nr. 4500 – Gefahr im Verzug, oder: Wenn die BtM aus dem Fenster fliegen, und: Zu spät angerufen

Heute dann mal drei LG-Entscheidungen. Zunächst den LG, Limburg, Beschl. v. 09.04.2018 – 1 Qs 21/18 u. 38/18 u. Qs 39/18. Es geht um das Vorliegen von Gefahr im Verzug bei Durchsuchung und Anordnung einer Blutentnahme, also um den Richtervorbehalt. Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

Am 16.01.2018 gegen 11.20 Uhr suchten ein POK P. und zwei weitere Polizeibeamte die Wohnanschrift des Beschuldigten auf. Hintergrund war eine Ordnungswidrigkeit in anderer Sache. Als sich die Beamten auf das Wohnhaus zu bewegten, wurden aus einem Fenster im Dachgeschoss zwei Tüten in den Garten geworfen. Da nach deren Durchsicht die Beamten Amphetamin und Marihuana zu erkennen glaubten, forderte POK P. über Funk Verstärkung an. Noch vor einem Läuten traten der Beschuldigte und zwei männliche Personen aus dem Wohnhaus heraus.

POK P. eröffnete ihnen die vorläufige Festnahme unter Hinweis auf die aufgefundenen Drogen und ordnete die sofortige Durchsuchung des Hauses wegen Gefahr in Verzug an. Der Beschuldigte und seine männlichen Begleiter wurden unter Gegenwehr gefesselt und in den Streifenwagen verbracht. Nachdem um 11.50 Uhr angeforderte Unterstützung eingetroffen war, wurde der Beschuldigte zur Abklärung der Wohnverhältnisse in den 1. Stock des Wohnhauses geführt, in dem sich noch eine männliche Person befand. Im Zuge dessen kam es u.a. zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschuldigten und einem Beamten. Die Durchsuchung endete gegen 12.45 Uhr. Der Beschuldigte wurde im Anschuss auf die Polizeidienststelle verbracht und in der Zeit von 14.30 Uhr bis 14.40 Uhr vernommen. Um 15.40 Uhr wurde die StA zwecks Vorführung des Beschuldigten und Anordnung einer Blutentnahme im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte kontaktiert.

Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft teilte der Polizeidienststelle um 16.20 Uhr mit, sie werde eine Anordnung der Blutentnahme bei dem zuständigen Ermittlungsrichter beantragen. Um 16.30 Uhr ordnete sie selbst die sodann von einem Arzt durchgeführte Blutentnahme an, nachdem sie den Ermittlungsrichter nicht erreicht hatte. Das AG hat die Anordnungen der Durchsuchung und der Blutentnahme als rechtmäßig bestätigt (§ 98 Abs. 2 StPO analog). Das Rechtsmittel des Beschuldigten hatte teilweise Erfolg. Und zwar zweigeteilt:

So weit es die Rechtsmäßigkeit der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten betrifft, hat das LG die als als rechtmäßig angesehen. Dazu der Leitsatz des LG:

Gefahr in Verzug für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung liegt vor, wenn Polizeibeamten in nicht vorhersehbarer Weise mit einer neuen Verdachtssituation konfrontiert werden und die Beweismittelvernichtung bereits begonnen hat.

Hinsichtlich der Blutentnahme – es ist kein Fall des neunen § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO – hat das LG „Gefahr im Verzug“ verneint. Dazu der Leitsatz:

Demgegenüber ist die Annahme von Gefahr in Verzug für die Anordnung einer Blutentnahme nicht gerechtfertigt, wenn der 10-minütige Versuch, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, erst mehrere Stunden nach der Festnahme erfolgt.

Die Entscheidung ist, was die Anordnung der Blutentnahme angeht (§ 81a Abs. 2 Satz 1 StPO) zutreffend. Hinsichtlich der Durchsuchung kann man m.E. Zweifel anmelden. Denn mir erschließt sich nicht, warum man die Zeit zwischen dem Eintreffen an der Wohnung des Beschuldigten und dem Beginn der Durchsuchung um 11.50 Uhr nicht genutzt hat, um doch noch eine richterliche Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme – ggf. auch mündlich – zu erlangen. Denn wenn man das Eintreffen der Verstärkung abwarten konnte, dann konnte man auch den Versuch der Kontaktaufnahme zum Ermittlungsrichter unternehmen. Das lässt m.E. entgegen der Ansicht des LG den „zeitlichen Zusammenhang“ entfallen. So eilig war es dann mit der Durchsuchung wohl doch nicht.

Das war übrigens die 4.500-Entscheidung, die ich auf meiner HP – außer den Beschlüssen des OLG Hamm – eingestellt habe.