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In der Berichterstattung finden sich heuet drei Entscheidungen, die mit Mobiltelefonen zu tun haben.
Ich beginne mit dem LG Hamburg, Beschl. v. 06.06.2024 – 621 Qs 32/24 -, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Staatsanwaltschaft hatte eine sog. Funkzellenabfrage (§ 100g StPO) beantragt. Vorgetragen war, dass mindestens drei unbekannte Täter in H. am 01.06.2024 gemeinschaftlich und gewerbsmäßig als Mitglieder einer „Betrugs-Bande, Betrugstaten begangen hatte. Die unbekannten Täter hatten sich zusammen geschlossen mit dem Ziel , sich durch die professionelle und arbeitsteilige Begehung von Betrugstaten nach dem Vorbild des sog. „Enkeltricks“ zum Nachteil vorwiegend älterer Tatopfer eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von erheblichem Umfang zu verschaffen. Eine Einzeltat konnte näher konkretisiert werden: und zwar hatte am 01.06.2024 zur Mittagszeit ein unbekannter Täter telefonisch Kontakt mit dem zu diesem Zeitpunkt 86-jährigen, im H. Weg… wohnhaften Geschädigten W. H. B. über dessen Telefonanschluss aufgenommen. Er hatte sich als Polizeibeamter ausgegeben und behauptete – wider besseres Wissen – wahrheitswidrig, dass im Bereich der Wohnanschrift des Geschädigten eine Frau überfallen worden sei und in diesem Zusammenhang Unterlagen aufgefunden worden seien, die eine Auflistung der Vermögenswerte des Geschädigten enthielten. Kurze Zeit später erschien ein weiterer unbekannter Täter am Haus des Geschädigten und forderte ihn zur Herausgabe seiner Bankkarten und der dazugehörigen PIN-Codes heraus, vermeintlich um diese am Polizeikommissariat zu überprüfen, tatsächlich aber um unter Einsatz der Karte und PIN (abrede- und zweckwidrige) Abhebungen an Geldautomaten vorzunehmen; der Geschädigte folgte im Vertrauen auf die Angaben der Täter den Anweisungen.
Das AG hatte die beantragten Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO abgelehnt. Das LG kommt dem Antrag der StA nach und führt u.a. aus:
„….Es liegt der Verdacht einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung vor, § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO. Sie ist zum einen, unter Nr. 1 lit. n), im Katalog des § 100a Abs. 2 StPO enthalten und weist zum anderen auch unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände erhebliche Bedeutung auf. Es handelt sich vorliegend um eine Straftat von erhöhter Kriminalität. Nach kriminalistischer Erfahrung sind bei Taten nach dem vorliegenden Modus Operandi mindestens drei Personen involviert: Ein Anrufer, ein Logistiker und ein Abholer. Der Umstand, dass die Täter den Geschädigten geschickt manipulierten und steuerten, lässt auf einige Übung in dem Deliktsfeld und einen hohen Organisationsgrad schließen. An der Aufklärung dieser Tat besteht ein hohes öffentliches Interesse schon wegen des erheblichen Wertes der potentiellen Tatbeute – der Ersparnisse eines betagten Mitbürgers auf zwei Bankkonten – und des skrupellosen sowie gezielten Vorgehens der professionalisierten Täter, welche die altersbedingte Gutgläubigkeit und Gutmütigkeit des betagten Geschädigten mit erheblicher krimineller Energie arbeitsteilig und trickreich ausnutzten.
Vor diesem Hintergrund stehen die Erhebung der Daten und der hier beantragte Anordnungszeitraum von nur zwei Stunden in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache, § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StPO. ….. „
Aber: Es gibt ja den BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 171/23 -, der ja für die Anordnung einer Funkzellenabfrage den Verdacht einer besonders schweren Straftat aus dem Katalog des § 100g Abs. 2 StPO fordert. Das sieht das LG jedoch anders:
„Der Anordnung steht auch nicht entgegen, dass kein Verdacht einer besonders schweren Straftat aus dem Katalog des § 100g Abs. 2 StPO vorliegt. Der Katalog des § 100g Abs. 2 StPO ist für Funkzellenabfragen nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO nicht einschlägig.
Die Kammer schließt sich damit der jüngsten Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen einer Funkzellenabfrage nicht weiter an (vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2024 – 2 StR 171/23 = BeckRS 2024, 10088) und hält an ihrer in den Beschlüssen vom 23.05.2024 (Az.: 621 Qs 28/24) und vom 24.05.2024 (Az.: 621 Qs 29/24) noch vertretenen Rechtsansicht nicht weiter fest.
Der Beschluss des 2. Strafsenats lässt bereits im Ausgangspunkt unerwähnt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 14), dass die darin postulierte Auffassung, eine Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO setze den Verdacht einer besonders schweren Straftat aus dem Katalog des § 100g Abs. 2 StPO voraus, der – soweit ersichtlich – bislang herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur widerspricht (vgl. etwa LG Stade, Beschluss vom 26.10.2018 – 70 Qs 133/18 = BeckRS 2018, 27043; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt-StPO, 66. Auflage 2023, § 100g, Rn. 36-38; Bär, in: BeckOK-StPO, 51. Edition, Stand: 01.04.2024, § 100g, Rn. 50; Henrichs/Weingast, in: KK-StPO, 9. Auflage 2023, § 100g Rn. 12, jeweils m.w.N.).
Die Auffassung des 2. Strafsenats, wonach es für die Anordnung einer Funkzellenabfrage gemäß § 100g Abs. 3 S. 1 StPO des Verdachts einer Katalogstraftat nach § 100g Abs. 2 StPO bedarf, findet im Wortlaut (1.) und der Systematik (2.) des Gesetzes sowie nach historischer (3.) und teleologischer (4.) Auslegung keine Stütze. Auch eine analoge Anwendung des § 100g Abs. 2 StPO scheidet aus (5.)…..“
Der Rest dann bitte ggf. selbst lesen.