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Grundkurs in Sachen Beweiswürdigung, u.a. bei Absprache, – lesenswerte BGH-Entscheidungen

Manche obergerichtliche Entscheidungen lesen sich wie ein Grundkurs zu der in ihnen behandelten Problematik. Dazu kann man m.E. den BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – 4 StR 170/12 – rechnen. In ihm geht es um die Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung und die Anforderungen an die Urteilsausführungen bei einem dem Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags aus rechtlichen Gründen frei sprechenden Urteil. Der BGH setzt sich auf insgesamt 10 Seiten mit der landgerichtlichen Beweiswürdigung auseinander und zerpflückt sie bzw. legt ihre Mängel und Lücken offen.

Der BGH vermisst u.a. Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten, die hier – auch bei einem Freispruch – erforderlich gewesen seien. Im Übrigen wird beanstandet, dass das LG letztlich keine Würdigung der Beweise vorgenommen hat, ein Fehler, der häufig gemacht wird:

„a) Es ist regelmäßig verfehlt, die Einlassung des Angeklagten und die Aussagen sämtlicher Zeugen und Sachverständigen der Reihe nach und in ih-ren Einzelheiten mitzuteilen. Das kann die Besorgnis begründen, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen. Darin liegt regelmäßig ein Rechtsfehler (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, NStZ 1998, 475; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – 3 StR 417/03, wistra  2004, 150). Vielmehr muss eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung eine Abwä-gung und Gewichtung der einzelnen Beweise enthalten (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, aaO). Eine solche lassen die Urteilsgründe hier nicht erkennen.

b) Die Ausführungen des Landgerichts durften sich nicht darin erschöpfen, die Einlassungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung und im Ermittlungsverfahren ebenso wie die Aussagen seiner Lebensgefährtin in wesentlichen Teilen wörtlich in die Urteilsgründe aufzunehmen. Entsprechendes gilt für die Bekundungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen, denen die Strafkammer zwar ausweislich der Urteilsgründe gefolgt ist, deren Erkenntnisse aber weder im Hinblick auf einzelne den Angeklagten belastende Indiztatsachen gewichtet oder mit dem Beweisergebnis im Übrigen in Beziehung ge-setzt werden.

c) Ferner begegnet die – losgelöst vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen – erfolgte Bewertung der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Hintergrund der in den Urteilsgründen erwähnten Verständigung als nicht glaubhaft durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Wie der Bundesgerichtshof schon mehrfach betont hat, darf eine Verständigung über das Strafmaß nicht dazu führen, dass ein so zustande gekommenes Geständnis dem Schuldspruch zu Grunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 1 StR 464/02, BGHSt 48, 161, 167). Auch für die Bewertung eines Geständnisses gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 303; zur Darlegung in den Urteilsgründen BGH, Urteil vom 10. Juni 1998  – 2 StR 156/98, NJW 1999, 370, 371 mwN). Mag die Bewertung der Strafkam-mer, die Einlassung des Angeklagten vermittle den Eindruck eines mit einem bestimmten Ziel zusammengestellten Konstrukts, danach für sich genommen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, so liegt, worauf der General-bundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, der Rechtsfehler darin, dass das Landgericht bei dieser Erwägung stehen geblieben ist und die einander wider-sprechenden Einlassungen des Angeklagten weder im Einzelnen einer Bewer-tung unterzogen noch mit dem übrigen Beweisergebnis in Beziehung gesetzt hat. Damit hat es sich den Blick dafür verstellt, dass Teile der Angaben des An-geklagten, etwa in Zusammenschau mit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, geeignet sein könnten, diesen im Sinne des Anklagevor-wurfs zu belasten. Abgesehen davon hätte es im vorliegenden Fall – über die Mindestanforderungen des § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO hinaus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 267 Rn. 23a mwN) – der Mitteilung von Einzelheiten zum Inhalt der erwähnten Verständigung bedurft, um die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausreichend auf Rechtsfehler überprüfen zu können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. Novem-ber 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 ff.).

VorRiLG vom Vorwurf der Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt frei gesprochen

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Bei LTO finde ich gerade die Meldung „Suspendierter Richter freigesprochen“, in der über ein Urteil des LG Halle vom 10.10.2012 berichtet wird, mit dem ein Richter am LG  frei gesprochen worden ist.

Dem Richter war vorgeworfen worden  „zwischen April 2005 und August 2007 als Vorsitzender Richter am LG Dessau-Roßlau nach seinem Richterspruch fünf Urteile schriftlich ergänzt und überarbeitet zu haben. Das habe dazu geführt, dass Strafen später vollstreckt wurden.“ Deshalb war er  wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt angeklagt. Der Freispruch ist – so die Meldung bei LTO – damit begründet worden:“Die nachträgliche Bearbeitung der Urteile nach ihrer mündlichen Verkündung, habe nicht dazu geführt, dass das jeweilige Strafmaß verändert wurde, stellte das Landgericht (LG) Halle am Mittwoch fest (Urt. v. 10.10.2012, Az. 3 KLs 16/12).“

Was denn nun: Strafantrag gestellt oder nicht?

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Irgendwie komme ich mit dem dem BGH, Beschl. v. 21.08.2012 –  4 StR 157/12 – zugrunde liegenden Sachverhalt nicht ganz klar und frage mich: Was denn nun? Lag ein Strafantrag vor – scheint fast so. Aber dann hätte die Strafkammer doch zur Tat Stellung nehmen müssen. Oder hat Sie den Strafantrag übersehen?? Kann auch sein. Jedenfalls sind für mich die Ausführungen unklar, wenn es im BGH-Beschluss heißt:

Der ohne Erörterung des Schuldvorwurfs erfolgte Freispruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe ist rechtsfehlerhaft. Stellt sich in der Haupt-verhandlung heraus, dass erforderliche Strafanträge fehlen und ist die Antragsfrist abgelaufen, so ist das Verfahren nach § 260 Abs. 3 StPO insoweit einzustellen. Ein Freispruch kommt in diesem Fall nur dann in Betracht, wenn bereits feststeht, dass dem Angeklagten keine Straftat nachzuweisen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1965 – KRB 3/65, BGHSt 20, 333, 335; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 260 Rn. 44 mwN). Eine Einstellung durch das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 Satz 1 StPO konnte nicht erfolgen, weil im Fall II. 6 der Urteils-gründe ein rechtzeitig gestellter Strafantrag des Dienstvorgesetzten der beleidigten Vollzugsbeamten vorliegt und die Tat deshalb entgegen der Annahme des Landgerichts verfolgbar war (§ 194 Abs. 3 Satz 1 StGB). Indes ist der Angeklagte durch den Freispruch nicht beschwert.

 

Freispruch vergessen – kann schon mal passieren; der BGH repariert es.

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Kann in der Eile und der „Hitze des Gefechts“ passieren, dass man als Tatrichter übersieht, dass der Angeklagte – auch im Urteilstenor – zumindest teilweise frei zu sprechen war, weil ihm z.B. ein selbständig angeklagtes Delikt nicht nachgewiesen werden konnte usw. Kann passieren, darf aber natürlich nicht. Aber der BGH richtet es dann, wie man im BGH, Beschl. v.17.07.2012 – 3 StR 217/12 – nachlesen kann.

„Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 23. Januar 2012 wird die Urteilsformel dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Was mich natürlich noch interessieren würde: Was hatte die Strafkammer vergessen? Nur die Aufnahme des Freispruchs in den Urteilstenor oder hatte sie ggf. auch den Freispruch bei der Kostenentscheidung übersehen. Wenn ja und er dort Auswirkungen hätte, wäre der BGH-Beschluss nicht vollständig.

Freispruch bei einem Verstoß gegen rechtliches Gehör? AG Landstuhl, geht es wirklich so einfach?

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Vor einiger Zeit hatte der Beck-Blog (vgl. hier) über das AG Landstuhl, Urt. v. 3. 5. 2012 – 4286 Js 12300/10 – berichtet. Das AG hat den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Begründung: Werden von der Herstellerfirma eines Messgeräte (hier: ESO ES 3.0) die Mess-/Gerätedaten zu einer Messung nicht zur Verfügung gestellt, so dass die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht überprüft werden könne, liege ein Verstoß gegen den zu Gunsten des Betroffenen geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor, der zum Freispruch des Betroffenen führe.

Sicherlich eine überraschende Entscheidung, obwohl das AG Landstuhl, wie es zitiert, mit der Auffassung nicht allein ist (vgl. AG Kaiserslautern, Urt. v. 14. 3. 2012 – 6270 Js 9747/11). Ob das Urteil „ein deutlicher Pflock [ist], den das AG Landstuhl eingeschlagen hat„, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Denn zwei Fragen stellen sich für mich – und ich greife jetzt mal meiner Stellungnahme im VRR-Heft 07/2012 vor:

1. Man sollte nicht übersehen, „dass das AG erst im zweiten Anlauf Art. 103 GG und den Amtsaufklärungsgrundsatz „entdeckt“ und die Betroffene frei gesprochen hat. In einem Urteil vom 10.o2. 2011 hatte das noch anders geklungen und das AG war zur Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung mit 600 € Geldbuße und einem Fahrverbot von drei Monaten gekommen. Nun ist niemand gegen bessere Einsicht gefeit und es ist sicherlich zu begrüßen, dass das AG offenbar lernfähig ist: Nur den Unterschied zur ersten Entscheidung und die Begründung des AG, warum diese richtig gewesen ist, nun aber die damalige Begründung nicht mehr zutreffend sein soll, erschließt sich mir nicht. Die Frage des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) und/oder der Amtsaufklärungspflicht hängt doch weder davon ab, ob – offenbar meint das AG: „nur“ – ein konkreter Beweisantrag gestellt ist, oder ob ausdrücklich fehlenden Aufklärung an sich und der Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt wird Diese Fragen sind doch miteinander verwoben und mit einem Beweisantrag wird immer auch geltend gemacht, dass der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt werden muss. Warum das AG dann nicht bereits im Urteil vom 10. 2. 2011 frei gesprochen hat, leuchtet mir nicht ein. 

2. Einen Haken hat m.E. die „Konstruktion“ des AG. Das AG muss sich nämlich m.E. fragen lassen, „ob es eigentlich alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung ausgenutzt/eingesetzt hat (§ 244 Abs. 1 StPO)? Was ist also mit einer Durchsuchung beim Hersteller des Messgerätes und einer Beschlagnahme der Daten? Angesichts der Vorwurfs und der im Raum stehenden sicherlich nicht unverhältnismäßig.Zudem sicherlich auch deshalb „interessant“, weil diese Maßnahme einen wahrscheinlich „großen Erziehungseffekt“ gegenüber dem Hersteller haben dürfte, in Zukunft bei der Herausgabe der Messdaten vielleicht doch nicht ganz so sperrig zu sein, wie man es hier ist und dann auch noch „arrogant“ dem Gericht schreibt. Es stellt sich weiter die Frage, ob das AG nicht ggf. weitere Zeugen der Herstellerfirma hätte laden müssen, die dann Angaben zu den Messdaten hätten machen können. Denn diese sind, wenn auch verschlüsselt, im Messgerät vorhanden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für einen solchen Zeugen sehe derzeit nicht. Ich will mit diesem Einwand die für die Betroffenen günstige Entscheidung des AG Landstuhl gar nicht schlecht reden. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass die Staatsanwaltschaft im Zweifel den Freispruch mit der Rechtsbeschwerde angreifen wird und dann dürften diese Fragen im Rahmen einer Aufklärungsrüge eine Rolle beim OLG eine Rolle spielen.

Als Verteidiger muss man sich natürlich auf diese Rechtsprechung berufen und die Fragen im Verfahren thematisieren und andere AG zwingen, sich damit auseinander zu setzen.Für die Betroffene hat das Hin und Her zudem auf jeden Fall ein Gutes: Sollte das OLG Zweibrücken ggf. nochmals zur Aufhebung kommen, dann liegt die Tat inzwischen so lange zurück, dass ein Fahrverbot, wenn überhaupt, nur noch in reduzierter Höhe wird verhängt werden können.