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Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Erstreckung auch auf das Adhäsionsverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Ws 298/23. Den Beschluss hätte ich auch an einem „Pflichti-Tag“ bringen können. Er passt aber wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen auch/besser an einem RVG-Tag.

Das OLG hat zum Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers entschieden, und zwar zur Frage der Erstreckung der Vertretung des Angeklagten auch auf das Adhäsionsverfahren. Dazu führt es nun aus:

„Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage ist in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. An seiner früheren entgegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 2 Ws 569/13 – BeckRS 2014,00582) hält der Senat hält nicht fest.

Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs findet sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens ist, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergibt, erstreckt sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21 juris Rdnr. 2 ff. m.w.N.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 —1 StR 277/21 —, juris Rdnr. 4), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26. Oktober 2016 überzeugend darlegt. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO ist, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs hat der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen.

Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2021 — 5 StR 162/21 —, juris) enthält demgegenüber keine sachbezogene Begründung.

Geht doch 🙂

Wieder Gebühren nach Verfahrensverbindung, oder: Eklatante „OLG-Lücken“ zu Grund-/Verfahrensgebühr

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Im „Gebührentopf“ ist am heutigen „Gebühren-Freitag“ zunächst eine Entscheidung des OLG Celle zu den (Pflichtverteidiger)Gebühren nach Verbindung von Verfahren; Grundgebühr/Verfahrensgebühr, und zwar der OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2022 – 2 Ws 19/22, der zum Teil fehlerhaft ist.

Es geht in dem Beschluss um die Gebührenfestsetzung für einen Pflichtverteidiger. Die Staatsanwaltschaft Verden hatte am 11.02.2019 Anklage gegen den ehemaligen Angeklagten wegen Betruges beim AG erhoben. Dem Angeklagten wurde ein Betrug über die Internetplattform eBay vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung waren bei der Staatsanwaltschaft bereits zahlreiche weitere Verfahren mit gleich gelagerten Tatvorwürfen gegen den Angeklagten anhängig. Auf Antrag des Verteidigers von 24.04.2019 bestellte das AG am 20.05.2019 den Kollegen zum Pflichtverteidiger. In der Folgezeit klagte die Staatsanwaltschaft dann in 16 weiteren Verfahren zahlreiche gleichgelagerte Tatvorwürfe beim AG mit der Anregung der Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung an. Bei den weiteren Anklagen handelte es sich teilweise um einzelne, teilweise um mehrere Tatvorwürfe aus zuvor verbundenen Ermittlungsverfahren.

In jedenfalls sechs der diesem Gebührenstreit zugrundeliegenden Verfahren war der Anklage vorausgegangen, dass verschiedene am Wohnort der jeweils Geschädigten zuständige Staatsanwaltschaften die bei ihnen anhängig gemachten Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Verden als für den Wohnsitz des Angeklagten zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben hatten. Die Staatsanwaltschaft Verden übernahm die ihr vorgelegten Verfahren und vergab zunächst für jedes übernommene Verfahren ein gesondertes Aktenzeichen. Auf zahlreiche unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft gerichtete einzelne Anträge des Verteidigers gewährte sie diesem jeweils durch gesonderte Verfügungen der zuständigen Dezernentin bzw. des zuständigen Dezernenten in den einzelnen Ermittlungsakten gesondert Akteneinsicht. In einigen später bei der Staatsanwaltschaft eingetragenen Verfahren erfolgte die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger auch ohne dessen Gesuch schon bei Eintragung der Sache von Amts wegen. Nach Rückkehr der Akten vom Verteidiger wurden diese in der Zeit vom 22.05.2019 bis zum 31.07.2019 zu insgesamt sechs Verfahren verbunden und sukzessive zum AG angeklagt. Dabei wurde jeweils eines der Verfahren als sog. führendes Verfahren bestimmt, zu dem die Akten der hinzuverbundenen Verfahren als Fallakten genommen wurden. Beim AG wurden die nachträglich eingegangenen Anklagen zum Verfahren der ersten Anklage vom 11.02.2019 verbunden und fortwährend als „Sonderhefte“ mit Fallakten geführt. Im Zuge der sukzessiven Anklageerhebung entschied das AG mehrfach, zuletzt mit in der Hauptverhandlung vom 20.05.2020 verkündetem Beschluss, dass die Wirkungen der Pflichtverteidigung gemäß § 46 Abs. 6 Satz 3 RVG auf die hinzuverbundenen Verfahren erstreckt werden.

Das AG hat den ehemaligen Angeklagten schließlich wegen Betruges in 60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Anschluss beantragte der der Kolleg mit insgesamt 16 Anträgen in der Zeit vom 25.05. bis zum 28.05.2020 die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren. Im Wesentlichen wurden diese durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wie beantragt festgesetzt. Im Hinblick auf die Anträge der sechs diesem Verfahren zugrunde liegenden Verfahren wich dieser allerdings vom jeweiligen Antrag des Pflichtverteidigers ab. Der Verteidiger hatte in seinen Kostennoten für diese Verfahren jeweils auch für die nach Verbindung nur noch als Fallakten geführten Verfahren je eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG sowie jeweils die Postpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG abgerechnet. Zu seinem Tätigwerden im Ermittlungsverfahren verwies er in den einzelnen Kostenrechnungen auf seine aus den Fallakten ersichtlichen Akteneinsichtsgesuche bzw. die von Amts wegen erfolgten Aktenübersendungen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte aber in den sechs Kostenrechnungen die vorstehenden, vom Verteidiger für insgesamt 21 Fallakten angesetzten Gebühren bei seiner Festsetzung jeweils ab.

Die hiergegen vom Verteidiger erhobene Erinnerung ist vor dem AG ohne Erfolg geblieben. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde hat die Strafkammer verworfen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache aber die weitere Beschwerde zugelassen hat. Die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat gemäß §§ 45 Abs. 3, 48 Abs. 1 RVG weitere 4.498,20 EUR als Vergütung gegen die Landeskasse festgesetzt. Die darüber hinaus geltend gemachten Gebühren sind nicht festgesetzt worden.

Ja, war ein wenig viel Sachverhalt, aber den brauchte man auch, um die Leitsätze zu der Entscheidung verstehen zu können, nämlich:

  1. Grundsätzlich ist jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall im Sinne von Nr. 4100 VV RVG, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind. ).
  2. Eine Verfahrensverbindung hat auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss.
  3. Eine Prüfung der Recht- oder gar Zweckmäßigkeit einer Erstreckungsentscheidung findet im Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr statt.
  4. Die Verfahrensgebühr entsteht zwar nach Anmerkung 1 zu Nr. 4100 VV RVG neben der Grundgebühr. Abgegolten werden mit ihr im vorbereitenden Verfahren allerdings nur Tätigkeiten nach der Erstinformation des Rechtsanwalts, d.h. alle Tätigkeiten nach erstem Mandantengespräch und erster Akteneinsicht.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext der Entscheidung. Und bitte nicht erschrecken, denn die Entscheidung ist nur zum Teil richtig. Zutreffend sind nämlich nur die Ausführungen des OLG zu den Fragen der Verbindung und/oder Erstreckung (§§ 15, 48 RVG). also oben Leitsätze 1- 3.

Grob fehlerhaft ist die Entscheidung des OLG hingen im Hinblick auf die Ausfürhungen zum Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Man ist erstaunt, dass man das, was das OLG an der Stelle ausführt, mehr als acht Jahre nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG noch lesen muss. Denn dieses hat das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr, das bis dahin umstritten bzw. zumindest nicht eindeutig geklärt war, dahin geklärt, dass Grundgebühr und Verfahrensgebühr mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts immer nebeneinander entstehen (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4100 Rn 25 ff. m.zahlr.w.N.). Das sollte sich inzwischen auch bis zum OLG Celle herum gesprochen haben, was aber offenbar leider nicht der Fall. Denn das, was das OLG dazu ausführt, hätte zur Rechtslage vor 2013 gepasst, es passt jetzt aber sicher nicht mehr. Ich erspare mir und dem gebührenkundigen Leser die weiteren Einzelheiten, lege aber dem OLG zu der Problematik dringend die Lektüre eines Gebührenkommentars und der dort angeführten Nachweise ans Herz, um dadurch in Zukunft solche (schweren) Fehler zu vermeiden. Zu der Frage hilft auch die vom OLG angeführte Entscheidung des OLG Jena nicht weiter. Abgesehen davon, dass sie aus 2004 stammt, also zum alten Recht ergangen ist, lässt sich aus ihr zu der Problematik nichts ableiten.

Für den Pflichtverteidiger ist dieser Fehler besonders ärgerlich, denn die dadurch eingetretene Mindereinnahme ist beträchtlich. Es hätten nämlich zusätzlich festgesetzt werden müssen 21-mal die Nr. 4104 VV RVG, also – nach dem Recht vor Inkrafttreten des KostRÄG am 01.01.2021 – 21 x 132,00 EUR zuzüglich 19 % USt, also insgesamt 3.298,68 EUR. Auf die muss er nun wegen der mangelnden Gebührenkenntnisse des OLG verzichten. Das darf an sich nicht sein. Zwar mag, was dem ein oder anderen Beteiligten vielleicht nicht gefällt, die Gebührenforderung des Pflichtverteidigers recht hoch (gewesen) sein. Das liegt aber nicht am Verteidiger sondern daran, dass die Staatsanwaltschaft die vielen Verfahren eben für den Verteidiger „gebührengünstig“ behandelt hat.“

Begriff der Angelegenheit in den sog. „Fallaktenfällen“, oder: Erstreckung

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Bevor wird dann in das Pfingstwochenende starten heute dann noch ein wenig  Gebührenrecht.

Und da stelle ich zunächst den LG Aurich, Beschl. v. 31.03.2021 – 13 Qs 9/21 – vor. Es geht um Erstreckungsfragen. Der Sachverhalt ist ein wenig verwickelt – wie in den Fällen meist. Da macht man sich am besten ein Tableau 🙂 .

Mir geht es aber hier heute um die Ausführungen des LG zur Frage des Vorliegens von mehreren Angelegenheiten in den sog. „Fallaktenfällen“. Dazu führt das LG aus:

„Hinsichtlich der Fallakten 5 bis 14 waren keine weiteren Gebühren festzusetzen, da Rechtsanwalt Pp. in den Fallakten 5 bis 8 nicht tätig geworden ist und es insoweit an einer vorherigen Tätigkeit gemäß § 46 Abs. 6 RVG mangelt. Überdies sind die Vorwürfe aus den Verfahren 7 bis 12 und 14 eingestellt worden, so dass denklogisch am 27.12.2019 keine Erstreckung durch das Amtsgericht erfolgen konnte, da die Vorwürfe aus diesen Fallakten beim Amtsgericht überhaupt nicht anhängig geworden sind. Insoweit kann das Amtsgericht auch keine Erstreckung anordnen. Hinsichtlich der Fallakte 13 liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, da der Vorwurf des Tankbetruges im Zusammenhang mit der anschließenden Tat aus der Hauptakte steht, zumal beide Taten am gleichen Abend mit dem gleichen Pkw begangen worden sind.

Allein hinsichtlich der Fallakten 15 bis 18 liegen hier ausnahmsweise eigene Angelegenheiten vor, obwohl diese als Fallakten geführt werden. Denn die Abgabe an die Staatsanwaltschaft und die Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. für die Hauptakten und die Fallakten 1 bis 4 war bereits erfolgt und er ist in den Verfahren der Fallakten 15 bis 18 durch die Verteidigungsanzeige vom 25.10.2019 vor der Erstreckung tätig geworden und die Erstreckung bezog sich auch auf die Verfahren der Fallakten 15 bis 18.

Für die Beurteilung, ob bei mehreren Tatvorwürfen dieselbe Angelegenheit und ein einziger „Rechtsfall“ im Sinne der Nr. 4100 VV RVG gegeben sind, ist maßgebend, wie die Strafverfolgungsbehörden die Sache behandeln. Wird gegen den Beschuldigten in getrennten Verfahren ermittelt, ist jedes für sich eine eigene Angelegenheit. Hingegen handelt es sich gebührenrechtlich um nur eine Rechtssache, wenn die Ermittlungen wegen mehrerer Straftaten in einem Verfahren betrieben werden (KG Beschl. v. 18.1.2012 — 1 Ws 2/12, BeckRS 2013, 7064, beck-online).

Insoweit ist es im Grundsatz vom Amtsgericht zutreffend, dass nicht jede Fallakte automatisch eine neue Sache im Sinn von § 15 Abs. 2 RVG auslöst.

Hier war jedoch die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Polizei die Akten mit den Fallakten 1 bis 4 zur Beantragung eines Haftbefehls an die Staatsanwaltschaft abgegeben hatte und die Sachen am 17.10.2019 bzw. am 18.10.2019 dort eingetragen und verbunden worden sind und für dieses Verfahren die Beiordnung erfolgte. Die weiteren Vorgänge sind teilweise von anderen Polizeistationen (Schortens und Moormerland) nach Aurich an die Polizei abgegeben worden und wurden von der Polizei als weitere Fallakten an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Dass diese Fallakten 5 bis 18 bereits am 18.10.2019 als „Fallakten“ vorhanden waren und bewusst nur ein Teil der Fallakten abgegeben worden sind, ist aus den Akten nicht ersichtlich ist. Die Abgabe erfolgte erst am 13.11.2019, wobei zwischenzeitlich die Beiordnung erfolgt war und Rechtsanwalt Pp. sich unter anderem zu den Fallakten 15 bis 18 gemeldet hatte. Insoweit stellten sich die Fallakten 15 bis 18 jeweils als eigene Angelegenheiten dar. Dies gilt hinsichtlich der Fallakte 13 nach den oben genannten Grundsätzen zum einheitlichen Lebenssachverhalt hingegen nicht, da es sich bei dieser Tat gemeinsam mit der Tat aus der Hauptakte um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handelte, da beide Taten am gleichen Abend und mit dem gleichen Fahrzeug begangen worden sind.

Hinsichtlich der Fallakten 15 bis 18 konnte das Amtsgericht am 27.12.2019 auch die Erstreckung gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG anordnen, da diese Verfahren durch die Staatsanwaltschaft formlos verbunden worden sind und Rechtsanwalt Pp. in diesen Verfahren auch bereits vor der Verbindung tätig war.

Insoweit waren die oben genannten Gebühren für die Fallakten 15 bis 18 zusätzlich zu den bereits festgesetzten Gebühren festzusetzen.“

Nachträgliche Erstreckung nur in Ausnahmefällen, oder: Wo steht das denn?

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Auch mit der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem LG Leipzig, Beschl. v. 19.01.2021 – 13 Qs 8/21 – habe ich Probleme. Das Ergebnis ist zwar richtig, ich verstehe allerdings nicht, warum das LG um die nachträögliche Erstreckung so ein Geeiere macht.

„Das als Beschwerde zulässige Rechtsmittel hat auch Erfolg und führt zur Feststellung, dass sich die Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 erstreckt.

Zwar ist dem Amtsgericht durchaus recht zu geben, dass die Erstreckung nach Abschluss des Verfahrens nicht nahe liegt, da es sowohl dem Wunsch eines Angeschuldigten als auch des Verteidigers entsprechen kann, dass die Verteidigung im Rahmen eines Wahlmandats ausgeübt wird. Insoweit wird es regelmäßig einen Verteidiger obliegen müssen, einen entsprechenden Beiordnungsantrag zu stellen, da eine nachträgliche Erstreckung jedenfalls kein Regelfall darstellen kann (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 48 RVG, Rdnr. 207).

Dabei wäre grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erstreckung auszusprechen ist, wenn eine Beiordnung oder Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte, falls die Verbindung unter-blieben wäre (vgl. u.a. LG Düsseldorf StraFo 2012, 117 m.w.N.). In dem vorliegenden Fall hat der Verteidiger gerade in dem Verfahren unter dem staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichen 108 Js 36754/19 trotz nochmaliger Verteidigungsanzeige an das Gericht bzw. gestelltem Antrag auf Akteneinsicht keinen Beiordnungsantrag gestellt.

Insoweit wäre die Beiordnung eines Pflichtverteidigers weiterhin nicht nahe liegend, da – wie bereits ausgeführt – die Vertretung eines Angeklagten auch im Rahmen der Ausübung eines Wahlmandates erfolgen könnte.

Insoweit wäre eine Erstreckung wohl nicht nahe liegend.

c) Allerdings vermag die Kammer in der vorliegenden Konstellation dem Beschwerdeführer die Erstreckung nicht zu versagen, da die amtsgerichtliche Vorgehensweise widersprüchlich ist.

Dem Gericht hat im Rahmen der Verfügung vom 06.11.2019 in dem Verfahren 950 Js 55313/19 den Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet, wobei dem Gericht schon nach der Anklageschrift bewusst gewesen sein muss, dass dieser den Angeklagten auch in diesem Verfahren als (Wahl-)Verteidiger vertritt. Eine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger für dieses Verfahren beizuordnen, bestand aus der Argumentation des Amtsgerichts heraus nicht. Insbesondere wäre in dem Verfahren 950 Js 55313/19 in weitaus geringerem Umfang als in dem Verfahren 108 Js 36754/19 die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten, was sich insbesondere auch in den unterschiedlichen Einzelstrafen hinsichtlich der jeweiligen Anklagevorwürfe zeigt.

Aufgrund dieser aus Sicht der Kammer widersprüchlichen Herangehensweise bzw. Sachbehandlung vermag die Kammer kein solches Eigenverschulden des Beschwerdeführers, dass er nicht auch in dem Verfahren 108 Js 36754/19 frühzeitig einen Erstreckungs- und/oder Beiordnungsantrag gestellt hat, zu erkennen, dass einer nachträglichen Erstreckung entgegen-stehen könnte. Eine solche Erstreckung kann auch noch nachträglich beantragt und ausgesprochen werden (vgl. Gerold/Schmidt, a.a.O., § 48 RVG, Rdnr. 209 m.w.N.).

Zumindest im Rahmen dieser Konstellation vermag die Kammer auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass Erstreckungen nur in Ausnahmefällen möglich sein sollen, den Antrag des Beschwerdeführers noch als zulässig und begründet erachten.

Nach alledem war das Rechtsmittel des Beschwerdeführers der Beschluss des Amtsgerichts Torgau aufzuheben, die Erstreckung i.S. des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auszusprechen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.2

Vor allem finde ich es immer ganz „reizend“, wenn ich zitiert werde – hier mit dem Gerold/Schmidt – aber dort nicht das steht, was belegt werden soll. So auch hier.

Nochmals: Ist immer ein Erstreckungsantrag erforderlich?, oder: Für die Galerie = hoffentlich bald erledigt

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Ich hatte vorhin den LG Münster, Beschl. v. 04.09.2020 – 20 Qs 9/10  – vorgestellt (vgl. Glaubhaftmachung bei der Vergütungsfestsetzung, oder: Reicht immer die anwaltliche Versicherung?). Auf den Beschluss komme ich jetzt noch einmal zurück. Besser: „Muss“ ich zurückkommen, denn mein RVG-Ordner ist leer. Ich lann also neue Rechtsprechung gut gebrauchen und bin dankbar, wenn mir Entscheidungen übersandt werden.

Ich hatte ja vorhin schon darauf hingewiesen, dass es im zweiten Themenbereich der Entscheidung um eine Erstreckungsfrage geht, nämlich (mal wieder) den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 Satz 1 StPO oder: Ist immer ein Erstreckungsantrag erforderlich oder nur in bestimmten Fällen bzw. kommt es auf die zeitliche Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung an. Die Frage ist in der Rechtsprechung ja nicht unumstritten. Das LG schließt sich der Auffassung an, die immer einen Erstreckungsantrag verlangt, und zwar auch für Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurde:

„3.2.2. Es fehlt in diesem Verfahren an der notwendigen Beiordnung des Beschwerdeführers als Grundvoraussetzung der von ihm begehrten Gebührenerstattung aus der Landeskasse. Das Amtsgericht Münster hat im Beschluss vom 13.05.2019, in dem es den Beschwerdeführer im Verfahren 37 Ds 184/18 – nach Verbindung mit dem Verfahren 37 Ds 29/19 – der damaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet hat, diese Beiordnung nicht auf das zuvor hinzuverbundene Verfahren erstreckt. Eine derartige Erstreckungsentscheidung wäre gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG aber notwendige Voraussetzung eines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse. Ohne Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG besteht kein rückwirkender Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse für der Beiordnung vorausgehende Tätigkeiten als Wahlverteidiger in hinzuverbundenen Verfahren. Der anwaltliche Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in vor der Beiordnung hinzuverbundenen Verfahren folgt nicht bereits aus § 48 Abs. 6 S. 1 RVG (so aber OLG Hamm, Beschlüsse vom 16. Mai 2017, Az. 1 Ws 95/17, Rn. 33; vom 6. Juni 2005, Az.: 2 (s) Sbd VIII – 110/05, Rn. 7 und 14; OLG Bremen, Beschluss vom 7. August 2012, Az.: Ws 137/11, Rn. 14 f.; KG, Beschluss vom 17.03.2009, Az.: 1 Ws 369/08, Rn. 3; OLG Jena, Beschluss vom 12. Juni 2008, Az.: 1 AR (S) 13/08, Rn. 19; jeweils zitiert nach juris). Vielmehr gilt die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG für alle Fälle der Verfahrensverbindung, ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung. Die Kammer schließt sich in dieser Frage ausdrücklich der überzeugend begründeten jüngsten Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 20. November 2017 – 2 Ws 179/17 – an, auf die zur näheren Begründung verwiesen wird. Insbesondere ermöglicht nur diese Sichtweise die Sicherstellung sachgerechter Ergebnisse. Zwar kann es von Zufällen abhängen, welches Verfahren bei einer Verbindung das führende wird; das führende Verfahren ist nicht notwendig das gewichtigste (so etwa OLG Bremen aaO. Rn. 15). Genauso zufällig könnte aber eine automatische Gebührenerstreckung auf alle hinzuverbundenen Verfahren zur Vergütungspflicht für frühere Tätigkeiten etwa auch in Bagatellverfahren führen, in denen für sich genommen eine Pflichtverteidigung zunächst nicht angezeigt war (so auch OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. April 2014, Az.: 1 Ws 48/14). Folglich sind wertungswidersprüchliche bzw. zufällige gebührenrechtliche Auswirkungen nur mit dem vom Gesetzgeber in § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG eröffneten Verfahren der gerichtlichen Prüfung und Bestimmung des Umfangs einer rückwirkenden Gebührenerstreckung im Einzelfall zu vermeiden (ebenso im Ergebnis OLG Braunschweig, a.a.O; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 2012, Az.: 2 Ws 242/12, Rn. 14 ff.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27. Dezember 2010, Az.: 1 Ws 583/10, Rn. 7; OLG Celle, Beschluss vom 2. Januar 2007, Az.: 1 Ws 575/06; ähnlich: OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2009, Az.: I Ws 8/09, Rn. 8; jeweils zitiert nach juris). Eine derartige Erstreckungsentscheidung hat der Beschwerdeführer bis zuletzt auch trotz dahingehener Hinweise der Bezirksrevisorin nicht beantragt. Angesichts dessen bleibt für die Annahme einer konkludenten Antragstellung kein Raum. Letztlich kann dies offenbleiben. Eine Rückgabe wegen dieses Umstandes an das Amtsgericht scheidet schon deshalb aus, weil dieser Frage aufgrund der Ausführungen zu 3.2.1 letztlich keine Entscheidungsrelevanz zukommt.“

Mal abgesehen davon, dass das LG mit seiner Auffassung m.E. falsch liegt, ist die Entscheidung in dem Teil „für die Galerie“. Mir ist schon unverständlich, warum man sich gegen das eigene OLG stellt – sonst ist das, was das „übergeordnete“ OLG vertritt, doch immer maßgeblich. Und erst recht verstehe ich nicht, warum man jetzt noch die Auffassung vertritt. Denn das KostRÄG 2021 (vgl. BT-Drucks. 19/23484 = BR-Drucks. 19/565) ändert den § 48 Abs. 6 RVG im Sinne der „richtigen“ Auffassung. Da kann man m.E. das Gegenteil nicht mehr mit gutem Gewissen vertreten. Die Gesetzesänderung ist übrigens gestern im Bundestag in der ersten Beratung gewesen, und zwar im sog. vereinfachten Verfahren. Diese Vorgehensweis dürfte mit der von der Bundesregierung bejahten „besonderen Eilbedürftigkeit“ (Art 76 Abs. 2 Satz 2 GG) zu tun haben.

Kleiner Hinweis: Unverständlich ist mir aber auch, warum der Verteidiger nicht den Hinweis der Bezirksrevisorin aufgegriffen und zumindest im Festsetzungsverfahren noch den Erstreckungsantrag gestellt hat. Die „goldene Brücke“ hätte er doch gehen können. Mit dem Kopf bringt doch nichts. Ob der Antrag erfolgreich gewesen wäre, ist eine andere Frage, die man nicht beantworten kann – es spricht aber einiges dafür. Jedenfalls wäre das eine Möglichkeit gewesen, diese Klippe zu umschiffen.