Schlagwort-Archive: Erstattungsfähigkeit

Der fliegende Rechtsanwalt

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Wenn die Anreise mit Auto oder Bahn zu einem auswärtigen Termin zu erheblichen Zeitverlusten wegen der jeweils erforderlichen auswärtigen Übernachtungen geführt hätte, dann darf der Rechtsanwalt als Beförderungsmittel auf einer Geschäftsreise auch das Flugzeug wählen. So der OLG Koblenz, Beschl. v. 09.11.2012 – 14 W 616/12 – zur Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Flugreisekosten (im Zivilverfahren, in dem es heißt:

„b) Die Beklagte kann auch nicht auf eine Erstattungsforderung lediglich in Höhe der Kosten verwiesen werden, die für Fahrten mit dem Auto oder mit der Bahn angefallen wären. Eine entsprechende Anreise hätte nämlich zu erheblichen Zeitverlusten geführt, weil jeweils eine auswärtige Übernachtung notwendig geworden wäre. Berücksichtigt man deren Zusatzkosten und außerdem den Umstand, dass der Gebührentatbestand der Nr. 7005 RVG-VV jedes Mal nicht nur an einem, sondern an zwei Tagen verwirklicht worden wäre (OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 674), war der Mehraufwand für die Flüge nicht unverhältnismäßig. Genauso wenig war er im Hinblick auf den – hohen – Streitwert unangemessen. Von daher ist seine Berücksichtigung im Rahmen der Kostenfestsetzung gerechtfertigt (BGH NJW-RR 2008, 654; OLG Hamburg MDR 2008, 1428; OLG Hamburg AGS 2011, 463). Dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Flüge in der Business Class gebucht und sich nicht mit der Economy Class beschieden hätte (vgl. dazu die beiden vorgenannten, insoweit konträren Entscheidungen des OLG Hamburg), ist nicht ersichtlich.“

Ich warte immer noch auf die Entscheidung, in der es heißt: Flugreise auch deshalb zulässig, weil die Anreise mit der Bahn pünktliches Ankommen nicht sicher stellt :-).

 

 

Fotokopiekosten? Nein: Nimm doch „überschlägig am Bildschirm Kenntnis“ – solche Entscheidungen machen ärgerlich

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Das OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.03.2012 – 2 Ws 49/12 befasst sich mit der Erstattungsfähigkeit von Fotokopien des Pflichtverteidigers. Dies hatte der Pflichtverteidiger von TKÜ-Bänden gefertigt. Diese betrafen allerdings nicht die seinem Mandanten von der Staatsanwaltschaft gemachten Vorwürfe. Der Verteidiger hatte die TKÜ-Bände aber dennoch auf Entlastungsmaterial  durchgesehen. Das OLG Frankfurt hat die Erstattungsfähigkeit verneint:

„Denn jedenfalls war die Fertigung von Kopien von TKÜ-Bänden, die von der Staatsanwaltschaft nicht den Anklagevorwürfen betreffend den von dem Beschwerdeführer verteidigten Angeklagten zugeordnet waren, hier nicht erforderlich. Wenn der Pflichtverteidiger gleichwohl die Auffassung vertritt, auch diese TKÜ-Bände auf eventuelle Entlastungsmomente im Hinblick auf seinen Mandanten überprüfen zu müssen, ist dies zwar sein gutes Recht, vermag dies aber die Erforderlichkeit dieser Auslagen nicht zu begründen. Vielmehr hätte für diese Überprüfung eine überschlägige Durchsicht auf dem Bildschirm ausgereicht. Die Anfertigung von Ablichtungen auch dieser TKÜ-Bände stellt sich somit als bloße Erleichterung dar, die einer Erstattung der hierdurch entstandenen Auslagen nicht zugänglich ist.“

M.E. falsch. Ich gehe davon aus, dass es sich um Beiakten gehandelt hat. Dann hatte der Verteidiger aber auch einen Anspruch auf Einsicht und aufs Kopieren. Das OLG kann ihn m.E. nicht darauf verweisen, dass er am Bildschirm „überschlägig durchsehen“ muss. Und wie soll das gehen? Z.B. jedes fünfte Blatt? Wie soll man da feststellen, ob Entlastendes enthalten ist? Das OLG Frankfurt – m.E. eh im Gebührenrecht nicht besonders „verteidigerfreundlich“ – sieht es anders. Mich würde interessieren, wie die OLG-Richter sich Aktenkenntnis verschaffen. Nimmt das Gericht auch „überschlägig“ am Bildschirm Kenntnis?

Falsch m.E. auch der zusätzliche Hinweis:

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob dann, wenn — wie hier — dem Pflichtverteidiger der Akteninhalt vollständig in digitalisierter Form vorgelegen hat, sämtliche zum Ausgleich angemeldete Kopierkosten als nicht erforderliche Auslagen im Sinne von § 46 Abs. 1 RVG anzusehen sind, da der Pflichtverteidiger auf diese Form der Information über den Akteninhalt verwiesen werden kann und die Fer­tigung von Ablichtungen damit nicht erforderlich wäre (vgl. hierzu OLG Köln ZfSch 2010, 106).

Und was ist, wenn der Verteidiger keine Möglichkeit hat zur „digitalisierten Akteneinsicht“? Beteiligt sich das OLG an den Anschaffungskosten für einen PC/ein Notebook? Ich bin gespannt!

Kopieren der ganzen Akte erlaubt

Allmählich setzt sich die m.E. zutreffende Ansicht in der Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass in Strafverfahren der Verteidiger grundsätzlich berechtigt ist, die ganze Akte zu kopieren, durch. So jetzt auch der AG Essen, Beschl. v. 21.11.2011 – 50 Ls-6 Js 778/09-119/11.

Nach Nr. 7000 1.a VV RVG ist die Pauschale für Ablichtungen aus Gerichtsakten zu gewähren, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Vielfach wird die Auffassung vertreten, der Rechtsanwalt müsse vor der Ablichtung ihm zur Einsicht überlassener Akten hinsichtlich jeder einzelnen Seite prüfen, ob die Ablichtung erforderlich sei oder nicht. Im Einzelnen hat sich hierzu eine umfangreiche Rechtsdogmatik entwickelt. So seien Ablichtungen der behörden- und gerichtsintemen Verfügungen, der eigenen Schriftsäfte, der bereits übersandten Entscheidungen, der Aktendeckel usw. nicht zu erstatten. Im Einzelnen ist vieles streitig (mit weiteren Nachweisen: Landgericht Essen, Beschluss vom 9.6.2011 – 56 Qs 28/11).

 Das Gericht schließt sich der im zuletzt genannten Beschluss des Landgerichts Essen vertretenen Rechtsauffassung an. Zu Gunsten einer einfachen und ressourcen- schonenden Rechtsanwendung ist auf kleinteilige Differenzierungen nach verschiedenen Aktenbestandteilen zu verzichten. Denn jeder Aktenbestand hat einen Informationswert und sei es nur, dass sich das betreffende Schriftstück bei den Akten befindet. Welche Bedeutung ein Aktenbestand für die sachgemäße Bearbeitung der Rechtssache tatsächlich hat, erweist sich jedoch regelmäßig erst im Nachhinein. Schon um Haftungsrisiken zu vermeiden, wird der Verteidiger ex-ante einen weiten Maßstab anlegen müssen. Daher begegnet es mit Blick auf die Erstattung von Auslagen grundsätzlich keine Bedenken, wenn ein Verteidiger die Akten einer Kanzleikraft übergibt und vollständig (einschließlich Beiakten, der Aktendeckel und lose einliegender Blätter) ablichten lässt, wie es in der Regel auch allein praktikabel sein dürfte. Eine Ausnahme mag etwa dann gelten, wenn in größeren Verfahren eine Vielzahl von Beiakten übersandt wird. Hier erscheint es zumutbar, dass der Verteidiger vor dem Kopieren jeweils die Verfahrensrelevanz einzelner Aktenbände prüft. Für eine solche Sichtweise spricht auch der dem RVG innewohne Grundsatz der Effizienz. Der Gesetzgeber hat für Nr. 7000 VV RVG eine pauschale und damit verein- fachte Berechnung der Höhe der Ablichtungskosten als sinnvoll erachtet, indem er einen Festbetrag je Ablichtung bestimmt hat. Dieser Grundsatz der Effizienz ist auch bei der Auslegung des Auslagentatbestands zu berücksichtigen. Das kleinteilige nachträgliche Prüfen von Ablichtungen im Kostenfestsetzungsverfahren verbraucht letztlich mehr staatliche Ressourcen als eine großzügige Erstattungspraxis dieser fast immer untergeordneten Auslageposition.“

Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen.

Und der Verteidiger darf doch die ganze Akte kopieren

Der LG Kleve, Beschl. v. 11.08.2011 – 120 Qs 68/11 – über den ich gerade wegen der Grundgebühr berichtet habe, ist auch noch aus einem anderen Grund interessant; und zwar wegen der Frage nach der Erstattungsfähigkeit der vom Verteidiger angefertigten Kopien. Das LG sagt: Grundsätzlich darf der Verteidiger die ganze Akte kopieren:

………….Entgegen der Festsetzung im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts darf der Verteidiger grundsätzlich die gesamte Gerichtsakte vollständig kopieren und dafür Erstattung verlangen. Denn er weiß bei Erhalt der Akteneinsicht noch nicht, welche zunächst nebensächlich erscheinenden Akteninhalte für später auftretende Fragen relevant werden können………………„.

Zutreffend.

 

Die „kriminalistische Erfahrung“ und die Erstattungsfähigkeit der Kopierkosten von TÜ-Protokollen

In Strafverfahren gibt es immer wieder Streit in der Frage, welche Auslagen dem Pflichtverteidiger zu erstatten sind. Ansatzpunkt ist § 46 RVG und die Frage der „Notwendigkeit“. Das gilt vor allem, wenn es um den zweiten Aktenauszug für den Angeklagten geht. Da ist die (obergerichtliche) Rechtsprechung noch ziemlich restriktiv und verlangt vom Verteidiger, dass er aus der Akte das „herausschält“ und dem Mandanten vermittelt, was für diesen von Bedeutung ist. Das ist nicht immer einfach. Man denke da z.B. nur an komplizierte und komplexe Zeugenaussagen. In der Frage hat jetzt das LG Bad Kreunach einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. In seinem Beschluss vom 27.07.2010 -43 Js 5548/08 KLs hat für den Pflichtverteidiger in einem umfangreichen BtM-Verfahren zumindest die Kosten für das Kopieren der Telefonüberwachungsprotokolle festgesetzt = für erstattungsfähig gehalten. Begründung: “

„Die kriminalistische Erfahrung lehrt, dass insbesondere Täter, die sich in größerem Umfang an Betäubungsmittelgeschäften beteiligen, in aller Regel mit Telefonüberwachungsmaßnahmen rechnen und ihr Verhalten bei Telefonaten hierauf einstellen. Dies führt dazu, dass die Beschuldigten in Telefonaten so gut wie nie offen über Betäubungsmittelgeschäfte sprechen, sondern für die Mitteilung relevanter Informationen (etwa hinsichtlich Art und Menge der Drogen, anderer Beteiligter und relevanter Treffpunkte oder Tatmittel) individuelle Codes entwickeln, die nur den Gesprächspartnern bzw. der jeweiligen Tätergruppe bekannt sind. Diese besonderen Umstände machen es dem Verteidiger ungewöhnlich schwer, der Aufgabe des anwaltlichen Bestands, die in einem komplexen Verfahren auch im Wesentlichen darin besteht, mit dem beruflichen Sachverstand aus einer Fülle von Stoff das Wesentliche herauszuarbeiten und die entscheidenden Punkte dann mit dem Mandanten zu erörtern, sachgerecht nachzukommen. Der Verteidiger verfügt in der Regel nicht über die notwendigen tatsächlichen Hintergrundinformationen, um die volle Bedeutung solcher Telefonate zu erfassen und umfassend beurteilen zu können. Da es gerade auf einzelne Worte bzw. Verklausulierungen entscheidend ankommen kann, ist eine Zusammenfassung derart, dass der volle Inhalt erhalten bleibt, oft nicht möglich.“

Wer solche Protokolle einmal gelesen hat und damit zu tun hatte, weiß, wie Recht das LG hat. Und sicherlich auch ein Gebot der Fairness.