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Kollision beim Linksabbiegen mit unbeleuchtetem Pkw, oder: Abwägung der Verursachungsbeiträge

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Und dann kommt heute im zweiten Posting der OLG Schleswig, Beschl. v. 07.07.2025 – 7 U 41/25. Es geht um die Abwägung des Mitverschuldens bei einem Verkehrsunfall.

Der Verkehrsunfall hat sich am 09.03.2023 zwischen 18.30 Uhr und 19.00 Uhr – die genaue Unfallzeit ist zwischen den Parteien streitig – auf der B 207 zwischen W. und B. auf Höhe der Einmündung B.-weg ereignet hat. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt dort 70 km/h. Der Kläger bog mit seinem Pkw Audi A4 Avant aus W. kommend nach links in den B.-weg ein. Der Beklagte zu 1. kam mit seinem Pkw VW Polo, das bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, von B. kommend dem Kläger entgegen. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1. fuhr unbeleuchtet. Beim Abbiegevorgang kam es zur Kollision beider Fahrzeuge.

Zum Unfallzeitpunkt waren die Straßenlaternen und der Lichtmast (links bei einer Bushaltestelle hinter dem Abzweig B.-weg) bereits eingeschaltet. Die genauen Lichtverhältnisse – auch unter Berücksichtigung der künstlichen Beleuchtung im Bereich der Unfallstelle – sind zwischen den Parteien ebenfalls streitig. Hinter dem Beklagten zu 1. fuhren weitere Fahrzeuge in Fahrtrichtung W., deren Beleuchtung eingeschaltet war.

Die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1) hat 2/3 des nach ihrer Berechnung dem Kläger entstandenen Schadens reguliert. Der Kläger verlangt eine Regulierung der Beklagten auf Basis von 100 % zu Lasten der Beklagten. Das LG hat die Klage abgewiesen: Der Beklagte zu 1. habe zwar gegen § 17 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen, weshalb ein Anscheinsbeweis für die Schadensursächlichkeit zu seinen Lasten spreche. Allerdings falle auch dem Kläger ein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 S. 1 StVO zu Last. Wer – wie der Kläger – nach links abbiegen wolle, müsse nach § 9 Abs. 3 S. 1 StVO entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Für den Linksabbieger bestehe eine entsprechende Wartepflicht. Der insoweit gegen den Abbiegenden sprechende Anscheinsbeweis sei hier zwar durch die Umstände (unbeleuchtet entgegenkommendes Fahrzeug) entkräftet, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Gericht aber davon überzeugt, dass das entgegenkommende Fahrzeug für den Kläger gleichwohl bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt erkennbar gewesen war. Dies folge aus der glaubhaften Aussage des Zeugen B., der vor dem Unfall hinter dem Kläger gefahren sei und das unbeleuchtete Fahrzeug des Beklagten zu 1. gesehen habe.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit dem o.a. Beschluss hat das OLG ihm mitgeteilt, dass seine Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Das OLG führt u.a. aus:

„1. Die vom Landgericht angenommene Mithaftung des Klägers von 1/3 ist gerechtfertigt.

Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung ist gemäß § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei eine Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 10/11, Juris Rn. 6; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.03.2020, 13 U 226/15, Juris Rn. 43). Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeuge ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 21.11.2006, VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.06.2000, VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.07.2018, 1 U 117/17, Juris Rn. 5). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt demjenigen, welcher sich auf einen in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt beruft (BGH, Urteil vom 13.02.1996, VI ZR 126/95, NZV 1996, 231, 232; OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020, 4 U 1914/19, Juris Rn. 4; OLG Schleswig, Beschluss vom 08.06.2020, 7 U 36/20). Im Ausnahmefall kann die Abwägung dazu führen, dass die einfache Betriebsgefahr eines Fahrzeugs hinter einem gravierenden Fehlverhalten des anderen Fahrzeugführers im vollen Umfang zurücktritt. Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setzt in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und einen groben Verstoß gegen zentrale Vorschriften der StVO auf der anderen Seite voraus (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 17.12.2015, 7 U 53/15, juris = SchlHA 2016, 261-262; OLG Schleswig, Urteil vom 24.03.2017, 7 U 73/16, SchlHA 2018, 23-25; BGH, Urteil vom 13.02.1990, VI ZR 128/89, juris = VersR 1990, 535,536).

Der Beklagte zu 1. hat unstreitig gegen § 17 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen, weil er wegen der bereits zum Unfallzeitpunkt eingetretenen Dämmerung ohne Abblendlicht gefahren ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger aber ebenfalls sorgfaltswidrig gehandelt, weil er – trotz Sichtbarkeit des unbeleuchtet entgegenkommenden Fahrzeugs – gleichwohl nach links in den B.-weg eingebogen ist, ohne seiner Wartepflicht zu genügen (§§ 1 II, 9 III S.1 StVO). Das Landgericht hat dem unbeteiligten Zeugen B. geglaubt, der zum Unfallzeitpunkt ca. 100-150 m hinter dem Kläger gefahren ist und der das unbeleuchtet entgegenkommende Fahrzeug des Beklagten zu 1. zweifellos gesehen hat. Der Zeuge wusste bei seiner Vernehmung noch sehr genau, dass das unbeleuchtete Fahrzeug für ihn erkennbar war. Die Haftungsquote von 1/3 : 2/3 ist deshalb nicht zu beanstanden. Wegen des eigenen Sorgfaltspflichtverstoßes des Klägers ist im Rahmen der Abwägung nicht nur von der einfachen Betriebsgefahr seines Fahrzeugs auszugehen.

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.“