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Pflichti II: Nach fünf Monaten ohne Besuch gibt es einen neuen Pflichtverteidiger

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Ebenfalls nicht viel Federlesen hat das LG Ingolstadt im LG Ingolstadt, Beschl. v. 23.08.2017 – 1 KLs 383 Js 228567/16 – gemacht. Gegen den Beschuldigten ist ein Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mitn BtM in nicht geringer Menge u.a. anhängig. Der Beschuldigte ist inhaftiert. Der dem Beschuldigten nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO beigeordnete Pflichtverteidiger hat den Mandanten über fünf Monate nicht besucht. Das reicht dem LG für eine Umbeiordnung auf einen andern Pflichtverteidiger:

Dennoch ist die Sorge des Angeschuldigten berechtigt, dass Rechtsanwalt F der Aufgabe, sich für ihn und seine Belange einzusetzen, nicht mehr gerecht werde. Denn dieser hat ihn seit dem 10.03.2017 über einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten nicht mehr in der JVA besucht.

Es ist allgemein anerkannt, dass der fehlende Besuch eines Pflichtverteidigers über einen längeren Zeitraum in der Untersuchungshaft das fehlende Vertrauen des Beschuldigten zu dem beigeordneten Verteidiger rechtfertigt und deshalb einen wichtigen Grund für die Entpflichtung darstellt. Daran ändert auch die bei dem letzten persönlichen Gespräch zwischen Pflichtverteidiger und Angeschuldigtem getroffene Vereinbarung nichts. Obwohl sich sein Mandant bereits fast sechs Monate in Untersuchungshaft befand, hatte der Verteidiger zum Zeitpunkt dieses Gesprächs Akteneinsicht lediglich bis BI. 39 erhalten, sein Wissen über den Gang des Ermittlungsverfahrens befand sich auf dem Stand vom 03.11.2016. Insbesondere war ihm der Inhalt der bis dahin stattgefundenen vier polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen nicht bekannt. Hiervon erhielt er erst mit der von der Staatsanwaltschaft am 03.05.2017 bewilligten Akteneinsicht Kenntnis. Doch während dem Angeschuldigten im Haftbefehl vom 01. 11. 2016 eine Tat mit 6 kg Cannabis zur Last gelegt worden war, standen nunmehr fünf Taten mit insgesamt 20 kg im Raum. Angesichts des im Vergleich mit dem Stand zum Zeitpunkt des Gesprächs vom 10.03.2017 veränderten Sachverhalts und der erheblichen Straferwartung wäre ein nochmaliger Besuch des Angeschuldigten in der Haft auch ohne dessen ausdrücklich geäußerten Wunsch für eine ordnungsgemäße Verteidigung zwingend erforderlich gewesen, zumal zwischen Pflichtverteidiger und Angeschuldigtem laut Vortrag von Rechtsanwalt F im Schriftsatz vom 04.05.2017 vereinbart worden war, weitere Besuche würden entweder auf schriftlichen Wunsch des Angeschuldigten oder nach AkteneinSicht erfolgen.

Aus Sicht eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten ist damit die Besorgnis gerechtfertigt, die Verteidigung könne objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden.“

Zutreffend.

Pflichti I: Mal einfach eben so den zweiten Pflichtverteidiger entpflichten geht nicht………..

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Vor dem RVG-Rätsel heute Nachmittag dann zunächst zwei Entscheidungen mit einer Problematik aus dem Pflichtverteidigungsbereich. Zunächst den KG, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ws 122/16 zur Dauer der Pflichtverteidigerbeiordnung und/bzw. zur Rücknahme aus wichtigem Grund. Das ist eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt. Da waren dem Angeklagaten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet worden, der zweite weil aus Sicht des Schöffengerichts der erste Pflichtverteidiger unter Umständen als Zeuge in Betracht kam. Als im Berufungsverfahren einer der beiden Pflichtverteidigers Terminsverlegung beantragt, wird die Bestellung des ersten Pflichtverteidigers aufgehoben. Das KG sagt: So nicht, denn – und er rückt die Stellungnahme der GStA ein:

„Hiernach gilt die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 StPO grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 Satz 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert. Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag. Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. September 2014 – 2 Ws 49/14 –).

Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme u.a. folgendes ausgeführt:

„Nach der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. B. erfolgte mit Beschluss des Schöffengerichts vom 3. September 2013 die Bestellung von Rechtsanwalt T. zum zweiten Pflichtverteidiger, weil laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. August 2013 eine Entpflichtung des Rechtsanwalts Dr. B. im Raume stand, da dieser als Zeuge über die Umstände des Abschlusses eines ggf. für die spätere Strafzumessung relevanten Täter-Opfer-Ausgleichs vom 31. Juli 2013 zwischen dem Angeklagten und den Zeugen K., G. und B. in Betracht kam, und die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers daher als geboten erachtet wurde. Zur Entpflichtung kam es in der Folge jedoch nicht. Bis zu der angefochtenen Entpflichtungsentscheidung hatte sich die Sach- und Rechtslage nicht in einer Weise geändert, dass die angefochtene Entscheidung gerechtfertigt gewesen sein könnte. Denn eine Vernehmung des Pflichtverteidigers zur Frage des Zustandekommens des Täter-Opfer-Ausgleichs vom 31. Juli 2013 und damit das Bedürfnis der Sicherung der Hauptverhandlung kann auch noch in der Berufungsinstanz – also bis zum Abschluss des Tatsachenrechtszugs – als erforderlich erachtet werden. Die Vorsitzende der 65. Strafkammer hat stattdessen ihre eigene – von der des Schöffengerichts abweichende – Auffassung, die Verteidigung des Angeklagten durch einen Pflichtverteidiger sei ausreichend, und Rechtsanwalt Dr. B. habe angekündigt, den Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 nicht wahrnehmen zu können, zur Grundlage der Aufhebung der Beiordnung gemacht.

Auch eine Rücknahme der Bestellung, die neben der in § 143 StPO genannten Fallgestaltung aus wichtigem Grund möglich ist, kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. KG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 5 Ws 2/15 -). Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Die angekündigte Nichtteilnahme am Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 reicht für sich genommen nicht aus, da hierin eine gewichtige Pflichtverletzung nicht gesehen werden kann, zumal der zweite Pflichtverteidiger seine Anwesenheit zugesagt hat und Anhaltspunkte für eine verfahrenswidrige wechselseitige Vertretung nicht auszumachen sind (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2015-2 Ws 203/15-, juris). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Buchung des Familienurlaubs  versehentlich und ohne Kenntnis der vorherigen telefonischen Absprache der Hauptverhandlungstermine zwischen der Vorsitzenden und dem Büro des Rechtsanwalts Dr. B. erfolgt ist. Auch konnte dieser mit der Entpflichtung nicht rechnen. Denn die Vorsitzende hatte ihm noch mit Schreiben vom 21. März 2016 Gelegenheit gegeben, binnen 10 Tagen mitzuteilen, ob er die Vertretung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 gewährleisten könne oder ob er einen Wechsel des Pflichtverteidigers befürworte. Die Stellungnahme des Pflichtverteidigers Dr. B. vom 29. März 2016 ging vor Ablauf der von der Vorsitzenden gesetzten Frist am 31. März 2016 bei den Justizbehörden ein. Warum die Aufhebung der Beiordnung – vorzeitig und ohne Berücksichtigung der Stellungnahme – bereits am 29. März 2016 erfolgte, erklärt sich vor diesem Hintergrund nicht.

Die Aufhebung der Beiordnung mit Beschluss vom 29. März 2016, die einen zentralen Bereich des Rechtsinstituts der Verteidigung berührt und dem Angeklagten denjenigen Verteidiger, der sein grundsätzlich beachtliches Vertrauen genießt, nimmt (vgl. OLG Stuttgart, aaO), verletzt vorliegend vielmehr das Recht des An­geklagten auf ein faires Verfahren. Wegen des aus § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StPO zu erkennenden Bestrebens des Gesetzgebers, dem Angeklagten zu ermöglichen, sich von einem Pflichtverteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, wenn dem keine wichtigen Gründe entgegenstehen, soll sich aus Gründen der gerichtlichen Fürsorgepflicht die Pflichtverteidigung möglichst wenig von der Wahlverteidigung unterscheiden (vgl. KG, Beschluss vom 13. April 2012 – 2 Ws 171/12 –).

Ein Vertrauenstatbestand ist vorliegend gegeben. Bei dem Pflichtverteidiger Dr. B. handelt es sich um den ursprünglichen Wahlverteidiger des Angeklagten, der ihn von Anfang an vertreten hat. Rechtsanwalt T. hingegen wurde erst nachträglich vorsorglich als zweiter Pflichtverteidiger zur Sicherung der Hauptverhandlung bestellt. Sowohl das Schöffengericht, das eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers Dr. B. bis zum erstinstanzlichen Urteil am 3. Juni 2015 nicht mehr in Erwägung gezogen hat, als auch die Berufungskammer, die den beigeordneten Verteidiger Dr. B. zu den Hauptverhandlungsterminen am 21. und 28. Juni 2016 geladen hat, haben das Vertrauen des Angeklagten bestärkt, dass es bei der Bestellung seines ersten Pflichtverteidigers bleibt. Einen wichtigen Grund, der dem entgegenstehen könnte, hat auch das Gericht ausweislich des Schreibens vom 21. März 2016 offenbar zunächst nicht angenommen. Denn die Vorsitzende hatte hiermit dem Pflichtverteidiger Dr. B. noch Gelegenheit gegeben, die Vertretung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 sicherzustellen.“

Passt m.E.

Pflichtverteidigung, oder: Der überwiegend abwesende Pflichtverteidiger fliegt raus

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Vor dem Start ins Wochenende dann eine Entscheidung zur Entpflichtung des Pflichtverteidigers in einem Umfangsverfahren. Es ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 – 2 Ws 203/15 – mit folgendem Sachverhalt: Es handelt sich um ein Verfahren, in dem StA in der Anklage dem Angeklagten Vergehen des gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall zum Nachteil von insgesamt 568 Geschädigten zur Last. Der verursachte Gesamtschaden soll ca. 20 Millionen EUR betragen. Die 185-seitige Anklageschrift benennt insgesamt 645 Zeugen und Sachverständige. Aufgrund des Verfahrensumfangs mit 327 Stehordnern Ermittlungsakten und 118 Kartons Beweismitteln sowie elektronischen Dateien im Umfang von circa sechs Terabyte erfolgte am 11. 06. 2013 die Bestellung von Rechtsanwältin J. N. als weitere Pflichtverteidigerin des Angeklagten P. Auch dem Mitangeklagten wurde ein zweiter Pflichtverteidiger beigeordnet. Die zunächst am 26. 07.2013 begonnene Hauptverhandlung musste aufgrund Schwangerschaft einer Richterin der Strafkammer am 04.02.2014 ausgesetzt werden. In der nunmehr seit dem 25.03.2014 andauernden neuen Hauptverhandlung haben bis zum 19.11.2015 insgesamt 113 Sitzungstage stattgefunden. Weitere Hauptverhandlungstermine sind bereits bis zum 30.06.2016 bestimmt.

Mit Verfügung vom 13. 02. 2015 bestellte der Vorsitzende der Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Rechtsanwalt T. V. als zusätzlichen Pflichtverteidiger. Dem Mitangeklagten wurde ebenfalls ein dritter Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies wurde mit der unzureichenden Teilnahme der ursprünglichen Verteidiger an der Hauptverhandlung begründet. Am 27.04.2015 teilte Rechtsanwalt V. mit, seine Einarbeitung in den Verfahrensstoff sei abgeschlossen. Daraufhin nahm der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. P. sowie von Rechtsanwalt O. W. als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten L. B. durch Verfügung vom 27.04.2015 mit sofortiger Wirkung zurück. Auf die Beschwerden der beiden Angeklagten wurde diese Entscheidung mit Beschluss des OLG vom 21.05.2015 aufgehoben, da keine ausreichende Abmahnung des Fehlverhaltens der Pflichtverteidiger erfolgt war. Durch Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 23. November 2015 wurde die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger dann erneut mit sofortiger Wirkung zurückgenommen.

Hiergegen die Beschwerde – und dieses Mal hat das OLG die Entpflichtung gehalten. Begründung: Es liegt eine gewichtige Pflichtverletzung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. E. liegt vor. Denn zusammengefasst:

  • Der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung ist der Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall nur ungenügend nachgekommen. Die Anwesenheitszeiten des Pflichtverteidigers betragen nur 50,09%.
  • Seit Beginn des Verfahrens ist eine nur fragmentarische Anwesenheit der beiden ursprünglichen Pflichtverteidiger, insbesondere jedoch von Rechtsanwalt Dr. E., in der Hauptverhandlung zu verzeichnen.
  • Rechtsanwalt Dr. E. hat ausgeführt, „dass er auch anlässlich von Familienfeiern oder einem jährlich stattfindenden Stammtischausflug nicht gedenke, an der Hauptverhandlung vor dem LG Stuttgart teilzunehmen. Zwar ist insoweit die „Empfehlung“, die Staatsanwaltschaft möge seine Ehefrau oder ein namentlich benanntes Mitglied seines Stammtisches nach den entsprechenden Daten befragen, ironisch überspitzt, ändert jedoch nichts an der Aussage, private Belange über die Verpflichtungen aus dem Pflichtverteidigermandat zu stellen. Dies zeigt sich auch in einer eigenmächtigen Urlaubsabwesenheit während vier Hauptverhandlungsterminen zwischen dem 11. und 21. August 2015, obwohl für die Zeit zwischen dem 21. August und dem 21. September 2015 eine Sitzungsunterbrechung zur Sommerpause angekündigt war und auch stattfand.“
  • Das OLG hat auch „berücksichtigt, dass die eingeschränkte Anwesenheit in der Hauptverhandlung zumindest teilweise auch auf einer krankheitsbedingten Verhinderung beruhen mag, die der Pflichtverteidiger nicht zu vertreten hat. Führt letztere jedoch wie im vorliegenden Fall zu einer längerfristigen gravierenden Einschränkung der Verteidigertätigkeit, so kann sie ebenfalls eine Abberufung gebieten. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des für den Angeklagten nicht disponiblen Beschleunigungsgebots in Haftsachen, das einer – auch den Mitangeklagten treffenden – Verkürzung der Verhandlungsdauerdauer pro Sitzungstag entgegensteht. Die Entpflichtung eines Verteidigers stellt nämlich keine Sanktion für ein pflichtwidriges Verhalten in der Vergangenheit dar, sondern dient ausschließlich dazu, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand sowie einen geordneten Prozessablauf für die Zukunft zu sichern. Auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers kommt es mithin – zumindest im vorliegenden Fall – nicht an.“

Sicherungsverteidiger – der darf nach dem Urteil entpflichtet werden.

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In umfangreichen Verfahren gibt es häufig einen Sicherungsverteidiger, teilweise wird er manchmal auch „Zwangsverteidiger“ genannt, wenn der Angeklagte diesen Verteidiger an sich gar nicht „möchte“. Aufgabe des Sicherungsverteidigers ist es, das Verfahren zu sichern, indem eben sicher gestellt ist, dass nicht nur ggf. ein Wahlanwalt, sondern eben auch ein weiterer (Pflicht)Verteidiger der gesamten Hauptverhandlung beiwohnt. Nur für den Fall, dass der Wahlanwalt mal „ausfällt“. Dieser Sinn und Zweck der Bestellung führt dazu, dass der Sicherungsverteidiger nach Abschluss der Hauptverhandlung in der Regel entpflichtet werden kann/darf. So das KG im KG, Beschl. v. 10.07.2015 – 1 Ws 44/15 – 141 AR 310/15:

„Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Strafkammervorsitzende hat die Pflichtverteidigerbestellung Rechtsanwalts V. mit Recht zurückgenommen.

Der anlässlich der Vorbereitung der Hauptverhandlung geführten Korrespondenz ist zu entnehmen, dass Rechtsanwalt V. dem Beschwerdeführer zwecks Sicherung der Hauptverhandlung zum weiteren Pflichtverteidiger bestellt wurde. Wegen der anfänglichen urlaubsbedingten Verhinderungen Rechtsanwalts F. wären der zur Wahrung des Beschleunigungsgebots notwendige Beginn und die zügige Durchführung der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen, auch musste mit Blick auf die anzuberaumenden zahlreichen Hauptverhandlungstermine und der zu erwartenden Terminskollisionen Rechtsanwalts F. gewährleistet werden, dass der Beschwerdeführer an allen Hauptverhandlungstagen jedenfalls durch einen Verteidiger verteidigt wird.

Nach dem Abschluss des Tatsachenrechtszugs ist es nicht mehr notwendig, mit der Aufrechterhaltung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers den Fortgang der Hauptverhandlung zu sichern (vgl. OLG Düsseldorf StV 1990, 348; OLG Köln NStZ-RR 2012, 287; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Juni 2001 – 3 Ws 312/01 – bei juris und 23. März 2009 – 4 Ws 25/09 –;  Löwe-Rosenberg/Lüderssen/Jahn, StPO 26. Aufl., § 143 Fn. 37 zu Rdn. 8). Die Rücknahme der Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nach Beendigung der Hauptverhandlung ist daher nicht zu beanstanden, wenn nicht ausnahmsweise besondere weitere Gründe für den Fortbestand der zusätzlichen Bestellung eines Pflichtverteidigers ersichtlich sind (vgl. KG, Beschluss vom 13. Juni 2001 – 3 Ws 312/01 – a.a.O.). Ein solcher Fall, bei dem für die sachgerechte Verteidigung des Beschwerdeführers auch im Revisionsverfahren noch die Tätigkeit eines zweiten Verteidigers erforderlich schiene, ist nicht gegeben, zumal der Beschwerdeführer gegen Ende der Hauptverhandlung ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls und des Nichtabhilfevermerks des Strafkammervorsitzenden die gegen ihn erhobenen Vorwürfe weitgehend eingeräumt hat.

Auch Gründe des Vertrauensschutzes (vgl. dazu näher KG, Beschluss vom 20. September 2013 – 4 Ws 122/13 – bei juris m.w.N.) gebieten es nicht, es bei der Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers zu belassen. Denn der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes ist dann nicht einschlägig, wenn sich die für die Pflichtverteidigerbestellung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; KG, Beschluss vom 20. September 2013 – 4 Ws 122/13 –). So verhält es sich hier. Entgegen dem Vorbringen Rechtsanwalts V. im Schriftsatz vom 2. Juli 2015 war es für den Beschwerdeführer erkennbar, dass die Bestellung der Sicherung der Hauptverhandlung diente. Zwar enthielt der Beschluss, mit dem der Strafkammervorsitzende Rechtsanwalt V. zum weiteren Pflichtverteidiger bestellte, nicht den – von vornherein für Klarheit sorgenden und empfehlenswerten – Zusatz „zur Sicherung der Hauptverhandlung“. Allerdings ergab sich dies aus dem Schreiben des Vorsitzenden vom 6. Mai 2014, mit dem er dem Beschwerdeführer Gelegenheit gab, einen weiteren Verteidiger neben Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger zu benennen. Der Vorsitzende teilte dem Beschwerdeführer in diesem Schreiben mit, dass die Bestellung des weiteren Verteidigers wegen des Umfangs der im Einzelnen benannten zahlreichen Hauptverhandlungstermine in Betracht komme, und er wies auf das Erfordernis hin, dass dem Beschwerdeführer „in jedem Termin zumindest einer der beiden Verteidiger zur Verfügung steht“. Damit war der Zweck der weiteren Pflichtverteidigerbestellung für den Beschwerdeführer hinreichend sicher erkennbar. Anlass darauf zu vertrauen, dass die Bestellung auch über den Schluss der Hauptverhandlung fortbestehen werde, bestand nicht.“

Pflichti: Den Pflichtverteidiger nicht einfach so nach Hause schicken

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Heute dann mal nichts von OLGs usw., sondern vom anderen Ende der „Fahnenstange“. Also eine AG Entscheidung, klein aber fein 🙂 . Es geht um die Frage der Entpflichtung des nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bestellten Rechtsanwalts, wenn der Angeklagte zwei Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin aus der Haft entlassen wird. Da gibt es ja den § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO, der die Entpflichtung zulässt, was schnell zu einem Automatismus führt. Nicht so beim AG Halle (Saale) im AG Halle (Saale), Beschl. v. 09.11.2015 – 302 Cs 561 Js 2840/15:

„Die Beiordnung wird — da laut dem vorliegenden. Vollstreckungsblatt – das Haftende auf dem 03.01:2016, somit mehr als zwei Wochen vor dem abgesprochenen Hauptverhandlungstermin – notiert ist — auch auf § 140 Abs. 2 StPO gestützt. Aus rechts staatlichen Gründen erscheint es unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens trotz § 140 Abs. 3 S. 1 StPO kaum angängig, dem Angeklagten einen einmal bestellten Verteidiger wieder zu entziehen. Es kann nicht, von der Zufälligkeit, ob der Angeklagte zwei Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin entlassen wird, abhängen, ob der Angeklagte einen Verteidiger hat oder nicht.“

Machen die Obergerichte ja zunehmend auch bzw. lehnen den Automatismus: Entlassung des Angeklagten – Entpflichtung des Pflichtverteidigers, ab.