Auch die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung ist eine AG-Entscheidung. Sie kommt vom AG Dortmund. Das hatte im AG Dortmund, Urt. v. 21.01.2020 – 729 Ds-060 Js 513/19 -349/19 – über die Rechtsfolgen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) mit einem E-Scooter zu befinden. Frage war: Entziehung der Fahrerlaubnis, ja oder nein?
Das AG hat in seinem Fall die Fahrerlaubnis nicht nach § 69 StGB entzogene, sondern „nur“ ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhängt:
„Der Angeklagte ist Justizhelfer bei dem X-gericht Y.
Er ist weder strafrechtlich noch sonst verkehrsrechtlich bislang in Erscheinung getreten.
Am 08.09.2019 gegen 00:34 Uhr war der Angeklagte mit Freunden in der Dortmunder Innenstadt unterwegs. Man hatte an dem Abend zuvor gemeinsam gegessen und Alkohol getrunken. Der Angeklagte hatte Bier und „einige Kurze“ getrunken. Mit seinen Freunden befand er sich auf dem Weg zum Dortmunder „U“, dem Gelände der ehemaligen Union-Brauerei, wo der Angeklagte mit seinen Freunden eine Discothek aufsuchen wollte. Die Gruppe um den Angeklagten nahm den Weg durch die Innenstadt und zwar über den Westenhellweg, eine Fußgängerzone in Dortmund. Im dortigen Bereich – wie mittlerweile an vielen Stellen in Dortmund – waren trotz nur zulässiger Verkehrsflächenbenutzung durch Fußgänger sogenannte „E-Scooter“ der Firma „A“ zur Nutzung aufgestellt. Dabei findet die Nutzung statt durch vorherige Anmeldung per App mittels eines Smartphones. Der Angeklagte selbst hatte keine entsprechende App installiert. Einer der Personen aus der Gruppe um den Angeklagten jedoch hatte eine derartige App und schaltete mehrere Roller frei, mit denen der Angeklagte und die anderen dann „spaßeshalber“ durch die Fußgängerzone in Richtung „U“ fahren wollten. Zu dieser verkehrsarmen Zeit fand gleichzeitig eine Streifenfahrt der Polizei Dortmund auf dem Westenhellweg statt, bei der der Angeklagte ohne feststellbare Ausfallerscheinungen auf dem E-Scooter fahrend im Kreuzungsbereich Westenhellweg/Ecke Potgasse (immer noch einem Fußgängerzonenbereich) festgestellt werden konnte. Zur Tatzeit wies der Angeklagte zumindest eine Blutalkoholkonzentration von zumindest 1,40 ‰ auf.
Bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr in der Lage war aufgrund seiner Alkoholisierung.
Der Angeklagte hat die Tat insgesamt glaubhaft und unrechtseinsichtig gestanden.
Er schilderte die Abläufe am Tatabend und in der Tatnacht nachvollziehbar. Er schilderte auch glaubhaft, dass zur Tatzeit keinerlei Verkehr auf dem Westenhellweg herrschte und er selbst erstmals einen derartigen Roller gefahren habe.
Die Glaubhaftigkeit des Geständnisses konnte das Gericht durch urkundsbeweisliche Verlesung von Aufzeichnungen über Ermittlungshandlungen feststellen……
…..Der Angeklagte hat sich dementsprechend wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 Abs. I, Abs. II StGB strafbar gemacht.
Bei der Strafzumessung hat das Gericht strafmildernd das Geständnis und fehlende Voreintragungen des Angeklagten gewertet. Auch die Unrechtseinsicht des Angeklagten musste sich mildernd auswirken.
Die geringe Gefahr durch eine Rollerfahrt zur verkehrsarmen Zeit auf dem üblicherweise nur von Fußgängern nutzbaren Westenhellweg ohne jeglichen denkbaren Einfluss auf den fließenden Straßenverkehr und die potenziell geringere Gefährdung durch einen Elektroroller für andere Verkehrsteilnehmer musste sich ebenso zu Gunsten des Angeklagten auswirken.
Das Gericht hat dementsprechend unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die Verhängung einer Geldstrafe eines Maßes für tat- und schuldangemessen erachtet, dass das übliche Maß einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt eines Ersttäters mit einem PKW bzw. Motorrad unterschreitet. Tat- und schuldangemessen hielt das Gericht dementsprechend eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 35,00 €.
Die Höhe eines jeden Tagessatzes hat das Gericht bemessen aufgrund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Angeklagten.
Des Weiteren musste das Gericht prüfen, ob der Angeklagte sich gemäß § 69 StGB ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen durch die Fahrt erwiesen hat.
Hier entfaltete ausnahmsweise § 69 Abs. II Nr. 2 StGB nicht seine Indizwirkung. Die dargestellten tatbezogenen Strafmilderungsgründe zeigten vielmehr die Besonderheit der abzuurteilenden Trunkenheitsfahrt auf.
Das Gericht meint insbesondere auch angesichts fehlender strafrechtlicher Vorbelastungen und des von Reue getragenen Geständnisses des Angeklagten insoweit, dass sich aus der Tatbegehung unter Berücksichtigung aller Umstände der Tat und der Täterpersönlichkeit nicht ein Schluss auf eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ziehen lässt.
Dem Gericht ist insoweit die Entscheidung des Landgerichts Dortmund vom 08.11.2019 – 32 Qs 130/19 – bekannt und der scheinbare Widerspruch zu dieser Entscheidung bewusst.
Die Besonderheit der genannten Entscheidung war jedoch, dass der Angeklagte mit noch einer zweiten Person auf dem Roller fuhr, diesen also zweckentfremdete und zudem aufgrund seiner Alkoholisierung auch Ausfallerscheinungen auswies, die in einen Sturz beim Anhalteversuch gipfelten. Auch im Übrigen konnten im Rahmen der Blutprobenentnahme deutliche Ausfallerscheinungen festgestellt werden.
Auch wenn diese Gesichtspunkte im Rahmen des Beschlusses des Landgerichtes Dortmund nicht die tragenden Gründe der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis waren, so zeigten diese doch ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis vor gleichartigen Trunkenheitsfahrten des damaligen Beschuldigten. Ein derartiges Sicherungsbedürfnis, das zu einer Verhängung der Maßregel der Besserung und Sicherung des § 69 StGB führen müsste, ist jedoch nicht ersichtlich im vorliegenden Falle einer Fahrt mit einem gemieteten E-Scooter nachts zur verkehrsarmen Zeit auf einer Verkehrsfläche ohne jeden Bezug zum fließenden Straßenverkehr und ohne tatsächlich feststellbare oder auch nur abstrakt drohende Beeinträchtigung Rechtsgüter Dritter durch einen nicht vorbelasteten und geständigen Täter – dieser zeigt also durch seine Tatbegehung nicht seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Vielmehr war sodann das Regelfahrverbot des § 44 Abs. I Satz 3 StGB festzusetzen, da nach einer Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr keine Fahrerlaubnisentziehung stattgefunden hatte. Der Erziehungsgedanke, der dem Fahrverbot auch in Strafsachen im Wesentlichen zugrunde liegt, gebot es ebenso, eine Fahrverbotsanordnung erheblicher Dauer festzusetzen, wobei das Gericht angesichts der sonstigen Strafzumessungsumstände eine solche Fahrverbotsdauer von vier Monaten für den Umständen angemessen erachtet hat.“