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Kompendium (21 Seiten) vom KG zur Haft – wie ist es mit der „Beschleunigung“

© chris52 - Fotolia.com

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Die Haftbeschlüsse des KG lese ich als Autor immer besonders gern, nicht (nur), weil das KG gelegentlich auch mich zitiert – eitel sind wir alle – sondern vor allem, weil sie meist eine sehr schöne Zusammenstellung der aktuellen Rechtsprechung, die es zu den behandelten Fragen gibt, enthalten und man so immer sehr schön kontrollieren kann, ob man selbst auch auf dem Stand ist. Ich bin nicht immer derselben Auffassung wie das KG, aber das tut dem grundsätzlichen Nutzen der Beschlüsse keinen Abbruch

In die Kategorie gehört auch der KG, Beschl. v. 07.03.2014 – 4 Ws 21/14 – der sich mit der Frage des dringenden Tatverdacht nach einem erstinstanzlichem Urteil, der Fluchtgefahr und dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen befasst. Und zwar auf rund 21 Seiten, eben ein richtiges Kompendium, vom ich hier daher auch nur die Leitsätze vorstellen kann. Den Rest muss man selbst lesen. Die Leitsätze lauten:

„1. Zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Beschwerdeverfahren nach erstinstanzlichem Urteil.

2. Für die im Rahmen der Fluchtgefahr zu beurteilende Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 StGB ist hierbei zu berücksichtigen, wenn sie im Einzelfall wahrscheinlich bzw. konkret zu erwarten ist.

3. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen beansprucht grundsätzlich auch in Fällen Geltung, in denen die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, weil sich der Angeklagte in anderer Sache in Strafhaft befindet und für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist. Der Umstand, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird, hebt das Beschleunigungsgebot nicht auf, schwächt es aber ab. Der Maßstab für die Beurteilung des Gewichts von Verzögerungen verschiebt sich und die Anforderungen an die beschleunigte Verfahrensführung sind weniger streng, weil eine völlige Gleichstellung angesichts der geringeren Eingriffswirkung, d.h. der Tatsache, dass ein in anderer Sache inhaftierter, rechtskräftig verurteilter Straftäter von der Untersuchungshaft nicht in derselben Weise betroffen ist wie der als unschuldig geltende Gefangene, bei dem allein diese vorläufige staatliche Zwangsmaßnahme vollzogen wird, nicht sachgerecht ist.

4. Für die Frage, ob der Grundsatz der Beschleunigung bei der Durchführung der Hauptverhandlung ausreichend beachtet wurde, ist nicht eine ausschließlich retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und gar eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten entscheidend. Auch hinsichtlich der Dauer der einzelnen Sitzungen kommt es vielmehr grundsätzlich auf die Planung der Hauptverhandlung durch das Gericht an. Dem Einflussbereich des Gerichts entzogene Umstände können den Verlauf umfangreicher Hauptverhandlungen mit zahlreichen Beteiligten maßgeblich bestimmen sowie erheblich verzögern, weshalb nachträgliche, rein rechnerische Überlegungen zur tatsächlichen (Netto-) Verhandlungszeit ohne die Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung im Regelfall nicht überzeugend sind. Haben einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen, dass die Verhandlungsdichte im Verlaufe einer länger dauernden Hauptverhandlung absinken musste, erscheint es widersprüchlich, wenn sie dem Gericht nachträglich vorhalten, sich unter Beschleunigungsaspekten falsch verhalten zu haben.

5. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren und gilt demgemäß auch nach dem Urteilserlass; Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil fallen aber geringer ins Gewicht.“

Ist etwas Besonderes an der Entscheidung des OLG Karlsruhe in der Causa Kachelmann?

Naturgemäß haben heute die Beiträge zur Aufhebung des Haftbefehls gegen Jörg Kachelmann die zur Loveparade verdrängt. Eine kleine Auswahl hier:

  1. Freilassung Kachelmann, Bravo OLG Karlsruhe.
  2. Kachelmann frei.
  3. Kachelmann draußen.
  4. Auf dem Weg zum Freispruch.
  5. Und: Mein Favorit bei den Überschriften: Kachelmann kommt aus der Kiste – wird das Wetter jetzt besser? – obwohl hier ist es gar nicht schlecht…

Nachdem J.K, nun schon einige Stunden auf freiem Fuß ist, vielleicht Gelegenheit/Anlasse zu einer ersten, etwas umfassenderen Bewertung der Entscheidung als am heutigen Morgen:

  1. Alle Kommentatoren begrüßen die Entscheidung des OLG Karlsruhe, mit Recht. Denn – ohne die Akten zu kennen – scheint das OLG Karlsruhe (endlich) das erkannt zu haben, was in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder berichtet worden ist: Eine (inzwischen [?]) dünne Beweislage, die die Annahme eines dringenden Tatverdachts verbietet. Gewonnen ist eine Schlacht, allerdings noch nicht der Krieg, denn man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscsheidung reagiert, zumal natürlich auch nicht vergessen werden darf, dass das LG die Zeugen/Zeugin in öffentlicher Hauptverhandlung vernimmt und deren Aussagen dann neu bewerten muss. 2.
  2. Allerdings darf man sicherlich auch die psychologische Wirkung einer solchen HB-Aufhebung nicht übersehen.
  3. Man fragt sich natürlich auch, was sich eigentlich so anders in der Bewertung des OLG darstellt, dass dieses zu einer HB-Aufhebung kommt. Warum hat das LG das nicht auch so gesehen? Aber die Bewertung von Zeugenaussagen bei der „Aussage-gegen-Aussage-Problematik“ ist häufig nicht nachvollziehbar. Zudem habe ich den Eindruck, dass das LG seine Haftentscheidung unbedingt halten wollte. Das hat man manchmal.
  4. Richtig ist es, wen man sagt – wie der Kollege Nebgen – J.K. ist auf dem Weg zum Freispruch. Aber mehr auch nicht. Denn wie gesagt (s.o.): Man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscheidung reagiert.
  5. Zur Überschriftsfrage: Besonders ist an der Entscheidung, dass das OLG zum „dringenden Tatverdacht“ Stellung genommen hat. An sich tun OLGs das ungern :-). Man hätte m.E. auch den Weg über die Fluchtgefahr gehen können (die m.E. auch nicht vorgelegen hat). So lässt sich aus der Entscheidung der Schluss ziehen, dass das OLG ein deutliches Zeichen setzen wollte. Das ist gelungen. Congratulations.

Na also, Haftbeschwerde Kachelmann hat Erfolg: Kein dringender Tatverdacht

Das OLG Karlsruhe meldet gerade in einer PM:

„Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des vor dem Landgericht Mannheim angeklagten Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Jörg Kachelmann wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 wegen des Vorwurfs, die Nebenklägerin in der Nacht vom 08. auf den 09.02.2010 unter Einsatz eines Messers vergewaltigt und sich deshalb der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht zu haben, am 20.03.2010 festgenommen und befand sich danach bis heute ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Mannheim am 17.05.2010 Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben hatte, wies die dort zuständige Strafkammer am 01.07.2010 einen Antrag des Angeschuldigten auf Aufhebung des Haftbefehls zurück und ordnete die Haftfortdauer an. Der noch am selben Tag über seinen Verteidiger erhobenen Haftbeschwerde des Angeschuldigten half das Landgericht am 02.07.2010 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung über das Rechtsmittel vor. Dieses hat Erfolg.

Vor dem Hintergrund der am 09.07.2010 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens und der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung durch die zuständige Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat der 3. Strafsenat im Rahmen der Beschwerdeentscheidung zunächst auf den Unterschied zwischen dem nach § 203 StPO für die Eröffnung des Hauptverfahrens genügenden hinreichenden Tatverdacht, der auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen habe, und dem für die Untersuchungshaft nach § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO erforderlichen dringenden Tatverdacht hingewiesen, der einen stärkeren Verdachtsgrad erfordere.

Der 3. Strafsenat hat sodann ausgeführt, dass jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner – so der 3. Strafsenat – dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat im Ergebnis die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts Mannheim vom 01.07.2010 sowie den ihr zugrunde liegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.“

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010 (3 Ws 225/10)“

Stellungnahme: sehr selten, dass ein OLG zum dringenden Tatverdacht Stellung nimmt.