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Corona I: Volksverhetzung und Corona-Impfpflicht, oder: Verharmlosen der NS-Verbrechen

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In die 30. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona/Covid-19. Beides sind „Aufarbeitungsentscheidungen“. Sie behandeln Fragen, zu den ich hier schon verschiedentlich Entscheidungen eingestellt habe.

Ich beginne mit dem KG, Urt. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22) – zur Frage der Volksverhetzung durch Verharmlosen der NS-Verbrechen im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht.

Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) freigesprochen, weil es die Eignung der Tat-handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Revision hatte Erfolg.

Das AG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung „Nein zum lfsG 28b“ im Bereich des Regierungsviertels teilzunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungsort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der …-Allee / Ecke …allee in … Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch „Arbeit macht frei“, welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehre-ren nationalsozialistischen Konzentrationslagern angebracht war, unter ande-rem auch in dem Lagerkomplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstands-los wieder entfernen.

Das KG sieht die Rechtsfrage anders als das AG und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Nach seiner Auffassung hat das AG nicht genügende Feststellungen zu der Frage getroffen, um die Frage beurteilen zu können, ob eine Eignung der geschilderten Handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens zu Recht verneint worden ist:

„aa) Die Eignung zur Friedensstörung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 3 StGB, das zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muss und zu dem der Tatrichter die erforderlichen Feststellungen zu treffen hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris). Tatbestandlicher Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. Fischer, a. a. O., § 130 Rn. 13a m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung an (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021 – Ss 72/2020 [2/21] –, juris Rn. 23).

bb) Gemessen daran erweisen sich die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen als lückenhaft.

(1) Dabei ist es allerdings entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht weder maßgeblich auf die Stimmungslage in der Bevölkerung noch auf die politische Situation zur Tatzeit abgestellt und insoweit auch keine Feststellungen getroffen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Rede stehenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art eigens festzustellen und nicht wie bei den anderen Varianten des Billigens oder Leugnens indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist da-nach im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu le-gen, wobei der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ebenso wenig ein Eingriffsgrund ist wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts-bewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, a. a. O.).  Äußerungen sind vielmehr erst geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgut-gefährdende Handlungen hin angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen könnte die Berücksichtigung der Stimmungslage in der Bevölkerung und der politischen Situation zur Tatzeit lediglich dazu führen, in der Handlung des Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen (vgl. OLG Saarbrücken, a. a. O.). Soweit dagegen in der Rechtsprechung teilweise (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 46; LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 17; LG Köln, Beschluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –) vertreten wird, dass diese Umstände auch bei der Tatbestandsvariante des Verharmlosens maßgeblich in die Gesamtwürdigung einzustellen sind, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu folgen.

(2) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, neben Art, Inhalt und Form auch im ausreichenden Maße das Umfeld der Äußerung des Angeklagten festzustellen.

So lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend die örtlichen Gegebenheiten entnehmen, obwohl sich entsprechende Feststellungen insbesondere angesichts des Ortes der zuvor beendeten Versammlung im Bereich des Regierungsviertels aufgedrängt hätten. Es fehlen unter dem Aspekt der Herabsetzung von Hemm-schwellen vor allem Feststellungen dazu, ob sich der gläserne Informationskasten bereits innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bun-des und der Länder (§ 16 VersG) befand. Ferner verhält sich das angefochtene Urteil auch nicht dazu, inwieweit es in unmittelbarer Nähe des Tatorts Denkmäler oder Bauwerke gab, die – wie etwa Synagogen – im Hinblick auf den Schutzbereich des § 130 Abs. 3 StGB besonders sensibel sind (siehe auch § 15 Abs. 2 VersG).

Auch fehlen Feststellungen dazu, für welchen Personenkreis der Aufkleber auf dem nach den Urteilsgründen für Dritte ungehindert wahrnehmbaren gläsernen Informationskasten im konkreten Fall erkennbar war bzw. welche Personen bereits von ihm Kenntnis genommen haben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris). Insoweit hätte es ferner unter dem Aspekt der aggressiven Emotionalisierung auch Feststellungen dazu bedurft, ob es sich bei etwaigen umstehenden Personen um unbeteiligte Passanten oder etwa um ehemalige Demonstrationsteilnehmer handelte, die durch den Inhalt des Aufklebers hätten aufgewiegelt werden können. In diesem Fall wären auch Feststellungen zum Ablauf und zur „Friedlichkeit“ der zuvor beendeten Versammlung und zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen gewesen…..“

Den Rest der Entscheidung des KG dann bitte selbst lesen.

Corona I: Maskenbefreiungsattest ohne Untersuchung, oder: „Generelle Vorbehalte“ reichen nicht

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Und in die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen zu Corona. Es handelt sich um „Aufarbeitungsentscheidungen“. Beide stammen vom BayObLG.

Zunächst hier der BayObLG, Beschl. v. 05.06.2023 – 206 StRR 76/23. Auszugehen war im Wesentlichen von folgenden Feststellungen.

Der Angeklagte, selbständiger Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der eine gynäkologische Praxis betriebt, steht den Infektionsschutzmaßnahmen, die sowohl von Seiten des Bundes als auch des Landes Bayern aufgrund der seit Anfang 2020 bestehenden Pandemie erlassen wurden, kritisch gegenüber. Ab Juni 2020 begann der Angeklagte, sogenannte Maskenbefreiungsatteste auszustellen. Ihm kam es bei der Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung nicht darauf an, dass der um ein Attest nachsuchende Patient unter aktuellen Beschwerden aufgrund des Tragens einer Infektionsschutz-Maske litt. Er vertrat die Ansicht, dass das Tragen einer Schutzmaske generell als gesundheitsgefährdend einzuschätzen sei. Auf einen persönlichen Kontakt mit den Antragstellern oder eine medizinische Untersuchung vor Ausstellung des Attestes kam es dem Angeklagten nicht an. Er erteilte sowohl Atteste nach einem persönlichen Gespräch als auch auf telefonische Anfrage und auf schriftliche Anfragen (einschließlich per E-Mail). Insgesamt stellte der Angeklagte (im Zeitraum von Juni 2020 bis 16.12.2020) 1096 Maskenbefreiungsatteste aus. Neben seinem Namen, seiner beruflichen Qualifikation sowie Name und Geburtsdatum des Patienten enthielten die Atteste den Text, dass die jeweilige Person „aus schwerwiegenden med. Gründen von der Gesichtsmaskenpflicht befreit“ sei, alternativ, dass es für den Patienten „aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar“ sei, eine Mund-Nasenbedeckung bzw. eine sog. Alltagsmaske oder ein Faceshield zu tragen. Teilweise enthielten die Atteste Diagnosen mit den üblichen medizinischen Kürzeln. Teilweise fanden sich noch Ausführungen über die Drittwirkung von Grundrechten, die die Patienten zur Teilnahme an gesellschaftlichem Leben berechtigen würden. Des Weiteren fanden sich Ausführungen zu Art. 3 des Grundgesetzes. Einen Hinweis darauf, dass das Attest ohne persönliche Untersuchung ausgestellt worden war, enthielt keines der Atteste.

Verurteilt worden ist der Angeklagte vom AG und dann auch vom LG wegen Ausstellens von unrichtigen Gesundheitszeugnissen (§ 278 StGB). Dagegen die Revision, die zum Teil Erfolg. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den velinkten Volltext. Hier sollen die Leitsätze reichen, und zwar:

    1. Ärztliche Atteste sind gem. § 278 StGB unrichtig, wenn sie ohne persönliche Untersuchung ausgestellt werden, obwohl keine besonderen Umstände vorliegen, die dies ausnahmsweise rechtfertigen könnten.
    2. Eine ärztliche Bescheinigung, die während der Covid 19-Pandemie zu dem Zweck der Glaubhaftmachung ausgestellt wurde, der betreffenden Person sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar, ist unrichtig, wenn sie sich nicht auf durch eine Untersuchung festgestellte individuelle gesundheitliche Besonderheiten, sondern lediglich auf generelle Vorbehalte gegen das Tragen von Gesichtsmasken stützte.
    3. Wird die Strafbarkeit wegen Ausstellens eines unrichtigen Maskenbefreiungsattestes zum Gebrauch bei einer Behörde nach § 278 StGB a.F. damit begründet, das Attest sei zur Vorlage bei einer Schulbehörde während der Covid-19 Pandemie gedacht gewesen, um von der in der Schule bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden, bedarf es der Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attestes eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände bestand oder mit der Anordnung einer solchen gerechnet wurde.

Corona II: Einrichtungsbezogene Nachweispflicht, oder: Kein Betretungs- und kein Tätigkeitsverbot

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Und dann als zweite Entscheidung noch der OLG Celle, Beschl. v. 06.06.2023 – 2 ORbs 132/23 – zur Ordnungswidrigkeit von Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz, Stichwort: Einrichtungsbezogene Nachweispflicht. Das AG hatte die Betroffene

„wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die in § 20a Abs. 2 und 5 IfSG in der zum Zeitpunkt der ihr zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit geltenden Fassung (im Folgenden: § 20a Abs. 2 und 5 IfSG a.F.) geregelte Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 7 e) und h) IfSG in der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: 73 Abs. 1a Nr. 7 e) und h) a.F.) zu einer Geldbuße in Höhe von 500 € verurteilt. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen war die Betroffene zum Tatzeitpunkt als Gesundheits- und Krankenpflegerin für die D. D. in B. gGmbH tätig. Trotz Kenntnis ihrer gesetzlich geregelten Verpflichtung legte sie ihrem Arbeitgeber bis zum Ablauf des 15.03.2022 keinen Coronaimpf- oder Genesenennachweis vor. Der nachfolgenden Aufforderung des zuständigen Gesundheitsamtes, einen entsprechenden Nachweis dort bis zum 12.04.2022 vorzulegen, kam sie lediglich insoweit nach, als dass sie einen am 06.04.2022 bei der Behörde eingegangenen Genesen-Nachweis übermittelte, dessen Gültigkeit am 07.04.2022 ablief. Einen Nachweis über eine Corona-Schutzimpfung oder ein ärztliches Zeugnis über eine etwaige medizinische Kontra-indikation für diese Impfung legte sie hingegen nicht vor. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat sich die Betroffene dahin eingelassen, sie habe keinen Impfnachweis vorlegen können, da sie sich zuvor einmal mit dem Corona-Virus infiziert, jedoch keine Symptome ver-spürt gehabt habe, weshalb sie die Corona-Schutzimpfung nicht befürwortet und sich daher nicht impfen lassen habe.

Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, dass Amtsgericht sei zu Unrecht von einem vorsätzlichen Verstoß gegen ihre Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises ausgegangen. Da sie über keinen Nachweis verfügt habe, sei ihr die Vorlage eines solchen Nachweises objektiv unmöglich gewesen. Zudem habe ihr das Gesundheitsamt trotz des fehlenden Nachweises im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessens kein Betretens- oder Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 IfSG a.F. erteilt. Auf eine solche Fallkonstellation sei der bei ihrer Verurteilung zugrunde gelegte Bußgeldtatbestand des § 73 Abs. 1a Nr. 7 h) IfSG nicht anwendbar. Seine Anwendung scheide auch deshalb aus, da hinsichtlich der vom Gesetzgeber eingeführten Regelungen in § 20a Abs. IfSG a.F. zur sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht ein strukturelles Vollzugsdefizit vorgelegen habe, aus der sich die Verfassungswidrigkeit der betreffenden Regelungen ergebe. So habe die Landesregierung des Freistaates Bayern am 15.02.2022 offiziell angekündigt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht aussetzen zu wollen, da diese nach ihrer Ansicht nicht als wirksames Mittel zur Begleitung, Dämpfung oder zum Stoppen der damals zu verzeichnenden Omikron-Welle anzusehen gewesen sei. Gleichlautende Stellungnahmen habe es aus anderen Bundesländern gegeben. Gleichwohl habe der Bundesgesetzgeber nähere Bestimmungen zu einer bundeseinheitlichen Anwendung der Regelungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht bewusst unterlassen.

Schließlich wendet die Betroffene ein, es handele sich bei den genannten Regelungen um ein Zeitgesetz i.S. von § 4 Abs. 4 OWiG, das vom Gesetzgeber bewusst nicht verlängert worden sei, so dass die sog. Meistbegünstigungsklausel des § 4 Abs. 3 OWiG hätte zur Anwendung kommen und die Betroffene freizusprechen gewesen wäre.W

Das hat das OLG anders gesehen und die Rechtsbeschwerde verowrfen. Hier die Leitsätze zu der OLG-Entscheidung:

1.Die bis zum 31.12.2022 befristeten Regelungen zur einrichtungsbezogene Nachweispflicht in §§ 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1 IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung unterfallen nicht der Meistbegünstigungsklausel des § 4 Abs. 3 OWiG.

2.Der Bußgeldtatbestand in § 73 Abs. 1a Nr. 7h IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung ist auch dann anwendbar, wenn das Gesundheitsamt dem Betroffenen kein Betretens- oder Tätigkeitsverbot erteilt hat.

3.Ein zur Verfassungswidrigkeit der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht in §§ 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1 IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung begründendes strukturelles Vollzugsdefizit ist nicht gegeben.

Corona II: Nichtvorlage vom Impf-/ Genesenenausweis, oder: Bußgeld auch bei Weiterbeschäftigung

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Und als zweite Entscheidung dann noch etwas Bußgeldrechtliches, nämlich den OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03..2023 – 2 ORbs 17/23 (210 Js 31415/22). Das OLG hat zur Verhängung eines Bußgeldes wegen wegen der Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises Stellung genommen. Das AG hatte den Betroffenen, der als Chirurg arbeitet, wegen vorsätzlicher Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Dagegen dessen Rechtsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Der Senat ergänzt diese Ausführungen allerdings wie folgt:

Soweit der Betroffene geltend macht, ein Verstoß gegen § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG a. F., wonach die in Abs. 1 Satz 1 genannten Personen dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befand, auf Anforderung einen Nachweis nach Abs. 2 Satz 1 vorzulegen hatten, habe für ihn nicht gegolten, da er mangels Impfung über einen derartigen Nachweis nicht verfügt habe, verfängt dieser Einwand ersichtlich nicht. Die entsprechende Regelung sollte nicht nur die Vorlage vorhandener Nachweise sanktionieren. Vielmehr musste (auch) derjenige, der ungeimpft bleiben wollte, bei Fortsetzung der Tätigkeit mit einer bußgeldbewehrten Nachweisanforderung rechnen (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 114). Dass der Betroffene geglaubt haben könnte, er könne der Vorlagepflicht mit dem Argument, er habe keinen entsprechenden Nachweis, entgehen, ist vor dem Hintergrund der vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht geführten Diskussion – wie die Generalstaatsanwaltschaft schon zutreffend angemerkt hat – abwegig.

Der Hinweis des Betroffenen, gegen ihn sei ein Betretungsverbot nicht verhängt worden, führt nicht dazu, dass die vorherige Weigerung, einen Impf- oder Genesenennachweis vorzulegen, nicht mit einem Bußgeld sanktioniert werden könnte. Die Möglichkeit des Gesundheitsamtes, trotz Nichtvorlage durch den Beschäftigten, diesen weiterhin seiner Tätigkeit nachgehen zu lassen, ist vom Bundesverfassungsgericht vielmehr lediglich als ein Gesichtspunkt zur Abmilderung des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit, den die zur Erfüllung der Nachweispflicht veranlasste Impfung darstellt, angesehen worden (BVerfG, a. a. O., Randnummer 207, 212, 215).

Insofern hat der Gesetzgeber den vom Betroffenen angeführten Gesichtspunkt, die Aufgabe seiner Tätigkeit als Arzt wäre im Hinblick auf die Patientenversorgung kontraproduktiv gewesen, bereits berücksichtigt und das Gesundheitsamt hier von der genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Auch wenn – wie der Betroffene geltend macht- in anderen Bundesländern Bußgeldbescheide wegen Nichtvorlage von Nachweisen nicht verhängt worden sein sollten, würde dieses nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG führen: Der Anspruch auf Gleichbehandlung besteht nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Verwaltungsträger; dieser hat in seinem Zuständigkeitsbereich die Gleichbehandlung zu sichern (BVerwGE 70. Bd., 127,132; BVerfGE 21. Bd., 54, 68).

Soweit der Betroffene meint, bei der Aufforderung zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises habe es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt, der mangels Rechtsbehelfsbelehrung noch nicht bestandskräftig geworden sei, sodass hierauf ein Bußgeld nicht habe gestützt werden können, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Er schließt sich vielmehr den ausführlich begründeten Beschlüssen des OVG Lüneburg vom 22.06.2022 (14 ME 258/22) und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 13.6.2022 (1 B 28/22), jeweils juris, an, wonach es sich um eine unselbständige Verfahrenshandlung im Sinne des § 44 a VwGO gehandelt hat. Auf die jeweiligen Begründungen wird insoweit verwiesen.

Auch der Einwand des Betroffenen, ein Festhalten am Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.4.2022 sei in keiner Weise mehr zu rechtfertigen, greift nicht durch. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens des Landkreises vom 13.07.2022. Am 27.04.2022 hatte das Bundesverfassungsgericht noch ausgeführt, dass nicht erkennbar sei, dass die Nachweispflicht mittlerweile in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen wäre. Bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt waren lediglich zweieinhalb Monate verstrichen. Aber selbst am 08.09.2022 hat das OVG Lüneburg (14 ME 297/22, juris) diesen Zeitpunkt noch nicht als erreicht angesehen (vergleiche auch OVG NRW, Beschluss vom 23.12.2022, 13 B 1256/22, juris, das auch für diesen Zeitpunkt § 20a IfSG noch als verhältnismäßig angesehen hat).

Die Gegenerklärung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung:

Dass die Vorlage eines Impfnachweises nicht mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden konnte, weil keine Impfpflicht bestand, ändert an der Rechtmäßigkeit einer Bußgeldbewehrung nichts (vgl. BVerfG a.a.O., RN 267 ff.).

Im Hinblick auf § 4 Abs. 3 OWiG (Meistbegünstigungsprinzip) ist es zwar zutreffend, dass die Ausnahme hiervon durch § 4 Abs. 4 OWiG (Zeitgesetz) dann nicht zum Tragen kommt, wenn „sich der Gesetzgeber zu der getroffenen Regelung aufgrund eines Wandels der Rechtsüberzeugung nicht mehr bekennt.“ (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 4 RBs 387/21 –, Rn. 50, juris).

Dies gilt aber für Zeitgesetze im weiteren Sinne, also solche, die ihrem Inhalt nach für sich ändernde zeitbedingte Verhältnisse gedacht sind (vgl. Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG, 18. Auflage, § 4 RN 10 und 10a).

Hier lag aber bereits ein Zeitgesetz im engeren Sinne vor:

Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37; Göhler/Gürtler, § 4 Rn. 10). (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20 –, Rn. 20, juris).

Nach Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 vom 10.12.2021 wurden §§ 20a und 20b IfSchG bereits zukünftig aufgehoben, denn Art. 23 des Gesetzes sah das Inkrafttreten von Art. 2 für den 1.1.2023 vor. Tatsächlich hat es eine Verlängerung auch nicht gegeben.

Dass dies auf einem Wandel der Rechtsüberzeugung (was gegen ein Zeitgesetz i.w.S. sprechen würde) und nicht auf einer Änderung des Pandemiegeschehens beruht hätte, ist ohnehin nicht ersichtlich.“

 

Corona II: Nichtvorlage eines Impfnachweises, oder: Bußgeld auch bei Weiterbeschäftigung

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Und als zweite Entscheidung stelle ich dann den OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2023 – 2 ORbs 17/23 (210 Js 31415/22) – vor.

Das AG hat den Betroffenen, der als Chirurg arbeitet, wegen vorsätzlicher Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde die keinen Erfolg hatte:

„Die Rechtsbeschwerde lässt aus den zutreffenden Gründen der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.

Der Senat ergänzt diese Ausführungen allerdings wie folgt:

Soweit der Betroffene geltend macht, ein Verstoß gegen § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG a. F., wonach die in Abs. 1 Satz 1 genannten Personen dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befand, auf Anforderung einen Nachweis nach Abs. 2 Satz 1 vorzulegen hatten, habe für ihn nicht gegolten, da er mangels Impfung über einen derartigen Nachweis nicht verfügt habe, verfängt dieser Einwand ersichtlich nicht. Die entsprechende Regelung sollte nicht nur die Vorlage vorhandener Nachweise sanktionieren. Vielmehr musste (auch) derjenige, der ungeimpft bleiben wollte, bei Fortsetzung der Tätigkeit mit einer bußgeldbewehrten Nachweisanforderung rechnen (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 114). Dass der Betroffene geglaubt haben könnte, er könne der Vorlagepflicht mit dem Argument, er habe keinen entsprechenden Nachweis, entgehen, ist vor dem Hintergrund der vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht geführten Diskussion – wie die Generalstaatsanwaltschaft schon zutreffend angemerkt hat – abwegig.

Der Hinweis des Betroffenen, gegen ihn sei ein Betretungsverbot nicht verhängt worden, führt nicht dazu, dass die vorherige Weigerung, einen Impf- oder Genesenennachweis vorzulegen, nicht mit einem Bußgeld sanktioniert werden könnte. Die Möglichkeit des Gesundheitsamtes, trotz Nichtvorlage durch den Beschäftigten, diesen weiterhin seiner Tätigkeit nachgehen zu lassen, ist vom Bundesverfassungsgericht vielmehr lediglich als ein Gesichtspunkt zur Abmilderung des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit, den die zur Erfüllung der Nachweispflicht veranlasste Impfung darstellt, angesehen worden (BVerfG, a. a. O., Randnummer 207, 212, 215).

Insofern hat der Gesetzgeber den vom Betroffenen angeführten Gesichtspunkt, die Aufgabe seiner Tätigkeit als Arzt wäre im Hinblick auf die Patientenversorgung kontraproduktiv gewesen, bereits berücksichtigt und das Gesundheitsamt hier von der genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Auch wenn – wie der Betroffene geltend macht- in anderen Bundesländern Bußgeldbescheide wegen Nichtvorlage von Nachweisen nicht verhängt worden sein sollten, würde dieses nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG führen: Der Anspruch auf Gleichbehandlung besteht nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Verwaltungsträger; dieser hat in seinem Zuständigkeitsbereich die Gleichbehandlung zu sichern (BVerwGE 70. Bd., 127,132; BVerfGE 21. Bd., 54, 68).

Soweit der Betroffene meint, bei der Aufforderung zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises habe es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt, der mangels Rechtsbehelfsbelehrung noch nicht bestandskräftig geworden sei, sodass hierauf ein Bußgeld nicht habe gestützt werden können, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Er schließt sich vielmehr den ausführlich begründeten Beschlüssen des OVG Lüneburg vom 22.06.2022 (14 ME 258/22) und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 13.6.2022 (1 B 28/22), jeweils juris, an, wonach es sich um eine unselbständige Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a VwGO gehandelt hat. Auf die jeweiligen Begründungen wird insoweit verwiesen.

Auch der Einwand des Betroffenen, ein Festhalten am Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.4.2022 sei in keiner Weise mehr zu rechtfertigen, greift nicht durch. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens des Landkreises vom 13.07.2022. Am 27.04.2022 hatte das Bundesverfassungsgericht noch ausgeführt, dass nicht erkennbar sei, dass die Nachweispflicht mittlerweile in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen wäre. Bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt waren lediglich zweieinhalb Monate verstrichen. Aber selbst am 08.09.2022 hat das OVG Lüneburg (14 ME 297/22, juris) diesen Zeitpunkt noch nicht als erreicht angesehen (vergleiche auch OVG NRW, Beschluss vom 23.12.2022, 13 B 1256/22, juris, das auch für diesen Zeitpunkt § 20a IfSG noch als verhältnismäßig angesehen hat).

Die Gegenerklärung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung:

Dass die Vorlage eines Impfnachweises nicht mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden konnte, weil keine Impfpflicht bestand, ändert an der Rechtmäßigkeit einer Bußgeldbewehrung nichts (vgl. BVerfG a.a.O., RN 267 ff.).

Im Hinblick auf § 4 Abs. 3 OWiG (Meistbegünstigungsprinzip) ist es zwar zutreffend, dass die Ausnahme hiervon durch § 4 Abs. 4 OWiG (Zeitgesetz) dann nicht zum Tragen kommt, wenn „sich der Gesetzgeber zu der getroffenen Regelung aufgrund eines Wandels der Rechtsüberzeugung nicht mehr bekennt.“ (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 4 RBs 387/21 –, Rn. 50, juris).

Dies gilt aber für Zeitgesetze im weiteren Sinne, also solche, die ihrem Inhalt nach für sich ändernde zeitbedingte Verhältnisse gedacht sind (vgl. Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG, 18. Auflage, § 4 RN 10 und 10a).

Hier lag aber bereits ein Zeitgesetz im engeren Sinne vor:

Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37; Göhler/Gürtler, § 4 Rn. 10).

(Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20 –, Rn. 20, juris).

Nach Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 vom 10.12.2021 wurden §§ 20a und 20b IfSchG bereits zukünftig aufgehoben, denn Art. 23 des Gesetzes sah das Inkrafttreten von Art. 2 für den 1.1.2023 vor. Tatsächlich hat es eine Verlängerung auch nicht gegeben.

Dass dies auf einem Wandel der Rechtsüberzeugung (was gegen ein Zeitgesetz i.w.S. sprechen würde) und nicht auf einer Änderung des Pandemiegeschehens beruht hätte, ist ohnehin nicht ersichtlich.“