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Nicht angenommene VB und Auslagenerstattung, oder: Es bleibt beim Mindestgegenstandswert

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Im zweiten Posting dann etwas vom BVerfG, und zwar der BVerfG, Beschl. v. 30.03.2023 – 3. März 2023 – 2 BvR 1810/22.

In dem Beschluss hat das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil entschieden. Gerügt worden war, dass ein gestellter Adhäsionsantrag übergangen worden sei. Es ist ein Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht worden.

„Gestritten“ worden ist um die Frage der Erschöpfung des Rechtsweges, nämlich darum, ob eine Anhörungsrüge zu erheben ist/war. Das BVerfG hat die Frage bejaht, die Verfassungsbeschwerde aber nicht zur Entscheidung angenommen, weil über die nach seiner Ansicht erhobene Anhörungsrüge vom AG noch zu entscheiden sei. Inoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext. Dazu hier nur der Leitsatz:

1. Wird mit der Verfassungsbeschwerde – gegebenenfalls lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Etwas anderes gilt (nur), wenn das Anhörungsrügeverfahren offensichtlich aussichtslos ist.

2. Eine Anhörungsrüge ist ausnahmsweise auch statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft oder den Adhäsionsantrag stillschweigend übergangen hat.

Und dann zum hier interessierenden gebührenrechtlichen Teil:

„1. Das Land Rheinland-Pfalz hat die Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu tragen.

Nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>). Die Anordnung der Auslagenerstattung steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 75 <77>; 20, 119 <133 f.>; 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; 89, 91 <97>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>).

Die Auslagenerstattung wird angeordnet, da in der Sache ein Verfassungsverstoß gegeben sein dürfte und die Verfassungsbeschwerde lediglich aus prozessualen Gründen, die für die Beschwerdeführerin nur schwer antizipierbar waren, nicht zur Entscheidung angenommen werden kann. Ob eine Anhörungsrüge statthaft und als Teil des Rechtsweges anzusehen ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation durchaus problematisch; die Kommentarliteratur schweigt zu dieser Frage.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht besteht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2018 – 1 BvR 700/18 -, Rn. 4 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 962/19 -, juris, Rn. 4 f.).“

Kein Rechtsschutzbedürfnis für Wertfestsetzung, oder: Hilfe, Hilfe, ich brauche RVG-Entscheidungen

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Heute am „Brückenarbeitsfreitag“ gibt es hier auch wieder RVG-Entscheidungen. Aber zunächst eine „Verlegenheitsentscheidung“. Das ist eine nach der ich konkret gesucht habe, um sie einstellen zu können. Denn mein Kontingent ist leider erschöpft. Ich hatte noch eine Entscheidung, die ich heute Mittag vorstelle, aber dann ist der Ordner leer. Daher hier dann die „gesuchte“ Entscheidung mit dem Aufruf: Bitte RVG-Entscheidungen für meine Berichterstattung schicken. Ich stelle sie hier vor und auch im AGS, StRR/VRR oder RVGprofessionell. Und egal, ob positiv oder negativ, ich nehme alles.

Und hier kommt dann die „Verlegenheitsentscheidung“, der BVerfG, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 BvR 2226/20, der sich noch einmal kurz und knapp – ja die können auch kurz beim BVerfG – zur Festsetzung des Gegenstandswertes für eine (nicht angenommene) Verfassungsbeschwerde äußert:

„3. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist unzulässig. Für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 €. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Mai 1999 – 2 BvR 1790/94 -).“

Wie gesagt: Kurz und knapp.

 

BVerfG II: TKÜ-Maßnahme gegen Nachrichtenmittler, oder: Vage Anhaltspunkte/bloße Vermutungen

Und als zweiter Beitrag dann noch die zweite BVerfG-Entscheidung, und zwar der BVerfG, Beschl. v. 21.03.2023 – 2 BvR 626/20 -, der gestern schon versehentlich online gegangen war. In dem Beschluss nimmt das BVerfG zur Zulässigkeit/Rechtswidrigkeit einer TKÜ-Maßnahme gegen einen Nichbeschuldigten, der als sog. Nachrichtenmittler in Betracht kam, Stellung.

Das BVerfG hat die Maßnahme als unzulässig angesehen und rügt die „Dünne“ der Verdachtsgründe:

„2. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind mit den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht zu vereinbaren. Die Fachgerichte haben den Einfluss des Grundrechts des Art. 10 GG bei der Auslegung und Anwendung des § 100a Abs. 3 StPO nicht ausreichend beachtet.

a) Zwar ist gegen die fachgerichtliche Annahme, dass die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO vorliegen, in verfassungsrechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Aus der Ermittlungsakte ergibt sich, dass die Ermittlungsbehörden insbesondere aus widersprüchlichen Einlassungen des Beschuldigten geschlossen haben, dass dieser Zeit, Gelegenheit und ein Motiv dafür gehabt haben könnte, (pp.) getötet zu haben. Die Ermittlungsbehörden haben auch andere Erklärungsversuche für das Verschwinden von (pp.) untersucht und sind aufgrund intensiver Auseinandersetzung mit allen bislang bekannten Erkenntnissen und Ermittlungsergebnissen zu dem Ergebnis gelangt, dass ein vom Beschuldigten begangener Mord der plausibelste Hergang gewesen sein muss. Die auf diese konkreten Tatsachen gestützten Erwägungen sind sorgfältig begründet und in der Sache nachvollziehbar, sodass die Annahme des Tatverdachts eines auch im Einzelfall schwerwiegenden Mordes – einer in § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe h StPO erfassten Katalogtat – vertretbar war. Die Annahme, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten ohne die Telekommunikationsüberwachung wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO), erschien ebenso vertretbar, nachdem zahlreiche Ermittlungsbemühungen in der Vergangenheit keine weiteren Erkenntnisse zu erbringen vermochten.

b) Hingegen beruht die für den Tatbestand des § 100a Abs. 3 StPO erforderliche Annahme, es werde zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschuldigten zu einem Austausch oder einer Entgegennahme bestimmter Informationen kommen, lediglich auf vagen Anhaltspunkten und bloßen Vermutungen und ist daher von Verfassungs wegen nicht haltbar.

Die Fachgerichte haben die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung gegenüber dem Beschwerdeführer allein auf dessen Aussagen im Telefonat mit dem Landeskriminalamt am 2. September 2019 gestützt. Diesen Aussagen und dem dort mitgeteilten Verhalten des Beschwerdeführers konnten keine belastbaren Anhaltspunkte dafür entnommen werden, die die Annahme eines zu erwartenden Informationsaustauschs zwischen Beschwerdeführer und dem Beschuldigen nachvollziehbar zu begründen vermochten. So war es bereits mehr als zweifelhaft, ob überhaupt angenommen werden konnte, dass der Beschwerdeführer sich mit dem Beschuldigten in Kontakt setzen oder dies jedenfalls versuchen würde. Ausweislich der Angaben des Beschwerdeführers lag der letzte Kontakt zum Beschuldigten etwa 30 Jahre zurück. Seitdem fand kein Kontakt mehr statt. Nachdem der Beschuldigte bereits auf die persönliche Konfrontation durch den Beschwerdeführer in Costa Rica geschwiegen hatte, war unklar, welchen Anlass der Beschuldigte haben sollte, nun doch mit dem Beschwerdeführer über den Sachverhalt zu sprechen. Ein Verhältnis, welches einen Austausch etwaiger Informationen nahegelegt hätte, schien nicht zu bestehen, zumal der Beschwerdeführer offenbar noch nicht einmal sichere Kenntnis davon hatte, ob der Beschuldigte noch lebt. Aus welchem Grund der Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund den Kontakt zum Beschuldigten suchen sollte, bleibt im Dunkeln.

Ebenso stand nicht fest, ob der Beschwerdeführer überhaupt über eine Telefonnummer des Beschuldigten oder sonstige Kontaktmöglichkeiten zu diesem verfügte. Die Angaben des Beschwerdeführers, er wisse nicht, ob er noch Kontaktdaten des Beschuldigten habe, lassen vielmehr darauf schließen, dass er sich für einen Kontakt noch um entsprechende Daten bemühen müsste. Ob er hierzu willens und in der Lage war, ist völlig unklar. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft, es bestehe die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer den Beschuldigten erreichen oder für die Erreichbarkeit sorgen könne, erweisen sich vor diesem Hintergrund als bloße Vermutung und nicht durch entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte gedeckt.

Die Annahme der Nachrichtenmittlereigenschaft erschöpft sich vorliegend darin, dass aus einer in den Neunzigerjahren erfolgten Reise des Beschwerdeführers zum Beschuldigten nach Costa Rica und der Konfrontation des Beschuldigten mit dem Tatvorwurf darauf geschlossen wird, der Beschwerdeführer werde sich 30 Jahre später erneut um einen Kontakt mit dem Beschuldigten bemühen. Diese Annahme beruht auf nicht tragfähigen Vermutungen und vermag den schwerwiegenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis nicht zu rechtfertigen.“

BVerfG I: Richtervorlagen gegen harte „KiPo-Strafen“, oder: BVerfG weist als unzulässig zurück

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Ich eröffne die 16. KW. dann mit zwei Entscheidungen des BVerfG.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 03.03.2023 -2 BvL 11/22 und 2 BvL 15/22 -, den ich der Volltsändigkeit halber hier auch vorstelle. Es handelt sich um die Entscheidung des BVerfG zu zwei amtsgerichtlichen Beschlüssen betreffend die Strafhöhe in den sog. KiPo-Verfahren, und zwar AG München, Beschl. v. 17.6.2022 – 853 Ls 467 Js 181486/21 und AG Wuppertal, Beschl. v. 17.10.2022 -12 Ls-40 Js 261/22-24/22.

Wer darauf gehofft hatte, dass das BVerfG zu den angesprochenen Fragen Stellung nehmen würde, dessen Hoffnung wird enttäuscht. Das BVerfG hat nämlich die Vorlagen an unzulässig angesehen:

„….I.

In einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG muss die Begründung der Vorlage angeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dabei muss der Vorlagebeschluss aus sich heraus verständlich sein, da der Begründungszwang des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (stRspr; vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 65, 265 <277>; 141, 1 <10 Rn. 22>; 153, 310 <333 Rn. 55>; 159, 149 <170 Rn. 58>). Folglich hat das vorlegende Gericht den zugrunde liegenden Sachverhalt, soweit er für die verfassungsrechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen im Vorlagebeschluss erschöpfend darzulegen und vollständig aufzuklären (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 37, 328 <333 f.>; 65, 308 <314>; 66, 265 <268>; 68, 311 <316>). Es muss sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine einschlägige Rechtsprechung erschöpfend darlegen und die in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142 Rn. 45, 145 ff. Rn. 53 ff.>; 138, 1 <13 Rn. 37>; 141, 1 <11 Rn. 22>).

II.

Ausgehend von diesen Maßstäben genügen die Vorlagebeschlüsse den Anforderungen nicht.

1. Die Vorlage des Amtsgerichts München ist schon deshalb unzulässig, weil der Vorlagebeschluss aus sich heraus nicht verständlich ist. Das Amtsgericht München lässt eine hinreichende Sachverhaltsdarstellung vermissen und führt in seinem Vorlagebeschluss lediglich zu fiktiven Beispielsfällen aus.

2. Die Vorlage des Amtsgerichts Wuppertal ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil das Amtsgericht im Vorlagebeschluss nicht hinreichend darlegt, dass und warum das angeklagte Tatgeschehen dem Tatbestand des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterfällt. Aus dem Vorlagebeschluss erschließt sich nicht, warum das Amtsgericht davon ausgehen zu können meint, dass es sich bei der vom Angeschuldigten verbreiteten Datei um einen „pornographischen Inhalt“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB handelt.

§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass es sich um „pornographischen Inhalt“ handelt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird – auch wenn der Begriff der Pornographie des § 184 StGB insoweit nicht vollständig übertragen wird – für die Verwirklichung des Tatbestandes verlangt, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist (vgl. BGHSt 59, 177 <178 Rn. 43, 179 Rn. 49>; BTDrucks 18/3202, S. 27; Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn. 14; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 5; Ziegler, in: BeckOK StGB, 54. Edition Stand 1.8.2022, § 184b Rn. 3).

Das ist hier zweifelhaft, da das Amtsgericht selbst annimmt, dass die Bilddatei nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ihrer Betrachter ausgelegt ist, sondern im Internet als „Spaßvideo“ kursiert. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar an die einfachrechtliche Einordnung des vorlegenden Gerichts grundsätzlich gebunden (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>). Das enthebt das vorlegende Gericht indes nicht der Aufgabe, sich mit den in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen, die dazu führen könnten, dass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm nicht mehr ankommt, weil deren tatbestandliche Voraussetzungen schon nicht erfüllt sind. Das ist hier nicht geschehen.

Daher bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das Amtsgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB hinreichend begründet hat.“

Tja, schade. Kein weiteres Wort – nicht einmal ein kleines obiter dictum. Aber vielleicht hat das AG Buchen mit seiner Volage im AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – mehr Glück.

BVerfG II: Aussetzung des Strafrestes nach 50 Jahren, oder: Begründungstiefe bei lebenslanger Strafe

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Im zweiten Posting weise ich dann hin auf den BVerfG, Beschl. v. 24.02.2023 – 2 BvR 117/20 u. 2 BvR 962/21. Es handelt sich um erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen Ablehnungen von Anträgen auf Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe zur Bewährung u.a. durch das LG bzw. OLG Koblenz.

Auch hier beziehe ich mich wegen der Länge der Entscheidung auf die Pressemitteilung Nr. 39/2023 des BVerfG v. 31.03.2023, zumal die den Beschluss m.E. auch sehr schön zusammenfasst:

„Mit heute veröffentlichten Beschlüssen hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Verfassungsbeschwerden eines im Jahr 1972 wegen zweifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Häftlings stattgegeben. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen fachgerichtliche Entscheidungen, mit denen die Aussetzung des Strafrestes einer seit mehr als 47 Jahren vollzogenen lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt wurde.

Die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte verletzen den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), weil die Fortdauer der Freiheitsentziehung nicht in einer Weise begründet worden ist, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein wegen Mordes an einer Frau und deren Tochter rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilter, befand sich seit Juni 1970 in Untersuchungs- und sodann in Strafhaft. Nachdem er die Taten zunächst eingeräumt hatte, widerrief er in der Folgezeit sein Geständnis.

Ab dem Jahr 1991 befand sich der Beschwerdeführer im offenen Vollzug. In den folgenden Jahren wurde er jedoch mehrfach in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt, weil bei ihm wiederholt pornografisches Material und weitere unerlaubte Gegenstände aufgefunden worden waren.

Im Jahr 1997 stellte das Landgericht Koblenz fest, dass die besondere Schwere der Schuld des Beschwerdeführers die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht mehr gebiete. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung lehnte es gleichwohl ab, da eine günstige Gefahrenprognose nicht gestellt werden könne.

Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Mai 2019 lehnte das Landgericht Koblenz einen Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ab. Es bestehe eine geringe Gefahr, dass der Beschwerdeführer künftig schwere Straftaten begehen werde. Er sei aufgrund seiner rigiden Verweigerungshaltung in Bezug auf die sexuelle Devianz nicht hinreichend einschätzbar. Verbleibende Zweifel hinsichtlich einer günstigen Prognose gingen zu seinen Lasten.

Mit angegriffenem Beschluss vom 9. Dezember 2019 verwarf das Oberlandesgericht Koblenz die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde als unbegründet. Zugunsten des Beschwerdeführers spreche zwar, dass er sich seit März 2017 wiederum im offenen Vollzug bewährt habe. Dem stehe aber die fehlende Aufarbeitung der Anlasstaten gegenüber. Dass die Persönlichkeitsdefizite, die auch den Anlassmorden zugrunde gelegen hätten, unbearbeitet seien, müsse sich prognostisch ungünstig auswirken. Weiterhin sei ein sozialer Empfangsraum, der ausreichende Kontrollmöglichkeiten biete, bislang nicht vorhanden.

Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 22. Januar 2021 lehnte das Landgericht Koblenz wiederum die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe ab. Auch die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Koblenz erneut mit Beschluss vom 29. April 2021 als unbegründet.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet. Die fachgerichtlichen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG.

1. a) Ob im Einzelfall die weitere Vollstreckung einer rechtskräftig ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a Strafgesetzbuch (StGB) zur Bewährung auszusetzen ist, ist eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts. Das Bundesverfassungsgericht prüft fachgerichtliche Entscheidungen nicht in jeder Hinsicht nach und hat insbesondere nicht seine eigene Wertung des Einzelfalls nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. In derartigen Fällen lässt sich vielmehr eine Grundrechtsverletzung nur feststellen, wenn der zuständige Vollstreckungsrichter entweder nicht erkannt hat, dass in seine Abwägung Grundrechte einwirken, oder wenn seine Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung dieser Grundrechte beruht.

b) Bei der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe bedarf es von Verfassungs wegen einer Gesamtwürdigung, die die von dem Verurteilten ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs ins Verhältnis setzt. Auf der einen Seite verlangt die im Rahmen der Aussetzungsentscheidung zu treffende Prognose die Verantwortbarkeit der Aussetzung mit Rücksicht auf unter Umständen zu erwartende Rückfalltaten. Auf der anderen Seite hat dabei der grundsätzliche Freiheitsanspruch des Verurteilten wegen der regelmäßig zurückgelegten langen Haftzeit großes Gewicht. Je höherwertige Rechtsgüter in Gefahr sind, desto geringer muss das Rückfallrisiko sein.

c) Darüber hinaus folgen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfahrensrechtliche Anforderungen, die mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung steigen. Vor allem wenn die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr gebietet, hat sich das Vollstreckungsgericht bei einer Aussetzungsentscheidung von Verfassungs wegen um eine möglichst breite Tatsachenbasis zu bemühen und die für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte näher darzulegen. Mit zunehmender Dauer einer Freiheitsentziehung verengt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters und wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.

Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Beschlüsse nicht. Sie verfehlen die sich aus der sehr langen Dauer der Freiheitsentziehung ergebenden Anforderungen an die Begründungstiefe der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe.

2. a) Die Fachgerichte verhalten sich bereits nicht zu dem Lebensalter des Beschwerdeführers und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten. Dabei ist davon auszugehen, dass angesichts der außerordentlichen Länge der Vollzugsdauer die Gefahr künftiger (Sexual-) Straftaten von nur geringem oder mittlerem Gewicht einer Aussetzung des Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung nicht mehr entgegenstehen dürfte.

Selbst wenn das im Zeitpunkt der Begehung der Anlassdelikte im Jahr 1970 zutage getretene Persönlichkeitsdefizit in Form einer sexuellen Devianz und gesteigerten sexuellen Verlangens unbearbeitet geblieben ist, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die sexuelle Dranghaftigkeit des Beschwerdeführers in seinem hohen Alter in einem Maße fortbesteht, dass die Wahrscheinlichkeit der Begehung vergleichbarer, gegen das Leben gerichteter (Sexual-) Straftaten als gegeben angesehen werden kann.

b) Nichts Anderes ergibt sich, soweit die Fachgerichte darauf verweisen, die besondere Dranghaftigkeit des Beschwerdeführers sei während seiner Inhaftierung immer wieder zum Vorschein gekommen, da sämtliche Regelverstöße im Zusammenhang mit seiner Sexualität gestanden hätten.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Besitz der aufgefundenen Gegenstände für sich genommen keinen Aufschluss über die Gefahr künftiger besonders schwerer (Sexual-) Straftaten zu geben vermag. Zudem liegen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer während der mehrjährigen Phasen des offenen Vollzugs Straftaten begangen hat. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer den seit 2017 erneut angeordneten offenen Vollzug – soweit ersichtlich – bisher beanstandungsfrei absolviert hat.

c) Nicht nachvollziehbar sind darüber hinaus die Ausführungen des Landgerichts Koblenz zur Bewertung des Umstands, dass der Beschwerdeführer zwei Langzeitausgänge ordnungsgemäß durchgeführt hat. Das Landgericht beschränkt sich auf die Feststellung, der Beschwerdeführer habe erkannt, dass eine Entlassung perspektivisch nur realisierbar sei, wenn er sich beanstandungsfrei führe. Es sei daher davon auszugehen, dass er auch künftige Langzeitausgänge beanstandungsfrei absolvieren werde. Das Landgericht misst damit der erfolgreichen Durchführung von angeordneten Lockerungsmaßnahmen keinerlei Aussagewert zu. Dies ist mit dem Grundsatz, dass Vollzugslockerungen für eine zutreffende Prognoseentscheidung eine besondere Bedeutung zukommt, nicht vereinbar.

d) Schließlich setzen sich die Fachgerichte unzureichend mit der Frage einer möglichen Reduzierung des verbliebenen Risikos der Begehung erneuter (Sexual-) Straftaten des Beschwerdeführers durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen im Rahmen einer Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe zur Bewährung auseinander.

Sie beschränken sich insoweit auf die Feststellung, dass ein geeigneter sozialer Empfangsraum fehle, weil der Beschwerdeführer nicht bereit sei, eine Unterbringung in einer betreuten Wohnform außerhalb des ihm bekannten sozialen Umfelds zu akzeptieren, und es an einem entsprechenden Angebot fehle.

Die Gerichte lassen dabei außer Betracht, dass der gerichtlich beauftragte Sachverständige ausgeführt hat, dass der Beschwerdeführer kein impulsiv handelnder Straftäter sei. Das Restrisiko weiterer Straftaten könne daher durch geeignete Weisungen reduziert werden. Als solche seien eine regelmäßige sozialarbeiterische Betreuung mit kontrollierenden Funktionen, die Untersagung des Besitzes von Gegenständen, die für voyeuristische Zwecke eingesetzt werden können, und eine dahingehende regelmäßige Kontrolle der Wohnung in Betracht zu ziehen.

Diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, dass aus Sicht des Sachverständigen die Überführung in eine betreute Wohnform die einzige Möglichkeit darstellt, um im Rahmen eines Entlassungssettings die Gefahr künftiger schwerer (Sexual-) Straftaten des Beschwerdeführers auf das unvermeidbare Mindestmaß zu reduzieren.

Vor diesem Hintergrund wäre es Sache der Fachgerichte gewesen, sich mit der Möglichkeit einer Reststrafenaussetzung unter ausreichend risikominimierenden Auflagen gesondert zu befassen. Es erscheint – nicht zuletzt auch wegen der erfolgreich absolvierten Langzeitausgänge – nicht von vornherein ausgeschlossen, dass angesichts der dem Beschwerdeführer durch den Sachverständigen attestierten fehlenden Impulsivität die Möglichkeit besteht, durch Bewährungsauflagen eine begleitende und kontrollierende Struktur zu schaffen, die die Gefahr erneuter, gegen das Leben gerichteter Sexualstraftaten auf das unvermeidbare Mindestmaß beschränkt.“

Auch hier: Es hat gedauert. Zwar nicht so lange wie bei den Beschlüssen über die Vorratsdatenspeicherung, aber es sind auch hier vier bzw. drei Jahre. Das ist m.E. zu lang, zumal es ja hier auch um (Straf)Haft geht.

In der Sache hat das BVerfG Recht, wenn es eine bessere Begründung solcher Beschlüsse fordert. Die Strafvollstreckungskammern und die OLG wird das freuen 🙂 .