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KiPo II: Bei einer Durchsuchung übersehener USB-Stick, oder: Hatte der Angeklagte noch wissentlichen Besitz?

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich heute um das AG Pforzheim, Urt. v. 14.09.2023 – 2 Ls 33 Js 3824/22. Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf des Besitzes kinderpornografischer Inhalte gem. § 184 b Abs. 3 StGB frei gesprochen. Begründung:

„Anlässlich der Durchsuchung in der pp.-Straße in pp. am 21.06.2022 zwischen 07.45 Uhr und 09.25 Uhr aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Pforzheim, 9 Gs 100/22 vom 17.05.2022 wurde unter anderem ein USB Stick (Asservat 1.4), welcher dem Angeklagten gehört, sichergestellt und beschlagnahmt. Auf dem USB Stick befanden sich siebzehn kinderpornograifsche Videodateien, was der Angeklagte wusste.

Die Dateien zeigen teilweise sexuellen Missbrauch von Kleinkindern, die Vornahme sexueller Handlungen an und von Kindern sowie die Zurschaustellung von Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung sowie Geschlechtsteilen in sexuell aufreizender Art und Weise und geben ein tatsächliches und wirklichkeitsnahes Geschehen wieder. Dem Angeklagten war dies aufgrund der Bilder ebenso bewusst wie das kindliche Alter der Darsteller.

Ferner war dem Angeklagten bewusst, dass die Dateiinhalte ohne die Vermittlung weiterer gedanklicher Inhalte nur auf eine sexuelle Stimulation des Betrachters abzielten.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Dateien auf dem USB-Stick (Asservat 1.4):

[Detaillierte Beschreibung des Inhalts der 17 kinderpornografischen Videodateien]

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, er habe die auf den USB-Stick befinden Dateien bereits im Jahre 2014/2015 heruntergeladen und nicht mehr benutzt. Er sei davon ausgegangen, dass der Stick bei der Durchsuchung im Ermittlungsverfahren 92 Js 1437/16 sichergestellt und mitgenommen wurde und habe nicht gewusst, dass sich der Stick noch in seiner Schublade befindet.

Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der USB-Stick tatsächlich bei der Durchsuchung übersehen worden sein könnte und diese Dateien nach dem Jahre 2015 jedenfalls nicht mehr bearbeitet wurden.

Es lässt sich daher nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte die inkrimierten Dateien nach der Durchsuchung noch wissentlich im Besitz hatte.

In dem genannten vorausgegangenem Verfahren erging am 29.04.2016 ein seit 18.05.2016 rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts Maulbronn (1 Cs 92 Js 1437/16) wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften; weitere Tathandlungen, insbesondere der Besitz kinderpomografischer Inhalte, wurden zuvor durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – vom 14.04.2016 gem. §§ 154, 154 a StPO von der weiteren Verfolgung ausgenommen.

Damit ist hinsichtlich des früheren Besitzes der Dateien Strafklageverbrauch eingetreten und der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.“

KiPo I: „Nur“ Verbreitung von „Jugendpornografie“, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

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In die 8. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen, die sog. „KiPo-Verfahren“ zum Gegenstand haben. In beiden Entscheidungen geht es um die Beweiswürdigung/Nachweisbarkeit.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 14.12.2023 – 3 StR 183/23. Der BGh hat in dem Urteil zur Beweiswürdigung bei Verurteilung wegen Verbreitung pornographischer Inhalte Stellung genommen. Das LG hat den Angeklagten wegen Verbreitung jugendpornographischer Inhalte (§ 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt. Dagegen hatte sich die Staatsanwaltschaft gewendet, die in einigen der Fälle eine Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) erstrebt. Sie hat die Feststellungen des LG zum Alter der in den Videos zu sehenden Mädchen beanstandet. Die hatte die Strafkammer auf der Basis einer Inaugenscheinnahme der Videodateien und aufgrund eigener Sachkunde anhand einer Gesamtwürdigung der in den Filmen zu erkennenden körperlichen Merkmale der Darstellerinnen, ihres Verhaltens sowie der sichtbaren äußeren Umstände der Aufnahmen getroffen.

Das Rechtsmittel der StA hatte Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, als unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist. Nach den allgemeinen Ausführungen zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung, die ich hier mal auslasse, führt der BGH aus:

„b) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist.

aa) Generell gilt zur Altersbestimmung von Darstellern pornographischer Inhalte beziehungsweise zur Abgrenzung jugendpornographischer Inhalte von kinderpornographischen Inhalten Folgendes:

Ist das kindliche Alter der in einem Video oder auf einem Bild erkennbaren Person – etwa aufgrund ihrer Identifizierung – bekannt, kommt es für die rechtliche Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch allein auf das tatsächliche Alter an. Mithin ist immer § 184b StGB einschlägig, wenn die bei einem realen Geschehen gezeigte Person tatsächlich ein Kind ist, auch wenn sie älter aussehen sollte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 61; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 9; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 12; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 12; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8).

In Fällen nicht identifizierter abgebildeter Personen bedarf es einer Altersbestimmung oder zumindest Alterseingrenzung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sich aus dem Inhalt selbst und dessen Bezeichnung ergebender Umstände, namentlich der körperlichen Entwicklung, des Aussehens, der Gestik und Mimik, der Stimme, der Äußerungen und des Verhaltens des Abgebildeten, aber auch weiterer Faktoren wie der Räumlichkeit, in der die Aufnahme gefertigt wurde, Bekleidungsstücke (etwa Kinderbekleidung), sichtbarer weiterer Gegenstände (etwa Kinderspielzeug) sowie textlicher oder sprachlicher Altersangaben in dem Inhalt oder dessen Bezeichnung (Dateiname). Dabei ist zwar primär das auf diese Weise beweiswürdigend festgestellte oder zumindest eingegrenzte Alter der Person maßgeblich. Es genügt aber für eine Einordnung eines Inhalts als kinder- beziehungsweise jugendpornographisch, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, dass die gezeigte Person ein Kind oder Jugendlicher ist. Dann ist das tatsächliche Alter irrelevant („Scheinkinder“ oder „Scheinjugendliche“) beziehungsweise ohne Bedeutung, ob sich dieses feststellen lässt oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18, § 184c Rn. 9 f.; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 10 ff., § 184c Rn. 11 f.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 13; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13, § 184c Rn. 11 f.; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 9 f.; NK-StGB/Papathanasiou, 6. Aufl., § 184b Rn. 14, § 184c Rn. 6; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 8; s. auch BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2008 – 2 BvR 2369/08 u.a., MMR 2009, 178).

Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Aufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, stehen der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen, denn ansonsten hätte es der Hersteller oder Verbreiter des Inhalts in der Hand, durch einfache unwahre Behauptungen eine Anwendbarkeit der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60).

Demgegenüber kann Angaben in einer Videoaufnahme oder einer Dateibezeichnung, die ein kindliches oder jugendliches Alter des Abgebildeten behaupten, im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung Indizwert dahin zukommen, dass es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um ein Kind oder einen Jugendlichen handelt. Auch kann eine solche Angabe in der Gesamtschau mit dem Aufnahmeinhalt geeignet sein, einem objektiven, gewissenhaft urteilenden Betrachter den Eindruck zu vermitteln, die gezeigte Person sei ein Kind oder Jugendlicher, was für die Qualifikation eines Inhalts als kinder- oder jugendpornographisch ausreicht.

bb) Den vorgenannten Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht vollständig.

Der Strafkammer haben als Beweismittel allein die einer Inaugenscheinnahme zugänglichen urteilsgegenständlichen Videodateien zur Verfügung gestanden. Sie hat die Videos sowie Standbilder aus den elektronischen Dateien in Augenschein genommen und anhand dieser Betrachtungen aufgrund eigener, aus der Lebenserfahrung der Richterinnen und Schöffinnen gespeister Sachkunde die erwähnten Altersfeststellungen getroffen. Dabei hat sie für jede einzelne Darstellerin aufgrund einer Gesamtwürdigung zahlreicher Kriterien den Schluss gezogen, dass diese zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufnahme nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, auf jeden Fall aber – offensichtlich – nicht älter als 18 Jahre war.

Dies ist zwar für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedoch hat die Strafkammer ausdrücklich unberücksichtigt gelassen, dass die Dateinamen der Videos, die zudem zu Beginn der Filme eingeblendet werden, jeweils Altersangaben der Darstellerinnen enthalten, wonach diese zwölf beziehungsweise 13 Jahre alt seien. Diese behaupteten Angaben zum Alter der Mädchen in den Dateibezeichnungen seien unerheblich. Auf solche könne es nicht ankommen, denn ansonsten hätte es der Verbreiter oder Hersteller eines pornographischen Inhalts in der Hand, durch falsche Behauptungen eine Anwendung der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern.

Diese pauschale Ausklammerung der Altersangaben der Darstellerinnen in den Dateinamen aus der gebotenen Gesamtwürdigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar stehen – wie dargelegt – Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Videoaufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen. Mithin sind Angaben, die ein höheres als das tatsächliche oder aufgrund des Gesamteindrucks vermittelte Alter eines Darstellers behaupten, unerheblich. Dagegen kann die Angabe eines kindlichen oder jugendlichen Alters in dem betreffenden Inhalt oder seiner Bezeichnung durchaus Indizwert für ein solches oder zumindest den Gesamteindruck eines solchen haben. Auch wenn sie nicht bereits für sich genommen zur Anwendbarkeit des § 184b oder § 184c StGB führt (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13), so muss sie daher in die gebotene Gesamtwürdigung einbezogen werden.

Daher hätte die Strafkammer den Altersangaben von zwölf beziehungsweise 13 Jahren in den Dateinamen der Videos nicht von vornherein jeden Beweiswert absprechen dürfen.

c) Auf dieser Lücke in der Beweiswürdigung beruhen die Feststellungen der Strafkammer zum Alter der Mädchen. Es ist ungeachtet der sorgfältigen Analyse der Videoinhalte nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht in den hier relevanten Fällen zu der Überzeugung gelangt wäre, alle oder jedenfalls einzelne Darstellerinnen seien oder erschienen nach dem maßgeblichen Gesamteindruck, der einem objektiven Betrachter vermittelt werde, jünger als 14 Jahre, wenn sie die mit der Dateibezeichnung aufgestellte Behauptung eines kindlichen Alters in ihre Gesamtwürdigung eingestellt hätte.

Zwar hat die Strafkammer in den Urteilsgründen weiter ausgeführt, die Altersangaben in den betreffenden Videos seien nicht belastbar, weil drei der Filme dieselben zwei Mädchen zeigten, allerdings die Altersangaben in den Dateinamen divergierten, obgleich jedenfalls zwei der Filme in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erstellt worden seien. Auch mit diesem Argument hat das Landgericht indes den Altersbezeichnungen Indizwert nicht absprechen dürfen. Denn für eine Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch ist – wie dargelegt – ausreichend, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, die gezeigte Person sei ein Kind, auch wenn dies (möglicherweise) tatsächlich nicht der Fall ist. Für eine solche „Scheinkindqualifikation“ ist allein der betreffende Inhalt maßgeblich, also das auf einem Bild oder in einem Video Wahrnehmbare sowie die Bezeichnung des Bildes oder Videos. Informationen jenseits des zu beurteilenden Inhalts sind dagegen für diese Einordnung irrelevant; sie können die Qualifikation eines Darstellers als „Scheinkind“ weder in Frage stellen noch begründen.“

StPO I: Zeitpunkt „nicht logisch nachvollziehbar“, oder: Wahrnehmung prozessualer Schweigerechte

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Und heute dann drei Entscheidungen aus dem StPO-Bereich.-

Zunächst hier noch einmal der BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 5 StR 126/23 -, den ich ja schon einmal hier unter StPO II: Grundloses Nichterscheinen des Zeugen, oder: Verletzung des Konfrontationsrechts?, vorgestellt hatte.

Heute dann nochmals wegen der Ausführungen des BGH zur Beweiswürdigung:

„3. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

Allerdings findet sich in der Beweiswürdigung der Strafkammer zur Vorgeschichte der Tat, die rechtlich bedenkliche Wendung, es sei „nicht logisch nachvollziehbar, warum der Angeklagte seine Geschichte nicht schon im Anschluss hieran [an die Vernehmung des Zeugen am ersten Hauptverhandlungstag], sondern erst am dritten Verhandlungstag vorgetragen“ habe. Darin könnte zum Ausdruck kommen, das Landgericht habe allein aus der Wahrnehmung prozessualer Schweigerechte unzulässige Schlüsse gezogen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 5 StR 411/20, NStZ 2021, 319 mwN, insoweit auch zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Berücksichtigung der Umstände der Einlassung, wie etwa der Möglichkeit, die Einlassung an bisherige Ermittlungsergebnisse anzupassen). Gleiches gilt, soweit es für seine Einschätzung, es handele sich bei der Einlassung des Angeklagten zur Tat um Schutzbehauptungen, ausgeführt hat, es sehe „sich in dieser Annahme nicht zuletzt angesichts des späten Zeitpunkts der Einlassung des Angeklagten bestätigt.“ Mit Blick auf die rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung der Strafkammer, die – ohne Berücksichtigung des Zeitpunkts der Einlassung – die Darstellung des Tatgeschehens durch den Angeklagten nachvollziehbar als unglaubhaft gewertet hat, schließt der Senat aus, dass das Urteil insoweit auf einem etwaigen Rechtsfehler beruht.

OWi II: Es war kein Handy, sondern ein Kühlakku, oder: „etwas unglückliche“ Beweiswürdigungsformulierung

Kühlakku

Und dann als zweite Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 29.08.2023 – III-5 ORbs 70/23 – zur Beweiswürdigung bei einem Handyverstoß.

Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 StVO verurteilt. Hier das AG Iserlohn, Urt. v. 15.11.2021 – 18 OWi 271/21 -, das ich mit einstelle, da man sonst den OLG Beschluss nicht versteht. Darin führt das AG aus:

„Der Betroffenen hat das Tatgeschehen bestritten. Er hat angegeben, immer Probleme mit seinen Zähnen gehabt zu haben und ein Kühlakku, welches von einem anthrazitfarbenen Handtuch umwickelt war, an seine linke Wange gehalten zu haben. Diesen Kühlakku brachte er zum Hauptverhandlungstermin mit.

Diese Angaben waren nach der durchgeführten Beweisaufnahme und Inaugenscheinnahme des besagten Akkus als Schutzbehauptung widerlegt.

Zum einen konnte schon eine Ähnlichkeit zwischen einem Handy und dem umwickelten Kühlakku nicht festgestellt werden. Die Einlassung des Angeklagten war schon wenig nachvollziehbar und plausibel. Gleichzeitig ist nicht nachvollziehbar weil widersprüchlich, aus welchen Gründen der Betroffene im Rahmen der anschließenden Verkehrskontrolle den einschreitenden Polizeibeamten gar nichts hinsichtlich seines vermeintlich genutzten Kühlakkus erwähnt hat. Erschwerend und mitentscheidend für die mangelnde Glaubhaftigkeit der Einlassung des Betroffenen sind die glaubhaften Angaben der Zeugin pp.. Diese gab an, dass sie sich vage erinnern könne. Sie wisse noch, dass es sich um eine gezielte Verkehrsüberwachung gehandelt habe und sie gefahren sei, der Kollege habe hinten und die Kollegin neben ihr im Fahrzeug gesessen. Sie hätten alle den Verstoß gesehen. Es habe sich 100 %-ig um ein Mobiltelefon gehandelt, keinesfalls um den mitgebrachten Kühlakku oder Ähnliches. Daran erinnere sie sich genau, da der Betroffene das Handy sofort heruntergenommen habe, als er von ihnen —den Zeugen- entdeckt worden sei. Die Angaben sind glaubhaft, weil lebensnah, plausibel und im Wesentlichen widerspruchsfrei. Es bestehen weder Zweifel an der Wahrnehmungsfähigkeit noch an der Wahrnehmungsbereitschaft der Zeugin. Insbesondere hat die Zeugin den Betroffenen nicht übermäßig belastet und hat auch eingeräumt, dass sie sich an die zeitliche Abfolge, wie lange sie n.eben dem Betroffen hergefahren seien, nicht genau erinnern könne. Auch ist keinerlei Motivation einer Falschbelastung auf Seiten der Zeugin erkennbar. Maßgeblich für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin war, dass diese das Geschehen in sich konstant wiedergegeben hat. Die Angaben standen auch nicht im Widerspruch zu den Bekundungen des Zeugen pp. Der Zeuge gab sofort an, sich nicht mehr genau an das Tatgeschehen erinnern zu können. Ob er oder seine Kollegin gefahren sei, wisse er nicht mehr genau. Er konnte sich lediglich an die Verkehrsüberwachung erinnern und daran, dass der Betroffene im Gespräch angegeben habe: „Eine Sauerei, dass aus einem Zivilfahrzeug heraus kontrolliert wird!“ Insoweit wertet das Gericht die Angaben des Betroffenen lediglich als reine Schutzbehauptung.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die das OLG verworfen hat, und zwar mit folgendem Zusatz:

„Die Erwägungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 25.08.2023 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Zwar ist die Formulierung des Tatgerichts in der Beweiswürdigung betreffend das Verhalten des Betroffenen im Rahmen der Verkehrskontrolle (vgl. UA S. 3) etwas unglücklich. Gleichwohl lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, das Amtsgericht habe das Schweigerecht des Betroffenen bzw. den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verletzt. Zum einen kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Betroffener zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der Gesamtwürdigung die Glaubhaftigkeit der Einlassung beeinflussen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22.02.2001 — 3 StR 580/00 = BeckRS 2001, 30163532, beck-online). Zum anderen hat der Betroffene ausweislich der Urteilsgründe gar nicht vollständig von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, sondern geäußert, es sei eine Sauerei, dass aus einem Zivilfahrzeug heraus kontrolliert werde (vgl. UA S. 4). Darüber hinaus ist die tragende Erwägung im Rahmen der — nur eingeschränkt überprüfbaren — Beweiswürdigung des Tatgerichts die Aussage der Zeugin.“

Als ich die Einlassung gelesen habe, musste ich mich an meine Fortbildungen im Verkehrsrecht erinnern 🙂 . Lang, lang ist es her, aber wird offenbar immer noch gern genommen die Einlassung. 🙂 .

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB, oder: Beweiswürdigung beim Vorsatz

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Und dann heute ein wenig OWi, ein paar Entscheidungen habe ich vorliegen, die ich vorstellen kann.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 06.09.2023 – 202 ObOWi 910/23 – zur „richtigen“ Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Dazu führt das BayObLG aus:

„Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende, Richtigkeit und Verwertbarkeit der (standardisierten) Messung nicht anzweifelnde Betroffene am 24.11.2022 um 17.01 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens die BAB A8 in Richtung München, wobei er in Höhe der Messstelle die zuvor jeweils durch beidseitig insgesamt dreimal aufgestellte Schilderpaare auf 130 km begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit mit gemessenen (mindestens) 181 km/h um 51 km/h überschritt. Der Betroffene handelte hierbei nach Ansicht der Amtsgerichts vorsätzlich, da er „entweder […] die zulässige Höchstgeschwindigkeit erkannt“ hatte, „indem er mindestens eines der sechs aufgestellten Schilder gesehen […] und diese bewusst ignoriert, oder […] die Beschilderung von Anfang an völlig ignoriert und außer Betracht gelassen und gleichzeitig die ihm bekannte Geschwindigkeitsbegrenzung völlig verdrängt“ hat, „so dass er zumindest billigend in Kauf genommen hat, die Geschwindigkeitsbegrenzung massiv zu überschreiten“.

Zum Tatvorwurf ließ sich der Betroffene im Wesentlichen dahin ein, dass er sich auf dem Weg von seinem Wohnort zu einem Termin in München befunden habe und die Strecke regelmäßig befahre. Bis zu dem Termin um 19.30 Uhr habe er reichlich Zeit gehabt, weshalb er nicht sofort auf die Autobahn aufgefahren, sondern zunächst noch weiter Landstraße bis Leipheim gefahren sei. Noch vor der Geschwindigkeitsmessung habe er sich an der dortigen Tank- und Rastanlage etwas zum Trinken gekauft, ehe er erst an der dortigen Anschlussstelle in Fahrtrichtung München auf die Autobahn aufgefahren sei. Die Strecke zum Flughafen München kenne er gut, da er geschäftlich häufig über den besagten Flughafen reise. „Am Tattag sei er wohl unachtsam gewesen und habe deshalb das 130er-Schild nicht gesehen. Es sei ein Versehen gewesen, dass er so schnell gefahren sei“. Das Amtsgericht hat diese Einlassung des Betroffenen dahin gewürdigt, dass selbst dann, wenn man zu seinen Gunsten hinsichtlich der behaupteten Fahrtstrecke aufgrund des vorangegangenen Halts an der Tank- und Rastanlage nicht von einer Schutzbehauptung ausgehe und der Betroffene deshalb nur ein die Geschwindigkeit auf 130 km/h begrenzendes Schilderpaar vor der Messstelle passiert haben sollte, von Tatvorsatz auszugehen sei. Denn insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Betroffene „beim Verlassen der Tank- und Rastanlage […] genau auf ein Verkehrszeichen mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit 130 km/h zugefahren“ sei, welches „prominent am Ende des Beschleunigungsstreifens“ stehe, weshalb man „auf das rechte der beiden Verkehrszeichen […] quasi direkt“ zufahre. Im Übrigen habe der Betroffene nicht geltend gemacht, dass dieses Schild durch Schwerlastverkehr verdeckt gewesen sei, obwohl er sich an diverse andere Details zum Tattag noch genau erinnern könne. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die vorhandene Begrenzung seit Jahren unverändert bestehe und der Betroffene selbst angebe, die Strecke regelmäßig zu befahren, weshalb er die massive Geschwindigkeitsüberschreitung „in jedem Fall zumindest billigend in Kauf genommen“ habe.“

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hat. Das BayObLG moniert die Beweiswürdigung. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte im Selbstleseverfahren:

    1. Die Möglichkeit, die eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn anordnenden Verkehrszeichens übersehen zu haben, ist stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben. Ist ein solcher Fall gegeben, müssen die tatrichterlichen Feststellungen deshalb selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
    2. Die der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn (bedingt) vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie auf einer vom Tatgericht angenommenen Tatsachenalternativität beruht, deren Grundlagen durch die Beweisaufnahme nicht durch Tatsachen belegt sind, die erkennen lassen, dass die gezogenen Schlussfolgerungen mehr als nur eine Vermutung rechtfertigen.

Einzelrichter.